A Rainy Day in New York
Von Tonio Klein
Liebeskomödie // Reden wir doch einfach mal nur über Woody Allens neuen Film. Tja, wenn das so einfach wäre. Und die Schwierigkeiten haben beileibe nicht nur mit der #Metoo-Debatte zu tun. Vielmehr ist es nun schon viele Jahrzehnte so, dass Werk und Person bei kaum jemandem so schwer zu trennen sind wie bei ihm. Was Woody Allen für mich zu einem wahrhaft großen Künstler macht. Sicher, es gibt die Chamäleons, aber ein Allen ist immer ein Allen. Es ist keine Schwäche, immer nur von den eigenen Vorlieben, teils Ängsten und Obsessionen, zu erzählen. Sondern es ist eine Stärke, von diesen so zu erzählen, dass es interessant ist (sonst wäre Goethes „Werther“ nicht Weltliteratur). Zudem oft ziemlich witzig, manchmal romantisch, manchmal bissig, manchmal tragisch.
Allen hat da eine ganz erstaunliche Bandbreite, schafft es aber gleichzeitig, dass man sich nicht nur dem Werk nahe fühlt, sondern auch dem Mann. Allen-Filme, die mit Regelmäßigkeit herauskommen, sind eine sehr persönliche Angelegenheit, lassen einen teilhaben an des Mannes Kosmos, reihen sich wie ein persönlicher Schatz von Weinflaschen in einem heimeligen Keller aneinander. Nicht jeder Jahrgang ist gleich gut, aber immer hat man die Illusion, irgendwie Teil einer Allen- und Allen-Fan-Familie zu sein. Das gelingt dem Filmemacher natürlich nicht bei einer uferlosen Zahl von Zuschauern, aber ich gestehe, mich dieser Illusion doch sehr gern hinzugeben und mich bei Allen wohlzufühlen – jedenfalls meistens.
Es sei also ganz offen zugegeben, dass hier der Fan schreibt. Wenige Filme sind schlecht, manche sind jenseits der Allen-Manierismen große Kunst (zuvörderst die Tragödie „Blue Jasmine“, 2013), wenige sind nur für Fans und solche, die es werden wollen. Und gar nicht so wenige lassen das Fanherz höherschlagen, haben aber auch Potenzial, den Neuling anzusprechen, zumal sie unterhaltsam sind. In diese Kategorie gehört „A Rainy Day in New York“, der mit „romantische Komödie“ ganz treffend beschrieben ist und der nicht mal jemanden vor den Kopf stößt, der Vorbehalte gegen diesen mutmaßlichen Stadtneurotiker hat. Außer, man sucht gezielt nach Hinweisen, welche die gegen Allen gemachten Anschuldigungen stützen sollen. Wer will, kann immer sehen, was er sehen will. Doch dazu später. Zunächst sei der Hinweis gegeben, dass die Blu-ray in hervorragender Qualität vorliegt, aber mit einer Ausstattung, die so spartanisch ist wie Allens stets gleiche Titelvorspänne in derselben Schrift vor schwarzem Hintergrund. Was mit einer Ausnahme wirklich völlig egal ist; der Film ist mir das Fleisch einer Blu-ray oder DVD. Dass es aber nicht die Möglichkeit gibt, beim Originalton die deutschen Untertitel auszublenden, ist nun wirklich eine unnötige Zuschauerbevormundung.
Eine scheinbar jämmerliche Frau und anscheinend jämmerliche Männer
Das Studentenpärchen Gatsby (Timothée Chalamet) und Ashleigh (Elle Fanning) hat die Aussicht darauf, ein Wochenende in Manhattan zu verbringen, da Ashleigh dort den berühmten Filmregisseur Roland Pollard (Liev Schreiber) interviewen darf. Der nicht ganz so große Gatsby, der von dort stammt, möchte Landei Ashleigh „seine“ Stadt zeigen und hatte als Hobby-Pokerspieler kürzlich auch so viel Glück, dass er sich das leisten kann. Die Hotelsuite ist ein Palast, der Ausblick auf den Central Park grandios, aber das Paar wird getrennt und beide werden auf eine ziemlich abenteuerliche Odyssee geschickt.
Die Figur der Ashleigh wurde gelegentlich als misogyne Zurschaustellung eines Naivchens kritisiert, aber das greift in mehrfacher Hinsicht zu kurz. Erstens ist die Rolle voller herrlich absurder, typisch allenscher Komik. Etwa, wenn Ashleigh europäische, amerikanische Filmemacher und Akira Kurosawa durcheinanderwirbelt, oder wenn sie irgendwann nicht mal mehr ihren Namen weiß und auf ihrem Perso nachschauen möge – was sie sogar tut. Oder wenn sie beim von Pollard angebotenen „Bonbon“, also einer exklusiven Information, nur fragt: „Schoko?“ Zweitens spielt Fanning das mit einem so herrlich entwaffnenden Lächeln, mit jugendlicher Frische und oft eben doch einer gewissen begeisterten und begeisternden Eloquenz, dass man sich dem weder entziehen kann noch will. Viele junge Frauen, bis zurück zur frühen Diane Keaton, haben bei Allen so gespielt.
Drittens muss man einmal ganz deutlich sagen, dass es gerade die Männer sind, die bei Ashleighs Odyssee nicht gut wegkommen – ein Regisseur in der Sinnkrise, ein Weichei-Drehbuchautor (Jude Law) mit Eheproblemen und der Filmstar Francisco Vega (Diego Luna), der von Ashleigh nur das eine will. Natürlich ist Ashleigh da erst mal eine Geblendete, sie kann aber auch selbst blenden und verzaubert die Paparazzi und uns, wenn sie mit nonchalantem, ungebremst freudigem Lächeln mit dem Mann ins Auto steigt. Nein, so sieht kaum ein Film aus, in dem sich ein Regisseur an angeblichen Obsessionen für jüngere Frauen abarbeitet. Nur mal nebenbei: Als Allen letztmals selbst in einem Allen mitspielte („Crisis in Six Scenes“, 2016), stellte er sich die große Elaine May an seine filmeheliche Seite, geboren 1932, dreieinhalb Jahre älter als er.
Alter ego in Woodys nostalgischer Filmkunstwelt
Nun stellt er lieber seiner jungen Frau ein junges Allen-alter-ego an die Seite, oder gerade nicht an die Seite – die beiden werden ja getrennt. Gatsby mit dem „großen“ Namen und dem zu großen Tweedsakko ist ein Allen-Bohemien, wie er im Buche steht. Nicht zuletzt in Woody Allens Buche „Ganz nebenbei“, seiner brandaktuellen Autobiografie. New Yorker durch und durch, begeistert von altem Jazz und alten Filmen, auch vom Gangstermilieu – in seiner Studentenbude hängt ein Fahndungsplakat von John Dillinger. Das alles ist genauso im erwähnten Buch nachzulesen wie die Selbstauskunft, dass Allen entgegen den Erwartungen an einen „Intellektuellen“ manche Werke der Weltliteratur nicht lesen will, bloß, weil man es müsse. Gatsby sagt dasselbe von sich. Bis hin zu konkreten Namen wie dem Komponisten Irving Berlin (wird verehrt) und dem Autor Henry James (sei zu zäh) finden sich Parallelen zwischen Allen in der Autobiographie und Gatsby im Film. Auch die Vorliebe fürs Zocken ist hier zu erwähnen.
Manchmal, da ist Allen immer so genial wie gefährdet, droht bei allen diesen Referenzen das Namedropping überhandzunehmen. Wenn jemand eine Krise bekommt, macht er „einen auf Norma Desmond“ (Figur einer vergessenen Stummfilmdiva aus Billy Wilders „Boulevard der Dämmerung“, 1950). Auf einer Filmparty hängen übergroße Bilder von Stars vergangener Zeiten, wie Allen sie liebt, was – wenn man wie ich diesen Filmzeiten sehr verbunden ist – genauso erfreut wie ablenkt. Also, Lana Turner, Cary Grant, Katharine Hepburn, vielleicht Rock Hudson, und wer ist die mit dem breiten Lächeln in der Ecke – und Mist, was hatten Ashleigh und der Drehbuchautor gerade zueinander gesagt? Schwamm drüber, perfekt funktioniert jedenfalls die plötzliche, fast märchenhafte Erscheinung einer bildschönen Frau in Weiß (Kelly Rohrbach), die verführerisch Gatsby am Nebentisch einer Bar begegnet, wie aus einer Traumwelt, einem Film noir vielleicht. Und dass dies, wie Gatsbys Off-Kommentar meint, eine wie Jane Greer aus „Goldenes Gift“ (1947) sein könnte, trifft es recht gut.
„Keine Schamhaarspaltereien!“
Solche Schmankerln haben neben etwas Träumerisch-Nostalgischem aber immer auch einen Hintersinn. Die überirdisch schöne Kunstfrau ist tatsächlich eine solche, nämlich Edelprostituierte Terry, die „Träume wahr werden lässt“ – noch so ein Doppelsinn. Ähnlich, wie es Penélope Cruz in „To Rome with Love“ (2012) ergangen ist, engagiert Gatsby Terry, ihn als falsche Freundin zu begleiten. Diesmal auf eine Party seiner Mutter, vor der er sich eigentlich drücken wollte. Wenn Muttern recht schnell herausfindet, in welchem Gewerbe die Dame tätig ist, kommt es zu einem durchaus kritischen Dialog darüber, wie die Familie den Grundstock ihres immensen Reichtums aufgebaut hat – und was also „Amerika groß gemacht hat“, wie man so sagt. Und dass die Mutter Gatsbys Einwände mit „Keine Schamhaarspaltereien“ abwiegelt, ist zunächst eine passende Wortwitzpointe, aber dieser Dialog wird die beiden auch einander annähern und Gatsby reifen lassen.
Gatsby trifft Ex-Rotzgöre, die zur Frau ward – wie Woody?
Es ist nämlich mitnichten so, dass Ashleigh das Naivchen und Gatsby der schon Weltgewandte ist. Auf seiner eigenen Odyssee trifft er ehemalige Schulkumpels, die gerade einen Low-Budget-Studentenfilm drehen, und er wird aufgefordert, eben als Statist in einer Kussszene mitzuspielen. Seine Partnerin ist ausgerechnet Shannon (Selena Gomez), die jüngere Schwester einer ehemaligen Freundin. Und gerade, als Gatsby im dritten Take seine Scheu überwinden kann und sie erstmals mit vollem Einsatz küsst, setzt der titelgebende Regen ein – da läuft der Film schon eine ganze Weile! Es ist klar, dass etwas passiert ist und noch passieren wird … Nun könnte man, wenn man will, in diese Figur Woody Allens Ehefrau Soon-Yi hineinlesen. Jemand, der noch eine Rotzgöre war und nicht als Frau wahrgenommen wurde, in einer Zeit, als der Mann etwas mit der älteren Verwandten (im realen Leben nicht die Schwester, sondern die Adoptivmutter, Mia Farrow) hatte. Und plötzlich merkt Gatsby/Woody, dass da ja eine erwachsene Frau vor ihm steht. Zudem ist die Dame – wie auch der Film – zwar durchaus zu hemmungsloser und hoffnungsvoller Romantik fähig, aber sie ist die Starke, die dem lavierenden Gatsby auch mal klar ansagt, wo’s langgeht. Von Soon-Yi kann man einen ähnlichen Eindruck gewinnen, wenn man beispielsweise den Dokumentarfilm „Wild Man Blues“ (1997) sieht oder eben Allens Autobiografie liest. Offenbar brauchen Gatsby und Allen so eine. Maria Wiesner hat in einer sehr positiven Kritik in der Frankfurter Allgemeinen die Rolle starker Frauen in „A Rainy Day in New York“ zu Recht hervorgehoben, insbesondere die Figur Shannons. Ich möchte betonen, dass Parallelen zu Soon-Yi Spekulation bleiben müssen und dass ich es, wenn es stimmen würde, alles andere als schlimm fände. Die beiden sind jedenfalls schon seit Jahrzehnten ein Paar, und das mag erklären, warum der Film ziemlich romantisch, manchmal träumerisch geraten ist – aber nie süßlich, eher schon bewusst das Klischee überhöhend und dadurch etwas freilegend, gerade im nicht zu verratenden Ende.
Wichtig ist bei diesem Film der Look. Viele Allens schwelgen in farbsatter, edler Pracht, und bei „A Rainy Day in New York“ ist das nicht anders. Erlesene Interieurs strahlen goldgelb und vor allem diesmal rot wie das Herzblut – sogar ein Billardtischbezug hat diese Farbe statt des üblichen Grüns. Kameramann Vittorio Storaro hat ganze Arbeit geleistet und zudem oft mit Weitwinkelobjektiven gefilmt, was die großen Räume noch größer und prächtiger aussehen lässt. Sogar die Sonne ist gülden und das Bild ist selbst oft dann lichtdurchflutet, wenn es in Strömen regnet. Was zunächst wie eine Unsitte jüngerer Filme (wie auch gestochen scharfer Blu-rays) wirkt: Ständig ist alles übermäßig lichtdurchflutet und farbverstärkt. Dazu beigetragen haben mag, dass es dummerweise während der Drehzeit nicht geregnet hat und man in die gute alte Trickkiste greifen musste. Storaro und Allen wissen aber offensichtlich, was sie machen, denn man beachte die Momente, in denen sie den Effekt auslassen, in denen man nachdenklich blickt, Beziehungen einen Knacks bekommen, Erwartungen enttäuscht werden. Auch dies hatte die FAZ-Rezensentin übrigens völlig zu Recht als kommentierende Kameraarbeit/Lichtsetzung gewürdigt. Des Weiteren ist auffällig, dass Allen, der doch nach Meinung mancher so ein Lüstling ist, auf den nächstliegenden erotischen Effekt in einem verregneten New York verzichtet: Wir sehen hier zwar lauter schöne Frauen schöne Dinge tun (nach François Truffaut, den Allen verehrt, die Essenz des Kinos). Aber wir sehen sie nie im Wetlook, obwohl man ein-, zweimal damit rechnen kann. Hier ist Allen bemerkenswert souverän.
Kunst und Leben
„A Rainy Day in New York“ wartet noch mit manch amüsanter wie moderat bizarrer Idee auf, etwa einem Versteckspiel in der altägyptischen Abteilung eines Museums, wobei Gatsby irgendwie ebenfalls befürchten muss, tot zu sein, bevor er gelebt hat. Seine pseudointellektuelle Hülle, gepaart mit Scheu vor dem Kontakt zu seiner Familie, wird er ablegen. Und man kann ahnen, wer wen nach vorn bringt (wie übrigens auch in dem wunderschönen letzten Satz des Films). Vergessen wir mal die ganzen Parallelen zu Allen als Person und zu seinem Umfeld, vergessen wir mal, dass dies – was ja nicht schlecht ist – ein so romantischer wie komischer Film ist, und suchen eine ganz andere Verbindungslinie zu Allens Werk: Oftmals geht es um Menschen, die im Leben scheitern, aber in der Kunst gerettet werden (am direktesten in der Schlussszene in „Sweet and Lowdown“, 1999). Dabei vermengt Allen aber auch immer die Kunstwelt mit der realen Welt (zum Beispiel die lebendig werdenden Kurzgeschichtenhelden in „Harry außer sich“, 1997, und die in die Realität herübersteigende Kinofigur in „The Purple Rose of Cairo“, 1985). Manchmal lässt er auch im Doppelsinn zauberhafte Wunder wahr werden („Alice“, 1990).
„A Rainy Day in New York“ ist nun selbst ein Wunder. Der Plot enthält keine offenen Brechungen oder Unmöglichkeiten, aber die Geschichte ist eben „wundervoll“ inszeniert. Dabei gelingt Allen das große Kunststück, den Realitätsverweigerer Gatsby weder durch die Kunst zu erlösen noch auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Vielmehr trifft er auf Shannon, eine Frau, die die Realität einfach schöner und bewusster verweigert als Gatsby. „Die Realität ist was für Leute, die nichts Besseres hinbekommen“, sagt sie zu ihm. „Everything happens to me“, singt Gatsby bei ihr am Klavier. Bei Woody Allen kann einem alles passieren, und man hat selten gesehen, dass er so träumerisch wie lebensbejahend zugleich ist. Die Realität ist nichts? Man kann sich eine machen. Oder einfach diesen Film sehen.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Woody Allen haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Timothée Chalamet, Jude Law und Liev Schreiber unter Schauspieler.
Veröffentlichung: 23. April 2020 als Blu-ray und DVD
Länge: 93 Min. (Blu-ray), 89 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK freigegeben ohne Altersbeschränkung
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: A Rainy Day in New York
USA 2019
Regie: Woody Allen
Drehbuch: Woody Allen
Besetzung: Timothée Chalamet, Elle Fanning, Liev Schreiber, Jude Law, Selena Gomez, Suzanne Smith, Olivia Boreham-Wing, Ben Warheit, Griffin Newman, Annaleigh Ashford, Will Rogers
Zusatzmaterial: Kinotrailer
Label: Filmwelt Verleihagentur GmbH
Vertrieb: EuroVideo Medien GmbH
Copyright 2020 by Tonio Klein
Szenenfotos & Packshot: © 2020 Filmwelt Verleihagentur GmbH,
Szenenfotos auch: © 2019 Gravier Productions, Inc., Photos by Jessica Miglio
Christoph Wolf
2020/07/24 at 12:53
Schöne Besprechung des Films. Ich war selbst sehr begeistert, als ich ihn kürzlich im Kino sah. ARDINY ist erst der zweite Allen, den ich gesehen habe, denn nachdem ich vor Ewigkeiten „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ gesehen habe und den richtig übel fand, habe ich seine Filme immer ignoriert. Ich denke, das sollte ich wohl mal ändern.
Stepnwolf
2020/05/02 at 15:28
Oh, das ist aber eine Ode. 😉
Hab den Film noch nicht gesehen, aber allein Ms. Fannings Anwesenheit wird mich wohl noch dazu verleiten.