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Horror für Halloween (XLII) / George A. Romero (VI): Land of the Dead – Aufstand der Fetzenfressen

Land of the Dead

Von Lucas Knabe

Horror // Es ist geschehen. Die Menschheit, wie wir sie kennen, wurde besiegt. Die Vereinigten Staaten gleichen seit Jahren einer modrigen Brachlandschaft und die schwelenden Betonwüsten, welche sich an toxische Schutthalden und ausgestorbene Wälder reihen, erinnern nur noch marginal an das rege Treiben der Menschen. Der Titel „Land of the Dead“ verrät schon, dass es sich nicht nur um die Nacht der lebenden Toten handelt, sondern um das Land der lebenden Toten, in welchem nun ein letzter Rest Menschheit auf einer Stadtinsel krampfhaft und mehr schlecht als recht versucht, an alten Zeiten festzuhalten beziehungsweise sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Die USA wurde in „Land of the Dead“ ein weiteres Mal von den ruhelosen Kreaturen heimgesucht, die bereits in vielen Filmen vor und zu jener Zeit schlürfend oder sprintend, manisch oder tollwütig, einarmig oder einbeinig, aber immer blutrünstig, für Angst und Schrecken sorgten. George A. Romero, Horror-Ikone und Schöpfer der wohl populärsten Zombie-Klassiker, hatte 1968 mit „Die Nacht der lebenden Toten“ („Night of the Living Dead“) eine neue Ära der Untoten-Filme eingeleitet und 1978 mit „Zombie“ („Dawn of the Dead“) fast schon zu ihrem logischen Schlusspunkt geführt. Nach „Zombie 2 – Das letzte Kapitel“ („Day of the Dead“, 1985) ließ er die Untoten zwei Jahrzehnte lang ruhen, bevor er sie 2005 mit frischem Wind erneut zum Tanzen zu bringen, indem er den vorliegenden Streifen da weitererzählt, wo viele andere Zombie- und Infiziertenfilme aufhören – am Dies irae.

Der verschrobene Pop-Mythos macht sich auf die Socken

Im Jahr 2005 waren Zombiefilme nicht zuletzt dank der erwähnten Romero-Großtaten längst ein alter Hut. Etliche Regisseure wie Lucio Fulci, Umberto Lenzi und Sam Raimi hatten sich seit 1968 an den Halbwesens- und Voodoo-Stoffen des frühen 20. Jahrhunderts in jeglicher Variation abgearbeitet, die sich aus haitianischen Überlieferungen nährten, den untoten Kreaturen aber die Gier nach Menschenfleisch hinzudichteten. Kurz nach der Jahrtausendwende erschienen weitere Kassenschlager wie „Resident Evil“ (2002) und „28 Days Later“ (2002), wobei letztgenannte Regiearbeit von Danny Boyle ein hervorragender Zugewinn des Genres war. Der sprach allerdings nicht von Zombies, sondern von hochaggressiven und schnellen Infizierten, die augenscheinlich ebenso von jeglicher geistiger Menschlichkeit beraubt waren wie die schlurfenden Gesellen der Romero-Prägung. In „Land of the Dead“ wird der Zuschauer jedoch wieder mit dem waschechten Zombietypus der vergangenen Untoten-Regiearbeiten Romeros konfrontiert, die das Land und womöglich sogar die ganze Welt postapokalyptisch unterjocht haben. Lediglich in einem von Wasser umgebenen und eingezäunten Downtown-Distrikt besteht eine letzte Population von Menschen, die ihre Vorräte auf waghalsigen Ausfahrten ins von den Zombies beherrschte Niemandsland organisieren. Inmitten dieser letzten Bastion, in der die meisten Menschen in ärmlichen Verhältnissen leben, ragt der hellerleuchtete Wolkenkratzer namens „Fiddler’s Green“ in die Höhe, hinter dessen Scheiben wohlhabende und privilegierte Menschen leben – abgeschottet von notleidenden Menschen und Zombies gleichermaßen. Die zerfallene Welt außerhalb können sie in dekadenter Manier bei Champagner und Pelzmantel vergessen. Doch bleibt es nicht beim Klassenkampf Arm gegen Reich wie etwa später bei Bong Joon-ho (siehe beispielsweise „Snowpiercer“ und „Parasite“), denn wider Erwarten haben die fauligen Halbwesen auch ohne Worte ein gehöriges Wörtchen mitzureden. Im Pulk formiert schlurfen sie gen Stadt, um sich am Menschenfleisch zu laben und nach Höherem zu streben.

Revolution

Es liegt etwas Subversives in der Luft. Während in der Menschenstadt die Gemüter unter der autoritären Führung des Moguls Kaufman (Dennis Hopper) langsam hochkochen und die Nachbarschaft von Armen und Reichen zu eskalieren droht, paktieren und humanisieren sich die Zombies im nahen Umland unter der Leitung des Tankwart-Zombies „Big Daddy“ (Eugene Clark) im Kfz-Overall. Vorbei scheint die Zeit seelen- und zielloser „Beißer“, die nach den Jahren des Exodus wieder tief verwurzelte Erinnerungen aus lebenden Zeiten ausprägen und zu alten Orten und Handlungen zurückkehren – der Tankwart zur Tankstelle, der Saxophonspieler samt Posaunist und Tubaspieler zur Kapelle. Wirklich aktiv sind diese dort zwar nicht, aber ein Rest-Bewusstsein für ihre Umwelt und einstigen Tätigkeiten scheint vorhanden. Als dann noch die Funktionsweise eines herrenlosen Maschinengewehrs entdeckt wird, steht der Tross schon revoltierend vor den Toren der Stadt, um sich zombiemäßig Zugang zu verschaffen. Dabei erweist es sich als hilfreich – für die Untoten, versteht sich –, dass sie nicht ertrinken können.

Der Zombie in Romeros Filmen

All das besitzt leicht vorstellbar einen determinierten Zweck, der über den gewöhnlichen Unterhaltungswert hinausgeht. George A. Romeros Regiearbeiten sind nicht zuletzt schon seit seinem Erstlingswerk „Die Nacht der lebenden Toten“ und ebenso in „Zombie“ für ihre gesellschaftskritischen Tendenzen bekannt, welche in inflationärer Zahl bis heute von vielen Autoren modelliert wurden. Dabei bedient sich Romero den klassischen Systematisierungen des archetypischen Zombies, der für gewöhnlich durch ein Pulver oder mithilfe Schwarzer Magie getötet oder in einen Zustand des Scheintods versetzt wird, um kurz darauf als willenloser Sklave zu erwachen, der als Arbeiter oder gar Auftragsmörder seinem Herrn dienen kann. Allein aus diesem letzten Satz fällt es leicht, eine sozialkritische Konstruktion abzuleiten, wenn man den Wörtern „Sklave“, „Arbeiter“ und „Herr“ Beachtung schenkt. Jene kritische und besonders hier antikapitalistische Konstruktion funktioniert auch bei „Land of the Dead“ hervorragend: Das Proletariat in den Vororten, in physischer wie psychischer Konstitution eines Untoten, erlangt nach den Jahren im Hamsterrad des Kapitalismus ein revolutionäres Moment, was es vorantreibt, die im im Fiddler’s Green hausende Obrigkeit zu stürzen, um auf Ansprüche zu pochen und einen Platz in der Gesellschaft zu erlangen. Letztlich führt die Selbstidentifikation der Zombies zum Aufbrechen in die Stadt, also die Wahrnehmung als Individuum und nicht als Untoter oder eben als Sklave, wenn man dieser Lesart Glauben schenken möchte. Zombies sind ohnehin eine eindeutige Allegorie für das „einfache Volk“ – ganz im Gegensatz zum Vampirfürst Graf Dracula, der im schwarzroten Umhang die Aristokratie vertritt. Doch die Gebeutelten des Kaptitalismus sind hier nicht nur die Wiederbeseelten, sondern auch die Menschen der Unterklasse, welche keinerlei Privilegien besitzen und sich die Zeit mit Handel, Glücksspiel, Alkohol und Prostitution vertreiben.

Das alles wird in die recht triviale Heldenreise der Figur Riley Denbo (Simon Baker) verflochten, der mit seinem Freund Charlie (Robert Joy) und seiner Gefährtin Slack (Asia Argento) gegen das Böse bestehen muss. Zimperlich geht „Land of the Dead“ dabei nicht zur Sache, denn gerade, wenn es den Beißern ans Fell geht, lässt Romero das Kunstblut bei Enthauptungen, anderen Abtrennungen oder Zerquetschungen in aller Gebühr fließen, sodass Gorehounds auf ihre Kosten kommen sollten. Ihnen sei der vier Minuten längere und mit mehr Härten versehene Director’s Cut gegenüber der Kinofassung ans Herz gelegt. Beide Versionen hatten hierzulande keine Probleme, eine FSK-18-Freigabe zu erhalten, weshalb der Film keine Beschaffungsprobleme bereitet. Für die Unterschiede zwischen Kinofassung und Director’s Cut sei auf den Schnittbericht verwiesen. Mit „Diary of the Dead“ (2007) und „Survival of the Dead“ (2009) legte Romero noch zweimal zombiemäßig nach, beide Arbeiten erreichten jedoch nicht das hohe Niveau von „Land of the Dead“. Übrigens: „Shaun of the Dead“-Regisseur Edgar Wright und -Hauptdarsteller Simon Pegg, die gemeinsam auch das Drehbuch ihrer hinreißenden Zombiefilm-Hommage verfasst hatten, haben sich als Zombie-Komparsen eingeschlichen.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von George A. Romero und Edgar Wright haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Asia Argento unter Schauspielerinnen, Filme mit Dennis Hopper, Simon Pegg und Tom Savini in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 12. März 2020 als 2-Disc Edition kleine Hartbox (2 Blu-rays mit Director’s Cut & Kinofassung), 28. November 2019 als 2-Disc Edition Mediabook (2 Blu-rays mit Director’s Cut & Kinofassung, drei Covermotive à 777, 666 und 555 Exemplare), 4. November 2010 als Blu-ray im Steelbook (Director’s Cut), 6. August 2009 als Blu-ray (Director’s Cut), 10. Januar 2006 als DVD (Director’s Cut)

Länge: 97 Min. (Blu-ray, Director’s Cut), 93 Min. (Blu-ray, Kinofassung), 93 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Land of the Dead
F/KAN/USA 2005
Regie: George A. Romero
Drehbuch: George A. Romero
Besetzung: John Leguizamo, Asia Argento, Dennis Hopper, Simon Baker, Eugene Clark, Robert Joy, Joanne Boland, Tony Nappo, Jennifer Baxter, Boyd Banks, Maxwell McCabe-Lokos, Tony Munch, Shawn Roberts, Pedro Miguel Arce, Jasmin Geljo, Simon Pegg, Edgar Wright, Tom Savini, Phil Fondacaro
Zusatzmaterial: Audiokommentar von Regisseur George A. Romero, Produzent Peter Grunwald und Cutter Michael Doherty, Zum Leben erweckt: Making-of „Land of the Dead“, Was übrig blieb, Als Shaun George begegnete, Zombie-Effekte: vom Green Screen zur fertigen Szene, Kreischtests: Aufruf zum Zombie-Casting, Ein Tag mit den lebenden Toten, Tote zum Leben erwecken, Die Storyboards: zum Leben erwecken, U-Control: Bild in Bild Funktion, 36-seitiges Booklet
Label/Vertrieb Mediabook & kleine Hartbox: Birnenblatt
Label/Vertrieb Blu-ray & DVD: Universal Pictures Germany GmbH

Copyright 2020 by Lucas Knabe

 

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Brian De Palma (VI): Carlito’s Way – Sein schönster Film?

Carlito’s Way

Von Simon Kyprianou

Gangsterthriller // In der Dokumentation „De Palma“ von Noah Baumbach und Jake Paltrow sagt der Regisseur, als er auf „Carlito’s Way“ zu sprechen kommt, dass er mit diesem Film voll und ganz zufrieden sei; angesichts des finanziellen Misserfolgs äußert er, dass er nicht wisse, wie er einen besseren Film als „Carlito’s Way“ machen könnte. Und in der Tat, „Carlito’s“ Way ist ein hervorragender Film, eine von De Palmas schönsten Arbeiten in einer Filmografie, die reich an schönen Arbeiten ist.

Gangster Carlito kommt aus dem Knast

Brian De Palma zeigt sich hier auf der Höhe seiner Erzählkunst: Als der Mafioso Carlito Brigante (Al Pacino) aus dem Gefängnis kommt, sucht er nach seiner früheren Freundin Gail (Penelope Ann Miller). Sie ist Tänzerin, er schaut ihr vom Dach des Nachbarhauses beim Üben zu. Er steht draußen, im Dunkeln, im Regen, sie tanzt drinnen im Licht. De Palma erzählt hier unglaublich schön mit seinen Bildern von zwei unterschiedlichen Welten, deren Sehnsucht sie aufeinander zu driften lässt. Später klopft der Puerto-Ricaner an Gails Tür, bittet um Einlass, sie fordert ihn spielerisch dazu auf, die Tür einzutreten, wolle er hineinkommen. Carlito hadert mit sich, bevor er sich dann doch mit Gewalt Einlass verschafft. In dieser Szene verdichtet De Palma die Tragik seiner Figur: Carlito will ein besserer Mensch werden, versucht aufrichtig seine brutale Vergangenheit hinter sich lassen, und Gail will das ebenso, aber beide sehnen sich in diesem Moment insgeheim nach dem alten Carlito, der sich nimmt, was er will.

De Palma geht in oben erwähnter Dokumentation auch auf die wunderbar montierte Eingangsszene ein, in Schwarz-Weiß mit Voice-over gedreht. Das Erste, was wir in Farbe zu sehen bekommen, sind die Träume von Carlito: eine Werbeanzeige, die einen Südseestrand zeigt, ein starres Bild, das sich bunt aus dem Schwarz-Weiß herausschält. Die letzten Bilder des Films zeigen wie jenes vormals starre Sehnsuchtsbild plötzlich zu tanzen anfängt. Ebenfalls bemerkenswert ist natürlich die schnittlose Verfolgungsjagd durch die Grand Central Station im Finale. In „Carlito’s Way“ erreicht De Palma einen letzten großen Höhepunkt seiner visuellen Erzählkunst und seines Handwerks. Auch wenn das Spätwerk De Palmas nicht so schlecht ist, wie es oft gemacht wird: „Carlito’s Way“ ist der letzte große Film von Brian De Palma.

Große Schauspielkunst von Al Pacino und Sean Penn

Ironischerweise wird Carlito, der als Nachtclub-Betreiber einer ehrlichen Beschäftigung nachzugehen versucht, ausgerechnet von seinem Freund und Anwalt David Kleinfeld (Sean Penn) – der Carlito zu Beginn wegen eines Verfahrensfehlers aus dem Gefängnis geholt hat – wieder hineingezogen in die Illegalität: Der kokainsüchtige Kleinfeld hat den Gangster Vinnie Taglialucci (Joseph Siravo), den er vertritt, um Geld betrogen, Taglialucci erpresst ihn nun: Hilft Kleinfeld ihm nicht beim Ausbruch, muss er sterben. Die Aktion entgleist völlig, und Carlito versucht mit Gail zu fliehen; sie wollen auf den Bahamas neu anfangen, aber Taglialuccis Männer verfolgen ihn.

Al Pacino ist hervorragend als Carlito, er spielt wunderbar sanft dessen Verletzlichkeit und Unsicherheiten heraus, insbesondere in den Szenen mit Penelope Ann Miller. Aber Sean Penn ist fraglos der schauspielerische Höhepunkt des Films: Er war nie besser als hier, spielt Kleinfeld, diese getriebene, zutiefst verkommene Figur scheinbar ohne Mühe oder Eitelkeiten, mit einer absoluten Selbstverständlichkeit.

Bislang keine deutsche Blu-ray

Bleibt zu hoffen, dass der Film bald eine neue Heimkinoauswertung in Deutschland erfährt. Bisher ist er nur als DVD zu erhalten, diese ist mittlerweile out of print und dementsprechend teuer. Denn ohne Zweifel ist „Carlito’s Way“ De Palmas schönster Gangsterfilm, der auf alle Extravaganzen und Exzesse von „Scarface“ verzichtet und dafür lieber versucht, zu seinen Figuren durchzudringen.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Brian De Palma haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Luis Guzmán, Viggo Mortensen, Al Pacino und Sean Penn in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 8. Januar 2004 als DVD

Länge: 139 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Carlito’s Way
USA 1993
Regie: Brian De Palma
Drehbuch: David Koepp, nach Vorlagen von Edwin Torres
Besetzung: Al Pacino, Penelope Ann Miller, Sean Penn, Luis Guzmán, John Leguizamo, Viggo Mortensen, Joseph Siravo, James Rebhorn, John Ortiz, Ángel Salazar
Zusatzmaterial: Making-of (34:35), Fotogalerie, Original-Kinotrailer
Vertrieb: Universal Pictures Germany GmbH

Copyright 2017 by Simon Kyprianou
Packshot: © 2004 Universal Pictures Germany GmbH

 
 

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John Wick – Kapitel 2: Leichen pflastern seinen Weg

John Wick – Chapter 2

Von Andreas Eckenfels

Actionthriller // „Hast du ,John Wick‘ gesehen?” So schallte es Anfang 2015 aus allen Ecken. Selbst dem Genre ansonsten eher weniger zugeneigte Filmfreunde zeigten sich von dem brutalen, aber auch coolen Rachethriller begeistert. Ein Garant für den Erfolg war Keanu Reeves, der mit der ikonischen Titelrolle ein lang herbeigesehntes Comeback feiern konnte. Nachdem „John Wick“ quasi über Nacht zum Kultfilm avancierte, war schnell klar, dass die Geschichte des stoischen und stets adrett gekleideten Auftragkillers noch lange nicht zu Ende erzählt ist.

Neuer Hund, neues Haus, alte Probleme

Die Fortsetzung setzt kurz nach dem Ende des ersten Teils ein: John Wick holt sich seinen heiß geliebten Ford Mustang zurück, dessen Diebstahl die vorigen Ereignisse erst in Gang setzte. Das Gefährt ist noch im Besitz von Abram (Peter Stormare), dem Bruder von Viggo Tarasov, der der Oberbösewicht im Vorgänger war und von dem leider gerade überraschend verstorbenen Michael Nyqvist dargestellt wurde. Abram weiß, dass es kein gutes Ende nehmen wird, wenn man sich Wick zum Feind gemacht hat. Mit seinen Worten trägt er selbst zur Legendenbildung des Killers bei und sorgt bei seinen Untergebenen für schlotternde Knie. Er soll recht behalten. 15 Filmminuten und etliche Leichen später hat Wick seinen Ford Mustang wieder. Da er den Wagen ebenfalls als Waffe einsetzen musste, ist dieser zwar fast schrottreif. Doch Aurelio (John Leguizamo), einer seiner wenigen Freunde, wird ihn in seiner Werkstatt schon wieder flottkriegen.

John Wick ist wieder auf den Hund gekommen

Zeit für eine Atempause bleibt dem Killer allerdings nicht. Der erhoffte Ruhestand mit seinem neuen Hund im frisch erworbenen neuen Eigenheim währt nicht lange. Denn Santino D’Antonio (Riccardo Scamarcio) steht plötzlich an seiner Türschwelle und erinnert Wick an einen alten Blutschwur, den er noch nicht abgegolten hat. Der Gangsterboss will seine Schwester Gianna (Claudia Gerini) umbringen lassen, damit er selbst an die Spitze eines international agierenden Verbrechersyndikats gelangt. Der Kodex der geheimen Killervereinigung macht es Wick unmöglich, den Auftrag abzulehnen. Also reist er nach Rom, um seinen vermeintlich letzten Mord zu begehen …

Regeln und Rituale

Auch wenn die 119 Leichen aus dem Erstling nicht ganz erreicht werden, liegt der Body Count im zweiten Kapitel mit 116 Opfern nur unwesentlich darunter. Es bleibt aber nicht der einzige Punkt, bei dem die Fortsetzung dem Vorgänger stets ein klein wenig unterlegen ist. Nicht nur aufgrund der beinharten Feuergefechte zog „John Wick“ in seinen Bann. Vielmehr waren es die frischen Ideen rund um die Regeln und Rituale, die innerhalb der Killervereinigung gelten. Das Hotel „The Continental“, in welchem sich die Profimörder einquartieren können; Golddukaten, die als Zahlungsmittel fungieren – solche Einfälle faszinierten. Zwar erfahren wir in der Fortsetzung etwas mehr von dieser geheimen Parallelwelt, in der die Worte Blut und Ehre eine enorme Bedeutung besitzen, dennoch geht der Überraschungseffekt etwas verloren. Nach dem oben beschriebenen fulminanten Auftakt von „John Wick – Kapitel 2“ muss man sich erstmal auf etwas Leerlauf einstellen.

Der Killer tut bald wieder das, was er am besten kann

Doch keine Sorge, sie ist nicht von langer Dauer. Nachdem unser neuer Lieblingskiller sein Zielobjekt in Rom ausgeschaltet hat, ist es mit der Ruhe vorbei. Da Wick seine Schwester getötet hat, setzt ausgerechnet D’Antonio ein Kopfgeld von sieben Millionen Dollar auf ihn aus. Bei solch einer Summe sagt keiner seiner professionell ausgebildeten Kollegen „Nein“. Wick ist nirgends mehr sicher, jede Sekunde muss er mit dem nächsten Angriff rechnen. In Zwischenschnitten und Parallelmontagen stellen sich Wick pausenlos Gegner in den Weg. Von den kompromisslosen Schusswechseln, die aus kürzester Distanz mit voller Härte geführt werden und die mit perfekt choreografierten „Gun Fu“-Kampfszenen gewürzt sind, bis hin zum finalen Endkampf in einem Museum mit Spiegelkabinett werden die Erwartungen an ein stylisches Actionfest erfüllt.

Stahelski vereint die „Matrix“-Stars

Allerdings: Obwohl all diese Szenen auf einem hohen Niveau liegen und in schnellem Tempo vorgetragen werden, fehlt es ein wenig an Abwechslung. Selten legt Wick mal seine Waffe beiseite und nutzt beispielsweise einen Bleistift als Tötungsinstrument. Ein wenig mehr Auto-Action wie im ersten Teil hätte ich mir ebenfalls gewünscht. Auch interessante Figuren wie die stumme Killerin Ares (Ruby Rose) kommen angesichts der Fülle an gesichtslosen Gegnern leider viel zu kurz. Von den zahlreichen Fights bleibt nur der lange Zweikampf mit seinem hartnäckigsten Widersacher Cassian (Common) im Gedächtnis, der zunächst in Rom, später in den Straßen von New York ausgetragen wird und im Waggon einer U-Bahn stichhaltig endet.

Kollege Cassian erweist sich als Wicks härtester Gegner

Immerhin ließ es sich Chad Stahelski nicht nehmen und organisierte eine kleine „Matrix“-Reunion. Der Regisseur selbst fungierte in der bahnbrechenden Science-Fiction-Trilogie als Stunt-Double von Keanu „Neo“ Reeves. Im zweiten „John Wick“ ist nun auch Lawrence „Morpheus“ Fishburne in der Rolle von Bowery King mit von der Partie, der dem verfolgten Auftragskiller aus der Patsche hilft.

Bowery King unterhält ein Netzwerk aus Brieftauben und Bettlern in New York

Vielleicht liegt es daran, dass es sich bei „John Wick – Kapitel 2“ um einen Mittelteil handelt, dass es an den ganz großen Höhepunkten mangelt, weil sich die Macher diese für den bereits bestätigen dritten und vermutlich finalen Teil aufheben wollen. Nach der Filmtrilogie könnte die „John Wick“-Welt noch weiterleben: Derzeit wird über eine TV-Serie nachgedacht, in der die Ereignisse rund um die weltweite „The Continental“-Hotelkette als Dreh- und Angelpunkt dienen.

Wird D’Antonio die Rache von John Wick zu spüren bekommen?

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Chad Stahelski haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Bridget Moynahan unter Schauspielerinnen, Filme mit Laurence Fishburne, Ian McShane, Franco Nero, Lance Reddick, Keanu Reeves und Peter Stormare in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 27. Juni 2017 als 4k-UHD, Blu-ray, Blu-ray im limitierten Steelbook und DVD

Länge: 123 Min. (Blu-ray), 118 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
Originaltitel: John Wick – Chapter 2
USA/HK/IT/KAN 2017
Regie: Chad Stahelski
Drehbuch: Derek Kolstad
Besetzung: Keanu Reeves, Riccardo Scamarcio, Ian McShane, Ruby Rose, Common, Lance Reddick, Laurence Fishburne, Claudia Gerini, John Leguizamo, Peter Stormare, Franco Nero, Bridget Moynahan
Zusatzmaterial: Audiokommentar von Keanu Reeves und Chad Stahelski, entfallene Szenen, RetroWick: Der unerwartete Erfolg von John Wick, John Wick im Training, Wick-vizzed, Die Verbrecherwelt des John Wick, Freunde und Vertraute: Kenaus und Chads Zusammenarbeit, Car Fu zum Mitfahren, Kameratest: Entwicklung einer Kampfszene, Wicks „Werkzeugkiste“, Mitgezählt, Wicks Hund, deutsche Kinotrailer, Original Kinotrailer
Vertrieb: Concorde Home Entertainment

Copyright 2017 by Andreas Eckenfels
Fotos & Packshots: © 2017 Concorde Home Entertainment

 

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