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Unternehmen Rosebud – Ein jeder trägt eine Maske. Auch Otto Preminger?

18 Jun

Rosebud

Von Tonio Klein

Agenten-Abenteuer // Bedauerlich: In den Feuilletons der USA wie Deutschlands wurde „Unternehmen Rosebud“ (1975) seinerzeit vornehmlich verrissen. Zu Euphorie besteht zwar kein Anlass, aber als missratenes Alterswerk Otto Premingers („Exodus“) mag ich den Film auch nicht abtun; er verdient eine genauere Betrachtung. Gut ist er schon in der Anfangsphase: Terroristen der Gruppe „Schwarzer September“ werden als Alltagsmenschen eingeführt, worauf der Bericht eines tragischen Familienschicksals hinweist, für den Plot scheinbar völlig überflüssig. Der endgültige Hinweis, womit sich zwei Freunde beschäftigen, die einander nach langer Zeit wiedersehen, kommt eher beiläufig und bohrt sich daher umso mehr in die Magengrube, genauso wie die tödlich-kindliche Unschuld, mit der ein Killer seine Spezialwaffe preist wie ein neues Spielzeug. Wenn es dann zu der Entführung von fünf Millionärstöchtern und -enkelinnen von einer Yacht (keinem Schlitten) namens „Rosebud“ kommt (unter ihnen Isabelle Huppert sowie Kim Cattrall in ihrem Filmdebüt), hat man endgültig das Gefühl, Preminger kann es noch, das atmosphärische Spannungskino. Leuchtturmlicht lässt die Szenerie unheimlich monochrom erscheinen. Beim verabredeten Signal – dem Anzünden einer Zigarette – baut Preminger einen kurzen Moment der Spannung durch Verzögerung ein (der klassische nicht anspringende Motor aus Billy Wilders „Frau ohne Gewissen“); das wirkt.

Bergvagabunden

Später jedoch wirkt „Unternehmen Rosebud“ tatsächlich ausgefranst und langatmig; vielleicht wäre ein Schauplatz weniger mehr gewesen, unter anderem geht es nach Berlin, Hamburg, Korsika, Paris und in den Libanon. Peter O’Toole als Geheimagent Larry Martin ist die personifizierte Schnöseligkeit, eine Selbstparodie seines Womanizer-Images. Eine Pseudo-Erotikszene mit Isabelle Huppert und O’Toole wirkt völlig aus dem Rahmen gefallen, geschmacklos, deplatziert. Und worin er am Anfang stark war, die klassisch-spannende Dramaturgie, das läuft Preminger völlig aus dem Ruder, die Schnitzeljagd verzettelt sich und verläuft oft genug im Nichts. Ein besonders krasses Beispiel ist die lange, sehr lange Szene, in der Martin und sein deutscher Kollege Schloss (Klaus Löwitsch) die komplizierte Übergabe antisemitischer Comics von A zu B zu C bespitzeln. Isoliert gesehen gar nicht schlecht, und in einer Szene, in der eine Ladenbesitzerin unter Druck gesetzt wird, mischen sich Komik und Erschrecken über die Omnipotenz einer perfekten Überwachungsmaschinerie (übrigens, der Dialogsatz „Es kommt nicht auf die Technik, sondern nur auf die Menge der gespeicherten Daten an“ ist erschreckend modern). Aber dann? Ein Mädel latscht mit den Dokumenten einfach über den Checkpoint Charlie, wohin Schloss und Martin ihr nicht folgen dürfen. Vorher hyperperfekt und hyperperfekt organisiert und dann verschwindet das Zielobjekt auf so lächerlich einfache Weise? Preminger macht hier viel Lärm um nichts, vertrödelt Zeit.

Im Flugzeug, das gar nicht abfliegt

Am Ende hat man, was beinahe schon wieder anerkennenswert ist, den Eindruck, das Ganze habe Methode. Das Agenten-Abenteuer führt vor, dass die Geheimdienst- wie Terrorismuswelt von multiplen Täuschungen lebt, anhand deren leicht die Grenzen zwischen Gut und Böse, aber auch die Vergewisserung der Individualität und „Verortung“ aufgehoben zu werden drohen. So werden (eigentlich völlig idiotisch, weil man die Geschwindigkeit beim Abflug bemerkt) die Entführungsopfer maskiert in ein stehendes Flugzeugteil gesetzt und ihnen wird Ortsveränderung vorgegaukelt, wo es sie nicht gibt. Isabelle Huppert als schließlich freigelassenes Entführungsopfer muss sich maskieren, ändert Frisur und Styling und wird sogleich tatsächlich zum Vamp (seltsam aus dem Rahmen fallend wirkt ihre oben erwähnte Erotikszene dennoch). Polizisten, die doch eigentlich die Guten sein sollten, prügeln einen linken Aktivisten halbtot. Der Film-Großvater von Huppert ist gegenüber diesem Mann erstaunlich aufgeschlossen, muss dann aber seine Beteiligung an tödlichen Waffenlieferungen zugeben (offen bleibt, ob dies eine von den Terroristen erzwungene Lüge oder erzwungene Wahrheit ist).

In der Höhle des Löwen

Peter O’Toole soll als von der CIA eingesetzter britischer Undercoveragent Larry Martin der harte Knochen sein, hat aber die Maske des Dandy-Reporters angelegt. Er muss später einmal eine „echte Verkleidung“ als der geprügelte linke Aktivist anlegen. Die Araber werden vom abtrünnigen Briten Edward Sloat (Richard Attenborough) angeführt. Martin und Schloss (also CIA und BND) hatten früher einmal eine Befreiung einer gekaperten Passagiermaschine im Austausch gegen palästinensische Gefangene organisiert; dabei hatte der britische Agent die Entführung erst ermöglicht, damit die Deutschen die Gefangenen loswerden konnten, ohne bei den Israelis ihr Gesicht zu verlieren. Perverse Welt, Welt der Tricksereien, der verschwundenen und gewechselten Identitäten; der Heimlichkeiten (alle Aktionen laufen übrigens auch eher durch Täuschung und Tricks denn durch offenen Kampf ab, der Film ist nahezu actionfrei). Und am Ende die Klarheit, dass nur ein Mosaikstein in einer weit komplizierteren Geschichte verhandelt wurde, und diese Geschichte lässt Premingers Titeldesigner Saul Bass mit einer (blut?-)roten Leinwand erschreckend enden.

Vielleicht wäre Hitchcock die bessere Wahl gewesen

Man kann also sagen: Vielleicht ist Preminger, der immer schon einmal durch minutenlange kontemplative Nichts-passiert-Szenen (selbst in unbestrittenen Klassikern wie „Laura“) sein Publikum herausforderte, einfach noch radikaler geworden. „Ich vertraue eben auf die Intelligenz des Publikums“, hatte er einmal gesagt (zu einem anderen Film). Das geht so weit, dass er meint, dem Publikum bei einem nicht unterhaltenden Thema einen nicht unterhaltenden Film zuzumuten. Vielleicht stimmt das alles aber auch nicht und der Mann war einfach nur auf Autopilot. Wie dem auch sei: Obwohl ich gern vor der übertriebenen Vergötterung Alfred Hitchcocks warne, wäre der Mann meines Erachtens der bessere und genau der richtige Mann gewesen: Er interessierte sich für die Weltpolitik zeitlebens einen Dreck (an Filmen wie seiner 1966er-Regiearbeit „Der zerrissene Vorhang“ kann man dies besonders gut sehen), aber für menschlich-allzumenschliche Verstrickungen ungemein, für Identitätskrisen und -wechsel, er hatte dies meisterhaft in „Vertigo“ – aus dem Reich der Toten“ (1958) vorgeführt und er hatte mit „Der unsichtbare Dritte“ (1959) das Ganze mit einer nur Hülle bleibenden Spionagegeschichte wunderbar verknüpft.

Doch mal Action

Bei Otto Preminger ist man hingegen nie so ganz sicher, ob er nur einen psychologischen oder auch einen politischen Film schaffen wollte. Gleichwohl ist er radikal konsequent und gradlinig, und (wie Norbert Grob bemerkt hat) ausgerechnet diese Gradlinigkeit führt zum Ausfransen. Preminger kümmert sich kaum ums filmische Erzählen und schildert eine Geschichte so, wie sie ist oder wie er sie eben empfindet. Das ist radikale Ehrlichkeit, sich nicht um erzählerische Strukturen zu kümmern, wenn das Erzählte unstrukturiert ist. Gleichwohl: Ein nichtdokumentarischer Film leidet darunter. Wenngleich nicht jeder Film unterhalten soll, soll er doch irgendwie berühren, sein Publikum mitnehmen. Preminger hingegen stößt es vor den Kopf. Dass und wie er das macht, ist faszinierend, viele Einzelszenen sind wunderbar, aber das Gesamtwerk hat dadurch Schwächen.

Erstmals auf Blu-ray

Da die 2011er-DVD von EuroVideo im Handel vergriffen ist, ergibt es Sinn, dass sich explosive media des Agenten-Abenteuers angenommen und es im Vertrieb von Plaion Pictures hierzulande erstmals auf Blu-ray und erneut auf DVD veröffentlicht hat. Das neue Bild entstammt einem 2K-Master und weiß zu gefallen (mir lag die Blu-ray vor), an den beiden Tonspuren gibt es ebenfalls nichts auszusetzen. Welche Terrorismus-Thriller und -Abenteuer der 1970er-Jahre könnt ihr empfehlen?

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Kim Cattrall und Isabelle Huppert haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Richard Attenborough und Peter O’Toole unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 23. Mai 2024 als Blu-ray und DVD, 11. August 2011 als DVD

Länge: 126 Min. (Blu-ray), 121 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Rosebud
USA 1975
Regie: Otto Preminger
Drehbuch: Erik Lee Preminger, nach einem Roman von Joan Hemingway und Paul Bonnecarrère
Besetzung: Peter O’Toole, Richard Attenborough, Cliff Gorman, Claude Dauphin, John V. Lindsay, Peter Lawford, Raf Vallone, Adrienne Corri, Amidou, Yosef Shiloach, Brigitte Ariel, Isabelle Huppert, Lalla Ward, Kim Cattrall, Debra Berger, Hans Verner, Françoise Brion, Klaus Löwitsch, Maria Machado, Ori Levy, Paul Bonifas, David Cassidy
Zusatzmaterial: deutscher und englischer Trailer, Bildergalerie, Wendecover
Label 2024: explosive media
Vertrieb 2024: Plaion Pictures
Label/Vertrieb 2011: EuroVideo Medien GmbH

Copyright 2024 by Tonio Klein

Gruppierter Packshot: © 2024 explosive media,
Szenenfotos & DVD-Packshot: © 2011 EuroVideo Medien GmbH

 

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