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Zum 100. Geburtstag von Jennifer Jones: Duell in der Sonne – Lektionen in Lust und Leidenschaft

02 Mär

Duel in the Sun

Von Ansgar Skulme

Western // Pearl Chavez (Jennifer Jones) wird nach dem Verlust ihrer Eltern auf der riesigen Ranch von Senator Jackson McCanles (Lionel Barrymore) aufgenommen. McCanles’ Ehefrau Laura Belle (Lillian Gish) war früher einmal eng mit Pearls Vater (Herbert Marshall) befreundet. Die Söhne der McCanles-Familie, Jesse (Joseph Cotten) und Lewt (Gregory Peck), werfen beide sofort ein Auge auf Pearl. Doch während der bodenständige Jesse die ruhigere Gangart wählt, zeigt sich der nur den Willen seines Vaters als Gesetz akzeptierende Unruhestifter Lewt schnell als notorischer Aufreißer, der Frauen genauso zu zähmen versucht wie frisch eingefangene Wildpferde.

Nach dem Welterfolg von „Vom Winde verweht“ (1939) hegte der Produzent David O. Selznick den verständlichen Wunsch, ein Projekt zu realisieren, das diese gigantischen Fußstapfen zu füllen vermochte. Ein paar Jahre zogen freilich ins Land, denn ein geplanter großer Wurf dieser Art wollte gut vorbereitet sein. Die Dreharbeiten forderten 1945 viele Monate, seine Premiere feierte der Western schließlich kurz vor Ende des Folgejahres. Davor befand sich „Duell in der Sonne“ geraume Zeit im Schnitt. Eine ursprüngliche Version des geordneten Rohmaterials, wenn nicht sogar eine frühe Schnittfassung, soll eine Länge von etwa 26 Stunden gehabt haben. Diese galt es zuschauerfreundlich zu straffen. Von Sittenwächtern als zu freizügig empfundene Szenen landeten im Zuge des Kürzungsprozesses nicht in der finalen Schnittfassung. Der Film ist in der bekannten Form schon äußerst offensiv für damalige Hollywood-Verhältnisse, wäre ansonsten aber noch viel deftiger geraten. „Duell in der Sonne“ machte bereits während der Produktionsphase als provokantes Werk mit Mut zur Sünde von sich reden. Die Zuschauer konnten und sollten lange vor der Veröffentlichung erahnen, was da auf sie zukam. Unterfüttert von der Affäre zwischen Produzent Selznick und Hauptdarstellerin Jennifer Jones, die zum Scheitern ihrer damaligen Ehen führte, ehe sie schließlich selbst ein Ehepaar wurden. So vermischten sich Elemente des wahren Lebens mit der Handlung des Films, was den wilden Charakter dieser Produktion für damalige Verhältnisse umso frecher machte. In manchen Regionen der USA wurde „Duell in der Sonne“ auch in seiner finalen Schnittfassung lange nicht aufgeführt, weil diese dem einen oder anderen immer noch zu sexy und moralisch verdorben erschien. Selznick investierte für die damalige Zeit beispiellose Summen in das Marketing. Die Werbung für den Film zeigte sich letztlich als so teuer, dass er unter dem Strich zwar kein Verlustgeschäft war, aber trotz immensen Publikumserfolges aufgrund der unglaublich hohen Ausgaben keine großen Gewinne generierte. Bei der zeitgenössischen Kritik scheiterte „Duell in der Sonne“, doch offenkundig wollten die zahlenden Zuschauer genau ein solches wildes, leidenschaftliches Kino sehen. Mag der Film vielen älteren Betrachtern auch aufgestoßen sein, dürfte er jüngeren Zuschauern, die gerade alt genug waren, um ein Ticket ergattern zu können, häufig gut gefallen haben.

Viele Köche veredeln den Brei

Zu den Superlativen dieses Films zählt auch ein hoher Verschleiß an Regisseuren. Darunter Produzent Selznick und einige große Namen wie William Dieterle („Der Wendepunkt“), William Cameron Menzies („Invasion vom Mars“) und Josef von Sternberg („Der blaue Engel“). Sternberg soll, dem Vernehmen nach, nur als Experte für die Beleuchtung, zur bestmöglichen Inszenierung von Jennifer Jones engagiert worden sein, Menzies wohl sogar nur Teil der „Second Unit“-Regisseure gewesen sein. Vermutlich hatte Dieterle neben King Vidor den Hauptanteil an den in der finalen Schnittfassung sichtbaren Szenen. Wenn man so will ist der Film also – ähnlich wie „Der Dieb von Bagdad“ (1940) – ein Puzzle aus von unterschiedlichen Regisseuren, die einander ablösten, realisierten Sequenzen, die nebeneinanderstehen und eine Einheit bilden sollen, wobei King Vidor, dem der Film auch in den Credits zugeschrieben wird, doch den mit Abstand deutlichsten Anteil am finalen Produkt haben dürfte.

Allerdings fungiert die grandiose Technicolor-Fotografie als Bindeglied, das den Einfluss der einzelnen Regisseure mit wunderbaren visuellen Ideen und Farbkompositionen gewissermaßen übertrumpft und rahmt. An dieser Stelle muss einmal mehr der Name des bedeutenden Kameramannes Ray Rennahan erwähnt werden, der zu den größten Technicolor-Virtuosen dieser Epoche gehörte und für seine Arbeit an Selznicks „Vom Winde verweht“ seinen ersten Oscar gewonnen hatte. An „Duell in der Sonne“ arbeitete er gemeinsam mit seinen ebenfalls preisgekrönten Kollegen Hal Rosson und Lee Garmes. Der Film ist schon allein aufgrund der Bilder jede Sichtung wert; eine der größten Errungenschaften, die Technicolor im klassischen Hollywood hervorgebracht hat und nicht umsonst 2015 in der Technicolor-Retrospektive der Berlinale vertreten gewesen. Es fällt schwer, hier einzelne Szenen hervorzuheben und dafür andere zu vernachlässigen. Dass die Farbe Rot als Farbe des Blutes und der roten Lippen hier eine ganz besondere Rolle spielt – kein Wunder. Ein Gesamtkunstwerk mit kameraästhetisch nur wenigen Mängeln. Zu epischer Größe gelangt „Duell in der Sonne“ ferner durch die Musik von Dimitri Tiomkin, für den die Zusammenarbeit mit Selznick zwar anstrengend war – da ihre Vorstellungen oft auseinandergingen –, der hier aber, einschließlich Ouvertüre und Schlussmusik in der sogenannten „Roadshow-Fassung“, eine seiner mitreißendsten Arbeiten hinterließ. Selznick war bekannt dafür, häufig künstlerische Differenzen mit seinen Crews zu haben, weil er gewissermaßen von anderen verlangte, seine eigenen Ideen perfektionistisch zu bebildern beziehungsweise zu vertonen, was sich bei der Produktion dieses Films am Regisseur-Verschleiß wie auch am Zwist mit Tiomkin zeigte. Aus heutiger Sicht wird sein launisches Verhalten aber auch auf Selznicks damalige Abhängigkeit von Amphetaminen zurückgeführt.

Wenn man sich Bizet im Western vorstellt

Jennifer Jones, die am heutigen 2. März 2019 einhundert Jahre alt geworden wäre, erinnert in „Duell in der Sonne“ vom ersten Augenblick an recht deutlich an Georges Bizets „Carmen“, und auch im weiteren Handlungsverlauf finden sich gewisse Parallelen zur berühmten Oper. Nur ist Pearl noch lange nicht die gewiefte Verführerin im Stil von Carmen, sondern macht sich diese Facette erst mit der Zeit immer mehr zu eigen. Sie macht ihre ersten forschen Versuche, den Männern auffordernde Blicke zuzuwerfen, ihnen ihr Interesse mit den Augen und ihrer Körperhaltung offensiv zu signalisieren, und bringt schon damit manch einen schnell um den Verstand. Dem Film gelingt es zudem gut, das von Pearl Chavez ständig durchlebte emotionale Hin und Her melodramatisch zu verpacken – bis zu einem Punkt, als sie sich einem ihrer Verehrer im wahrsten Sinne des Wortes ans Bein schmeißt. Wenn man so will, treibt „Duell in der Sonne“ das Bild von einer Frau, die sich einfach nicht entscheiden kann, die nicht weiß, was sie will und in ihrer Jugend vor allem Orientierung, Halt und Liebe sucht, gnadenlos auf die Spitze – sie verrennt sich, sie liebt, sie leidet, sie lockt, sie durchlebt Versuchung und Lust. Und die Männer, die sie kennenlernt, bilden ein breites Spektrum an unterschiedlichen Eigenschaften ab, mit denen sie sich auseinandersetzen muss. Insofern ist dieser Western ein äußerst konsequentes Melodram, manchmal opernartig extrovertiert, aber sehr klug darin, komplizierte Gefühlswelten zum vollen Ausbruch kommen zu lassen. Jennifer Jones erhielt zu Recht eine Oscar-Nominierung für diese Performance mit voller Hingabe, gespickt mit denkwürdigen, attraktiven Nah- und Großaufnahmen und einem wilden Wechselspiel aus Unsicherheit und erotischer Provokation. Ihren einzigen Oscar hatte sie 1944 für ihre Haupt- und Titelrolle in Henry Kings „Das Lied von Bernadette“ erhalten, ebenso den Golden Globe. „Duell in der Sonne“ lädt die Dynamiken zwischen Mann und Frau, über die Pearl im Verlauf der Handlung immer mehr lernt, mit sehr viel Energie auf und bebildert dies eindrücklich. Interessant ist dabei nicht nur die Unterschiedlichkeit der Herangehensweisen ihrer Verehrer, sondern auch wie sich die Problematik von verkannter Liebe und gespielter Ignoranz parallel in der Beziehung von Senator McCanles und seiner Frau spiegelt – in einer deutlich älteren Generation und mit anderen Typen Mensch. Auch die Reife des Alters schützt vor gewissen Torheiten nicht.

Lillian Gish, früher ein großer Stummfilmstar, erhielt für ihre Rolle der Laura Belle McCanles in „Duell in der Sonne“ – eine starke, weise Frau, die bereits viel Zurückweisung und gespielten Hass erdulden musste und versucht, die Familie zusammenzuhalten – ebenfalls eine Oscar-Nominierung, erstaunlicherweise ihre erste und einzige. Und ihr Film-Ehemann Lionel Barrymore, der nicht nur als Senator McCanles, sondern damals bereits seit mehreren Jahren wirklich im Rollstuhl saß, sich hier aber sogar einmal im Sattel eines Pferdes zeigt und obendrein einen wahrlich bemerkenswerten Stunt mitmachte, hätte eine Nominierung genauso verdient gehabt. Barrymore verstand sich bestens darauf, den verbohrten Kauz mit rassistischem Unterton zu geben, entlockt seiner Figur gegen Ende aber auch eine unerwartete emotionale Tiefe, die wirklich berührt. Seine finale Szene, an der Seite von Harry Carey, vor glühend rotem Himmel, ist nicht nur eine der visuell genialsten des Films, sondern im Grunde auch inhaltlich viel stärker und ergreifender als das folgende Finale von Pearl Chavez, das es mit der Melodramatik grenzwertig auf die Spitze treibt und aus heutiger Sicht leider etwas angestaubt wirkt.

Starke Präsenzen

Man könnte hier ohnehin über etliche Darstellerleistungen ganze Seiten schreiben. Wundervoll beispielsweise auch Walter Hustons bitterböse, sarkastisch-lustige Darbietung als geistlicher Sündenaustreiber, der sich immer wieder im Ton vergreift, dadurch selbst ad absurdum führt und in seinen Predigten so ausschweifend gestikuliert und betont, dass man kein Wort davon ernst nehmen mag. Der Vater der späteren Regielegende John Huston gewann bald darauf, unter der Regie seines Sohnes, seinen einzigen Oscar für „Der Schatz der Sierra Madre“ (1948), ehe er leider schon 1950 starb. Überraschend und tragisch, da er in diesen berühmten späten Rollen wahrlich vor Lebensfreude und Energie sprudelt.

Dann ist da Herbert Marshall, ein verdienstvoller Schauspieler und früher Tonfilmstar mit interessanter Stimme, der hier für eine Art Cameo, für die ersten zehn Minuten des Films gewonnen werden konnte. Marshall verstand sich gut darauf, theaterhafte Melodramatik mimisch und sprachlich auf die Erfordernisse eines Spielfilms herunterzubrechen, was gerade in dieser Rolle sehr wichtig ist und bestens gelingt. Sein Scott Chavez ist ein moralischer Hardliner, der zum Glück nie erfahren wird, was später im Verlauf des Films aus seiner Tochter wird, obwohl er sich im Angesicht des Todes das komplette Gegenteil erhofft. Der Film provoziert also nicht nur mit Versuchung, sondern schon zu Anfang auch mit dem Gegenteil – der radikalen Abkehr von Versuchung: Scott Chavez, der für sich selbst den Tod fordert und es als Verbrechen bezeichnet, den Namen seiner Familie mit einer Frau wie der Mutter seines Kindes entehrt zu haben, weil diese untreu ist und es sogar in der Öffentlichkeit bunt treibt. Selbst eine solch kurze Rolle mit einem Schauspieler des Renommees von Herbert Marshall zu besetzen oder einen Stummfilmstar wie Lillian Gish für eine große Rolle zu reaktivieren, sind Aspekte, die in etwa eine Vorstellung von der Größe des Projekts geben. Selznick wollte die ganz pompöse Bühne. Auch in weiteren relativ kleinen Rollen finden sich Schauspieler, die dem Publikum bereits durch Filmhauptrollen bekannt sein konnten. Wobei manche dieser Auftritte – wenn nicht sogar der von Herbert Marshall – eventuell erst in der finalen Schnittfassung so kurz geraten sind.

Nicht zuletzt sollte Gregory Peck hervorgehoben werden, der seine Darbietung in dem Film zwar offenbar rückblickend als keine besondere Herausforderung empfand – jedoch fällt sie aus heutiger Sicht ziemlich aus dem Rahmen vieler anderer seiner berühmtesten Rollen. Peck spielte häufig recht verschlossene, zugeknöpfte Charaktere und bekam ab den 50ern wenig Gelegenheit gegen den Strich zu agieren. In „Duell in der Sonne“ stellt er jedoch das krasse Gegenteil dar: einen Aufreißer, dessen Blick schon in seiner ersten Szene von Pearl Chavez’ Rücken abwärts wandert. Und er macht sich verdammt gut auf diesem ungewöhnlichen Terrain. Wäre der Film zehn Jahre später entstanden, hätte er vermutlich die Rolle von Joseph Cotten gespielt, aber hier ist er das schwarze Schaf unter den beiden Brüdern und es macht Spaß, ihn einmal so zu sehen.

Frisches Blut aus den Staaten

„Duell in der Sonne“ wurde in den USA offenbar bereits 1999 erstmalig auf DVD veröffentlicht. 1999, das Jahr in dem auch in Deutschland der DVD-Boom ganz langsam ins Rollen kam. Man kann also behaupten, dass es sich wohl um einen der ersten Filmklassiker handelt, die man in den Staaten unbedingt auf DVD herausbringen wollte. Erstaunlicherweise hat eine US-Blu-ray allerdings wesentlich länger auf sich warten lassen. Dieser Umstand macht jedoch auch Hoffnung dahingehend, dass der Sprung nach Deutschland noch gelingt, denn es ist zwar nicht immer so, dass dafür erst einmal die Blu-ray in den USA erscheinen muss, aber der Regelfall. Spätestens jetzt sollte also der Weg für eine solche offizielle Veröffentlichung hierzulande geebnet sein. Dann aber bitte auch mit integrierter Ouvertüre und Schlussmusik, so wie der Film auch im Kino als „Roadshow-Fassung“ und 2015 auf der Berlinale lief. Diese Bestandteile des Films werden gern einmal vergessen oder in den „Extras“ versteckt, obwohl es im klassischen Hollywood in einigen ganz großen Projekten Ouvertüren, Intermezzo-Musik im Mittelteil und Schlussmusiken nach dem Abspann zu hören gab. Bezüglich der klassischen deutschen Synchronfassung besteht auch jeder Grund zur Freude. Mit Peck und Cotten treten zwei Schauspieler auf, die des Öfteren von Wolfgang Lukschy synchronisiert wurden. Hier spricht er Peck, aber Heinz Engelmann macht sich für Joseph Cotten sogar noch besser als Lukschy – irgendwie lebendiger und tiefgründiger.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von King Vidor haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Lillian Gish und Jennifer Jones unter Schauspielerinnen, Filme mit Charles Bickford, Harry Carey, Joseph Cotten und Gregory Peck in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung (USA): 15. August 2017 als Blu-ray und DVD, 25. Mai 2004 als DVD, 19. Januar 1999 als DVD

Länge: 138 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Originaltitel: Duel in the Sun
USA 1946
Regie: King Vidor u. v. m.
Drehbuch: David O. Selznick, Oliver H. P. Garrett & Ben Hecht, nach einem Roman von Niven Busch
Besetzung: Jennifer Jones, Joseph Cotten, Gregory Peck, Lionel Barrymore, Lillian Gish, Herbert Marshall, Walter Huston, Charles Bickford, Joan Tetzel, Harry Carey
Verleih: The Selznick Studio

Copyright 2019 by Ansgar Skulme
Filmplakat: Fair Use

 

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