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Zum 100. Geburtstag von Ruby Dee / Ridley Scott (X): American Gangster – Der Drogenbaron von New York City

American Gangster

Von Volker Schönenberger

Gangsterdrama // Er war angeblich verantwortlich für die „Cadaver Connection“, mittels welcher der Legende nach Heroin in Särgen mit im Vietnamkrieg gefallenen US-Soldaten aus Südostasien in die USA geschmuggelt wurde: Frank Lucas (1930–2019) gehörte in den 60er- und 70er-Jahren zu den mächtigsten Drogengangstern von New York City. Zur Strecke brachte ihn unter anderem der Kriminalbeamte Richie Roberts (* 1937). In Ridley Scotts „American Gangster“ werden die beiden von zwei Hollywood-Schwergewichten verkörpert: Der zweifache Oscar-Preisträger Denzel Washington („Glory“, „Training Day“) ist als Gangsterboss zu sehen, Oscar-Preisträger Russell Crowe („Gladiator“) gibt den hartnäckigen Ermittler.

Frank Lucas’ Aufstieg ist unaufhaltsam

„American Gangster“ beginnt mit einem kaltblütigen Mord. Ein Mann wird in irgendeiner Gasse mit Benzin übergossen und angezündet. Anschließend jagt ihm Frank Lucas ein paar Kugeln in den Leib. 1968 ist er die rechte Hand von Ellsworth „Bumpy“ Johnson (Clarence Williams III). Als der Harlem-Mobster einem Herzinfarkt erliegt, beginnt Lucas’ große Zeit. Weil er hört, dass die GIs in Vietnam mehr und mehr zu Heroinsüchtigen werden, weil das Rauschgift dort billig und rein ist, reist er höchstpersönlich zum Einkaufen nach Südostasien. Sein „Blue Magic“ wird auf den Straßen von New York City und darüber hinaus zum Verkaufsschlager.

Wer nicht korrupt ist, wird geächtet

Der Cop Richie Roberts muss sich derweil mit anderen Sorgen herumplagen. Während er an der Abendschule Jura studiert, ermittelt er auf den Straßen von New Jersey gegen Drogenkriminelle. Als ihm fast eine Million Dollar Rauschgiftgeld in die Hände fallen, überredet er seinen Partner Javier J Rivera (John Ortiz), es offiziell abzugeben, statt es zu behalten. Das macht die beiden unter ihren einem dreckigen Nebenerwerb nicht abgeneigten Kollegen zu Parias. Rivera wendet sich daraufhin selbst den Drogen zu. Roberts hingegen sieht einem Sorgerechtsstreit mit seiner Ex-Frau Laurie (Carla Gugino) um den gemeinsamen Sohn Michael (Skyler Fortgang) entgegen (der echte Roberts hatte allerdings kein Kind). Gleichwohl lässt er sich von seinem Boss Captain Lou Toback (Ted Levine) verpflichten, den bundesweit mit neuer Energie aufgenommenen Kampf gegen die Drogen zu verstärken und die Essex County Narcotics Squad aufzubauen und zu leiten. Es dauert eine Weile bis Roberts auf den mittlerweile immens erfolgreichen, aber unauffällig agierenden Frank Lucas stößt.

Der Gangster baut ein Imperium auf …

Bis zu diesem Aufeinandertreffen inszeniert Ridley Scott sowohl den Aufstieg des Drogengangsters als auch die Ermittlungsarbeit des Cops in aller Seelenruhe mit viel Fokus auf starken Dialogen und narrativ in einer sehr homogenen Tonalität, die sich auch in zurückhaltender Farbgebung niederschlägt. Über dem Geschehen liegt ein konstanter Spannungsbogen, den nur gelegentlich kurze Actionspitzen unterbrechen. Alles wirkt sehr durchdacht, nichts dem Zufall überlassen. Dabei zeichnet der Regisseur den Gangster fast sympathischer als den Cop, auch wenn Frank Lucas einige üble Taten begeht. Das erweckt den Eindruck, es mit einem geschönten Biopic zu tun zu haben, zumal der echte Frank Lucas bei den Dreharbeiten permanent als Berater anwesend war (der echte Richie Roberts wohl auch gelegentlich). Das wertet „American Gangster“ aber keineswegs ab, der Film verströmt zu jedem Zeitpunkt die Atmosphäre großen Kinos, und so soll es auch sein. Doku-Dramen haben ihre Berechtigung, aber hier wollen wir tief in Gangstermythen eintauchen.

Von Scott über Fuqua und Berg zurück zu Scott

„American Gangster“ sollte ursprünglich von Antoine Fuqua („Shooter“) inszeniert werden, für die Rolle des Cops hatte Benicio del Toro einen Vertrag unterschrieben. Doch Fuqua wurde Anfang Oktober 2001 wenige Wochen vor Drehbeginn aufgrund von „kreativer Differenzen“ gefeuert. Danach war Peter Berg („Deepwater Horizon“) für den Regiestuhl im Gespräch, doch die Produktionsfirma Universal legte das Projekt vorerst auf Eis, bis 2006 Ridley Scott („Gladiator“) übernahm. Der war schon zu Beginn der Projektplanung als Regisseur vorgesehen gewesen, war aber mit den Vorbereitungen für „Königreich der Himmel“ (2005) ausgelastet.

… und heiratet Miss Puerto Rico

Gedreht wurde unter anderem an vielen Originalschauplätzen in allen fünf Stadtbezirken (Boroughs) von New York City, was sich in zahlreichen Anachronismen niederschlug. Autos, die zum Zeitpunkt der Handlung noch nicht existierten, moderne Straßenschilder und Firmenlogos, Graffiti und Tätowierungen – ob solcher Fehler frohlockt das in Zeitkolorit geübte Auge mit diebischer Schadenfreude. Womöglich waren Ridley Scott diese Aspekte im Detail auch egal, denn es sind doch recht viele Anachronismen geworden.

Herausragend besetzt

„American Gangster“ ist bis in die Nebenrollen gespickt mit namhaften (oder später namhaften) Darstellern und Darstellerinnen. Oscar-Preisträger Cuba Gooding Jr. („Jerry Maguire“) ist als Gangster Leroy „Nicky“ Barnes zu sehen, Idris Elba („Mandela – Der lange Weg zur Freiheit“) spielt ebenfalls einen Gangster – einen Konkurrenten von Frank Lucas. Der Oscar-nominierte Chiwetel Ejiofor („12 Years a Slave“) spielt Lucas’ Bruder Huey, der ebenfalls Oscar-nominierte Josh Brolin („Milk“) einen korrupten Cop. Mit dem Rapper Common spielt sogar ein späterer Oscar-Preisträger Lucas’ Bruder Turner – den Academy Award erhielt er 2015 für den Song „Glory“ zum Film „Selma“. Armand Assante („Der Untergang der Cosa Nostra“) ist als italienischer Mobster zu sehen, Norman Reedus („The Walking Dead“) schließlich in einer kurzen Szene als Detective im Leichenschauhaus.

Detective Trupo (r.) wird gierig

Nicht zu vergessen Ruby Dee! Die am 27. Oktober 1922 in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio Geborene wurde für ihre Rolle als Lucas’ Mutter sogar für den Oscar als beste Nebendarstellerin nominiert (auch das Szenenbild wurde für einen Academy Award nominiert). Die Trophäe ging an Tilda Swinton für „Michael Clayton“, und angesichts von Dees recht wenigen Szenen und der geringen Bedeutung der Rolle für die Handlung kam schon die Nominierung überraschend.

Ruby Dee und Ossie Davis

Ruby Dee sammelte vor ihrer Karriere beim Film Schauspielerfahrung am Theater. 1948 heiratete sie den Schauspieler Ossie Davis, den sie bei einer gemeinsamen Broadway-Produktion kennengelernt hatte. Die beiden bekamen drei Kinder und blieben bis zu Davis’ Tod im Jahr 2005 ein Ehepaar. Nach ersten Rollen im Film spielte sie 1959 – erneut am Broadway – eine Hauptrolle in „A Raisin in the Sun“ von Lorraine Hansberry, dem ersten Bühnenstück einer afroamerikanischen Autorin am Broadway. Dee übernahm ihren Part auch in der zwei Jahre später erfolgenden Verfilmung, in Deutschland unter dem Titel „Ein Fleck in der Sonne“ in den Kinos. Mit Jules Dassin schrieb sie das Drehbuch zu seinem Politdrama „Black Power“ (1968), in welchem sie ebenfalls eine Hauptrolle übernahm.

Richie Roberts verbeißt sich …

Als bedeutsamer als ihre Schauspiellaufbahn empfand Ruby Dee stets ihren Einsatz für die Bürgerrechte. So waren sie und ihr Ehemann am 28. August 1963 am Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit dabei, moderierten die Ansprachen bei der Kundgebung. Sie stand in Kontakt zu Martin Luther King und war mit Malcolm X befreundet. 2001 verlieh die US-Schauspielergewerkschaft ihr und Ossie Davis für das gemeinsame Lebenswerk den Screen Actors Guild Life Achievement Award. Ruby Dee starb am 11. April 2014 im Alter von 91 in New Rochelle im US-Staat New York. Am 27. Oktober 2022 wäre sie 100 Jahre alt geworden.

20 Minuten längere Langfassung

Schon die Kinofassung hat mit zweieinhalb Stunden eine stattliche Länge, doch für den Heimkinomarkt entstand sogar ein fast 20 Minuten längerer Extended Cut, der das Geschehen gut ergänzt – Ridley Scott fällt hinterher ja gern noch etwas ein, das er an den Kinofassungen seiner Filme verändern möchte. Wer sich im Detail für die Unterschiede beider Fassungen interessiert, kann den Schnittbericht zurate ziehen. „American Gangster“ erreicht nicht ganz die Intensität der Larger-than-Life-Gangster-Epen wie Martin Scorseses „GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia“ (1990) und Francis Ford Coppolas „Der Pate“-Trilogie (1972/1974/1990), hat sich seinen Platz als Klassiker in der Riege der großen Gangsterfilme aber redlich verdient.

… in den Kampf gegen die Drogenkriminalität

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Ridley Scott haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Ruby Dee und Carla Gugino unter Schauspielerinnen, Filme mit Armand Assante, Josh Brolin, Russell Crowe, Chiwetel Ejiofor, Idris Elba, Cuba Gooding Jr., Ted Levine, Norman Reedus und Denzel Washington in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 24. Oktober 2019 als UHD Blu-ray (inkl. Blu-ray), 23. Oktober 2008 als Extended Edition Blu-ray, 27. März 2008 als 2-Disc Extended Collector’s Edition Steelbook (2 DVDs) und Extended Edition DVD (alle Editionen mit Langfassung und Kinofassung)

Länge: 176 Min. (Blu-ray, Langfassung), 157 Min. (Blu-ray, Kinofassung), 150 Min. (DVD, Kinofassung), 169 Min. (DVD, Langfassung)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a. (Langfassung nur Originalton)
Untertitel: Deutsch, Englisch, Türkisch u. a.
Originaltitel: American Gangster
USA/GB 2007
Regie: Ridley Scott
Drehbuch: Steven Zaillian, nach dem Artikel „The Return of Superfly“ von Mark Jacobson
Besetzung: Denzel Washington, Russell Crowe, Chiwetel Ejiofor, Josh Brolin, Lymari Nadal, Ted Levine, Ruby Dee, Carla Gugino, Roger Guenveur Smith, John Hawkes, RZA, Yul Vazquez, Malcolm Goodwin, Armand Assante, Cuba Gooding Jr., Ruben Santiago-Hudson, Skyler Fortgang, John Ortiz, Idris Elba, Common, Norman Reedus, Clarence Williams III
Zusatzmaterial (variiert je nach Edition): Audiokommentar von Regisseur Ridley Scott und Drehbuchautor Steven Zaillian, unveröffentlichte Szenen (9 Min.), alternativer Anfang, Prozessakten (25 Min.), „Gefallenes Imperium – Das Making-of von American Gangster“ (78 Min.), „Enthüllung der Vergangenheit – Der echte Frank Lucas und Richie Roberts“ (5 Min.), „Dateline NBC – Erste Aufnahme von American Gangster“ (22 Min.), „Hip Hop Infusion Featuring Common und T.I.“ (5 Min.), Musikvideos „Do You Feel Me“ (Remix) von Anthony Hamilton feat. Ghostface Killah (3 Min.) und „Blue Magic“ von Jay-Z (4 Min.), Kinotrailer
Label/Vertrieb: Universal Pictures Germany GmbH

Copyright 2022 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & gruppierte Packshots: © 2008 Universal Pictures Germany GmbH

 

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Ridley Scott (IX): The Last Duel – Historischer Zweikampf mit aktueller Botschaft

The Last Duel

Kinostart: 14. Oktober 2021

Von Andreas Eckenfels

Historiendrama // Mit einem Zweikampf begann Ridley Scotts Regiekarriere: Für „Die Duellisten“ mit Harvey Keitel und Keith Carradine gewann er 1977 bei den Filmfestspielen von Cannes den Preis für das beste Debüt. Seitdem wurden viele weitere Kämpfe in seinen Filmen ausgefochten: Ellen Ripley gegen den Xenomorph in „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ (1979), Rick Deckard gegen den Replikantenanführer Roy Batty in „Blade Runner“ (1982) oder Maximus gegen Commodus in „Gladiator“ (2000). Nun blickt Ridley Scott in „The Last Duel“ auf ein historisch verbrieftes Duell um Leben und Tod zurück, welches zum Ende des 14. Jahrhunderts in Frankreich stattgefunden haben soll.

Freunde werden zu Rivalen

1386 stehen sich in einer Arena der Ritter Jean de Carrouges (Matt Damon) und der Junker Jacques Le Gris (Adam Driver) auf ihren Pferden in voller Rüstung mit Lanzen unter dem Arm geklemmt gegenüber. Nachdem die zwei Duellanten das erste Mal ineinandergekracht sind, springt die Handlung zurück ins Jahr 1370. Damals, so erfahren wir, kämpften der tapfere Recke Carrouges und der gebildete Le Gris, Sohn eines normannischen Gutsherrn, Seite an Seite für den französischen König. Le Gris verteidigt seinen Freund sogar vor dem Lehnsherren Graf Pierre d’Alençon (Ben Affleck), als Carrouges in finanzielle Not gerät und seine Pacht nicht zahlen kann.

Die Freunde Jean de Carrouges (l.) und Jacques Le Gris kämpfen Seite an Seite für den französischen König

Carrouges Geldsorgen und der Zwang einen männlichen Erben zu bekommen, führen dazu, dass er Marguerite (Jodie Comer) zur Frau nimmt. Die Tochter von Sir Robert de Thibouville (Nathaniel Parker) bringt eine beträchtliche Mitgift in die Ehe ein, darunter an sich auch einen Landbesitz, den sich aber zuvor schon Le Gris unter den Nagel gerissen hatte. Carrouges legt Klage ein. Doch da Graf Pierre d’Alençon im Grundstücksstreit natürlich zugunsten seiner rechten Hand Le Gris entscheidet, beginnt die Freundschaft zwischen Le Gris und Carrouges langsam zu bröckeln. Die Rivalität zwischen den zwei Männern steigert sich über die Jahre durch weitere Ereignisse immer mehr und gipfelt schließlich in einer brutalen Attacke: Als Carrouges von einer Reise nach Paris zurückkehrt, berichtet Marguerite ihm, Le Gris habe sie überraschend besucht und vergewaltigt. Obwohl Le Gris die Tat bestreitet, bleibt Marguerite bei ihrer Aussage – für die sie ihr Gatte in diesen Zeiten töten könnte.

Doch Carrouges entscheidet sich dagegen: Um die Schande von seiner Familie zu nehmen, zieht er schließlich zum Justizpalast nach Paris und bittet Charles VI. (Alex Lawther) erfolgreich um ein Gottesurteil: Ein Duell zwischen Carrouges und Le Gris um Leben und Tod soll über die Wahrheit in dem Streit entscheiden. Verliert Carrouges, muss auch Marguerite sterben – auf dem Scheiterhaufen.

Erzählmuster à la Akira Kurosawa

Angeblich soll dies der letzte offiziell dokumentierte gerichtliche Zweikampf seiner Art in Europa gewesen sein. Nach jahrelanger Recherche hatte der US-Autor und Mittelalterexperte Eric Jager die wahre Geschichte in „The Last Duel: A True Story of Trial by Combat in Medieval France“ 2004 in Romanform veröffentlicht. Matt Damon und Ben Affleck übernahmen in Ridley Scotts mitreißender Verfilmung nicht nur tragende Rollen, erstmals seit ihrem mit dem Oscar-gekrönten Skript für „Good Will Hunting“ (1997) schrieben beide auch gemeinsam wieder das Drehbuch. Um der weiblichen Perspektive auf den Fall gerecht zu werden, engagierten sie zusätzlich Nicole Holofcener („Can You Ever Forgive Me?“, 2018) als Unterstützung hinzu.

Graf Pierre d’Alençon fördert den belesenen Jacques Le Gris

Die Autoren bedienen sich dabei eines alten Drehbuchkniffs, der seit Akira Kurosawas „Rashomon – Das Lustwäldchen“ (1950) weit verbreitet ist: Die Geschichte ist in drei Kapitel unterteilt. Wie bei einer Zeugenbefragung erfahren wir zunächst Jean de Carrouges’ Sicht auf die Ereignisse, die zu dem Konflikt führten, anschließend folgt die Perspektive von Jacques Le Gris, zuletzt ist Marguerite an der Reihe. Somit bekommen die Zuschauer und Zuschauerinnen mehrmals die gleiche Geschichte erzählt. Obwohl sich einige Passagen zwangsläufig wiederholen, kommt keine Langeweile auf: Es sind die kleinen, aber feinen Unterschiede in den Aussagen, die für Spannung sorgen und zuvor gefasste Meinungen verschieben. Zudem ist der authentische Blick auf das mittelalterliche Rechtssystem höchst interessant – Jager konnte für seinen Roman die originale, handgeschriebene Akte mit den juristisch gültigen Zeugenaussagen einsehen, die dank des im 14. Jahrhundert benutzten robusten Pergaments sehr gut erhalten und klar leserlich waren.

An Originalschauplätzen gedreht, verströmen die epischen Bilder zusammen mit den Kostümen und der Ausstattung mittelalterliches Flair durch und durch. Wer bei „The Last Duel“ ein großes Schlachtenepos erwartet hat, wird aber etwas enttäuscht werden. Das Drama steht hier mehr als die Action im Vordergrund – allerdings: Wenn im Finale das letzte Duell ausgefochten wird, geschieht dies mit solch brachialer Gewalt und enormer Intensität, dass einem der Atem stockt. Da werden Erinnerungen an die Kämpfe aus Ridley Scotts „Gladiator“ wach.

Parallelen zu #metoo

Was der Geschichte von „The Last Duel“ für ein modernes Publikum die nötige Relevanz verleiht, ist nicht der Streit der beiden Männer, sondern die Rolle von Marguerite de Carroughes. Sie wird zur eigentlichen Heldin der Handlung, nicht die tapferen Rittersleute. In einer Zeit, als Frauen über keinerlei Rechte verfügten und nur als Gebärmaschinen sowie für den Triebabbau der Männer dienten, fasste sie den Mut, nicht zu schweigen – trotz des hohen Risikos, von ihrem Ehemann wegen Untreue getötet oder für immer öffentlich gebrandmarkt zu werden. Hier werden unübersehbare Parallelen zur #metoo-Bewegung gezogen – selbst heutzutage werden Frauen leider noch stigmatisiert, wenn sie ihre Stimmen wegen sexuellen Missbrauchs erheben. Dass es zwischen mächtigen Männern eine Art „Schweigegelübde“ bei solchen Taten gibt, wird im Film durch die Beziehung von Graf Pierre d’Alençon und Jacques Le Gris demonstriert, die sich für ihre Gelüste gern mal die Frauen teilen. Zudem will Jean de Carrouges mit dem damals schon veralteten Brauch des Gottesurteils nur seinen eigenen Namen reinwaschen und seine Ehre wieder herstellen. Das Schicksal seiner Ehefrau ist ihm relativ egal – Hauptsache sie bringt ihm einen männlichen Nachkommen auf die Welt.

Marguerite will nicht schweigen

Wenn man bedenkt, dass Matt Damon und Ben Affleck zu Beginn ihrer Karrieren stark von Harvey Weinstein profitiert haben und gefördert wurden – unter anderem wurden „Good Will Hunting“, „Dogma“ (1999) und „Der talentierte Mr. Ripley“ (1999) von dessen Firma Miramax produziert beziehungsweise verliehen –, kann man „The Last Duel“ fast als reumütiges Entschuldigungsschreiben der beiden Hollywood-Stars interpretieren. Vielleicht haben sie sich zur Buße deshalb auch solche schrägen – wenn auch historisch wohl korrekten – Frisuren für ihre Figuren auferlegt.

Ridley Scott und die Frauen

Betrachtet man die Filmografie von Ridley Scott sind solche selbstbewussten Frauenfiguren, die in typische Männerrollen schlüpfen oder sich gegen Männer behaupten, nicht ungewöhnlich: Die schon erwähnte Ellen Ripley gilt nicht umsonst als eine der ersten weiblichen Actionheldinnen der Filmgeschichte. Im gefloppten „Die Akte Jane“ (1997) will Demi Moore als Soldatin als erste Frau bei den US Navy SEALs aufgenommen werden – hartes Ausbildungsprogramm und Glatze inklusive. Dann ist da natürlich das Roadmovie „Thelma & Louise“ (1991) mit Susan Sarandon und Geena Davis, die sich als Freundinnen gegen die Unterdrückung durch die Männerwelt auflehnen. Zudem startet am 25. November Scotts „House of Gucci“ in den Kinos, in welchem Lady Gaga als Patrizia Reggiani das Modehaus Gucci zum Wanken bringt.

Gott soll sie richten!

In diese Riege passt Marguerite de Carroughes bestens hinein, hervorragend verkörpert von Jodie Comer, die dank ihrer Leistung in der grandiosen schwarzhumorigen Thrillerserie „Killing Eve“ nun den Sprung nach Hollywood geschafft hat, zuletzt in „Free Guy“ (2021). Auch Ridley Scott setzt erneut auf das Talent der Britin und besetzte sie neben Joaquin Phoenix in seinem kommenden Napoleon-Biopic „Kitbag“. Die Dreharbeiten sollen Anfang 2022 beginnen. Ach, ja. Danach will der aktuell 83-jährige Ridley Scott wirklich noch „Gladiator 2“ drehen, wie er in einem Interview bekräftigte.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Ridley Scott haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Ben Affleck, Matt Damon, Adam Driver, Sam Hazeldine, Zeljko Ivanek und Michael McElhatton unter Schauspieler.

Das Duell auf Leben und Tod beginnt

Länge: 152 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Originaltitel: The Last Duel
USA/GB 2021
Regie: Ridley Scott
Drehbuch: Matt Damon, Ben Affleck, Nicole Holofcener
Besetzung: Matt Damon, Ben Affleck, Jodie Comer, Adam Driver, Harriet Walter, Alex Lawther, Zeljko Ivanek, Michael McElhatton, Marton Csokas, Nathaniel Parker, Serena Kennedy, Sam Hazeldine
Verleih: Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

Copyright 2021 by Andreas Eckenfels

Filmplakat & Trailer: © 2021 Walt Disney Studios Motion Pictures Germany,
Fotos: © 2021 20th Century Studios, Fotos 1, 3 & 4: Patrick Redmond, Foto 2: Jessica Forde

 

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Ridley Scott (VIII): Alles Geld der Welt – Skandalfilm?

All the Money in the World

Kinostart: 15. Februar 2018

Von Matthias Holm

Thrillerdrama // Es gab im Vorfeld eine Menge Lärm um den auf einer wahren Begebenheit basierenden „Alles Geld der Welt“, dem neuen Film von Ridley Scott. Zunächst gab es die Umbesetzung einer zentralen Figur – der Film war schon mit Kevin Spacey als Jean Paul Getty abgedreht, es existierte bereits ein Trailer mit ihm in der Rolle. Nach den Enthüllungen während der „#MeToo“-Kampagne wurde Spacey aus dem Film geschmissen, seine Szenen wurden mit Christopher Plummer nachgedreht. Damit nicht genug, kurz darauf ging ein Aufschrei durchs Internet: Michelle Williams habe für eben jene Nachdrehs deutlich weniger Geld bekommen als ihr Kollege Mark Wahlberg.

Irreführender, deutscher Trailer

Wenn ein Film also schon im Vorfeld so viel Aufmerksamkeit bekommt, warum sollte man das nicht nutzen? So prangt im deutschen Trailer zwischenzeitlich der Schriftzug „Der Skandalfilm“ – im englischen Pendant fehlt dieser Hinweis. Natürlich bleibt der Ausdruck eine hohle Phrase, der Film an sich ist weder provokant oder anderweitig skandalträchtig. Generell ist der Trailer eher irreführend, denn „Alles Geld der Welt“ ist kein schnell geschnittener, rasanter Thriller, sondern vielmehr eine Studie darüber, wie sehr Vermögen korrumpieren kann.

John in Gefangenschaft

1973 wird der 16-jährige John Paul Getty III (Charlie Plummer) in Rom entführt. Das ist kein Zufall, Paul ist der Enkel des Öl-Magnaten J. Paul Getty (Christopher Plummer). Die Täter fordern 17 Millionen Dollar Lösegeld. Während Pauls Mutter Gail (Michelle Williams) verzweifelt versucht, ihren Sohn wiederzubekommen und sich dabei mit Gettys Sicherheitschef Fletcher Chace (Mark Wahlberg) verbündet, denkt der reichste Mann der Welt nicht daran, das Geld zu bezahlen.

Warum die Figur des J. Paul Getty nicht von vornherein mit Plummer besetzt wurde, ist ein Rätsel. Spacey verschwand für die Rolle unter einer dicken Schicht Make-up, um ihn älter aussehen zu lassen – das hat Plummer nicht nötig, immerhin hat der Mann bereits 88 Jahre auf dem Buckel. Er trägt die Rolle des nach Geld süchtigen Mannes mit absoluter Würde, seine Präsenz nimmt die ganze Leinwand ein, allerdings hat seine Oscar-Nominierung durch die Vorgeschichte einen bitteren Beigeschmack.

Schauspielduell zwischen Williams und Plummer

Doch die anderen Darsteller lassen sich nicht an die Wand spielen, gerade Michelle Williams ist als Identifikationsfigur für die Zuschauer eine Wucht. So sind die spannendsten Szenen im Film genau die, in der ihre Gail auf den ehemaligen Schwiegervater trifft, die Spannung ist dann förmlich mit den Händen zu greifen – vor allem, da in diesen Diskussionen auch immer wieder ein zentraler Aspekt angesprochen wird: Getty ist der reichste Mensch der Welt und dennoch versucht er, aus jeder Situation Profit zu schlagen – sogar aus der Entführung seines Enkels. Gerade in späteren Szenen scheint sein Geiz kein Ende zu nehmen und der Zuschauer verliert komplett das Verständnis für die Handlungen dieses Mannes. Auch Mark Wahlberg, die dritte zentrale Figur, gibt einen überzeugenden Agenten ab, als Bindeglied zwischen Getty und Gail funktioniert er perfekt.

J. Paul Getty ist zu geizig für Lösegeld

Leider fällt der Rest des Films dagegen ab. Die Geschichte, wie sich der junge Paul mit einem seiner Entführer (Romain Duris) anfreundet, wirkt arg konstruiert, auch etwaige Familien-Streitigkeiten nehmen mehr Platz ein, als es dem Film gut tut – die satte Lauflänge von 132 Minuten merkt man deutlich. Dafür sieht „Alles Geld der Welt“, wie man das bei Scott erwartet, fantastisch aus. Ob es nun die kalten, kahlen Räume von Getty Oil sind oder das heiße Italien, die Bilder von Kameramann Dariusz Wolski fangen die Stimmung perfekt ein. Das kann man vom Score leider nicht sagen – Daniel Pembertons Musik bleibt während er gesamten Zeit erstaunlich belanglos.

„Alles Geld der Welt“ ist in seinen besten Momenten ein spannendes Drama über Gier und Macht. Doch leider schleicht sich auch immer wieder Leerlauf ein, sodass ein durchaus gutes, aber unrundes Filmerlebnis entsteht. Der angekündigte Skandalfilm ist es bei Weitem nicht.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Ridley Scott haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Michelle Williams unter Schauspielerinnen, Filme mit Christopher Plummer und Mark Wahlberg in der Rubrik Schauspieler.

Gail und Fletcher werden von Reportern belagert

Länge: 132 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Originaltitel: All the Money in the World
USA 2017
Regie: Ridley Scott
Drehbuch: David Scarpa, nach einer Vorlage von John Pearson
Besetzung: Michelle Williams, Christopher Plummer, Mark Wahlberg, Charlie Plummer, Romain Duris, Timothy Hutton, Marco Leonardi, Giuseppe Bonifati
Verleih: Tobis Film GmbH

Copyright 2018 by Matthias Holm

Filmplakat, Fotos & Trailer: © 2018 Tobis Film GmbH

 

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