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Geschichte der O – Sind devote Frauen erotisch?

17 Jun

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Histoire d’O

Von Volker Schönenberger

Erotikdrama // Dank „Fifty Shades of Grey – Geheimes Verlangen“ sind Unterwerfungs-Sexualität, BDSM und SM-Sex in vieler Munde. Da mich das Querlesen einiger Seiten des Buchs von E. L. James schon gelangweilt hat, habe ich die Rezension des Films Matthias überlassen. Aber da wir gerade beim Thema sind, habe ich mir stattdessen den Klassiker vorgenommen: „Geschichte der O“ nach Anne Desclos’ unter dem Pseudonym Pauline Réage veröffentlichten Roman.

Gehorsam bis hin zum Sex und der Peitsche

„Geschichte der O“ handelt von – Überraschung! – der Geschichte der O (Corinne Cléry), deren Freund René (Udo Kier) sie auf ein Schloss bringt. Dort soll sie sich in der Kunst der vollkommenen Unterwerfung ausbilden lassen. Zu Beginn wird die devote junge Modefotografin sogleich von mehreren Männern genommen, alsbald auch ausgepeitscht. Aus Liebe zu René lässt sie alles über sich ergehen, ist stets einverstanden. Nach Ende ihrer Zeit auf dem Schloss übergibt René O seinem älteren Freund Sir Stephen (Anthony Steel). Auch ihm hat sie vollständig zu Willen zu sein.

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René testet Os Unterwürfigkeit

Was damals so alles Skandalfilm war … Nun gut, ein wenig kann man es verstehen. Bei „La Bête – Die Bestie“ war der Sex zwischen einer jungen Frau und einem Biest offenherzig genug inszeniert, um Mitte der 70er-Jahre Aufruhr zu verursachen. Und dass Menschen beiderlei Geschlechts Spaß daran haben können, sich vollständig zu unterwerfen, wie es bei der Titelheldin in „Geschichte der O“ der Fall zu sein scheint, wird für viele Blümchensex-Liebhaber jener Zeit absolutes Neuland gewesen sein.

Die Geschichte des O – das hätte auch mal was

Was freiwillige Versklavung einer Frau bis hin zum wie selbstverständlichen Sich-Weiterreichenlassen über ihre Psyche aussagt, darüber mögen sich andere Gedanken machen. Auch etwas bezeichnend ist es natürlich, dass es sich nicht um die „Geschichte des O“ handelt. Obwohl die Vorlage von einer Frau stammt, bedient der Film doch klar die Männerfantasie der exzessiv devoten Frau, die alles mit sich machen lässt.

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Erotisches Bankett

Filmisch ist das einigermaßen betörend inszeniert. Mit weich gezeichneten Bildern, ruhiger musikalischer Untermalung und einer sanften weiblichen Stimme als Erzählerin aus dem Off setzt „Geschichte der O“ Gegenpole zu punktuell gewalttätigen Szenen, auch wenn die Auspeitschungen nach heutigen Maßstäben harmlos wirken. Gerade das provoziert Kritik, verharmlost es doch die Züchtigungen, wenn ich mir dieses ebenso verharmlosende Wort erlauben darf. Auch das nonchalante Weiterreichen der Liebsten an andere Kerle ist nicht unbedingt Zeichen einer Interpretation der Geschlechterrollen auf Augenhöhe.

Hat O die Macht?

Oder hält tatsächlich O die Zügel in der Hand? Sie gibt stets ihr Einverständnis zu allen Maßnahmen, die ihr widerfahren. Am Ende dreht sie gar den Spieß um. Es bleibt aber ein Feigenblatt. Einverständnis hin oder her, letztlich sagen die Männer, wo es lang geht, Frauen sind Lustobjekte, was sich auch dadurch ausdrückt, dass Nackheit ausschließlich in weiblicher Form gezeigt wird. Das müssen wir heute nicht mehr anprangern, wer sein Frauenbild durch „Geschichte der O“ prägen lässt, bei dem müssen wir anderswo ansetzen als beim Filmkonsum.

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Die junge Frau lässt sich demütigen …

Von mir aus darf der Film gern als Erotikklassiker gelten – ist er in den Grenzen des Genres sicher auch. Ist man verklemmt, wenn man sich über „Geschichte der O“ echauffiert? Vielleicht ebenso verklemmt wie jemand, der den Film als bahnbrechendes Erotik-Meisterwerk anpreist. Dann will ich mich mal als souveräner Feingeist gebärden, indem ich resümiere, dass „Geschichte der O“ über weite Strecken gepflegte Langeweile verbreitet.

Von „Emmanuelle“ zu „Gwendoline“

Regisseur Just Jaeckin hat 1974 mit seinem Regiedebüt „Emmanuelle“ Sylvia Kristel zum Star gemacht und in seiner kurzen Filmografie ausschließlich Erotik gelistet, darunter „Lady Chatterleys Liebhaber“ (1981) und „Gwendoline“ (1984). „Geschichte der O“ ist womöglich das drastischste Werk in Jaeckins Oeuvre, ist aber heute nicht mehr angetan, große Debatten auszulösen. Andererseits: Auch das harmlose „Fifty Shades of Grey“ hat manche Leser oder Filmgucker in Wallung gebracht – so oder so. Allerdings ist Jaeckin so weit entfernt nicht vom harmlosen David Hamilton, der seinerzeit mit „Bilitis“ (1977) und „Zärtliche Cousinen“ (1980) den Weichzeichner-Exzess zur Perfektion gebracht hat.

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… und gibt sich anderen Männern hin …

Ein Jahr nach „Geschichte der O“ hatte Hauptdarstellerin Corinne Cléry in „Bluff“ eine Hauptrolle an der Seite von Adriano Celentano und Anthony Quinn. 1977 spielte sie mit Franco Nero in „Wenn du krepierst – lebe ich“. Als Helikopterpilotin des Schurken war Cléry 1979 in „James Bond 007 – Moonraker – Streng geheim“ zu sehen, wo sie – selbstverständlich – den Verführungskünsten des von Roger Moore verkörperten Superagenten nicht widerstehen kann. Später drehte die 1950 geborene Französin hauptsächlich fürs italienische Fernsehen, seit 2010 allerdings nicht mehr.

Udo Kier – der Tausendsassa

An sich wollte ich meinen Text mit einem Verweis auf „Iron Sky“ beginnen, um zu belegen, wie weit sich Udo Kier von seinem 70er-Jahre-Status als Sexsymbol entfernt hat. Aber das trifft’s nicht – der Mann hat einfach alles gemacht, von „Hexen bis aufs Blut gequält“ (1970) über Dario Argentos „Suspiria“ (1977), Rainer Werner Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“ (1980) und „Lilli Marleen“ (1981) bis hin zu Christoph Schlingensiefs „Das deutsche Kettensägen Massaker“ (1990). Kier hat sich nicht von irgendwas entfernt, sondern einfach viel probiert.

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… auch in Renés Gegenwart

Auch Hollywood mag den Mann mit dem ausdrucksstarken Blick, wie unter anderem seine Auftritte in Gus Van Sants „My Private Idaho – Das Ende der Unschuld“ (1991), „Ace Ventura – Ein tierischer Detektiv“ (1994) mit Jim Carrey, Michael Bays „Armageddon – Das jüngste Gericht“ (1998) mit Bruce Willis, „Blade“ (1998) mit Wesley Snipes und Peter Hyams’ „End of Days – Nacht ohne Morgen“ mit Arnold Schwarzenegger belegen. Seine laut IMDb-Filmografie 222 Rollen in knapp 50 Jahren weisen ihn als Vielfilmer aus. Freuen wir uns für 2016 auf „Iron Sky – The Coming Race“, wo Kier erneut als Nazi-Offizier Wolfgang Kortzfleisch zu sehen sein wird. Hoppla, jetzt bin ich ganz von der Erotik weggekommen. Wie komme ich da nur wieder hin? Das lasse ich einfach mein Geheimnis bleiben …

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Udo Kier sind in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Veröffentlichung: 20. Februar 2015 als limitierte 40th Anniversary Edition (inkl. Soundtrack-CD, Booklet, Federmaske, Seidentuch & Sammlerbox), 18. Dezember 2012 als Blu-ray und DVD, 4. Dezember 2006 als 2-Disc Special Edition DVD (inkl. Soundtrack-CD und Booklet), 24. Mai 2006 als DVD

Länge: 105 Min. (Blu-ray), 101 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Französisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Histoire d’O
F/BRD/KAN 1975
Regie: Just Jaeckin
Drehbuch: Sébastien Japrisot, nach dem Roman von Anne Desclos alias Dominique Aury alias Pauline Réage
Besetzung: Corinne Cléry, Udo Kier, Anthony Steel, Jean Gaven, Christiane Minazzoli, Martine Kelly, Jean-Pierre Andréani, Gabriel Cattand, Li Sellgren
Zusatzmaterial:
Vertrieb: FilmConfect Home Entertainment

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Copyright 2015 by Volker Schönenberger
Fotos & Packshots: © 2015 FilmConfect Home Entertainment

 

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