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Aus der Mitte entspringt ein Fluss – Der perfekte Rhythmus

30 Dez

A River Runs Through It

Von Andreas Eckenfels

Am Ende fließen alle Dinge ineinander – und aus der Mitte entspringt ein Fluss…

Familiendrama // Manche Filme sind immer an mir vorbeigegangen. Auch wenn ich in der Jugendzeit schon Vielgucker war und alles verschlang, was gerade frisch in die Videothekenregale eingeräumt wurde. Lag es vielleicht an Brad Pitts perlweißem Lächeln, dass mich „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ (1992) von Robert Redford als Teenager nicht interessierte? Denn mir fällt bei diesen Zeilen ein, dass ich „Legenden der Leidenschaft“ (1994) – ebenfalls mit Pitt – tatsächlich auch noch nicht gesehen habe, der ja eine ähnliche Geschichte über ungleiche Brüder im US-Bundesstaat Montana Anfang des 20. Jahrhunderts erzählt. Bei diesem Drama hatte mich auf jeden Fall immer diese perfekte Löwenmähne des ehemaligen Levi’s-Jeansmodels auf dem Kinoplakat beziehungsweise der VHS-Hülle vor einer Sichtung abgeschreckt, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt.

Schon als Kinder lernen Norman und Paul das Fliegenfischen

Glücklicherweise legte Brad Pitt sein Saubermann-Image kurz darauf mit „True Romance“ (1993), „Kalifornia“ (1993), „Sieben“ (1995) und „12 Monkeys“ (1995) zügig ab und stieg durch diese Rollen schnell in meiner Gunst. Für letztgenannten erhielt er seine erste Oscar-Nominierung, 2014 gewann er die Trophäe in seiner Funktion als Produzent von „12 Years a Slave“ (2013). 2020 nahm er dann den Goldbuben für seine Rolle als Stuntman Cliff Booth in Quentin Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“ (2019) mit nach Hause.

Die Geschichte eines Lebens

Offenbar hatte Robert Redford das Starpotenzial von Brad Pitt schon frühzeitig erkannt, sonst hätte er ihn wohl kaum für seine dritte Regiearbeit engagiert. Er habe ihn ausgewählt, „weil er den Prototyp des idealen jungen Amerikaners verkörpern konnte, mit einer unterschwelligen dunklen Seite in der Art, wie die Figur die Welt wahrnimmt.“

Vater John ist streng, aber auch gütig

Bereits für sein Debüt „Eine ganz normale Familie“ (1980) gewann Robert Redford den Regie-Oscar – für seine schauspielerischen Leistungen sollte er diese Auszeichnung nie erhalten. Allerdings durfte der „Die drei Tage des Condor“-Star 2002 den Ehren-Oscar für sein Lebenswerk in Empfang nehmen.

Vier Jahre nach „Milagro – Krieg im Bohnenfeld“ (1988) inszenierte Redford dann „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“, der bis heute als sein persönlichster Film gilt. Die Buchvorlage habe ihn „wie ein Pfeil getroffen“ als er sie 1980 erstmals las.

Redford bemühte sich frühzeitig um die Rechte des gleichnamigen autobiografischen Romans von US-Autor Norman Maclean, der 1976 zum Bestseller avancierte. Maclean war Professor für Englische Literatur an der Universität von Chicago, den Roman schrieb er im Ruhestand. Es benötigte große Überredungskunst, bis Maclean Redford schließlich die Zusage gab, seine Autobiografie adaptieren zu dürfen. Der Regisseur erklärte schon zum Kinostart: There are actually a lot of similarities between how I was raised and how Maclean was raised – especially involving the idea of reaching a state of grace through doing something perfectly. (Es gibt tatsächlich viele Gemeinsamkeiten in der Art und Weise wie ich aufgewachsen bin und wie Maclean aufgewachsen ist – besonders rund um den Gedanken, dass man einen Zustand der Gnade erreicht, wenn man etwas perfekt macht.) Die Verfilmung seines Lebens konnte Maclean allerdings nicht mehr sehen: Er starb 1990 im Alter von 87 Jahren, zwei Jahre bevor „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ in die Kinos kam.

In jeder freien Minute sind Norman (l.) und Paul am Blackfoot River

Eine ausführliche Auseinandersetzung rund um die Entstehungsgeschichte des Films findet sich im Booklet der Mediabook-Veröffentlichung von capelight pictures. Der Text stammt von dem französischen Filmjournalisten Marc Toullec und wurde von Fabian Stumm übersetzt, überarbeitet und ergänzt. Dazu gibt es einige stimmungsvolle Filmstills und Behind-the-Scenes-Fotos.

Zwei unterschiedliche Brüder

Norman Maclean wurde 1902 in Clarinda, Iowa geboren. 1909 zog die Familie nach Missoula, Montana. Die Filmhandlung setzt nicht viel später an diesem malerischen Ort am Blackfoot River ein. Die Brüder Norman, – als Kind gespielt von Joseph Gordon-Levitt („Snowden“) in seiner ersten Rolle, später von Craig Sheffer („Cabal – Die Brut der Nacht“, „Code of Honor – Rache ist sein Gesetz“) – und der jüngere Paul – zunächst Vann Gravage, dann Brad Pitt – werden von Vater John Maclean (Tom Skerritt), einem presbyterianischen Pastor, Zuhause unterrichtet. Dabei stehen nicht nur das Lesen und Schreiben auf dem Lehrplan, sondern der Vater gibt auch seine größte Leidenschaft an seine Söhne weiter: das Fliegenfischen.

Dass die Brüder ungleicher nicht sein könnten, wird schnell klar. Norman ist introvertiert, Paul der Wilde. Dennoch verstehen sie sich bestens. Im Herbst 1919 trennen sich ihre Wege. Während Norman am Darthmouth College in New Hampshire studiert, bleibt Paul in der Heimat und wird Lokalreporter. Sechs Jahre später kehrt Norman mit dem Abschluss in der Tasche zurück – seit seiner Abreise sieht er seinen Vater, seine Mutter (Brenda Blethyn) und Paul erstmals wieder. Die drei Männer verbringen weiter jede freie Minute am Blackfoot River. Norman hat das Angeln allerdings inzwischen verlernt, Paul hingegen seine Technik nahezu perfektioniert. Bei einer Feierlichkeit erweckt die attraktive Jessie (Emily Lloyd) Normans Interesse. Paul trifft Mabel (Nicole Burdette), Angehörige eines indigenen Volkes, was im Ort nicht sonderlich wohlwollend gesehen wird. Norman macht sich zunehmend Sorgen um seinen jüngeren Bruder. Auch wenn Paul nach außen hin seine Fröhlichkeit bewahrt, greift er immer häufiger zum Alkohol und hat mit Spielschulden zu kämpfen.

Glänzendes Lächeln

Von Filmbeginn an ist es klar, dass die Geschehnisse in der Vergangenheit liegen. Der alte Norman erzählt dem Publikum seine Familiengeschichte. In der Originalfassung ist es Robert Redford höchstpersönlich, der Norman als Off-Stimme spricht. Er verleiht der Erzählung eine gewisse beruhigende Aura, aus der sich ein bewegendes Familiendrama entwickelt, dass ohne große dramatische Überhöhung auskommt. Viele tragische Momente gibt es nicht, fast kann man sagen, die Handlung plätschert vor sich hin, wie der titelgebende Fluss dahinfließt. Was in diesem Fall aber nicht negativ gemeint ist.

Trotz vieler Probleme erhält Paul den Schein aufrecht

Denn „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ fesselt dennoch ungemein. Mit Redfords ersten Zeilen macht sich ein melancholisches Gefühl breit, als ob man auf ein weites Meer hinausblickt, die Gedanken schweifen lässt und nebenbei Normans Lebensgeschichte lauscht. Gespickt mit kleinen Lebensweisheiten, die nie belehrend wirken, benötigt Redford keine ausufernde Melodramatik, um große Gefühle zu erzeugen. Wenige Worte und das zurückhaltende Spiel der Darsteller genügen, um dem Zuschauer und der Zuschauerin zu vermitteln, wie es sein musste, Anfang des 20. Jahrhunderts am Blackfoot River zu stehen. Dazu die brillanten Naturbilder von Wald, Wasser und Wiesen für die der französische Kameramann Philippe Rousselot 1993 verdientermaßen den Oscar gewann.

„Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ entwickelt seinen eigenen Rhythmus, so wie Paul seinen eigenen perfekten Rhythmus beim Fliegenfischen findet und dadurch für einen kurzen Augenblick im Einklang mit „der Melodie der Natur“ steht. Er erlebt den Zustand der Gnade, dem nach Norman Maclean und Robert Redford jeder Mensch hinterherstreben sollte, damit er seine Erfüllung findet. Sei es als Fliegenfischer, Universitätsprofessor, Filmemacher oder einer anderen Berufung.

Norman will das Herz von Jessie erobern

Es ist schon fast tragisch, dass Redford nicht am echten Blackfoot River drehen konnte. Dafür war das Gebiet rund um den Fluss Anfang der 1990er-Jahre schon viel zu dicht besiedelt. Als Ersatzkulisse dienten der Gallatin River und die Stadt Livingston in Montana.

Dank der Neuveröffentlichung von capelight pictures konnte ich meine Filmlücke endlich schließen – und das sogar mit einer UHD-Scheibe mit hervorragender Bildqualität, welche neben der Blu-ray dem Mediabook von „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ beiliegt. Dadurch erstrahlt nicht nur der Fluss, sondern auch Brad Pitts Lächeln in vollem Glanz, was für mich nach diesem Filmgenuss gar nicht mehr so störend wirkt wie noch vor knapp 30 Jahren.

Alle als „Limited Collector’s Edition” von capelight pictures veröffentlichten Filme haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgelistet. Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Joseph Gordon-Levitt, Brad Pitt und von oder mit Robert Redford sind unter Schauspieler zu finden.

Veröffentlichung: 3. Dezember 2021 als limitiertes 2-Disc Mediabook (4K UHD Blu-ray & Blu-ray) und DVD, 19. September 2011 als Blu-ray, 21. Juni 2004 als DVD, 7. März 2000 als DVD

Länge: 124 Min. (Blu-ray), 119 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 6
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörgeschädigte, Englisch
Originaltitel: A River Runs Through It
USA 1992
Regie: Robert Redford
Drehbuch: Richard Friedenberg, nach dem gleichnamigen Roman von Norman Maclean
Besetzung: Tom Skerritt, Brad Pitt, Craig Sheffer, Brenda Blethyn, Emily Lloyd, Edie McClurg, Joseph Gordon-Levitt, Stephen Shellen, Susan Traylor, Michael Cudlitz, Rob Cox
Zusatzmaterial 2021: Interviews mit Kameramann Philippe Rousselot und den Darstellern Tom Skerritt und Brenda Blethyn, Kinotrailer, entfallene Szenen; nur Mediabook: 24-seitiges Booklet mit einem Text von Marc Toullec
Label 2021: capelight pictures
Vertrieb 2021: Al!ve AG
Label/Vertrieb 2004/2011: Universum Film
Label/Vertrieb 2000: MAWA/VCL

Copyright 2021 by Andreas Eckenfels

Szenenfotos, Trailer & unterer Packshot: © 2021 capelight pictures

 

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