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The Last House on the Left – Das letzte Haus links: Das räudige Rape-and-Revenge-Biest

18 Apr

The Last House on the Left

Von Volker Schönenberger

Der folgende Text enthält massive Spoiler.

Horror // Die Handlung von Wes Cravens berüchtigtem Regiedebüt lässt sich schnell zusammenfassen: Zwei Teenagerinnen aus der Provinz geraten in New York City an eine Bande brutaler Gestalten, die sie in die Heimatgegend der beiden verschleppen, bestialisch quälen und vergewaltigen und schließlich ermorden. Als die Täter für die Nacht Unterschlupf im titelgebenden letzten Haus links suchen, geraten sie an die Eltern eines der Mädchen, die bald herausfinden, dass sie es mit den Mördern ihrer Tochter zu tun haben. Daraufhin nimmt das Ehepaar das Recht selbst in die Hand und macht mit der Bande kurzen Prozess.

Zum Auftakt von „The Last House on the Left“ suggeriert eine Texteinblendung Authentizität: The events you are about to witness are true. Names and locations have been changed to protect those individuals still living. – Die Ereignisse, denen Sie nun beiwohnen werden, sind wahr. Namen und Orte wurden geändert, um noch lebende Beteiligte zu schützen. Nun ja, wie das mit der Wahrheit so ist. Wahr ist, dass Wes Craven ein Originaldrehbuch schrieb und damit die Mutter aller Rape-and-Revenge-Filme erschuf und die Entwicklung des Slasherfilms beeinflusste. Wobei es natürlich auch eine Großmutter aller Rape-and-Revenge-Filme gibt: Ingmar Bergmans „Die Jungfrauenquelle“ (1960), 1961 mit Oscar und Golden Globe als bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet. Dessen im Mittelalter angesiedelte und auf einer mittelalterlichen Ballade beruhende Handlung nahm Craven als Grundgerüst seines Films. Ursprünglich und bis kurz nach Drehbeginn verfolgte der Regisseur sogar die Absicht, „The Last House on the Left“ mit Hardcore-Pornoszenen zu drehen, und die Darstellerinnen und Darsteller waren dafür auch verpflichtet worden. Craven ließ sich aber davon überzeugen, dass der Film ohne expliziten Sex besser funktionieren würde, und schrieb die entsprechenden Szenen um.

Die beiden jungen Frauen, das sind Mari Collingwood (Sandra Peabody) und ihre Freundin Phyllis Stone (Lucy Grantham), sympathisch und als Frauen gerade aufblühend, wie es insbesondere Mari an sich bemerkt hat. Mari lebt wohlbehütet bei ihren Eltern John und Estelle Collingwood (Richard Towers, Cynthia Carr), die sogar Phyllis für unangemessenen Umgang ihrer Tochter halten, aber gutmütig genug sind, die beiden in die große Stadt ziehen zu lassen, wo sie ein Konzert der Band Bloodlust besuchen wollen.

Demgegenüber stehen Krug Stillo (David Hess) und Fred „Weasel“ Podowski (Fred J. Lincoln), zwei übelste Figuren. Krug hat sogar einen Priester und zwei Nonnen ermordet. Die beiden sind aus dem Knast geflohen, was zwei Wärter und einen Deutschen Schäferhund das Leben gekostet hat, wie wir aus dem Radio erfahren. Sie wollen sich nach Kanada durchschlagen, während die Großfahndung bereits läuft, sind in Begleitung von Krugs geistig schlichtem und drogensüchtigem Sohn Junior (Marc Sheffler) und der psychopathisch veranlagten Sadie (Jeramie Rain). Den Gegensatz zwischen den bürgerlichen und den schwerkriminellen Lebensentwürfen illustriert Wes Craven sehr schön in zwei Sequenzen, die er parallel ablaufen lässt: Da ist zum einen das erste Aufeinandertreffen von Mari und Phyllis mit der Bande in New York City, bei dem die beiden Mädchen schnell merken, in welch fatale Lage sie geraten sind; zum anderen die Eheleute Collingwood, die gut gelaunt eine Überraschungsparty anlässlich des 17. Geburtstags von Mari vorbereiten. Erst am nächsten Morgen werden sie sich Sorgen machen, wo ihre Tochter bleibt.

Bis dahin befinden sich Mari und Phyllis schon längst tief in ihrem Martyrium. „The Last House on the Left“ erspart uns immerhin visuell die noch in einem Appartement in New York City erfolgende Vergewaltigung von Phyllis durch Krug und Weasel. Maris Vergewaltigung hingegen müssen wir mit ansehen, auch wenn Craven sie im Gegensatz zu späteren Rape-and-Revenge-Exzessen wie der „I Spit on Your Grave“-Reihe (ab dem Remake von 2010) vergleichsweise zurückhaltend ins Bild setzt. Die beiden jungen Frauen werden nicht nur vergewaltigt, sondern müssen weitere Demütigungen und Folter erleiden, bis irgendwann der Tod Erlösung bringt.

Slapstick mit dem Sheriff und seinem Deputy

Ein sonderbares Momentum liefert „The Last House on the Left“ mit dem Sheriff (Marshall Anker) und seinem Deputy (Martin Kove), bei denen die Collingwoods ihre Tochter als vermisst melden und die eine Weile versuchen, die besorgten Eltern zu beschwichtigen. Die beiden stellen sich denkbar ungeschickt an, beginnend damit, dass ihr Dienstwagen mitten im Wald mit leerem Tank liegenbleibt. Von den Insassen eines vorbeifahrenden Autos müssen sie sich auslachen lassen – das Fahrzeug hält kurz, weshalb die beiden Ordnungshüter schon frohlocken, mitgenommen zu werden. Doch kurz bevor sie es erreichen, tritt der Fahrer aufs Gaspedal. Er hat nichts für Cops übrig, wie er ihnen noch zuruft. Eine späte Szene mit einer alten Bäuerin (Ada Washington) und ihrem Pickup-Truck voller Hühner fällt geradezu slapstick-artig aus, wenn sich Sheriff und Deputy mangels Platz aufs Dach des Fahrgastraums setzen müssen, aber beim Anfahren umgehend herabstürzen. Es mag sein, dass Wes Craven diese beiden Figuren als Comic Relief eingesetzt hat, damit dem Filmpublikum der eine oder andere Moment des Durchatmens gegönnt ist, bevor das Quälen der zwei jungen Frauen wieder einsetzt. Das funktioniert schon, verursacht aber auch ein wenig Stirnrunzeln. Erwähnt sei zudem der leichtfüßige Soundtrack des Films, der einen akustischen Kontrast zum fiesen Geschehen bietet. Inklusive von vier Songs steuerte ihn kein Geringerer als Krug-Darsteller David Hess bei, der auch später noch einige Filme musikalisch untermalte.

Täterin (r.) und Opfer

Seit „The Last House on the Left“ hat eine Vielzahl von Horrorfilmen und Thrillern drastischere Gewalt auf explizitere Weise gezeigt, aber angesichts der hier dargebotenen Szenen überrascht es nicht, dass dieser im realen Leben angesiedelte Horrorfilm mit seinen unterschiedlichen Schnittfassungen im Lauf der Jahre wiederholt indiziert und beschlagnahmt wurde. Doch im Oktober 2017 ordnete das Landgericht Fulda auf Antrag des Rechteinhabers Turbine Medien die Aufhebung der Beschlagnahme des Films an. Und das mit Fug und Recht, denn von Gewaltverherrlichung kann bei „The Last House on the Left“ keine Rede sein. Die Taten von Krugs Bande fallen unter schwere Gewaltkriminalität, und so sehen sie auch aus. Sie sind unangenehm anzuschauen und bieten keinen Anlass für freudigen Filmgenuss. Das gilt auch für die Selbstjustiz im Finale, denn in jedem Moment wird deutlich: John und Estelle Collingwood werden durch ihre Mordtaten keine Erlösung finden. Sie haben ihr Liebstes verloren und empfinden Vergeltung als alternativlos, wissen aber, dass ihre Rache keinerlei Ausgleich für ihren Verlust darstellt. Es gibt durchaus Selbstjustizfilme, bei denen ich – obwohl Gegner der Todesstrafe – es genüsslich mit ansehe, wenn üblen Gestalten übel mitgespielt wird. Dieses Gefühl hat sich hier nicht bei mir eingestellt, und das ist ein großer Verdienst von „The Last House on the Left“.

Mord!

Gedreht wurde vom 2. Oktober bis 6. November 1971 in New York City und dem US-Staat Connecticut. Im Film wird nicht ganz deutlich, ob Mari und Phyllis aus Connecticut kommen oder aus Upstate New York, aber das bleibt sich gleich. Ende August 1972 kam „The Last House on the Left“ in die US-Kinos, im Oktober 1973 unter dem Titel „Mondo brutale“ in die bundesdeutschen Lichtspielhäuser (er wurde hierzulande auch als „Das Haus der teuflischen Bestien“ und „Das letzte Haus links“ vermarktet). Mit dem bescheidenen Budget von 90.000 Dollar spielte der Horrorfilm mehr als 2,27 Millionen Dollar an den weltweiten Kinokassen ein und ermöglichte Regisseur Wes Craven und seinem Produzenten Sean S. Cunningham ihre Filmkarrieren. Cunningham ist bis heute als Produzent tätig und führt gelegentlich auch Regie, so etwa bei „Freitag, der 13.“ (1980) und „Deep Star Six“ (1989).

Mord!

Wes Craven schuf mit „Nightmare – Mörderische Träume“ (1986) und „Scream – Schrei!“ (1996) zwei langlebige und überaus beliebte Horrorreihen und setzte im Lauf seiner Karriere weitere bemerkenswerte Horror-Duftmarken, darunter „Hügel der blutigen Augen“ (1977), „Das Ding aus dem Sumpf“ (1982) und „Das Haus der Vergessenen“ (1991). Mein Craven-Favorit: der außergewöhnliche Zombieschocker „Die Schlange im Regenbogen“ (1988). Der 1939 in Cleveland im US-Staat Ohio geborene Wes Craven starb am 30. August 2015 im Alter von 76 Jahren an einem Hirntumor.

Schrei nach Vergeltung

Im September 2019 strich die Bundesprüfstelle für jugendgefährdete Medien „The Last House on the Left“ vom Index, im Juli 2020 erteilte die FSK der ungeschnittenen Fassung eine Altersfreigabe ab 18 Jahren. Turbine veröffentlichte den Film im September 2022 in Kombination mit dem von Sean S. Cunningham und Wes Craven produzierten Remake „Last House on the Left“ von 2009 in einer aufwendigen „Legacy Collection Box“, die drei Mediabooks enthält. Da die Neuverfilmung allerdings indiziert ist, gilt die gesamte Box als indiziert, weshalb es diesbezüglich nichts hilft, dass das Original nicht mehr auf dem Index steht. Immerhin legt Turbine mit einer Neuveröffentlichung des Originals nach, und das als Special Edition mit zwei Blu-rays. Auf der ersten Blu-ray befindet sich die Uncut-Fassung von „Das letzte Haus links“, die zweite enthält die „Krug and Company“ betitelte sogenannte Urfassung. Am Rande: Wer sich für die leidvolle Zensurgeschichte des Films interessiert, findet bei „Schnittberichte“ diverse – genau – Schnittberichte, also Vergleiche unterschiedlicher Schnittfassungen.

Das Lexikon des internationalen Films rät ab

Zusätzlich findet sich auf der zweiten Blu-ray der Special Edition reichlich Bonusmaterial, darunter ein viertelstündiges Interview mit Wes Craven und das 39-minütige Feature „Celluloid Crime of the Century“ (2003) mit Erinnerungen der Beteiligten an die Produktion (vollständige Auflistung der Boni siehe unten). FSK 18 fühlt sich bei diesem berüchtigten Klassiker noch etwas unwirklich an, aber das legt sich. Das Lexikon des internationalen Films urteilte in seinem Eintrag über „The Last House on the Left“: Eine widerliche Brutalitätenshow. Wir raten ab. Nun gut, die Widerwärtigkeit lässt sich nicht abstreiten, aber deswegen gleich abraten? Wes Craven wollte eigenen Angaben zufolge Gewalt und Mord nicht so verharmlosend darstellen, wie es viele populäre Filme seiner Zeit taten. In der erwähnten Doku „Celluloid Crime of the Century“ äußert er, viele dieser Filme, etwa Western, würden Gewalt und den Selbstjustiz ausübenden Helden glorifizieren und dem Publikum eine irreführende Repräsentation des Todes vermitteln. Das halte er gerade angesichts des Vietnamkriegs nicht für angemessen. Und er hat völlig recht! Gut, dass sich die Rechtsprechung diese Haltung zu „Das letzte Haus links“ mittlerweile offenbar zu eigen gemacht hat, weshalb dieses räudige Werk Erwachsenen nunmehr ungeschnitten problemlos zugänglich ist. Ein einflussreicher Klassiker.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Wes Craven haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet. Zu Simon Kyprianous 2015er-Rezension von „The Last House on the Left“ geht’s auch hier.

Veröffentlichung (Auszug): 18. April 2024 als 2-Disc Special Edition (2 Blu-rays), 27. September 2022 in der „Legacy Collection Box“ (inkl. Remake von 2009, auf 2.000 Exemplare limitiert), 3. Mai 2004 als DVD

Länge: 84:12 Min. (Blu-ray, Kinofassung), 83:50 Min. (Blu-ray, Urfassung), 64:12 Min. (gekürzte DVD „neue Fassung“)
Altersfreigabe: FSK 18 (DVD „neue Fassung“: FSK 16)
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörgeschädigte, Englisch
Originaltitel: The Last House on the Left
Alter deutscher Verleihtitel: Das letzte Haus links
Alternativtitel: Krug and Company / Mondo brutale
USA 1972
Regie: Wes Craven
Drehbuch: Wes Craven
Besetzung: Sandra Peabody (als Sandra Cassell), Lucy Grantham, David Hess, Fred J. Lincoln, Jeramie Rain, Marc Sheffler, Richard Towers (als Gaylord St. James), Cynthia Carr, Marshall Anker, Martin Kove, Ada Washington
Zusatzmaterial 2024: Audiokommentar mit Regisseur Wes Craven & Produzent Sean S. Cunningham, Audiokommentar mit den Darstellern David Hess, Marc Sheffler & Fred Lincoln, Making-of: „Krug & Company – It’s Only a Movie“ (29:01 Min.), „Celluloid Crime of the Century“ – Team-Erinnerungen (39:29 Min.), „Krug Conquers England“ – UK-Kinopremiere 2000 (24:12 Min.), „Forbidden Footage – Die Gewalt der Mordszene“ (8 Min.), „Still Standing – The Legacy of the Last House“ – Interview mit Wes Craven (15 Min.), „Scoring Last House“ – Interview mit John Hess (10 Min.), 2 alternative Mordszenen (davon eine ohne Ton, 3:36 Min.), Outtakes & Dailies (17:34 Min.), unvollendeter Kurzfilm „Tales That’ll Tear Your Heart Out“ von Wes Craven (11:10 Min.), US-Teaser, US-Trailer, deutscher Trailer, internationaler Trailer, US-TV-Spot, US-Radio-Spots, Wendecover mit Alternativmotiv, „Legacy Collection Box“ mit weiterem Zusatzmaterial, auch zum Remake
Label/Vertrieb 2024 & 2022: Turbine Medien
Label/Vertrieb 2004: KSM GmbH

Copyright 2024 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & unterer Packshot: © 2024 Turbine Medien

 

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