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Zum 100. Geburtstag von Eleanor Parker: Polizeirevier 21 – Die Hitchcockblondine, die nie bei Hitchcock war

26 Jun

Detective Story

Von Tonio Klein

Krimidrama // Eleanor Parker war nie in der Top-Liga, aber (bei Werkkenntnis weit unter der Vollständigkeit) immer mehr als nur gut – nämlich so berührend wie wahrhaftig. Oftmals von formvollendeter Eleganz, lässt sie dahinter oder darinnen immer auch den Menschen erkennen. Vielleicht ist das der Grund, aus dem – was reine Spekulation ist – Hitchcock sie nie eingesetzt hat. Äußerlich gut passend, war ihre Leindwandpersona einfach zu stark für ihn. Oder genauer: zu eigenständig, denn Hitchcock hatte, vor allem mit Grace Kelly, durchaus starke Frauen, die selbst einen Cary Grant nach ihrer Pfeife „Über den Dächern von Nizza“ (1955) tanzen ließen. Indes: Das waren letztlich männliche Projektionen, das war die Superfrau, die gleichsam Angst- und Lustgefühle beim Mann auslöst. Eleanor Parkers Charaktere sind immer autonom, und das auch, wenn sie Schwächen hinter der Fassade haben. Sie lösen Empathie statt Angstlust aus.

Würde, Selbstbestimmung und der Kampf gegen das Korsett

Nach ihrer ersten Hauptrolle im B-Horrorfilm „The Mysterious Doctor“ (1943) sollte sie die ganze Ambivalenz einer gebrochenen Frau, die wieder zu sich finden muss, aber auch äußerlich in ein allzu feines Korsett eingeschnürt ist, in „Das Geheimnis der Frau in Weiß“ (1948) darstellen. Da ist die zweigeteilte Frau gleich in einer der damals modernen Doppelrollen (wenn auch nicht als Zwilling wie Bette Davis in „Die große Lüge“, 1946) zu sehen. Im für sie ungewöhnlichen „Frauengefängnis“ (1950) muss sie nicht zu sich selbst finden, sondern ihr Selbst bewahren. Was scheitert. Der Endzwanzigerin nimmt man die Jüngere, Unbedarfte genauso ab wie die eiskalte Egoistin, zu der sie die titelgebende Anstalt tatsächlich macht. Diesmal keine Eleganz, aber ebenfalls eine vormalige Unschuld, die erschüttert wird. Letztlich kann man sogar ihren Auftritt in „Der Mann mit dem goldenen Arm“ (1955) hier einordnen, auch wenn sie gegenüber Kim Novak die unvorteilhaftere Rolle im Verhältnis zu einem drogensüchtigen Musiker (Frank Sinatra) spielt: Wenn sie ihn, ihren Film-Ehemann, aufgrund eines eingebildeten Leidens in die Psychohölle aus Schuldgefühlen schickt, ist sie unaufrichtig gegenüber sich selbst statt absichtlich böse. Immer die Frau der Konventionen, die auch sie selbst gefangen nehmen – nur diesmal ohne Möglichkeit, sich daraus zu befreien. In späteren Jahren noch als unvorteilhafte Konkurrenz zu Julie Andrews’ quirliger Schwester Maria immer formvollendet. Aber mit was für einer Würde und Größe tritt sie ab, als sie erkennt, gegenüber Maria bei Kapitän von Trapp (Christopher Plummer) keine Chance zu haben („Meine Lieder, meine Träume“, 1965). Und als reichlich beunruhigende Grande Dame trumpft sie noch einmal in dem großartigen Katzen-Horrorthriller „Grüne Augen in der Nacht“ (1969) auf.

Im Polizeirevier 21 ist immer was los

Für den Regisseur William Wyler ist Parker wie geschaffen, obwohl er mit Stars wie Bette Davis und Audrey Hepburn öfter zusammengearbeitet hatte. Auch bei „Polizeirevier 21“ (1951) ist sie ganz die Elegante, Würdevolle, wenngleich etwas Kleinbürgerliche – aber sie hat eine Vergangenheit, wie man so sagt, und nach damaligem Verständnis Schuld auf sich geladen. Als Mary, Gattin des Polizei-Detectives Jim (Kirk Douglas), hatte sie einmal vor der noch recht jungen Ehe die Dienste eines illegal tätigen Abtreibungsarztes in Anspruch genommen. Ausgerechnet diesen Mann jagt Jim mit einem Kirk-Douglas-typischen Fanatismus von so fiebriger wie selbstzerstörerischer Energie. Wobei dies den Film nur unzureichend wiedergibt; der große Theateradapteur Wyler begibt sich nämlich wieder einmal auf das Terrain des Ensemble-Theaterfilms. An die 24 Stunden auf einem Polizeirevier, da wird noch manch andere kleine und in Wirklichkeit doch wichtige Geschichte erzählt. Die Kamera (von-Sternberg-Veteran Lee Garmes, mit dem Wyler nach dem frühen Tod Gregg Tolands eine fruchtbare Zusammenarbeit hatte) schlängelt sich traumwandlerisch sicher durch das Polizeirevier-Set, das nahezu den einzigen Handlungsort bildet. Die oft gleichzeitige Präsenz einer Fülle wichtiger Haupt- und Nebendarsteller verlangt den Mimen so einiges ab – beispielsweise Cathy O’Donnell („Die besten Jahre unseres Lebens“, 1946) und dem später als „Dr. No“ (1962) bekannten Joseph Wiseman. Charaktere, Schicksale, Verstrickungen. Ein großes Drama in jeglichem Sinne.

Ganz oder gar nicht – darunter machen es Parker und Wyler nicht

Was nun Parker und ihr Zusammenspiel mit Douglas betrifft – das ist bei den oben benannten völlig unterschiedlichen Stilen nicht nur ein spannender Wert an sich, sondern findet auch einen Widerhall in Charakteren und Motiven. Es gibt bei Wyler eine Fülle starker Frauen, die nie übermenschlich stark sind, aber mit ihrem Kampf für Wahrhaftigkeit tief beeindrucken – selbst dann, wenn dies mit dem eher klassischen Motiv verknüpft ist, ihren Mann um jeden Preis zu bekommen („Die besten Jahre unseres Lebens“) oder zu behalten („Die Liebesfalle“, 1929). Noch stärker ist Marys Verbindung zu Audrey Hepburns Karen in „Infam“ (1961). Karen kann und will ihre Verlobung mit einem Mann (James Garner), den sie immer noch liebt, nicht retten, weil nur ein Hauch des Zweifels an ihm ob ihrer sexuellen Ausrichtung nagt. Aber sie behält die Selbstachtung, die eine Wyler-Heldin braucht. Im Unterschied dazu ist Mary (trotz ihres Vornamens) nicht unbefleckt und hatte ihrem Mann tatsächlich den Stein des Anstoßes aus ihrem Vorleben verschwiegen. Und sie verlangt noch mehr, als dass Jim ihr verzeihe. Er soll vielmehr ihre Gründe kennenlernen und dann überlegen, ob es da überhaupt etwas gebe, das zu verzeihen nötig sei. Man kann bei dem gesellschaftlichen Klima und den US-Zensurbestimmungen 1951 gewiss keinen Anti-Abtreibungsverbot-Film erwarten, aber was geboten wird, ist schon viel wert.

Detective Jim McLeod erlebt einen harten Tag

Nun ist Jim aber jemand, der sich nicht auf das einlassen kann, was eine Wyler-Frau und auch in anderen Filmen eine Parker-Frau immer will: als Mensch hinter dem Korsett, hier der kleinbürgerlichen Polizistengattin, gesehen zu werden. Er ist einer der Anfang der 50er-Jahre im US-Film beliebten fanatischen Bullen (man sehe zum Beispiel „On Dangerous Ground“, 1951), der vorgefasste Meinungen und das Freund-Feind-Denken brutaler verinnerlicht hat, als die Polizei erlaubt. Wer von einer Norm abweicht, ist unten durch, da wird nicht nach den Umständen des Einzelfalls gefragt. In der etwas antiquierten, aber dem Sinn nach treffenden deutschen Synchronisation wirft Jim Mary vor, sich „wie eine Dirne“ verhalten zu haben. Es sind Szenen wie diese, in denen beide (auch Jim ist ein tragisch Scheiternder statt ein Böser) im Zusammenspiel ungemein brillieren. Wir merken sofort, dass diese Ehe keine Chance mehr hat; das liegt am Kontrast zwischen Jims blindem Aktionismus und Marys stoischer Entschlossenheit. Wieso hat sie eigentlich ihr Kleid gewechselt? Am Ende ist es hochgeschlossen und schwarz, da betrauert sie den Tod der Ehe schon. Gelegentlich verbindet sich Jims Schatten mit dieser Schwärze, die auch noch Marys Gesicht zu erobern droht. Was aber nicht funktioniert, denn: dieses Gesicht! Parker bekommt ihre Haltung und Forderung ohne Dialog hin, es ist alles Blick. Ein Film, in dem Parker einen eruptiv-derangierten Ausbruch hätte, ist mir nicht bekannt. Aber was bekommt sie mit diesem Minimalismus alles hin! Die Contenance behält sie bei, sie geht hier weit über das Hitchcocksche hinaus, sie ist nicht Opfer wie Tippi Hedren in „Marnie“ (1964), nicht Dominierende wie Grace Kelly. Dieser Blick ergänzt die optische Abschottung, kann aber auch wie ein Messerstich sein. Ich will dich, und zwar als einen, der mich als Menschen sieht. Take it or leave it. Und weil sie’s unter diesem ultimativen stummen Schrei nach Vertrauen und Liebe – ja, das ist Liebe – nicht macht, ist der Blick ein Messerstich, der gleichzeitig nach innen gerichtet ist. Das muss man erst einmal hinbekommen.

Gute Figur in allen Formen und Farben

Parkers Filmografie erstreckt sich von 1942 bis 1991 (rechnet man die geschnittenen Szenen mit ihr aus „Sein letztes Kommando“ von 1941 nicht mit), die Kernzeit lässt sich auf leider nur etwa ein Jahrzehnt festschnurren. Mitte der 1940er wurden die Rollen bei ihrem damaligen Vertragsstudio Warner Bros. größer und die Filme besser. In den 1950ern zeigte sie auch in Technicolor eine gute Figur, war kurzzeitig mit Robert Taylor ein amüsantes Leinwandpaar (beispielsweise in „Ein Mann liebt gefährlich“, 1955) und war noch in dem aus heutiger Sicht etwas chauvinistischen „Heißer Süden“ (1956) diejenige von vier Frauen, die auf die authentischste und darum stärkste Weise rattenscharf auf Clark Gable war. Übrigens ebenfalls ein großer Spaß. Sie konnte wunderbar Komödien spielen, indem sie den Widerspruch zwischen Beherrschtheit und Verlangen zu ihrem Vorteil drehte, ohne ins Alberne abzugleiten. Danach wurde es im A-Film dünner. Dort war sie in Nebenrollen die nicht mehr ganz junge Dame wie eben in „Meine Lieder, meine Träume“. Wie das oft heute noch so ist, fungierte das Fernsehen als verlässlicher Arbeitgeber für Stars ab einer gewissen, gerade bei Frauen brutal früh angesetzten Altersgrenze. Eine Norma Desmond, die sich in Billy Wilders „Boulevard der Dämmerung“ (1950) auf Basis vieler realer Vorbilder als gefallener Star förmlich aufdrängen musste, war Parker nie.

Kann Mary McLeod ihrem Ehemann vertrauen?

Als Kind aus der Provinz, am 26. Juni 2022 im wirklich sehr übersichtlichen Cedarville, Ohio, geboren, wuchs sie in East Cleveland (auch noch sehr übersichtlich) auf. Über das Schultheater kam sie auf den Geschmack und war offenbar von zielstrebiger Ernsthaftigkeit: nach dem Schulabschluss Schauspielausbildung in Massachusetts und schließlich Kalifornien (Pasadena Playhouse), Filmangebote erst mal ausschlagend. Dann doch vor der Kamera, kam sie nicht sofort zur Anerkennung und nie zu allergrößtem Ruhm, wurde aber immerhin dreimal für den Oscar nominiert, ohne ihn je zu erhalten. Neben „Frauengefängnis“ (eigentlich ein zu dreckiger Film für die Academy und darum umso beachtlicher) und „Polizeirevier 21“ brachte ihr „Unterbrochene Melodie“ (1955) die Nominierung – jeweils in der Kategorie beste Hauptdarstellerin. Die Italiener erkannten schon früh, dass „Frauengefängnis“ mitnichten Camp oder gar Trash ist und wie hoch die Leistung Parkers darin zu würdigen ist: Sie erhielt 1950 den Coppa Volpi als beste Darstellerin auf dem Filmfestival von Venedig.

Parker war viermal verheiratet, mit dem zweiten Ehemann (Filmproduzent Bert L. Friedlob) hatte sie drei Kinder, mit dem dritten einen Sohn. Mit dem vierten, dem Geschäftsmann Raymond N. Hirsch, hielt die Ehe über Jahrzehnte, nämlich von 1966 bis zum Tod des Mannes im Jahre 2001. Sie selbst starb 2013 im Alter von 91 Jahren an Komplikationen einer Lungenentzündung. Heute, am 26. Juni 2022, wäre sie 100 Jahre alt geworden.

Die Polizistengemahlin hütet ein trauriges Geheimnis

Zu Ansgar Skulmes Rezension des Films geht’s hier. Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von William Wyler haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Eleanor Parker unter Schauspielerinnen, Filme mit Kirk Douglas in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 19. Januar 2006 als DVD

Länge: 99 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch
Untertitel: Deutsch, Englisch für Hörgeschädigte, Französisch, Arabisch, Hebräisch, Griechisch u. v. m.
Originaltitel: Detective Story
USA 1951
Regie: William Wyler
Drehbuch: Philip Yordan und Robert Wyler, nach einem Theaterstück von Sidney Kingsley
Besetzung: Kirk Douglas, Eleanor Parker, William Bendix, Cathy O’Donnell, George Macready, Horace McMahon, Gladys George, Joseph Wiseman, Lee Grant, Gerald Mohr
Zusatzmaterial: keins
Vertrieb: Paramount Home Entertainment (Germany)

Copyright 2022 by Tonio Klein

Packshot: © Paramount Home Entertainment, Filmplakat und Szenenfotos: Fair Use

 

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