Land of the Dead
Von Lucas Knabe
Horror // Es ist geschehen. Die Menschheit, wie wir sie kennen, wurde besiegt. Die Vereinigten Staaten gleichen seit Jahren einer modrigen Brachlandschaft und die schwelenden Betonwüsten, welche sich an toxische Schutthalden und ausgestorbene Wälder reihen, erinnern nur noch marginal an das rege Treiben der Menschen. Der Titel „Land of the Dead“ verrät schon, dass es sich nicht nur um die Nacht der lebenden Toten handelt, sondern um das Land der lebenden Toten, in welchem nun ein letzter Rest Menschheit auf einer Stadtinsel krampfhaft und mehr schlecht als recht versucht, an alten Zeiten festzuhalten beziehungsweise sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Die USA wurde in „Land of the Dead“ ein weiteres Mal von den ruhelosen Kreaturen heimgesucht, die bereits in vielen Filmen vor und zu jener Zeit schlürfend oder sprintend, manisch oder tollwütig, einarmig oder einbeinig, aber immer blutrünstig, für Angst und Schrecken sorgten. George A. Romero, Horror-Ikone und Schöpfer der wohl populärsten Zombie-Klassiker, hatte 1968 mit „Die Nacht der lebenden Toten“ („Night of the Living Dead“) eine neue Ära der Untoten-Filme eingeleitet und 1978 mit „Zombie“ („Dawn of the Dead“) fast schon zu ihrem logischen Schlusspunkt geführt. Nach „Zombie 2 – Das letzte Kapitel“ („Day of the Dead“, 1985) ließ er die Untoten zwei Jahrzehnte lang ruhen, bevor er sie 2005 mit frischem Wind erneut zum Tanzen zu bringen, indem er den vorliegenden Streifen da weitererzählt, wo viele andere Zombie- und Infiziertenfilme aufhören – am Dies irae.
Der verschrobene Pop-Mythos macht sich auf die Socken
Im Jahr 2005 waren Zombiefilme nicht zuletzt dank der erwähnten Romero-Großtaten längst ein alter Hut. Etliche Regisseure wie Lucio Fulci, Umberto Lenzi und Sam Raimi hatten sich seit 1968 an den Halbwesens- und Voodoo-Stoffen des frühen 20. Jahrhunderts in jeglicher Variation abgearbeitet, die sich aus haitianischen Überlieferungen nährten, den untoten Kreaturen aber die Gier nach Menschenfleisch hinzudichteten. Kurz nach der Jahrtausendwende erschienen weitere Kassenschlager wie „Resident Evil“ (2002) und „28 Days Later“ (2002), wobei letztgenannte Regiearbeit von Danny Boyle ein hervorragender Zugewinn des Genres war. Der sprach allerdings nicht von Zombies, sondern von hochaggressiven und schnellen Infizierten, die augenscheinlich ebenso von jeglicher geistiger Menschlichkeit beraubt waren wie die schlurfenden Gesellen der Romero-Prägung. In „Land of the Dead“ wird der Zuschauer jedoch wieder mit dem waschechten Zombietypus der vergangenen Untoten-Regiearbeiten Romeros konfrontiert, die das Land und womöglich sogar die ganze Welt postapokalyptisch unterjocht haben. Lediglich in einem von Wasser umgebenen und eingezäunten Downtown-Distrikt besteht eine letzte Population von Menschen, die ihre Vorräte auf waghalsigen Ausfahrten ins von den Zombies beherrschte Niemandsland organisieren. Inmitten dieser letzten Bastion, in der die meisten Menschen in ärmlichen Verhältnissen leben, ragt der hellerleuchtete Wolkenkratzer namens „Fiddler’s Green“ in die Höhe, hinter dessen Scheiben wohlhabende und privilegierte Menschen leben – abgeschottet von notleidenden Menschen und Zombies gleichermaßen. Die zerfallene Welt außerhalb können sie in dekadenter Manier bei Champagner und Pelzmantel vergessen. Doch bleibt es nicht beim Klassenkampf Arm gegen Reich wie etwa später bei Bong Joon-ho (siehe beispielsweise „Snowpiercer“ und „Parasite“), denn wider Erwarten haben die fauligen Halbwesen auch ohne Worte ein gehöriges Wörtchen mitzureden. Im Pulk formiert schlurfen sie gen Stadt, um sich am Menschenfleisch zu laben und nach Höherem zu streben.
Revolution
Es liegt etwas Subversives in der Luft. Während in der Menschenstadt die Gemüter unter der autoritären Führung des Moguls Kaufman (Dennis Hopper) langsam hochkochen und die Nachbarschaft von Armen und Reichen zu eskalieren droht, paktieren und humanisieren sich die Zombies im nahen Umland unter der Leitung des Tankwart-Zombies „Big Daddy“ (Eugene Clark) im Kfz-Overall. Vorbei scheint die Zeit seelen- und zielloser „Beißer“, die nach den Jahren des Exodus wieder tief verwurzelte Erinnerungen aus lebenden Zeiten ausprägen und zu alten Orten und Handlungen zurückkehren – der Tankwart zur Tankstelle, der Saxophonspieler samt Posaunist und Tubaspieler zur Kapelle. Wirklich aktiv sind diese dort zwar nicht, aber ein Rest-Bewusstsein für ihre Umwelt und einstigen Tätigkeiten scheint vorhanden. Als dann noch die Funktionsweise eines herrenlosen Maschinengewehrs entdeckt wird, steht der Tross schon revoltierend vor den Toren der Stadt, um sich zombiemäßig Zugang zu verschaffen. Dabei erweist es sich als hilfreich – für die Untoten, versteht sich –, dass sie nicht ertrinken können.
Der Zombie in Romeros Filmen
All das besitzt leicht vorstellbar einen determinierten Zweck, der über den gewöhnlichen Unterhaltungswert hinausgeht. George A. Romeros Regiearbeiten sind nicht zuletzt schon seit seinem Erstlingswerk „Die Nacht der lebenden Toten“ und ebenso in „Zombie“ für ihre gesellschaftskritischen Tendenzen bekannt, welche in inflationärer Zahl bis heute von vielen Autoren modelliert wurden. Dabei bedient sich Romero den klassischen Systematisierungen des archetypischen Zombies, der für gewöhnlich durch ein Pulver oder mithilfe Schwarzer Magie getötet oder in einen Zustand des Scheintods versetzt wird, um kurz darauf als willenloser Sklave zu erwachen, der als Arbeiter oder gar Auftragsmörder seinem Herrn dienen kann. Allein aus diesem letzten Satz fällt es leicht, eine sozialkritische Konstruktion abzuleiten, wenn man den Wörtern „Sklave“, „Arbeiter“ und „Herr“ Beachtung schenkt. Jene kritische und besonders hier antikapitalistische Konstruktion funktioniert auch bei „Land of the Dead“ hervorragend: Das Proletariat in den Vororten, in physischer wie psychischer Konstitution eines Untoten, erlangt nach den Jahren im Hamsterrad des Kapitalismus ein revolutionäres Moment, was es vorantreibt, die im im Fiddler’s Green hausende Obrigkeit zu stürzen, um auf Ansprüche zu pochen und einen Platz in der Gesellschaft zu erlangen. Letztlich führt die Selbstidentifikation der Zombies zum Aufbrechen in die Stadt, also die Wahrnehmung als Individuum und nicht als Untoter oder eben als Sklave, wenn man dieser Lesart Glauben schenken möchte. Zombies sind ohnehin eine eindeutige Allegorie für das „einfache Volk“ – ganz im Gegensatz zum Vampirfürst Graf Dracula, der im schwarzroten Umhang die Aristokratie vertritt. Doch die Gebeutelten des Kaptitalismus sind hier nicht nur die Wiederbeseelten, sondern auch die Menschen der Unterklasse, welche keinerlei Privilegien besitzen und sich die Zeit mit Handel, Glücksspiel, Alkohol und Prostitution vertreiben.
Das alles wird in die recht triviale Heldenreise der Figur Riley Denbo (Simon Baker) verflochten, der mit seinem Freund Charlie (Robert Joy) und seiner Gefährtin Slack (Asia Argento) gegen das Böse bestehen muss. Zimperlich geht „Land of the Dead“ dabei nicht zur Sache, denn gerade, wenn es den Beißern ans Fell geht, lässt Romero das Kunstblut bei Enthauptungen, anderen Abtrennungen oder Zerquetschungen in aller Gebühr fließen, sodass Gorehounds auf ihre Kosten kommen sollten. Ihnen sei der vier Minuten längere und mit mehr Härten versehene Director’s Cut gegenüber der Kinofassung ans Herz gelegt. Beide Versionen hatten hierzulande keine Probleme, eine FSK-18-Freigabe zu erhalten, weshalb der Film keine Beschaffungsprobleme bereitet. Für die Unterschiede zwischen Kinofassung und Director’s Cut sei auf den Schnittbericht verwiesen. Mit „Diary of the Dead“ (2007) und „Survival of the Dead“ (2009) legte Romero noch zweimal zombiemäßig nach, beide Arbeiten erreichten jedoch nicht das hohe Niveau von „Land of the Dead“. Übrigens: „Shaun of the Dead“-Regisseur Edgar Wright und -Hauptdarsteller Simon Pegg, die gemeinsam auch das Drehbuch ihrer hinreißenden Zombiefilm-Hommage verfasst hatten, haben sich als Zombie-Komparsen eingeschlichen.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von George A. Romero und Edgar Wright haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Asia Argento unter Schauspielerinnen, Filme mit Dennis Hopper, Simon Pegg und Tom Savini in der Rubrik Schauspieler.
Veröffentlichung: 12. März 2020 als 2-Disc Edition kleine Hartbox (2 Blu-rays mit Director’s Cut & Kinofassung), 28. November 2019 als 2-Disc Edition Mediabook (2 Blu-rays mit Director’s Cut & Kinofassung, drei Covermotive à 777, 666 und 555 Exemplare), 4. November 2010 als Blu-ray im Steelbook (Director’s Cut), 6. August 2009 als Blu-ray (Director’s Cut), 10. Januar 2006 als DVD (Director’s Cut)
Länge: 97 Min. (Blu-ray, Director’s Cut), 93 Min. (Blu-ray, Kinofassung), 93 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Land of the Dead
F/KAN/USA 2005
Regie: George A. Romero
Drehbuch: George A. Romero
Besetzung: John Leguizamo, Asia Argento, Dennis Hopper, Simon Baker, Eugene Clark, Robert Joy, Joanne Boland, Tony Nappo, Jennifer Baxter, Boyd Banks, Maxwell McCabe-Lokos, Tony Munch, Shawn Roberts, Pedro Miguel Arce, Jasmin Geljo, Simon Pegg, Edgar Wright, Tom Savini, Phil Fondacaro
Zusatzmaterial: Audiokommentar von Regisseur George A. Romero, Produzent Peter Grunwald und Cutter Michael Doherty, Zum Leben erweckt: Making-of „Land of the Dead“, Was übrig blieb, Als Shaun George begegnete, Zombie-Effekte: vom Green Screen zur fertigen Szene, Kreischtests: Aufruf zum Zombie-Casting, Ein Tag mit den lebenden Toten, Tote zum Leben erwecken, Die Storyboards: zum Leben erwecken, U-Control: Bild in Bild Funktion, 36-seitiges Booklet
Label/Vertrieb Mediabook & kleine Hartbox: Birnenblatt
Label/Vertrieb Blu-ray & DVD: Universal Pictures Germany GmbH
Copyright 2020 by Lucas Knabe