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Zum 100. Geburtstag von Patrick Macnee: James Bond 007 – Im Angesicht des Todes: Zwei alte MI6-Agenten

06 Feb

A View to a Kill

Von Volker Schönenberger

Agenten-Abenteuer // Er hatte einen Schirm mit einem Degen in seinem Innern, er hatte Charme und er hatte eine mit Stahl verstärkte Melone: Patrick Macnee wurde in Westdeutschland ab 1966 mit der Ausstrahlung der vierten Staffel der Serie „The Avengers“ sehr bekannt. In der von 1961 bis 1969 unter dem Titel „The Avengers“ und von 1976 bis 1977 unter dem Titel „The New Avengers“ produzierten englischen Fernsehserie gab er den kultivierten Gentleman mit feinem Humor, einen „very British“ daherkommenden Geheimagenten. In der Bundesrepublik lief die Serie unter dem Titel „Mit Schirm, Charme und Melone“, wobei mit „Charme“ womöglich auch John Steeds von Diana Rigg verkörperte Kollegin Emma Peel gemeint war. Das Bild der Serie ist hierzulande stark von diesem Duo geprägt, obwohl Rigg tatsächlich nur in der vierten und fünften Staffel (von insgesamt acht) in Erscheinung trat. John Steed hatte im Verlauf der acht Staffeln wechselnde Partnerinnen und Partner, darunter Ian Hendry in der ersten Staffel und Honor Blackman in der zweiten und dritten. Patrick Macnee stellt somit die einzige personelle Konstante während der gesamten Produktionszeit der Serie dar. Der englische Titel „The Avengers“ (zu deutsch: „Die Rächer“) passte gar nicht mal so gut, da es mit Ausnahme der ersten Episode der ersten Staffel 1961 nicht um Vergeltung ging, sondern um das Dingfestmachen großer und kleiner Schurken. Macnees Popularität als John Steed verdankt er den „Goldenen Bravo Otto“ 1968 und den „Bronzenen Bravo Otto“ 1969 der Jugendzeitschrift „Bravo“.

Chauffeur bei Oasis, Chauffeur bei Bond

Der am 6. Februar 1922 in London geborene Daniel Patrick Macnee debütierte bereits 1938 als Filmschauspieler, wenn auch nur als Komparse in der George-Bernard-Shaw-Verfilmung „Der Roman eines Blumenmädchens“ von und mit Leslie Howard. 1943 war er ebenfalls als Komparse im Kriegsdrama „Leben und Sterben des Colonel Blimp“ zu sehen. Im Zweiten Weltkrieg wurde er zur Royal Navy eingezogen, was ein Engagement in einem Theater im Londoner Westend verhinderte, bei dem er sich die Bühne unter anderem mit Vivien Leigh geteilt hätte. Einige Jahre nach Kriegsende siedelte Macnee nach Nordamerika über, erst nach Kanada, dann in die USA. Zu seinen bekanntesten Filmen in jener Zeit zählt die – allerdings britische – Produktion „Panzerschiff Graf Spee“ (1956), in welcher er eine Nebenrolle als Lieutenant Commander übernahm. Macnees IMDb-Filmografie umfasst 175 Einträge von 1938 bis 2003. Darunter befindet sich auch das Musikvideo des Songs „Don’t Look Back in Anger“ von Oasis, in welchem er als Chauffeur zu sehen ist. Bemerkenswert ist auch sein Auftritt als Dr. George Waggner in Joe Dantes Werwolf-Schocker „The Howling – Das Tier“ (1981). Patrick Macnee starb am 25. Juni 2015 im Alter von 93 Jahren in seinem Wohnort Rancho Mirage in Kalifornien.

In „James Bond 007 – Im Angesicht des Todes“ spielt er nach „Mit Schirm, Charme und Melone“ erneut einen britischen Geheimagenten. Als Sir Godfrey Tibbett ist er Angehöriger des Auslandsgeheimdienstes MI6 und unterstützt dabei James Bond (Roger Moore), indem er diesen als Chauffeur getarnt im Rolls-Royce Silver Cloud zum Gestüt des schurkischen Max Zorin (Christopher Walken) bringt. Aber zum Anfang: In seinem siebten und letzten Auftritt als Agent mit der Lizenz zum Töten verschlägt es Roger Moore alias James Bond zum Auftakt in die sibirische Arktis. Dort stellt er einen Mikrochip sicher, den er an der Leiche seines Kollegen 003 aufspürt (später erfahren wir, dass der Chip aus Frankreich stammt und den elektromagnetischen Impuls einer Atombombe aushalten soll, ohne seine Funktion zu verlieren). Im Gegenzug spüren ihn umgehend die Sowjets auf, was eine halsbrecherische Verfolgungsjagd auf Skiern zur Folge hat (die von Ski-Ass Willy Bogner inszeniert und teils mit Ausschnitten des Coversongs „California Girls“ der mir unbekannten Formation Gideon Park unterlegt wurde – da hätte man besser das Original der Beach Boys genommen). Bond erreicht aber ein als Eisberg (!) getarntes Schiffchen, in dem ihn die blonde Skipperin erwartet, eine attraktive Kollegin vom MI6, die ihm auf der Fahrt nach Alaska die Zeit versüßt. Weil der französische Industrielle Max Zorin in der Affäre um den Mikrochip seine Hände im Spiel zu haben scheint, reist Bond nach seiner Rückkehr nach Paris um ihn zu treffen. Dort kommt es im Anschluss an den Mordanschlag auf einen Informanten zu einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd mit dem Attentäter, der sich sogar vom Eiffelturm stürzt, per Gleitfallschirm entkommt und sich – für Bond noch unbemerkt – als Max Zorins Vertraute May Day (Grace Jones) entpuppt.

Duran Duran!

Dass der von Bond-Stammkomponist John Barry im Verbund mit Duran Duran komponierte und von der Band intonierte Titelsong „A View to A Kill“ zu meinen liebsten Bond-Musikstücken zählt, mag daran liegen, dass ich in den 80ern Jugendlicher war und die damalige Popmusik geradezu aufgesogen habe. Er wurde sogar für einen Golden Globe nominiert, unterlag aber Lionel Ritchies „Say You, Say Me“ aus „White Nights – Die Nacht der Entscheidung“, der bald darauf auch den Oscar als bester Filmsong gewann.

Christopher Walken! Grace Jones!

Auch sonst hat „Im Angesicht des Todes“ einiges, was ich an Bond schätze. Die Kalter-Kriegs-Scharmützel zwischen Geheimdiensten des West- und Ostblocks sind ein immerwährender Quell der Freude, auch wenn der KGB hier eher aus dem Hintergrund heraus operiert. Das macht der großartige Christopher Walken als Superbösewicht und Bond-Antagonist mehr als wett – der erste Oscar-Preisträger (für seine Nebenrolle in „Die durch die Hölle gehen“, 1978) in einem Bond! Stark ist auch Zorins Frau fürs Grobe, verkörpert von Ex-Model und Sängerin Grace Jones. Bond darf sie zwar gewohnt sexistisch verblüffen, indem er sie in ihrem Bett erwartet, als Zorin und sie nach ihm suchen, aber sie nimmt das Heft des Handelns sogleich in die Hand, indem sie stellungstechnisch nach oben drängt. Von wegen Missionarsstellung – shocking! Zu einem tödlichen Showdown zwischen Bond und ihr – quasi als Vor-Bosskampf – kommt es allerdings nicht, aus Gründen. Ob man den Bond-Fans nicht zumuten wollte, dass ihr Idol eine Frau abmurkst, wenn auch eine androgyne?

Von der Arktis über den Eiffelturm nach San Francisco

Auch der für Bond typische Wechsel der Schauplätze weiß zu gefallen. Die Arktis Sibiriens (in Island gedreht), Paris inklusive Eiffelturm, ein französisches Großgestüt und die San Francisco Bay – was will man mehr? Wow! What a view!, äußert May Day an Bord eines Luftschiffs über der Bucht, woraufhin Zorin ergänzt: To a kill. Ian Flemings Bond-Kurzgeschichte „From a View to a Kill“ sei nur erwähnt, um der Chronistenpflicht Genüge zu tun. Sie diente offenbar lediglich als Titellieferant, da ihre Handlung mit der des Films nicht das Geringste zu tun hat. Das „From“ wurde zwischen „James Bond 007 – Octopussy“ (1983) und „A View to a Kill“ aus dem Originaltitel gestrichen – im Abspann des Vorgängers ist der Nachfolger noch als „From a View to a Kill“ angekündigt.

Die üblichen Kurzauftritte von Bonds Boss M (Robert Brown), dessen Vorzimmerdame Miss Moneypenny (Lois Maxwell) und Cheftüftler Q (Desmond Llewelyn) samt dessen dazugehöriger kleiner Gadgets tragen natürlich ebenfalls zum Wiedererkennungswert bei. Drücken wir ein Auge zu (oder sogar beide Augen?), dass Roger Moore zum Zeitpunkt der Dreharbeiten bereits 57 Jahre alt war, die man ihm auch ansieht. Vielleicht war das der Grund, dass ihm die Produzenten als Kollegen den fünf Jahre älteren Patrick Macnee an die Seite gestellt haben. Das ließ ihn jünger aussehen. Ob der MI6 tatsächlich solche älteren Herren als Geheimagenten im Feld eingesetzt hat? Roger Moore hat später selbst eingeräumt, bei seinem letzten Bond-Auftritt der Rolle entwachsen zu sein. Ihm gefiel auch der hohe Gewaltgehalt nicht. Aber lassen wir diese Realismus-Erwägungen, da müsste man bei James Bond anderswo anfangen und könnte gar nicht mehr aufhören. Über den auch in den 1980ern noch üblichen Sexismus als integralen Bond-Bestandteil decken wir den Mantel des Schweigens. Da hat sich seitdem bis hin zu Daniel Craig glücklicherweise einiges getan, aber ich kann die alten Bonds mit Moore oder Connery dennoch genießen.

Deutsche Synchronisation mit Freiheiten

Der gut dosierte Humor in Dialogen und Handlung nimmt nicht überhand, verleiht „Im Angesicht des Todes“ aber die nötige Portion Ironie. Wenn Bond als reicher Pferdeliebhaber James St. John Smythe getarnt seinen vermeintlichen Chauffeur/Diener Tibbett mit betonter Blasiertheit schikaniert und dieser das über sich ergehen lassen muss, um in der Rolle zu bleiben, lässt das schmunzeln. Ebenso das Schicksal der sicher sündhaft teuren Vase, die Bond während einer Schlägerei mit zwei Handlangern Zorins zu retten trachtet, nur damit die ebenfalls involvierte Öl-Erbin Stacey Sutton (Tanya Roberts, „Drei Engel für Charlie“, „Sheena – Königin des Dschungels“) sie mit einem resignierten Aw, Hell! auf dem Kopf eines der Schurken zerdeppert. Im Deutschen hätte sich ein Ach, was soll’s! angeboten, aber die Synchronisation verzichtet in dem Moment ganz auf Dialog. Detail am Rande: In der englischen Sprachfassung informiert Stacey Bond im Anschluss an die Keilerei, in der Vase habe sich die Asche ihres Großvaters befunden (It was Granddad’s ashes). Als die Vase auf dem Schädel des Gegners zerschellt, sieht man allerdings, dass sie leer ist, von Aschestaub ist jedenfalls nichts zu sehen. Den Produzenten der deutschen Synchronisation ist dieser kleine Filmfehler womöglich aufgefallen, denn sie machten daraus Es war ein Erbstück von meinem Großvater. Die Synchronisation änderte sogar noch mehr: Aus einem deutschen Wissenschaftler, der in der Nazizeit in einem Konzentrationslager an schwangeren Insassinnen herumexperimentierte, wurde ein polnischer, der im Auftrag des KGB tätig war. Die üblichen Empfindlichkeiten gegenüber Anspielungen auf das Vermächtnis des „Dritten Reichs“ eben. Dass in der deutschen Fassung auch noch durchweg von Silikon (statt Silizium) als wichtiger Rohstoff der Mikrochip-Produktion die Rede ist – geschenkt.

Kinodebüt für Dolph Lundgren

Für Regisseur John Glen war es nach „In tödlicher Mission“ (1981) und „Octopussy“ der dritte Bond-Film, dem mit „Der Hauch des Todes“ (1987) und „Lizenz zum Töten“ (1989) zwei weitere folgen sollten. Maud Adams, Bond-Girl in „Der Mann mit dem goldenen Colt“ (1974) und „Octopussy“, hat einen Cameo-Auftritt als Komparsin während der Hafenszene. Dazu kam es, weil sie ihren guten Freund Roger Moore am Set besuchte, wie sie in einem späteren Interview bekannte. Ein anderer Setbesuch führte zu einem weiteren bemerkenswerten Statistenauftritt: Dolph Lundgren traf Grace Jones, mit der er damals liiert war, und wurde von John Glen – wohl aufgrund seiner beeindruckenden Physis und Physiognomie – um den Kurzauftritt gebeten. So kam es zum Leinwanddebüt des späteren Actionstars aus Schweden.

Premiere: Kinostart am Donnerstag

In der Bundesrepublik Deutschland startete „James Bond 007 – Im Angesicht des Todes“ am 8. August 1985 in den Lichtspielhäusern, einem Donnerstag. Die Besonderheit daran: Bis dato war der Freitag der offizielle Kinostarttag jeder Woche gewesen. Der Hauptverband deutscher Filmtheater wollte mit dieser Änderung erreichen, dass die neuen Filme schon am Freitag per Tagespresse und Mundpropaganda thematisiert werden, um das wichtige Startwochenende zu stärken. Wie Siegfried Tesche in seinem Standardwerk „Das große James-Bond-Buch“ (meine Ausgabe ist von 2002) schrieb, wollten die Kinos damit auch der größer werdenden Konkurrenz des Fernsehens begegnen, das am Freitag viele alte Filme ausstrahlte. Dieses Argument deckt sich durchaus mit meiner Erinnerung an viele freitägliche Filmabende im Kreise der Familie.

„Im Angesicht des Todes“ war an den internationalen Kinokassen durchaus erfolgreich, wenn auch nicht in überwältigenden Dimensionen. Bei Kritik und Fans kam das Werk nicht allzu gut weg, für viele war Roger Moore offenbar schlicht zu alt. In einschlägigen Bond-Ranglisten landet der Film in der Regel auf hinteren Plätzen. Das hat seine Berechtigung, ich stehe allerdings dazu, auch bei meiner wiederholten Sichtung anlässlich dieses Textes meinen Spaß gehabt zu haben. Das mag in einem starken Retro-Faktor meinerseits begründet liegen – Mitte der 80er entwickelte ich mich gerade zum Kinogänger, diese Zeit halte ich in Ehren. Gönnt mir die Freude auch an unterdurchschnittlichen Bonds!

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Dolph Lundgren, Patrick Macnee, Roger Moore und Christopher Walken haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Veröffentlichung: 15. September 2015 und 1. März 2013 als Blu-ray, 12. Oktober 2012 als DVD, 1. Oktober 2007 als Ultimate Edition DVD, 13. November 2006 als 2-Disc Ultimate Edition DVD (Erstauflage im Digipack, Neuauflage im Amaray-Case), 8. Februar 2001 als DVD, diverse Veröffentlichungen als Blu-ray und DVD in James-Bond-Kollektionen

Länge: 131 Min. (Blu-ray), 125 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch (z. T. weitere)
Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörgeschädigte, Englisch (z. T. weitere)
Originaltitel: A View to a Kill
GB/USA 1985
Regie: John Glen
Drehbuch: Richard Maibaum, Michael G. Wilson, nach Ian Flemings Erzählung „From a View to a Kill“
Besetzung: Roger Moore, Christopher Walken, Tanya Roberts, Grace Jones, Patrick Macnee, Desmond Llewelyn, Robert Brown, Lois Maxwell, Patrick Bauchau, David Yip, Fiona Fullerton, Manning Redwood, Alison Doody, Willoughby Gray, Walter Gotell, Geoffrey Keen, Jean Rougerie, Daniel Benzali, Dolph Lundgren, Maud Adams
Zusatzmaterial (nicht in jeder Edition): Audiokommentar von Roger Moore, Audiokommentar von Regisseur John Glen und Mitgliedern der Besetzung und der Crew, Aus dem Geheimarchiv des MI6 (BBC-Reportage aus dem Jahr 1985, Original Promo-Featurette, entfallene Aufnahmen aus den Straßen von San Francisco, Probeaufnahmen des Schmetterling-Tanzes, entfallene Szenen mit einer Einführung von Regisseur John Glen, alternative Kameraperspektiven mit einer Einführung von Regisseur John Glen, Credits), Missionsdossier (Making-of, Der Bond-Sound – Die Musik von James Bond, Musikvideo „A View to A Kill“ von Duran Duran, exotische Drehorte), Propagandaministerium (Kinoarchiv, Bond im Fernsehen), Bilderdatenbank
Label/Vertrieb: MGM / Twentieth Century Fox Home Entertainment

Copyright 2022 by Volker Schönenberger

Packshots: © MGM / Twentieth Century Fox Home Entertainment

 

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