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The New Mutants – Was lange währt …

12 Jan

The New Mutants

Von Volker Schönenberger

Fantasy-Action // Puh, war das eine schwere Geburt. Und nicht mal ein Frühchen, sondern ein Spätchen ist’s geworden, um in dem Bild zu bleiben. Im Mai 2015 hatte Twentieth Century Fox angekündigt, Josh Boone werde das „X-Men“-Spin-off „The New Mutants“ inszenieren und gemeinsam mit Knate Lee auch das Drehbuch schreiben. Boone hatte mit seinen bisherigen Regiearbeiten „Love Stories – Erste Lieben, zweite Chancen“ (2012) und „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ (2014) eher im melodramatischen Fach reüssiert, und Lee war auch nicht gerade als renommierter Drehbuchautor bekannt, aber nun denn. „X-Men – Apocalypse“ (2016) war zwar an den Kinokassen erfolgreich gewesen, aber hinter dem Einspielergebnis von „X-Men – Zukunft ist Vergangenheit“ (2014) zurückgeblieben, was zu der Entscheidung beigetragen haben mag, das Drehbuch umzuschreiben. So wurde die Handlung von den 1980er-Jahren ins Hier und Heute verlegt, obendrein bekannte „X-Men“-Figuren aus dem Skript gestrichen.

Drehstart 2017

2017 wurde gedreht, zeitlich durchaus im Rahmen. Der Kinostart wurde für den April 2018 eingeplant. Dann begann das Elend: Aufgrund eines Hin und Her wegen mehr oder weniger präsenten Horrorelementen wurden Nachdrehs angesetzt, um den Film beängstigender zu gestalten. Neuer Kinostart: Februar 2019. Doch dann grätschten Nachdreh und Starttermin-Verlegung von „X-Men – Dark Phoenix“ (2019) dazwischen, obendrein erwies sich die Überarbeitung von „The New Mutants“ als aufwendiger als erwartet. Als neuer Starttermin wurde nun der August 2019 ins Auge gefasst.

Disney übernimmt Fox

Doch bevor die Nachdrehs für „The New Mutants“ beendet waren, trat ein neuer Player auf den Plan: Im März 2019 kaufte der Disney-Konzern Twentieth Century Fox – genau das Disney, das knapp zehn Jahre zuvor Marvel gekauft hatte. Oh Schreck! Würde nun zusammenwachsen, was (nicht) zusammengehört? Immerhin sind die X-Men Marvel-Comic-Superhelden. Würde Disney die X-Men dem Marvel Cinematic Universe einverleiben? Und wenn ja: Wie soll das gehen? Der Kelch ging vorerst an den Mutanten vorbei, schließlich waren Dreharbeiten und Nachproduktion von „The New Mutants“ im ersten Quartal 2020 abgeschlossen. Als sei all das nicht ohnehin schon zu viel des Schlechten, machte ein weiteres Ereignis einem erfolgreichen Kinostart einen fetten Strich durch die Rechnung – Ihr ahnt es schon: eine gewisse Pandemie. Letztlich startete der Film Ende August und Anfang September weltweit in den Kinos. Über das Corona-bedingte Einspielergebnis des mit weniger als 70 Millionen US-Dollar vergleichsweise preiswert produzierten Werks decken wir den Mantel des Schweigens.

Tornado im Cheyenne-Reservat

So weit in aller Kürze der steinige Weg von „The New Mutants“ in die Kinos und Heimkinos. Doch wie viel Horror steckt nun in dem „X-Men“-Ableger? Und hat er sich als würdiger Vertreter des Franchises erwiesen? Film ab! Zu Beginn sinniert Danielle „Dani“ Moonstar (Blu Hunt) als Stimme aus dem Off über das Gute und Böse, das in jedem Menschen innewohne. Die dem indigenen nordamerikanischen Stamm der Cheyenne zugehörige Teenagerin erwacht im Chaos eines Wintersturms. Ihr Vater (Adam Beach) flieht mit ihr aus der Reservats-Siedlung in den Wald, wird jedoch kurz darauf von einer unerkannten Kreatur getötet. Dani verliert das Bewusstsein. Sie erwacht in einer Klinik. Dr. Cecilia Reyes (Alice Braga, „Elysium“) berichtet ihr, das Reservat sei von einem Tornado zerstört worden, es habe keine weiteren Überlebenden gegeben.

In der Einrichtung trifft Dani auf weitere junge Menschen, die das Schicksal nach tragischen Ereignissen dorthin geführt hat: Rahne Sinclair (Maisie Williams), Illyana Rasputin (Anya Taylor-Joy), Samuel „Sam“ Guthrie (Charlie Heaton) und Roberto da Costa (Henry Zaga). Es stellt sich heraus, dass sie alle über paranormale Fähigkeiten verfügen – sie sind Mutanten (deren besonderen Kräfte ich hier nicht verrate, weil einige Leser/innen den Film sicher noch nicht gesehen haben). Doch auch Dr. Reyes ist eine solche, und ihre besondere Gabe erlaubt es ihr, eine unsichtbare Kuppel über das Gelände zu ziehen, durch die es kein Entkommen gibt. Die fünf jungen Menschen sind Gefangene.

Düsteres Coming of Age

In der Tat, „The New Mutants“ ist düster geraten, allein schon durch die betont kühl und in Grautönen eingerichteten Räumlichkeiten der Forschungseinrichtung, als die sich die Klinik entpuppt. Auch Horrorelemente treten in Gestalt furchterregender Kreaturen in Erscheinung, nicht zu vergessen Rahnes Begabung. Um als Horrorfilm durchzugehen, reicht das allerdings nicht. Der Film übernimmt ein bekanntes Motiv der „X-Men“-Reihe: junge Menschen, die nicht wissen, wo ihr Platz im Leben ist, weil ihre Gabe sie zu Außenseitern macht. Leider begeht Regisseur Josh Boone den Fehler, das Potenzial des Mutanten-Sujets kaum anzukratzen. Statt einer großen Geschichte mit einer gewaltigen Bedrohung gibt es ein kleines Coming-of-Age-Drama. Diesen Aspekt hat er auch versiert umgesetzt, junge Charaktere einfühlsam zeichnen kann Boone ja, wie er in „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ bewiesen hat. Auch eine stimmige Romanze kommt zum Tragen, ohne überstrapaziert zu werden; auf seine frischen jungen Darstellerinnen und Darsteller Maisie Williams („Game of Thrones“), Blu Hunt („Another Life“), Anya Taylor-Joy („Das Damengambit“), Charlie Heaton („Stranger Things“) und Henry Zaga („The Stand – Das letzte Gefecht“) kann sich der Regisseur ebenfalls verlassen. Ganz unerfahren sind sie ja nicht, Maisie Williams beispielsweise war trotz ihrer jungen Jahre eine der tragenden Säulen von „Game of Thrones“. Anya Taylor-Joy hat sich seit ihrer ersten tragenden Kinorolle in „The Witch“ (2015) speziell im Horrorgenre einen Namen gemacht, wovon „Split“ (2016), „Das Morgan Projekt“ (2016) und „Das Geheimnis von Marrowbone“ (2017) zeugen.

Fan-Service Fehlanzeige

Allein – der Funke mag nicht recht überspringen. Obwohl „The New Mutant“ mit rund anderthalb Stunden moderat lang ausgefallen ist, haben sich Längen eingeschlichen, die zwar dazu dienen, die Figuren kennenzulernen, aber eben auch verhindern, dass das Publikum von der Handlung mitgerissen wird. Obendrein verzichtet Boone – mit Ausnahme der natürlich notwendigen Fähigkeiten der neuen Mutanten – vollständig auf Fan-Service. Die in den „X-Men“-Filmen von Professor Charles Xavier geleitete Schule für Hochbegabte, tatsächlich ein Unterschlupf für Mutanten, wird kurz erwähnt, das war es auch schon mit dem Andocken ans Franchise (Experten der gesamten „X-Men“-Comics mögen einige verbindende Details mehr erkennen).

Josh Boones Serien-Adaption von Stephen Kings Endzeit-Roman „The Stand – Das letzte Gefecht“ wird mit Spannung erwartet. Damit wird er beweisen müssen, ob er in der Lage ist, mit einem düsteren übernatürlichen Stoff eine Sogwirkung zu entfachen. Mit „The New Mutants“ ist ihm das misslungen. Bei den beiden ursprünglich geplanten Fortsetzungen von „The New Mutants“ kann von gespannter Erwartung keine Rede sein, obwohl ihre grob umrissenen Plots interessant genug sind – zum einen eine Alien-Invasion mit dem Mutanten Warlock, zum anderen ein apokalyptisches Dämonen-Szenario. Ob es je dazu kommt? Aktuell erscheint das eher unwahrscheinlich.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Alice Braga, Anya Taylor-Joy und Maisie Williams haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet.

Veröffentlichung: 21. Januar 2021 als 4K UHD Blu-ray (inkl. Blu-ray), Blu-ray und DVD

Länge: 94 Min. (Blu-ray), 90 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch
Untertitel: Deutsch, Englisch für Hörgeschädigte, Italienisch, Spanisch
Originaltitel: The New Mutants
USA 2020
Regie: Josh Boone
Drehbuch: Josh Boone, Knate Lee
Besetzung: Maisie Williams, Anya Taylor-Joy, Charlie Heaton, Alice Braga, Blu Hunt, Henry Zaga, Adam Beach, Thomas Kee, Colbi Gannett, Happy Anderson Dustin Ceithamer
Zusatzmaterial: Audiokommentar: Bill Sienkiewicz im Interview mit Josh Boone, zusätzliche Szenen (10:52 Min.), Anfänge & Einflüsse (7:27 Min.), Ein Treffen mit den neuen Mutanten (7:16 Min.), Kinotrailer
Label/Vertrieb: 20th Century Studios & Marvel

Copyright 2021 by Volker Schönenberger

Szenenfotos, untere Packshots & Trailer: © 2021 20th Century Studios, © 2021 Marvel

 
 

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Eine Antwort zu “The New Mutants – Was lange währt …

  1. Christoph Wolf

    2021/01/21 at 11:08

    Ich bin kein großer X-Men-Fan, kenne aber alle bisherigen Filme. The New Mutants habe ich ohne große Erwartungen im Kono geschaut und war positiv überrascht. zwar hat der Film seine Schwächen, aber ich fand ihn besser als fast alle anderen Teile der Reihe (außer Logan und Deadpool).

     

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