Born on the Fourth of July
Kriegsdrama // Im Vietnamkrieg kämpft Ron Kovic ab Dezember 1965 für zwei Touren als Angehöriger des US Marine Corps. Im Januar 1968 gerät seine Einheit während einer Aufklärungsmission unter Vietcong-Beschuss. Kovic wird mehrfach getroffen. Ein Kamerad, der ihn retten willt, stirbt dabei durch einen Schuss ins Herz, einem zweiten gelingt es, den Verwundeten in Sicherheit zu bringen.
Im Anschluss an seine Rehabilitation entwickelt sich Kovic zum Aktivisten der US-Friedensbewegung, ein Einsatz, den er bis heute fortführt. Seine 1976 veröffentlichte Autobiografie „Born on the Fourth of July“ soll bereits in den 1970er-Jahren verfilmt werden, nachdem Al Pacino darauf aufmerksam wird. Doch dazu kommt es nicht, und die Verfilmungsrechte wechseln mehrfach den Besitzer. Obwohl Oliver Stone und Ron Kovic einander bereits 1977 kennenlernen und die beiden etwas später gemeinsam am Drehbuch zu arbeiten beginnen, scheint das Projekt in der Entwicklungshölle („development hell“) gestrandet und zum Scheitern verurteilt zu sein. Es nimmt nach Oliver Stones Erfolg mit „Platoon“ (1986) jedoch wieder Fahrt auf, Stone fungiert nun auch als Produzent. Gedreht wird von Mitte Oktober bis Mitte Dezember 1988, wobei die Vietnamszenen auf den Philippinen entstehen. Oliver Stone überschreitet das mit 14 Millionen Dollar veranschlagte Produktionsbudget, sodass die Produktionskosten schlussendlich mit 17,8 Millionen Dollar zu Buche schlagen. Stone und Hauptdarsteller Tom Cruise verzichten deshalb auf ihre Gage und erhalten im Gegenzug einen Anteil an den Kinoeinnahmen. Das hat sich für beide womöglich ausgezahlt, da „Geboren am 4. Juli“ an den weltweiten Kinokassen ab Dezember 1989 satte 162 Millionen Dollar einspielt.
Ronnie zieht in den Krieg
Die Filmhandlung beginnt 1956 mit der unbeschwerten Kindheit des zehnjährigen Ronnie (Bryan Larkin), der mit seinen Freunden im Wald Krieg spielt. An seinem Geburtstag verfolgt er mit seinen Eltern am Straßenrand eine Parade zum Unabhängigkeitstag. Die kriegsversehrten Veteranen des Zweiten Weltkriegs nimmt er wahr, aber sie sind vergessen, als ihm seine Freundin Donna (Jessica Prunell) eine Baseballkappe schenkt. Jahre später beeindrucken den Teenager Ron (nun Tom Cruise) die beiden Marines Gunnery Sergeant Hayes (Tom Berenger) und Sergeant Bowers (Richard Haus), die in der Aula seiner Highschool dafür werben, sich dem US Marine Corps anzuschließen. Da die Angst vor den Kommunisten auch ihn erfasst hat, schreibt er sich ein. Kaum, dass er Donna (nun Kyra Sedgwick) beim Abschlussball noch einen Kuss geben kann.
Nach der (im Film ausgesparten) 13-wöchigen Grundausbildung („Boot Camp“) geht es für Ron nach Vietnam. Auf seiner zweiten Tour erlebt er Schlimmes, tut er Schlimmes, erleidet er Schlimmes. Kehrt als Querschnittsgelähmter heim.
Ron Kovics Vietnameinsatz ist nach einer knappen Dreiviertelstunde der knapp zweieinhalbstündigen Laufzeit von „Geboren am 4. Juli“ vorbei. Anschließend folgt ein Abschnitt über Rons mehrmonatigen Aufenthalt im chronisch unterbesetzten und unterfinanzierten Bronx Veterans Hospital, in welchem er und die anderen Vietnamversehrten in ihrem eigenen Unrat liegen. Er kehrt heim zu seinen Eltern (Raymond J. Barry, Caroline Kava) und Geschwistern. Noch hält er an seiner Lebenslüge fest, noch ist es ein weiter Weg, bis er sich 1972 den „Vietnam Veterans Against the War“ anschließt.
Tom Cruises Reifezeugnis
Es mag klischeehaft klingen, aber mir fällt nichts Besseres ein: Tom Cruise spielt sich die Seele aus dem Leib. Ron Kovic macht eine Entwicklung durch und verändert sich grundlegend, und das sowohl aufgrund seiner Taten und Erlebnisse in Vietnam als auch durch das, was er zurück in der Heimat beobachtet. Das, was er in der Gesellschaft wahrnimmt. Cruise meistert alle Stadien seiner Figur mit Bravour, den sich pflichtbewusst zum Kriegsdienst meldenden Kommunistenhasser nehmen wir ihm ebenso ab wie den zwischen Kampfgeist, Verleugnung und Selbstmitleid wechselnden Versehrten und den ins Grübeln gekommenen Veteranen, der mit seiner Schuld hadert und erkennt, dass er für nichts und wieder nichts 13.000 Meilen weit entsandt wurde, um andere Menschen zu töten. Einziges Manko: Kovics Wandel zum Pazifisten kommt recht unvermittelt, ohne dass deutlich wird, welche Beobachtungen und Gedankengänge genau ihn ausgelöst haben. Immerhin sind bei aufmerksamer Beobachtung zwei wichtige Antikriegsromane zu sehen, die der Versehrte offenbar liest: Im Krankenhaus ist es „Johnny Got His Gun“ („Johnny zieht in den Krieg“, 1939) von Dalton Trumbo, später „All Quiet on the Western Front“ („Im Westen nichts Neues“, 1928) von Erich Maria Remarque.
„Geboren am 4. Juli“ vermittelt Oliver Stones Blick auf die Rezeption des Vietnamkriegs an der US-Heimatfront anhand der Biografie Ron Kovics. So fällt das Kriegsdrama eher in die Abteilung Biopic als ins Segment der Historienfilme. Einiges müssen wir uns selbst zusammenreimen oder nachschlagen, etwa wenn das Kent-State-Massaker vom 4. Mai 1970 Thema wird und Anlass für eine Mahnwache wird, bei der Ron anwesend ist. Aber es ist positiv, nicht alles vorgekaut serviert zu bekommen, sondern sich mit dem Inhalt befassen zu müssen. Ebenfalls positiv: Produktionsdesign und Kostümierung machen einen stimmigen Eindruck. Das Zeitkolorit wirkt authentisch eingefangen.
Zwar liegt der Fokus stets auf Kovic, dennoch sei auch ein Blick auf die übrige Besetzung geworfen. Aus „Platoon“ ist der oben erwähnte Tom Berenger dabei, wenn auch mit einem ausgesprochen kurzen Auftritt. Und auch Willem Dafoe ist wieder am Start, sein Part fällt ebenfalls kleiner aus als in „Platoon“, aber deutlich länger als der Berengers. Er spielt einen wie Kovic querschnittsgelähmten Veteranen, den dieser bei einem längeren Aufenthalt in Mexiko kennenlernt – in dieser Sequenz hat auch Tom Sizemore eine Nebenrolle und Vivica A. Fox („Independence Day – Wiederkehr“) spielt eine Prostituierte. Ed Lauter („Cujo“), John Getz („The Social Network“) und Dale Dye („Die Verdammten des Krieges“) sind als Offiziere zu sehen, Letztgenannter diente am Set auch als Militärberater, eine Funktion, die er auch schon bei „Platoon“ ausgeübt hatte. Lili Taylor („Conjuring – Die Heimsuchung“) spielt die Witwe eines gefallenen Kameraden Kovics, Sängerin Edie Brickell hat einen Auftritt als Folksängerin. Der Friedensaktivist Abbie Hoffman ist als – genau – Friedensaktivist zu sehen. Er starb kurz nach den Dreharbeiten. Regisseur Oliver Stone spielt einen Fernsehreporter, und der echte Ron Kovic schließlich tritt als Veteran des Zweiten Weltkriegs bei der oben erwähnten Parade am Unabhängigkeitstag in Erscheinung.
„Geboren am 4. Juli“ bildet den Mittelteil von Oliver Stones Vietnamkriegs-Trilogie, zu der der bereits erwähnte „Platoon“ und „Zwischen Himmel und Hölle“ (1989) mit Hiep Thi Le und Tommy Lee Jones zählen. Die drei Filme bieten drei völlig unterschiedliche Blickwinkel auf den Krieg und seine Folgen und sind somit im Dreierpack ein rundes Gesamtpaket. „Platoon“ mit seinem Fokus auf den militärischen Aspekt bleibt mein Favorit, aber „Geboren am 4. Juli“ wartet mit vielen sehr bewegenden Momenten auf und berichtet glaubhaft und fesselnd sowohl aus dem Leben Ron Kovics als auch von den Ereignissen an der US-Heimatfront des Vietnamkriegs.
Acht Nominierungen, zwei Oscars
In die Kinos gelangte das Antikriegsdrama mit der Weltpremiere am 20. Dezember 1989 – an jenem Tag wurde „Born on the Fourth of July“ in Kinos in Los Angeles, Chicago und Toronto gezeigt, bevor der Film im Januar 1990 flächendeckend in die Lichtspielhäuser kam. Seine Europapremiere feierte er im Februar bei der Berlinale, wo er im Wettbewerb um den Goldenen Bären antrat (der Preis ging aber an zwei andere Filme: „Lerchen am Faden“ von Jirí Menzel und „Music Box – Die ganze Wahrheit“ von Costa-Gavras). Zuvor hatte das Werk bereits die Golden Globes als bestes Filmdrama, für Oliver Stones Regie, Hauptdarsteller Tom Cruise und das Drehbuch von Stone und Ron Kovic gewonnen (nominiert war auch der Soundtrack von John Williams). Bei acht Oscar-Nominierungen sprangen aber lediglich zwei Trophäen heraus: Stone erhielt seinen zweiten Regie-Oscar nach „Platoon“, zudem wurde der Schnitt prämiert. Als bester Film unterlag „Geboren am 4. Juli“ Bruce Beresfords „Miss Daisy und ihr Chauffeur“, Tom Cruise musste sich beim Hauptdarsteller-Oscar Daniel Day-Lewis geschlagen geben, der für „Mein linker Fuß“ ausgezeichnet wurde. Auch in den Kategorien adaptiertes Drehbuch, Kamera, Ton und Soundtrack blieb es bei Nominierungen.
Nach diversen DVD- und Blu-ray-Veröffentlichungen von Universal im Lauf der Jahre hat Turbine Medien „Geboren am 4. Juli“ 2023 lizenziert und im Juli auf Blu-ray im Mediabook veröffentlicht. Die Bildqualität ist vorzüglich, allerdings konnte ich mangels einer der älteren Blu-rays keinen Vergleich ziehen. Immerhin hat Turbine sowohl der deutschen als auch der englischen Tonspur eine aufpolierte Auro-3D-Variante spendiert. Beide Sprachfassungen finden sich zusätzlich auch in DTS-HD 2.0 und 5.1, somit findet sich für die üblichen technischen Ausstattungen die richtige Variante. Auf der Blu-ray mit dem Film findet sich außer Oliver Stones Audiokommentar auch eine 22-minütige Hintergrundgeschichte mit Interviews mit Oliver Stone, Tom Cruise und Ron Kovic. Diese ist hierzulande bereits in einigen der älteren Universal-Veröffentlichungen enthalten. Das Mediabook enthält darüber hinaus eine Bonus-Blu-ray mit weiterem wertigen Zusatzmaterial (Auflistung siehe unten). Kernstück: die 71-minütige Doku „Der vergessene Krieg – Hollywoods Vietnam auf den Philippinen“. Das fein bebilderte 28-seitige Booklet enthält ausführliche Texte von Christian Mester, der unter anderem Oliver Stones Laufbahn Revue passieren lässt, einen Abriss von Ron Kovics Biografie beisteuert und über die Produktion des Films schreibt. Es folgen zwei Seiten über Stones Vietnam-Trilogie, zwei Seiten über „Kriegsfilme und ihre Intentionen“ sowie abschließend drei Seiten über „Meilensteine des Antikriegsfilms“, wobei Mester dort auch Filme erwähnt, die nicht als Antikriegsfilme gelten. Insgesamt schon ein lesenswertes Booklet, wobei sich mir der Eindruck aufdrängte, dass der Autor zu viele Themen aufgreift und diese somit aufgrund der begrenzten Größe zu sehr an der Oberfläche bleiben. Gleichwohl ist das Turbine-Mediabook einmal mehr über Zweifel erhaben und eine empfehlenswerte Veröffentlichung. Es ist sowohl im Turbine-Onlineshop als auch anderswo noch lieferbar, dennoch schiebt das Label im März 2024 eine Special Edition mit beiden Blu-rays in herkömmlicher Verpackung nach, die etwas preisgünstiger zu bekommen ist als das Mediabook. Eine für Turbine mittlerweile verlässliche Veröffentlichungspolitik. Sie lässt vermuten, dass nicht mehr allzu viele Exemplare des Mediabooks verfügbar sind.
Filmkritiker Roger Ebert schrieb in seiner Rezension von „Born on the Fourth of July“ in der Chicago Sun-Times vom 20. Dezember 1989 den bemerkenswerten Satz: We do apologize for our mistakes in this country, but we let our artists do it instead of our politicians. – Wir bitten tatsächlich für unsere Fehler in diesem Land [Vietnam] um Entschuldigung, aber wir lassen das unsere Künstler erledigen statt unsere Politiker. Immerhin die Künstler. Ein wichtiger Film, für Tom Cruise einer seiner wichtigsten, gleichzeitig ein reizvoller Kontrast zu seinem Militär-Action-Hit „Top Gun“ von 1986.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Oliver Stone haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Kyra Sedgwick unter Schauspielerinnen, Filme mit Tom Berenger, Tom Cruise, Willem Dafoe, Ed Lauter, Tom Sizemore und Michael Wincott in der Rubrik Schauspieler.
Veröffentlichung: 14. März 2024 als 2-Disc Special Edition Blu-ray, 14. Juli 2023 als 2-Disc Edition Mediabook (2 Blu-rays, auf 1.500 Exemplare limitiert) und DVD, 5. Februar 2015 und 7. Juli 2011 als Blu-ray, 15. März 2012 als „Jahr100Film“-Blu-ray und -DVD, 1. Februar 2007 als „Oscar Edition“-DVD, 3. März 2005 als Special Edition DVD, 4. Dezember 2003 und 1. Dezember 1999 als DVD
Länge: 145 Min. (Blu-ray), 138 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörgeschädigte, Englisch, Englisch für Hörgeschädigte
Originaltitel: Born on the Fourth of July
USA 1989
Regie: Oliver Stone
Drehbuch: Oliver Stone, Ron Kovic, nach Kovics Buchvorlage
Besetzung: Tom Cruise, Kyra Sedgwick, Bryan Larkin, Jessica Prunell, Raymond J. Barry, Caroline Kava, Willem Dafoe, Tom Sizemore, Tom Berenger, John Getz, Ed Lauter, Dale Dye, Josh Evans, Seth Allen, Jamie Talisman, Sean Stone, Anne Bobby, Jenna von Oÿ, Samantha Larkin, Erika Geminder, Amanda Davis, Kevin Harvey Morse, David Warshofsky, Jason Gedrick, William Baldwin, Stephen Baldwin, Daniel Baldwin, Jerry Levine, Claude Brooks, Frank Whaley, Oliver Stone, Vivica A. Fox, Andy Lauer, Michael Wincott, Lili Taylor, Eagle Eye Cherry, Michael Wincott, Lee Cogburn, Ron Kovic, Richard Haus, Edie Brickell
Zusatzmaterial Turbine: Hintergrund – Interviews mit Tom Cruise, Oliver Stone und Ron Kovic (22 Min.), „Der vergessene Krieg – Hollywoods Vietnam auf den Philippinen“ (71 Min.), Interviews mit dem militärischen Berater Lieutenant Dale Dye (32 Min.), Filmvater Raymond J. Barry (25 Min.), Music Supervisor Budd Carr (28 Min.) und Schauspieler Jerry Levine (ca. 29 Min.), nur Mediabook: 28-seitiges Booklet mit einem Text von Christian Mester
Label/Vertrieb ab 2023: Turbine Medien
Label/Vertrieb zuvor: Universal Pictures Germany GmbH
Copyright 2024 by Volker Schönenberger
Szenenfotos & untere Packshots: © 2023 Turbine Medien