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Zum 100. Geburtstag von Denholm Elliott: Der große Atlantik – Wahrhaftiges vom Krieg auf See

31 Mai

The Cruel Sea

Von Volker Schönenberger

Kriegsdrama // Dies ist eine Erzählung aus der Atlantikschlacht; die Geschichte eines Ozeans, zweier Schiffe und einer Handvoll Männer. Die Männer sind die Helden; die Heldinnen sind die Schiffe. Der einzige Schurke ist die See, die grausame See, die der Mensch noch grausamer gemacht hat. Diese Worte aus dem Off leiten „Der große Atlantik“ ein. Es spricht sie Lieutenant Commander George Ericson (Jack Hawkins), ein Reserveoffizier, der bei Kriegsbeginn 1939 von der Handelsmarine zur der Royal Navy des Vereinigten Königreichs zurückversetzt wird. Er erhält das Kommando über die Korvette HMS „Compass Rose“, die ausläuft, um Schiffskonvois durch den Atlantik zu geleiten. Seine Offiziere sind wenig erfahren, aber lernfähig, müssen trotz der einen oder anderen Animosität zusammenwachsen und tun das auch.

Lieutenant Commander Ericson (r.) befehligt …

Als die Deutschen durch die Erfolge ihrer Landstreitkräfte in der Lage sind, ihre U-Boote von französischen Atlantikhäfen operieren zu lassen, geraten die Geleitzüge unter verstärkte Attacken. Oft können Ericson und seine Männer nicht viel mehr tun, als überlebende Seeleute torpedierter Handelsschiffe aus dem Wasser zu ziehen. Der Krieg fordert seinen Tribut. Ehe es sich die Besatzung versieht, sind drei Jahre auf See ins Land gegangen.

… die Korvette „Compass Rose“

Ein wenig kann „Der große Atlantik“ als englisches Gegenstück zu Wolfgang Petersens knapp 30 Jahre später entstandenem „Das Boot“ (1981) gesehen werden, auch wenn der britische Beitrag über die Atlantikschlacht deutlich unspektakulärer daherkommt als das deutsche Antikriegs-Meisterstück. Einige Bilder wirken fast, als hätte seinerzeit ein Team aus Dokumentarfilmern eine Korvette begleitet, um das Geschehen einzufangen. Allzu viele Feindberührungen hat die „Compass Rose“ nicht, selbst dann nicht, wenn die Besatzung mitansehen muss, wie eines der Frachtschiffe, zu deren Schutz sie abbestellt ist, von einem Torpedo getroffen wird, sodass eine gewaltige Explosion die Nacht erhellt. Zwischen diesen tragischen Ereignissen gestaltet sich der Alltag auf See monoton. Diesen Gegensatz vermittelt „Der große Atlantik“ in unaufgeregter Weise. Ebenso wird deutlich, dass die Soldaten Menschen bleiben und die Menschlichkeit im Krieg dennoch auf der Strecke bleibt. Der Krieg ist hier kein Heldenspektakel, da „Der große Atlantik“ eine wohltuende Wahrhaftigkeit ausstrahlt.

Wo mag der Feind stecken?

„The Cruel Sea“, so der Originaltitel des Seekriegsdramas, basiert auf dem gleichnamigen Roman des britischen Schriftstellers Nicholas Monsarrat (1910–1979), der darin seine Erfahrungen in der Royal Navy während des Zweiten Weltkriegs verarbeitete. Das 1951 erstveröffentlichte Buch ist unter dem Titel „Grausamer Atlantik“ auch in deutscher Übersetzung erschienen.

Wasserbomben auf deutsche U-Boote

Gedreht wurde in der in Plymouth im Südwesten Englands gelegenen Marinebasis Devonport und in den traditionsreichen Ealing Studios in London. Regie führte der hierzulande nicht allzu bekannte Charles Frend, der seine Filmlaufbahn Anfang der 1930er-Jahre als Cutter begonnen hatte und diese Tätigkeit beispielsweise auch bei den frühen Hitchcock-Arbeiten „Sabotage“ (1936) und „Jung und unschuldig“ (1937) ausgeübt hatte. Frends Karriere lässt sich recht klar in drei Abschnitte einteilen: Cutter in den 30ern, Kinoregisseur in den 40ern und 50ern, Serienregisseur fürs britische Fernsehen im Folgejahrzehnt. „The Cruel Sea“ ist seine mit Abstand bekannteste Regiearbeit.

Inferno im Atlantik

Als Sub-Lieutenant John Morell an Bord der „Compass Rose“ ist Denholm Elliott zu sehen, hierzulande vor allem als Museumskurator und Freund von Indiana Jones in „Jäger des verlorenen Schatzes“ (1981) und „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ (1989) in Erinnerung. Der am 31. Mai 1922 in London Geborene begann mit 17 Jahren ein Schauspielstudium an der renommierten Royal Academy of Dramatic Art, das er nach einem Jahr allerdings aufgab, weil er und die Lehranstalt offenbar keine Freunde werden würden. 1940 ging er zur Royal Air Force und wurde als Bordschütze und Funker eingesetzt, bis sein Flugzeug zwei Jahre später über Deutschland abgeschossen wurde. In einem Kriegsgefangenenlager in Schlesien nahm er an Theateraufführungen teil. Nach dem Krieg von Laurence Olivier entdeckt, entwickelte sich Elliott zum gefeierten Bühnenschauspieler und Charakterdarsteller.

Obgleich früh auch für Fernsehen und Kino aktiv, kam der Leinwandruhm erst mit besagtem Part in „Jäger des verlorenen Schatzes“, der ihm den Weg zu weiteren markanten Nebenrollen ebnete. So war er als Butler in John Landis’ „Die Glücksritter“ (1983) zu sehen, und seine Nebenrolle als Mr. Emerson in James Ivorys „Zimmer mit Aussicht“ brachte ihm 1987 seine einzige Nominierung für einen Oscar ein (der allerdings an Michael Caine in „Hannah und ihre Schwestern“ ging). Immerhin gewann Elliott viermal den Britischen Filmpreis BAFTA, bemerkenswert für einen Schauspieler, der nicht zu den auffälligsten seiner Zunft gehörte. Gleichwohl war er jederzeit in der Lage, in Szenen mit namhaften Kolleginnen und Kollegen zu bestehen oder diesen gar die Show zu stehlen. Und das so sehr, dass Gabriel Byrne nach den Dreharbeiten zum Thriller „Button – Im Sumpf der Atommafia“ („Defence of the Realm“, 1985) konstatierte: Ich habe das alte Klischee modifiziert: Arbeite niemals mit Kindern, Tieren oder Denholm Elliott (nachzulesen in einem Nachruf auf Elliott). Denholm Elliott starb am 6. Oktober 1992 im Alter von 70 Jahren auf Ibiza an den Folgen einer AIDS-Erkrankung. Am 31. Mai 2022 wäre er 100 Jahre alt geworden.

„Der große Atlantik“ kam 1953 in britische, US-amerikanische und kontinentaleuropäische Kinos und erwies sich speziell im angelsächsischen Sprachraum als Erfolg (über die bundesdeutschen Zuschauerzahlen ist mir nichts bekannt). In Deutschland ist das Kriegsdrama 2010 unter dem Titel „Todesduell im Atlantik“ und 2019 unter dem Titel „Duell im Atlantik“ auf DVD erschienen, wobei letztgenannte Veröffentlichung nicht mit dem gleichnamigen 1957er-Kriegsdrama mit Robert Mitchum und Curd Jürgens verwechselt werden sollte. Eine Blu-ray wurde bislang nur im Vereinigten Königreich veröffentlicht. Beide deutsche DVDs sind im Handel vergriffen, das fesselnde Werk hätte eine Neuauflage verdient.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Denholm Elliott haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Veröffentlichung: 7. Februar 2019 als DVD unter dem Titel „Duell im Atlantik“, 30. Juli 2010 als DVD unter dem Titel „Todesduell im Atlantik“

Länge: 117 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: keine
Originaltitel: The Cruel Sea
Alternativtitel: Duell im Atlantik
GB 1953
Regie: Charles Frend
Drehbuch: Eric Ambler, nach dem Roman „The Cruel Sea“ („Grausamer Atlantik“) von Nicholas Monsarrat
Besetzung: Jack Hawkins, Donald Sinden, John Stratton, Denholm Elliott, John Warner, Stanley Baker, Bruce Seton, Liam Redmond, Virginia McKenna, Moira Lister, June Thorburn, Megs Jenkins, Meredith Edwards, Glyn Houston, Alec McCowen, Leo Phillips, Dafydd Havard, Alan Webb
Zusatzmaterial: keins
Label/Vertrieb „Duell im Atlantik“: Polar Film + Medien GmbH
Label/Vertrieb „Todesduell im Atlantik“: Voulez Vous Film (Intergroove)

Copyright 2022 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & Packshot „Duell im Atlantik“: © 2019 Polar Film + Medien GmbH,
Packshot „Duell im Atlantik“: © 2010 Voulez Vous Film (Intergroove), Plakatmotive: Fair Use

 

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