Jobanni no shima
Gastrezension von Matthias Holm
Anime-Drama // Anime und Zweiter Weltkrieg? Klar fallen da dem Experten sofort „Die letzten Glühwürmchen“ von Isao Takahata ein. Doch mit Mizuho Nishikubos „Giovannis Insel“ ist nun ein Film erschienen, der ebenfalls von japanischen Kindern kurz nach dem Ende des Krieges handelt. Doch wo Takahata keine Zweifel aufkommen ließ, das seine Protagonisten sterben werden, ist „Giovannis Insel“ viel optimistischer und fröhlicher.
Die Rote Armee rückt an
Junpei lebt zusammen mit seinem Bruder Kanta, seinem Vater und seinem Opa auf einer kleinen japanischen Insel. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Niederlage der Japaner wird das Eiland besetzt – allerdings nicht, wie von den Einwohnern vermutet, von Amerikanern, sondern von Stalins Roter Armee. Die Einwohner werden aus ihren Häusern vertrieben und auch die Kinder müssen sich in der Schule mit kleineren Räumen zufrieden geben. Dennoch freundet sich Junpei mit Tanya an – sie ist die Tochter des befehlshabenden russischen Offiziers.
Auch wenn es unfair erscheint: Der Vergleich mit „Die letzten Glühwürmchen“ muss leider sein. Zu deutlich sind die Parallelen: Geschwister in der frühen Nachkriegszeit, vertrieben von zu Hause – und weiteren Dingen, die hier nicht gespoilert werden sollen. Das „Giovannis Insel“ auf der emotionalen Ebene nicht mit Takahatas Meisterwerk mithalten kann, sollte klar sein. Und doch schafft es der Film hervorragend, auf der Klaviatur der Gefühle zu spielen. Neben den traurigen Szenen gibt es nämlich viele Sequenzen, die zum Schmunzeln einladen. Am schönsten ist zu sehen, wie sich die japanischen und russischen Kinder allmählich anfreunden – und in der Schule sogar die Lieder der anderen Nation lernen. Auch wird die Fantasie der Kinder immer wieder zauberhaft dargestellt.
Die beiden Brüder lesen nämlich sehr gern im Buch „Ginga Tetsudō no Yoru“, auch bekannt unter dem englischen Titel „Night on the Galactic Railroad“. Übrigens rührt von dieser Geschichte auch der Titel des Films her: Giovanni ist dort nämlich die Hauptfigur. Die Szenen, in denen sich Junpei und Kanta als Passagiere in den Zug träumen, gehören zu den schönsten des Films.
Kein typischer Anime-Look
Generell ist die Optik die größte Stärke des Films. Statt auf einen typischen Anime-Look zu setzen, wirken die Zeichnungen experimentell und merkwürdig minimalistisch, vor allem bei den Hintergründen. Das gibt dem Ganzen eine träumerische Atmosphäre, was aber hervorragend passt, da es sich bei der Geschichte um die Erinnerungen des gealterten Junpei handelt.
„Giovannis Insel“ ist kein Meisterwerk – dafür reißt einen der Film zu wenig mit. Aber er bietet knapp 100 Minuten feine Unterhaltung mit einigen wirklich wunderschönen Momenten. Und er lässt sich auf jeden Fall häufiger schauen als der tieftraurige „Die letzten Glühwürmchen“.
Veröffentlichung: 20. Februar 2015 als Blu-ray und DVD
Länge: 102 Min. (Blu-ray), 97 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 6
Sprachfassungen: Deutsch, Japanisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Jobanni no shima
JAP 2014
Regie: Mizuho Nishikubo
Drehbuch: Shigemichi Sugita, Shigemichi Sugita, Yoshiki Sakurai
Zusatzmaterial: Artworks Gallery, Interview mit Polina Ilyushenko, Making-of, Videoclip „Troika“
Vertrieb: Universum Film
Copyright 2015 by Matthias Holm
Szenenbilder, Packshot & Trailer: © 2015 Universum Film
Barbara
2015/03/18 at 23:58
Das erinnert mich spontan daran, dass ich seit Jahren mal „Die letzten Glühwürmchen“ sehen will … sollte ich wirklich langsam mal machen.
Matthias
2015/03/19 at 08:44
Auf jeden Fall – für Anime-Freunde auf jeden Fall ein Muss. Kannst dann ja sagen, ob du meine Meinung teilst: https://dienachtderlebendentexte.wordpress.com/2015/02/16/die-letzten-gluehwuermchen/ 😉