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Blade Runner 2049 – Villeneuves Flehen

05 Okt

Blade Runner 2049

Kinostart: 5. Oktober 2017

Von Kay Sokolowsky

Science-Fiction // Bevor die Pressevorführung von „Blade Runner 2049“ begann, war auf der Leinwand in mannshohen Lettern eine Botschaft des Regisseurs Denis Villeneuve an uns Kritiker zu lesen: Er wisse zwar nicht, was wir von seinem neuen Spielfilm halten werden. „Doch ich möchte Sie bitten, dem Publikum das Erlebnis zu bewahren, das Sie haben, wenn Sie den Film heute sehen – also ohne irgendein Detail der Handlung zu kennen. Ich weiß, dass ich viel verlange, aber ich hoffe, dass Sie meinen Wunsch respektieren. Beste Grüße, Denis.“

City of nightmares: K in den Gassen von Greater Los Angeles

Diese Bitte ist eine Zumutung und eigentlich nicht zu erfüllen. Denn wie soll der Kritiker begründen, was ihm an einem Kinostück ge- oder missfällt, wenn er sich bei den Details bedeckt halten soll? Pointen nicht zu verraten, versteht sich von selbst, und ellenlange Inhaltsbeschreibungen sind was für Dilettanten, die nichts zu sagen haben. Aber wenn die Kritik sich nur vage zur Story äußern darf, muss sie oberflächlich bleiben, und das kann am Ende auch dem Regisseur nicht recht sein. Dabei sind die überraschenden Wendungen von „Blade Runner 2049“ nicht mal überraschend, und nur selten steckt im Drehbuch von Hampton Fancher die düstere Poesie, die sein Skript zum ersten „Blade Runner“ auszeichnet. Andererseits hat Villeneuve sichtbar viel Energie und Kreativität an diese Fortsetzung des Klassikers von 1982 verwandt, und weil das Achtung verdient, werde ich seinen Wunsch erfüllen und nichts ausplaudern, was nicht schon in den Trailern und Shorts zu sehen war, die in den vergangenen Monaten veröffentlicht wurden.

Die Geschichte spielt 30 Jahre nach Rick Deckards großer Jagd auf meuternde Nexus-6-Replikanten. Das Desaster mit den synthetischen Menschen hat die Tyrell-Corporation in die Pleite getrieben, aber der superreiche Elon-Musk-Typ Niander Wallace (Jared Leto) bringt jetzt eine neue Serie von Androiden auf den Markt. Das Modell Nexus 8 ist noch leistungsfähiger als seine Vorgänger, doch auf bedingungslosen Gehorsam programmiert. Behauptet jedenfalls Wallace. Störende Replikanten werden derweil von ihresgleichen ausgeschaltet. Konstanter K (Ryan Gosling) erledigt für das Los Angeles Police Department die „Skin jobs“ und macht sich über den blutigen Job in seinem genoptimierten Schädel nicht allzu viele Gedanken. Bis er auf die Spur des verschollenen Detektivs Deckard (Harrison Ford) gerät und an eine Entdeckung rührt, die die ganze Welt umstürzen könnte. Ende der Nacherzählung.

In der Achselhöhle des Orion

Es gehört Mumm dazu, ein Meisterwerk wie Ridley Scotts „Blade Runner“ fortzusetzen. Man braucht Selbstvertrauen, um dieser genialen Mixtur aus Werbe- und Film-noir-Ästhetik etwas Eigenes gegenüberzustellen. Denis Villeneuve setzt sich enormen Erwartungen aus, die niemand erfüllen könnte, nicht mal Ridley Scott. Der es vielleicht auch deshalb vorzog, sich als Produzent im Hintergrund zu halten, statt die Sache selbst zu inszenieren. Es stellt sich allerdings die Frage, ob ein Sequel nicht nur unmöglich, sondern schlicht überflüssig ist. Mir fällt es schwer, hier nicht mit einem Ja zu antworten.

Schwefelgelb des Hades: K erkundet die trostlose Umgebung

Denn die große Magie des alten Films bestand vor allem darin, dass in ihm so vieles rätselhaft, vieldeutig, unergründlich war. Einige dieser Mysterien klärt Villeneuve nun auf – was die Fangemeinde übrigens seit Jahrzehnten verlangt hat. Doch wie es immer ist bei Zauberei: Wer hinter den Trick kommt, fühlt eher Enttäuschung als Befriedigung. Worüber sich früher trefflich spekulieren ließ, das wirkt plötzlich matt und fad. „Blade Runner 2049“ versucht, dieser Falle zu entkommen, indem einige neue Scharaden ins Spiel gebracht werden. Doch keine von ihnen hat das Zeug, den Zuschauer nachhaltig zu beschäftigen. Mir ist es jedenfalls herzlich egal, warum der Hi-Tech-Gott Wallace es vorzieht, mit grauem Star in beiden Augen durch die Gegend zu stolpern, statt sich Ersatzorgane klonen zu lassen.

Wie es einer ordentlichen Fortsetzung ziemt, pflastert Villeneuve die Szenen mit Reminiszenzen an den alten „Blade Runner“. Ein anderer Klassiker des dystopischen Science-Fiction-Films wird gleichfalls zitiert, Richard Fleischers „Jahr 2022 … die überleben wollen“ („Soylent Green“) von 1973. Das Name- und Image-dropping ist meistens unterhaltsam, weil durchdacht und stilvoll, doch reichen all die schlauen Anspielungen nicht hin, um den Film zu einer ähnlich berauschenden Erfahrung zu machen, wie sein Vorgänger es bis heute ist. Irgendwann öden die Querverweise und Hommagen nurmehr, weil sie wie ausschweifende Fußnoten unter einem etwas dürftigen Text wirken.

Will unbedingt ein noch größeres Arschloch als Steve Jobs sein: Niander Wallace

Das größte Manko von „Blade Runner 2049“ liegt in eben dieser Aufgeblasenheit. Die 163 Minuten des Films ließen sich ohne Verlust auf 90 kürzen; die Erzählung hat Längen, an denen bloß die härtesten Fans Vergnügen finden. Die – vorzüglich inszenierten – Actionszenen rütteln das Publikum alle Viertelstunde aus einem Halbschlaf, von dem auch Ryan Gosling erfasst scheint, so dröge, wie er sich durch die Szenen bewegt.

Kann der Schöpfer reparieren, was er schuf?

„Blade Runner 2049“ ist genauso gut geworden, wie eine überflüssige Fortsetzung im besten Fall werden konnte. Das verdankt sich der Kunstfertigkeit Villeneuves und seiner Crew. Der Film hat prächtige Schauwerte, ohne Zweifel. Wir bekommen zum Beispiel eine Müllkippe zu sehen, groß wie eine Millionenstadt. Oder eine „Proteinfarm“, die sich mit ihren Solarspiegeln und Gewächshäusern von Horizont zu Horizont erstreckt. Oder einen gewaltigen Damm, der „Greater Los Angeles“ vor den Auswirkungen des Klimawandels schützt. Oder ein Las Vegas, das von der Wüste zurückerobert wurde und in einem schwefelgelben Licht wie aus der Hölle schwelt. Die CGI ist State-of-the-art, wenn nicht gar besser. Das wird besonders deutlich in einer Szene, die vorführt, wie sich mit einem Hologramm, also mit einer Figur aus nichts als Licht, Sex machen lässt. Für diesen visuellen Effekt sollte, müsste es einen Oscar geben. Vielleicht gebe ich eine Wette darauf ab.

Ein Fall für Dr. Freud: „Blade Runner“ K und das gigantische Lust-Hologramm

Die Farbdramaturgie hält sich geflissentlich an die düsteren Vorgaben des Ur-Films. Altmeister Roger Deakins (u. a. „Kundun“ und „Fargo“) leuchtet die Szenen aus wie manieristische Gemälde von Caravaggio oder Tizian. Hans Zimmer und Benjamin Wallfisch ahmen den großartigen Score, den Vangelis für den ersten „Blade Runner“, komponierte, kongenial nach. Was die Set-Designer hingestellt haben, ist bis zum kleinsten Kratzer überlegt. Sogar im Product-Placement kann „Blade Runner 2049“ mit dem Klassiker mithalten – jedes Stück Technik trägt hier ein Schild mit Markennamen.

Wofür dieses Raffinement, diese höchst liebevolle Gestaltung aber gut sind außer für sich selbst, kann ich nicht sagen. Ich könnte es nicht mal sagen, würde ich hemmungslos spoilern. „Blade Runner 2049“ ist eine ungeheure Verschwendung von Zeit und Potenzial, sieht dabei freilich großartig aus. Ich möchte Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, das Erlebnis nicht verderben, indem ich Einzelheiten offenbare. Doch ich möchte Sie warnen: Hier gibt’s wenig Interessantes, bloß Spektakuläres. Eventuell weiß das auch Denis Villeneuve, und möglicherweise hat er deshalb vor die Preview den peinlichen Aufruf an uns Pressehansel plaziert. „Blade Runner 2049“ handelt, äußerst einfallsreich, mit nichts als heißer (und miefiger) Luft. Aber auch so was muss man erst mal können.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Denis Villeneuve haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Ana de Armas und Carla Juri unter Schauspielerinnen, Filme mit Dave Bautista, David Dastmalchian, Harrison Ford, Ryan Gosling und Jared Leto in der Rubrik Schauspieler.

Länge: 163 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Originaltitel: Blade Runner 2049
GB/USA/KAN 2017
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Hampton Fancher, Michael Green, nach Motiven von Philip K. Dicks Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ („Do Androids Dream of Electric Sheep?“)
Besetzung: Ryan Gosling, Ana de Armas, Jared Leto, Dave Bautista, Harrison Ford, Mark Arnold, Wood Harris, Sylvia Hoeks, Edward James Olmos, Mackenzie Davis, Carla Juri, David Dastmalchian
Verleih: Sony Pictures Releasing GmbH

Copyright 2017 by Kay Sokolowsky

Filmplakate, Fotos & Trailer: © 2017 Sony Pictures Releasing GmbH

 

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