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Springsteen & I – Der Boss und du

09 Nov

Springsteen-and-I-BR-Cover

We learned more from a three minute record, baby, than we ever learned in school. („No Surrender“)

Dokumentarfilm // Bruce-Springsteen-Fans sind ein seltsames Völkchen: Sie führen durchaus mehr oder minder ausgefüllte Leben – sofern die mir persönlich oder aus dem Netz bekannten einigermaßen repräsentativ sind – mit Berufen, Hobbys, Familien etc.; aber sobald es mal wieder wichtige Neuigkeiten aus dem Bruce-Springsteen-Kosmos gibt, etwa ein neues Album oder eine neue Tournee oder beides, geraten sie von jetzt auf gleich völlig aus dem Häuschen, in Wallung und in Ekstase. Und das kollektiv: Das deutsche Bruce-Springsteen-Forum beispielsweise platzt dann aus den Nähten, sodass der Betreiber es bisweilen für Neuanmeldungen sperren muss. Jedes klitzekleine Detail der Neuigkeit wird von den Tramps ausgiebig diskutiert. Tramps? Wieso Tramps? So nennen sich die Fans des Rockstars selbst – angelehnt an die Zeile „Tramps like us, baby we were born to run“ aus seiner Hymne „Born to Run“ vom gleichnamigen 1975er-Album.

Steht irgendwo auf der Welt ein Konzert an, versammeln sich die daheimgebliebenen Fans gern zum sogenannten Setlist-Watching vor ihren Rechnern und warten begierig darauf, dass jemand das Forum über jeden einzelnen gespielten Song informiert. Die Begeisterung über einen bei der jeweiligen Tour erstmals gespielten Song ist jedes Mal groß, ebenso groß allerdings die Enttäuschung, gerade nur virtuell dabei zu sein.

Der Boss beweist Ausdauer

Selten oder bei einer Tour erstmals zu hörende Titel hat Springsteen permanent in petto. Bei seinen jüngsten Tourneen gab es kaum Konzertstätten, in denen die Zuschauer ohne eine solche Tourpremiere nach Hause gehen mussten. Überhaupt ist der aufgrund seines autoritären Bandleader-Stils „Boss“ genannte Springsteen bekannt dafür, seine Setlist von einem auf den nächsten Abend gern mal um zehn Songs zu verändern. Seine Gigs knacken in der Regel die Dreistunden-, gern auch die Dreieinhalbstundenmarke – der Rekord liegt bei vier Stunden und sechs Minuten, aufgestellt am 31. Juli 2012 in Helsinki. Bis zu 33 Songs bekommen die Besucher um die Ohren. Der Boss und seine Band geben immer alles. Nicht umsonst heißt es: Es gibt zwei Arten von Menschen auf der Welt – Springsteen-Fans und solche, die ihn noch nicht live gesehen haben.

Auf nach Südafrika!

Verständlich, dass ein echter Tramp heiß darauf ist, so viele Konzerte seines Idols mitzunehmen wie möglich. Ich selbst gelte mit meinen insgesamt 13 Besuchen seit 1988 – 2013 waren es Hannover und Leipzig – in meinem nicht vom Springsteen-Virus befallenen Freundeskreis schon als Verrückter, doch diese Zahl erreichen etliche andere mir bekannte Tramps bei einer einzigen Tour. Diese Vielfahrer opfern viel Zeit und Geld für Bruce Springsteen & The E Street Band. Ihre Erlebnisse teilen sie gern mit Gleichgesinnten, so beispielsweise die beiden Damen im gelben T-Shirt. Als Ende Oktober bekannt wurde, dass der Boss 2014 erstmals in Südafrika spielen wird, taten kurz darauf die ersten deutschen Fans kund, nun mitten in den Reisevorbereitungen zu stecken.

So sind sie, die Tramps, auf eine mal liebenswerte, mal etwas beängstigende Weise fanatisch. Sie sind so treu und begeisterungsfähig, dass Bruce Springsteen ihnen zum Dank nach dem Ende der Wrecking-Ball-Tour 2012/2013 ein wunderschönes Video geschenkt und gewidmet hat: eine Coverversion des Suicide-Songs „Dream Baby Dream“. Welche Fangemeinde kann das schon von sich behaupten?

77 Minuten Begeisterung

Nun ist ein Film auf Blu-ray und DVD erschienen: „Springsteen & I“, u. a. produziert von Hollywood-Regisseur Ridley Scott („Prometheus – Dunkle Zeichen“). Im November 2012 hatten Regisseur Baillie Walsh und die Produzenten Fans in aller Welt aufgerufen, ihnen selbstgedrehte, maximal fünf Minuten lange Filme zu übermitteln, in denen sie über ihre Springsteen-Leidenschaft und besondere Springsteen-Erlebnisse berichten. Aus 300 Stunden Material entstand eine 77-minütige Collage aus Bekenntnissen, Anekdoten, Liebeserklärungen und Danksagungen.

Ein etwa 35-jähriger Tramp berichtet von seinem ersten Springsteen-Konzert 1987 bei der Tunnel-of-Love-Express-Tour: Weil er auf dem Zaun stand, hätten 100 Leute hinter ihm wohl nichts gesehen, ihn aber in Ruhe gelassen. Das Konzert hat er mit seinem Walkman aufgenommen, die Cassetten besitzt er heute noch. Und wenn sie ihm hin und wieder zufällig in die Hände geraten, lächelt er. Eine junge Frau erzählt, wie Bruce sie im Konzert bei „Dancing in the Dark“ zum Tanz auf die Bühne gebeten habe – sie hatte ein Schild hochgehalten, auf dem „Ich werde deine Courteney Cox sein“ stand. Zur Erläuterung: Im offiziellen – gestellten – Video zu dem Song agiert der spätere „Friends“-Star Courteney Cox als Fan und wird von Springsteen zum Tanzen auf die Bühne geholt, eine Showeinlage, die der Boss seit Mitte der 80er-Jahre bei „Dancing in the Dark“ kultiviert hat.

Elvis has left the building

Ein Elvis-Presley-Imitator wird gezeigt, der 20 Jahre lang davon geträumt hat, einmal mit Bruce Springsteen auf der Bühne zu stehen – bis es eines Tages wahr wurde, festgehalten auf einem Amateurvideo. Einen jungen Mann sieht man, wie er sein Schild bastelt, das er beim Konzert als „Sign Request“ hochhalten will: „Hi Bruce, I just got dumped. I’m Goin’ Down“. Zum Trost, gerade von seiner Freundin verlassen worden zu sein, kriegt er beim Konzert eine Umarmung von Bruce Springsteen und seinen Wunsch erfüllt: „I’m Goin’ Down“. Vereinzelt kommt auch Befremden auf, etwa wenn ein gestandenes Mannsbild beim Autofahren über seine Passion spricht und plötzlich – scheinbar ohne Grund – zu schluchzen beginnt. Doch diese eher unbehaglichen Momente sind selten, die positive Grundstimmung überwiegt. Zwischendurch gibt’s auch Musik in Form des einen oder anderen alten Konzertausschnitts, etwa „Mansion on the Hill“, „Thunder Road“ und „Factory“.

Wer soll sich das anschauen?

Es ist ein sehr spezieller Film, vermeintlich für eine kleine Zielgruppe produziert. Aber ist das wirklich so? Für wen ist der Film gemacht, wer kann ihn mit Genuss sehen? Springsteen-Fans, keine Frage. Sie sind ohnehin in Scharen ins Kino geströmt, als der Film an einem einzigen Tag, dem 22. Juli 2013, in mehr als 50 Ländern und über 2000 Kinos gezeigt wurde. Auch Angehörige und Freunde von Springsteen-Fans, die zweifellos einige Marotten ihrer Lieben wiedererkennen werden, dürften ihre Freude haben. Und selbst jenseits von Begeisterung für Springsteens Musik oder seine Person bringt „Springsteen & I“ dem aufgeschlossenen Zuhörer Erkenntnisse über Leidenschaft, Loyalität und Liebe zur Musik. Wer vorher den Enthusiasmus eines Mitmenschen über Bruce Springsteen überhaupt nicht verstehen konnte, kann das nach dem Film vielleicht schon eher. Das Herzblut fließt nur so aus „Springsteen & I“ heraus.

Das Bonusmaterial von „Springsteen & I“ enthält u. a. sechs Songs, die Bruce Springsteen & The E Street Band 2012 beim Hard Rock Calling Festival gespielt haben. Zu den beiden letzten gesellt sich kein Geringerer als Paul McCartney auf die Bühne. Am Ende ist gar zu sehen, wie die Musiker aufgrund der behördlich angeordneten Sperrstunde von der Bühne genötigt werden. Hallo? Zwei der größten noch lebenden Rocklegenden stehen in Swinging London gemeinsam auf der Bühne und jemand zieht den Stecker!? Paul McCartney jedenfalls hat das Ganze mit Humor genommen und augenzwinkernd über seinen Auftritt mit dem Boss berichtet.

Zum Trailer von „Springsteen & I“ geht’s hier.

Veröffentlichung: 25. Oktober 2013 als Blu-ray und DVD

Zusatzmaterial:

Hard Rock Calling 2012 (35 Min.):
– Thunder Road
– Because the Night
– Shackled and Drawn
– We Are Alive
– When I Saw Her Standing There
– Twist and Shout

Fan Submissions (28 Min.):
– Rogerio’s Film
– Dreams
– Murakami’s Film
– Minami’s Film

Meet the Fans (11 Min.)

Länge: 77 Min.
Altersfreigabe: FSK freigegeben ohne Altersbeschränkung
Tonformat Blu-ray: DTS-HD Master Audio, LPCM Stereo
Tonformat DVD: DTS Surround Sound, Dolby Digital 5.1, Dolby Digital Stereo
Untertitel: Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Holländisch, Portugiesisch
GB 2013
Regie: Baillie Walsh
Mitwirkende: Bruce Springsteen, Fans
Vertrieb: Edel Germany GmbH

Copyright 2013 by Kotelette

Packshot: © 2013 Edel Germany GmbH
Trailer: © 2013 Eagle Rock

 

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