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Brian De Palma (V): Die Verdammten des Krieges – Wenn Moral keine Rolle mehr spielt

31 Jan

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Casualties of War

Von Andreas Eckenfels

Kriegsdrama // Bereits als er im Oktober 1969 David Langs Reportage „Casualties of War“ im US-Magazin „The New Yorker“ gelesen hatte, wollte Brian De Palma diese Geschichte verfilmen. Doch wie der Regisseur im Making-of berichtet, war zu dieser Zeit der Vietnamkrieg in vollem Gange; selbst viele Jahre danach sei es noch ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, Kriegsverbrechen amerikanischer Soldaten zu zeigen.

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Soldat Eriksson ist seit drei Wochen in Vietnam

Welches Skandalpotenzial dem Stoff innewohnt, musste Regisseur Michael Verhoeven erfahren. Er stellte 1970 die Ereignisse von Langs Artikel unter anderem mit Eva Mattes und Rolf Zacher im bayerischen Wald nach. Die daraus entstandene Kriegsparabel „o.k.“ sollte auf der Berlinale 1970 uraufgeführt werden. Doch die Jury geriet über Verhoevens Werk so sehr in Streit, dass sie sich schließlich auflöste und das Filmfestival nach zahlreichen Protesten sogar abgebrochen werden musste.

Erst in den 80er-Jahren begann zunehmend die filmische Aufarbeitung des amerikanischen Kriegstraumas in all seinen dunklen Facetten. Nach den Erfolgen von Oliver Stones „Platoon“ (1986) und Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ (1987) durfte De Palma das einstige Tabuthema 1989 endlich verfilmen.

Entführung aus Frust

Eriksson (Michael J. Fox) ist zwar erst seit drei Wochen in Vietnam im Einsatz, der junge Soldat hat in der kleinen Aufklärungspatrouille unter Führung von Sergeant Meserve (Sean Penn) aber schon einiges erlebt. In einer Grube gefangen, rettet ihm sein Vorgesetzter in letzter Sekunde das Leben, bevor ihn ein Vietcong erwischen kann. Bei einem Überraschungsangriff wird Erikssons Kamerad Brown (Erik King) schwer verwundet. Als Meserve seinen Männern berichten muss, dass Brown gestorben ist, beschließen sie, in der nächsten Bar Ablenkung zu finden. Doch daraus wird nichts: Das Dorf darf nicht betreten werden.

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Schöner Schein des Krieges

Frustriert hat Meserve eine andere Idee, die bei Clark (Don Harvey) und Hatcher (John C. Reilly) sofort auf Zustimmung trifft. Eriksson und Diaz (John Leguizamo) hingegen glauben nicht daran, dass der Sergeant wirklich eine Frau aus einer Hütte entführen will. Doch trotz heftiger Proteste von Eriksson nehmen seine Kameraden tatsächlich eine junge Vietnamesin (Thuy Thu Le) als Geisel. Der Trupp nimmt sie mit in den Dschungel; misshandelt und vergewaltigt sie. Nur Eriksson weigert sich standhaft mitzumachen und versucht der Frau zur Flucht zu verhelfen.

Aus Freunden werden Feinde

Anders als etwa Oliver Stone hat De Palma die Hölle von Vietnam nicht hautnah miterlebt. Aber auch ohne diese Erfahrungswerte hat der Regisseur ein aufwühlendes Kriegsdrama geschaffen, welches schonungslos zeigt, wie junge Männer unter extremen Umständen alle moralischen Werte über Bord werfen und zu Monstern mutieren. Clark und Hatcher sehen die Schändung einer Frau in Kriegszeiten als durchaus legitim an. Das gehöre zum Soldatenleben dazu. Auch Meserve sieht es so, dass die Vietnamesin die Moral seiner Männer hebt. Er will nur das Beste für seine Truppe.

Wenn man jede Sekunde sterben kann, spielt Ethik keine Rolle mehr. Von dem Gruppenzwang lässt sich der „Spielverderber“ Eriksson allerdings nicht beeinflussen. Er will sein reines Gewissen bewahren und kann bei dieser Ungerechtigkeit einfach nicht wegschauen. So werden die Freunde schnell zu Feinden.

Naturgewalt Sean Penn

Das Dilemma, in dem Eriksson steckt, kann Michael J. Fox nicht immer glaubhaft rüberbringen. Für den „Zurück in die Zukunft“-Star war „Die Verdammten des Krieges“ die erste Rolle in einem ernsthaften Film. Sein Milchbubi-Gesicht passt natürlich gut zu dem jungen Soldaten, aber gegenüber der beängstigenden schauspielerischen Naturgewalt von Sean Penn kann er nur verlieren. Warum die in Saigon geborene Thuy Thu Le keine weiteren Filme gedreht hat, ist nicht bekannt. Ihre Darstellung der traumatisierten Frau ist außergewöhnlich authentisch und macht ihr Leid für alle Zuschauer spürbar. John C. Reilly feierte in dem Kriegsdrama sein Schauspieldebüt.

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Sergeant Meserve (l.) flößt Eriksson Angst ein

De Palma setzt auch in „Die Verdammten des Krieges“ einige klassische Suspense-Momente ein, wie sie aus seinen Thrillern bekannt sind. Wenn Eriksson in der Grube festsitzt, schwenkt die Kamera nach unten. Nur der Zuschauer weiß, dass sich unter der Erde ein Gang der Vietcong befindet. Ein Feind robbt langsam mit einem Messer bewaffnet an Erikssons in der Luft hängende Beine heran, während der Soldat oben um Hilfe ruft. Auch wird ein Angriff auf Eriksson aus der Egoperspektive gezeigt. Wie im Giallo-Genre ist dabei nur die Hand des Täters zu sehen, die langsam eine Granate in die Baracke legt, in der sich das Opfer gerade befindet.

Das Thema bleibt aktuell

Zwar ist die Verfilmung der wahren Ereignisse mitunter etwas reißerisch geraten und der Golden-Globe-nominierte Panflöten-Score von Ennio Morricone steht häufig etwas zu stark im Vordergrund. Dennoch entwirft De Palma mit seinem Kriegsdrama ein erschreckendes Bild der stolzen US-Armee, das damals wie heute schockiert. Wie viele andere ähnliche Kriegsgräuel sind geschehen und wurden von den Vorgesetzten unter den Teppich gekehrt?

Bei dem abschließenden Gerichtsprozess, hat es De Palma mit den wahren Urteilen nicht so genau genommen. Über die Schicksale klärt der Abspann auf. Einige Jahre später hat sich der Filmemacher mit dem Drama „Redacted“ erneut mit Vergewaltigung in Kriegszeiten auseinandergesetzt. Das Thema bleibt also leider immer aktuell.

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Der Wahnsinn ist dem Sergeant ins Gesicht geschrieben

Auf der Collector’s Edition ist auf zwei Blu-rays sowohl die Kino- als auch die Extended Version enthalten. Letztgenannte läuft etwa fünf Minuten länger und beinhaltet zwei erweiterte Szenen während des Prozesses. Wie bei der DVD liegen diese auf der Blu-ray nicht synchronisiert vor, sondern sind im Original belassen und deutsch untertitelt worden.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Brian De Palma haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Dale Dye, Michael J. Fox, Sean Penn, John C. Reilly und Ving Rhames unter Schauspieler.

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Eriksson wird im Gerichtsprozess auseinandergenommen

Veröffentlichung: 1. Dezember 2016 als Collector’s Edition (2 Blu-rays), 5. Februar 2002 als DVD (Kinocut), 7. März 2006 als DVD (Extended Cut)

Länge: 114 Min. (Blu-ray, Kinocut), 119 Min. (Blu-ray, Extended Cut), 109 Min. (DVD, Kinocut), 115 Min. (DVD, Extended Cut)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Casualties of War
USA 1989
Regie: Brian De Palma
Drehbuch: David Rabe basierend auf dem Buch „Casualties of War“ von Daniel Lang
Besetzung: Michael J. Fox, Sean Penn, Don Harvey, John C. Reilly, John Leguizamo, Thuy Thu Le, Erik King, Ving Rhames, Wendell Pierce, Dale Dye
Zusatzmaterial: Eriksson’s War: Interview mit Michael J. Fox, Trailer, Bildergalerie, Deleted Scenes, Making-of
Vertrieb: Koch Films

Copyright 2017 by Andreas Eckenfels
Fotos & Packshot: © 2016 explosive media

 
 

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