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Zum 100. Geburtstag von Ava Gardner: Die barfüßige Gräfin – Cinderella zieht die Schuhe nur zum Sterben an

24 Dez

The Barefoot Contessa

Von Tonio Klein

Drama // Ava Gardner – Wenn jemals die Unterscheidung zwischen Star und Schauspieler eine Bedeutung hatte, dann bei ihr. Sie war ein Star, und keine Schauspielerin. Oder sagen wir mal, Letzteres nur bedingt. Geboren am 24. Dezember 1922 in Grabtown bei Smithfield, North Carolina, fiel das Kind früh wegen seiner Schönheit auf. Nach der Highschool und einer einjährigen Sekretärinnenfachschule ging sie nach New York, doch statt der Sekretärinnen- sollte sie eine ganz andere Laufbahn einschlagen. Ihre Schwester Beatrice lebte dort mit ihrem Mann, dem Fotografen Larry Tarr, welcher sich nicht entgehen ließ, Aufnahmen seiner jungen Schwägerin zu schießen, die bei einem MGM-Talentsucher landeten … Ihre ersten drei Jahre beim Film, beginnend 1942, waren mühsamer Broterwerb in kleinen und kleinsten Rollen. So hatte beispielsweise MGM – übrigens erstmals – einen komplett fertiggestellten Low-Budget-Film von knapp über einer Stunde Laufzeit gekauft, den es aufzuhübschen galt. Und so geriet Gardner in der Rolle einer Studentin in Douglas Sirks NS-Drama „Hitler’s Madman“ (1943) über die Ermordung Reinhard Heydrichs („Der Henker von Prag“) und die NS-Vergeltung, die in der kompletten Ausradierung des Dorfes Lidice und eines Großteils seiner Bevölkerung bestand. Kleine Rollen in kleinen Filmen noch (bei Sirk: in den USA) unbekannter Meister – das führte sie auch in Fred Zinnemanns „Der Gentleman-Killer“ (1942). Gute Filme, in denen Gardner weder geschadet noch genützt hat. Aber auch in der Trash-Gurke „Ghosts on the Loose“ (1943) mit dem nur noch vom früheren Nimbus zehrenden Bela Lugosi tauchte sie auf. Eine Hauptrolle ergatterte sie hingegen im feinen B-Noir „Whistle Stop“ (1946) an der Seite George Rafts – ihr erster wichtiger Film, auch wenn manche als diesen den Nachfolger „Rächer der Unterwelt“ (1946, auch als „Die Killer“ bekannt) sehen, in den Gardner durch das Interesse an „Whistle Stop“ gekommen war. Ein heute ikonischer Film noir von Robert Siodmak, in dem sich Burt Lancaster zu Beginn stoisch ermorden lässt (1981 wunderbar parodierend in Carl Reiners „Tote tragen keine Karos“ hereingeschnitten) und die archetypische Rückblende eruiert, wie er so tief sinken konnte. Cherchez la Femme fatale, und die ist natürlich Ava Gardner! Nun war sie nicht mehr zu stoppen.

Gardners Karriere – ein Drahtseilakt auf verschlungenen Pfaden

Keine Schauspielerin? Gardner hatte zugegebenermaßen nicht die Kraft, einen miesen oder mittelmäßigen Film im Alleingang zu retten, und sie hatte sicherlich nicht die Bandbreite einer Bette Davis. Auch im Vergleich der großen US-Filmschönheiten der 1950er-Jahre fällt sie insoweit etwas ab. Kann man sie sich als Arbeiterin vorstellen? Nein, aber Marilyn Monroe hat das gemeistert, in „Vor dem neuen Tag“ (1952). Kann man sich Gardner in Adaptionen großer Theaterstücke vorstellen? Mit einer bemerkenswerten Ausnahme („Die Nacht des Leguan“, 1964, nach Tennessee Williams) nein, aber Sophia Loren brillierte in „Begierde unter Ulmen“ (1958) nach Eugene O’Neill und Elizabeth Taylor in „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ (1958) nach Tennessee Williams und in „Der Widerspenstigen Zähmung“ (1967) nach William Shakespeare. Aber wer prangt auf dem Cover des wundervollen Berlinale-Retrospektive-Buchs „Traumfrauen – Stars im Film der fünfziger Jahre“ (hrsg. v. Jatho/Prinzler, 2006)? Ava!

Meine Liebesgeschichte

Gardner war mir 2006 natürlich namentlich bekannt, aber ich hatte noch keinen Film gesehen, sieht man davon ab, dass ihre Verkörperung durch Kate Beckinsale in Martin Scorseses „Aviator“ (2004) mein Interesse geweckt hatte. Dann präsentierte 3sat parallel zur Berliner „Traumfrauen“-Retrospektive eine Auswahl von zehn Filmen, darunter „Die barfüßige Gräfin“, und dieser hat einen enormen Eindruck bei mir hinterlassen, der bis heute anhält. Auch nach dem zweiten und dritten Sehen ist dieser Film und ist die Gardner in ihm mir etwas ganz Besonderes, Einzigartiges. Der Wunsch, alles vom Regisseur Joseph L. Mankiewicz und der Hauptdarstellerin Ava Gardner zu sehen, hat zwar bei Ersterem angesichts der Uneinheitlichkeit von Gardners Werk größere Früchte getragen. Aber „Die barfüßige Gräfin“ ist immer geblieben und wird immer bleiben. Wobei als Dritter im Bunde noch Kameralegende Jack Cardiff zu nennen ist. Niemand fing Gardner in so wunderschönem, glamourösem Technicolor ein wie er (neben der „Gräfin“ in „Pandora und der Fliegende Holländer“, 1951). In England zum geradezu exzessiven und expressiven Technicolormeister herangereift (zum Beispiel für das Regieduo Michael Powell/Emeric Pressburger u. a. in „Die schwarze Narzisse“, 1947), konnte er mühelos in Hollywood Fuß fassen und eben auch Gardners Aura zum Glänzen bringen.

„Die barfüßige Gräfin“ ist ein hochintelligenter und gleichzeitig unendlich trauriger und berührend schöner Film, im Motiv des Barfüßigen eine bittersüße, vor allem aber bittere Abwandlung einer Cinderella Story, wie man in Hollywood verfilmte Mädchenträume gerne nennt. In einer Rückblendenstruktur, der sogar die „Columbo“-Folge „Ruhe sanft, Mrs. Columbo“ (1990) bis ins Detail eine Reverenz erweist, erzählt der Film die Geschichte Maria Vargas’ (Gardner), als diese beerdigt wird, eine Statue auf einem Sockel, eine Ikone. Als spanische Tänzerin in einer Kaschemme in Madrid gecastet, wurde sie mit gerade einmal drei Hollywoodfilmen zur Göttin, und drei Weggefährten erinnern sich an sie: Regisseur Harry Dawes (Humphrey Bogart), Produzent Oscar Muldoon (Edmond O’Brien) und ihr späterer Gatte, Graf Torlato-Favrini (Rossano Brazzi). Mankiewicz, der Ähnliches bereits in „Ein Brief an drei Frauen“ (1949) und „Alles über Eva“ (1950) gemacht hatte, darf als nun nicht mehr von der 20th Century Fox Abhängiger seine ausgefeilte Erzähltechnik konsequent umsetzen: Nicht nur sind in den Rückblenden wirklich nur die Teile enthalten, die der jeweils Erzählende auch mitbekommen haben kann (eine Regel, gegen die ansonsten oft verstoßen wird). Auch sehen wir einmal die Wiederholung einer Szene aus anderer Perspektive. Und wer nun „Quentin Tarantino“ ruft, möge sich daran erinnern, dass diesem Stanley Kubricks „Die Rechnung ging nicht auf“ (1956) gefallen hat, in dem dieser Trick ebenfalls vorkommt. „Die barfüßige Gräfin“ war noch ein bisschen eher dran!

Wenn man sich mit Joseph L. Mankiewicz befasst, findet man heraus, dass er vom Schreiben kommt und schon eine lange MGM-Karriere als Drehbuchautor und Produzent in der Tasche hatte, bevor er 1946 seinen Regie-Erstling „Weißer Oleander“ präsentierte. Auch später schrieb er seine Filme gelegentlich noch selbst, doch sogar ohne nominellen Drehbuchcredit haben sie oft eine Dialogkraft, die man mit „wit and humanity“ beschreiben kann. In der Mankiewicz-Familie war man hochbegabt und hatte mit 15 die Schule und mit 19 die Uni angeschlossen, so auch der bekannte ältere Bruder Herman J. und die nicht so bekannte Schwester Erna. Joseph war, was man einen klassischen Bildungsbürger nennt, mit Interesse an Geistesgeschichte, Philosophie, den Klassikern in Prosa und Drama. Aber eben auch „witty“, und für diese Art der gewitzten Dialoggeschliffenheit à la Noel Coward oder W. Somerset Maugham gibt es einfach kein adäquates deutsches Wort. Beziehungsweise für manche Mankiewicz-Sprachperle keine deutsche Übersetzung. Dawes, der schon bessere Tage gesehen hat, zu Beginn: „Ich habe Filme mit Bild und Ton gemacht, Filme mit Bild, und Filme, die besser weder Bild noch Ton gehabt hätten.“ Im Original: I’ve made films with two dimensions, with one dimension – and with no dimension at all.” Von solchen Sottisen, die oft bitterernst gemeint und stets clever geschrieben sind, strotzt der Film. Doch er ist so viel mehr.

Das Visuelle, die Montage, die Mise-en-scène!

Mankiewicz’ Adaption des Curt-Goetz-Stücks „Frauenarzt Dr. med. Hiob Prätorius“ heißt „People Will Talk” (1951), und Spötter meinen, dies ließe sich über das Gesamtwerk des Regisseurs sagen. Seine Dialogkunst ist unbestritten, kippe aber gelegentlich in Dialoglastigkeit und ins Dozieren. Gewisse Tendenzen sind diesbezüglich tatsächlich bemerkbar, aber wie nannte Kenneth L. Geist seine Monografie über den Mann? „Pictures Will Talk“ (1978)! Gerade „Die barfüßige Gräfin“ muss man nur wenige Minuten sehen, um dies zu bemerken. Zu Beginn der ersten Rückblende folgen wir Dawes, Muldoon und anderen wie dem sich für omnipotent haltenden Filmproduzenten Kirk Edwards (Warren Stevens) in das Madrider Lokal, in dem Vargas auftritt. Ihr Tanz ist ein solches Meisterwerk filmischer Gestaltung, dass danach schon sehr viel Mist kommen müsste, um diesen Film nicht zu lieben (und es kommt keiner). Vargas ist kein einziges Mal zu sehen! Stattdessen: Miniaturen der Zuschauer, die jede für sich eine ganze Lebensgeschichte andeuten, die die Fantasie sprießen lässt, zerplatztes Eheglück hier, Geilheit da, Lebensüberdruss dort? Das Visuelle, die Montage, die Mise-en-scène, also Bildgestaltung im Rahmen der Kadrierung – wie kunstvoll werden viele kleine Geschichten in wenigen Minuten präsentiert. Und das Ganze zeigt, dass die Besetzung mit Ava Gardner besser nicht sein könnte. Schon in der Gegenwarts-Einleitung eine Göttin auf dem Sockel, ist sie die Frau, die Männerträume sprießen lässt – Maria Vargas wie Ava Gardner, die perfekte Verschmelzung von Schauspielerinnenimage und Rolle. Bildschön, etwas rätselhaft, stolz, unnahbar, anscheinend eher Ikone als wirklicher Mensch, dem man sich nähern kann, aber das versucht der Film wenigstens, so wie Marilyn Monroe regelmäßig männliche Beschützerinstinkte hervorgerufen hat. Dawes bekommt einen Zugang zu ihr …

Harry Dawes legt seine Stirn für Maria in Sorgenfalten

… und die Liebesbeziehung oder wenigstens -affäre bleibt aus, aber Freund und versuchsweise Beschützer, das wird er werden. Der Film wuchert immer wieder mit dem Mythos Gardner, blickt auch schon ein wenig auf ihr unstetes Leben zwischen Drinks, Lebemännern, Toreros. Auf einer Yacht räkelt Maria sich wie hingegossen in Badebekleidung im Sonnenlicht, Cardiff schafft die schönsten Technicolorfarben aller Zeiten, Ava/Maria verschmelzen, sich ihrer sinnlichen Wirkung sehr bewusst, die Bildschöne als schönes Bild. Obwohl wir Edwards als Ekelpaket kennengelernt haben, wird er später von einem noch ekelhafteren, hedonistischen, stinkreichen Playboy gedemütigt werden (geschickt geschrieben, wie der Zuschauer selbst mit jemandem wie Edwards Mitleid hat) – und Maria wird sich mit diesem Playboy einlassen. Aus Trotz, kombiniert mit einer Mischung aus Selbstsicherheit und Unreife. Klingt paradox? Sie weiß, wie sie erreichen kann, was sie will – aber ob sie immer weiß, was sie wirklich will? Ob Ava Gardner das immer gewusst hat? Wahrscheinlich nicht.

„Emotionally, she’s a child.”

Dies sagt Harry Dawes über Maria Vargas und dies ist auch ein wichtiges Zitat in Sabine Horsts Gardner-Aufsatz im bereits erwähnten Buch von Jatho/Prinzler. „Die barfüßige Gräfin“ ist auch deswegen der perfekte Gardner-Film (oder besser Gardner-Image-Film, denn wer kann sich schon anmaßen, sie wirklich zu kennen?), weil er den Widerspruch des Selbstbewusst-Verführerischen mit dem Kindlichen durchspielt. Horst: „Es ist, als wäre da ein Spritzer Testosteron, ein etwas schärferer Stoff im Gemisch als sonst üblich bei den Geschöpfen von MGM […]. Ihre Schönheit, ihre Weiblichkeit erschienen […] als etwas, dem Männer nicht gewachsen sind, das sie überfordert […]. Nicht zufällig sind zwei ihrer bekanntesten Leinwandliebhaber […] mit Impotenz geschlagen.“ Einer von ihnen – bemerkenswert für 1954 – kommt in „Die barfüßige Gräfin“ vor, Graf Torlato-Favrini, der sie schließlich ehelicht. Emotional ein Kind, kommt sie allen Ernstes auf die Idee, dass es ihn beglücken könnte, ihm seinen Gram über das drohende Aussterben der gräflichen Linie zu nehmen, indem sie für einen außerehelichen Erzeuger sorgt, was außer dem Gatten ja niemand wissen müsse …

Nein, Dawes ist es nicht, dieser eher schon väterliche Freund, der sie versteht wie niemand sonst, was mehr als eine Beschützerrolle meint, sondern eine tiefe Verbindung herstellt, die auch diejenige des Zuschauers ist. Jedenfalls meiner Wenigkeit, da der Film vielen als ein schwächerer Mankiewicz gilt. Gibt es überhaupt Schwächen? Vielleicht mag man in Mankiewicz gelegentlich einen Hauch von Misogynie erkennen, oder freundlich gesagt, ein gut gemeintes, aber aus der Zeit gefallenes Frauenbild. Ob es damit zu tun hat, dass er in den 1930ern bis über beide Ohren in die Schauspielerin Frances Dee („Ich folgte einem Zombie“, 1943) verschossen war? Sie hatte ihn sehr kurz vor der geplanten Hochzeit sitzengelassen, den Kollegen Joel McCrea geheiratet und mit diesem sogar noch die Hochzeitsreise so unternommen, wie Mankiewicz und sie sie geplant hatten. Verständlich, dass er verletzt war! Auch wenn man ihm nicht in den Kopf schauen kann, erscheint die bei Geist (s. o.) geäußerte Hypothese nachvollziehbar, er habe sich daraufhin einen Schutzpanzer aus Zynismus zugelegt.

Die Frau, das Mankiewicz unbekannte Wesen?

In „Alles über Eva“ gibt es diese Passage, in der sich der Theaterstar Margo Channing (Bette Davis) wünscht, „einfach nur eine Frau“ (und das bedeutet: eine ohne Karriere) zu sein. Was sie dann auch wird, sich dem Jahrmarkt der Intrigen und Eitelkeiten des Schauspielermilieus und interessanterweise auch der Handlung des Film-Schlussaktes entziehend. Im herrlich sarkastischen „Venedig sehen – und erben“ (1967) geht es um drei kapriziöse Grazien, die einem vermeintlich reichen und todkranken Lebemann das Geld aus der Tasche zu ziehen trachten, bevor der Taschenträger so richtig kalt ist. Und in „Die barfüßige Gräfin“ hat Dawes eine Ehefrau, die die eierlegende Wollmilchsau im Mankiewicz-Männeruniversum zu sein scheint, gutaussehend, aber so gar nicht kapriziös, sondern das patente Weib an Dawes Seite. Sie hat sogar einen nichtfraulichen Namen, „Jerry“ (Elizabeth Sellars), sicherlich ein Spitzname, aber den richtigen erfahren wir nie. Dass der Vorname nicht einfach Zufall ist, verdeutlicht der Dialog hinreichend. Da kann man sich schon einmal fragen, ob Mankiewicz von der Liebe Ahnung hat, ob er die Dinge nicht ein wenig idealisiert, wenn er nicht mal ansatzweise hinterfragt, ob ein Mann und eine Frau (und die Frau ist eben Ava Gardner) wirklich nur Freunde sein können, und dies mit einer Tiefe, die die Verbindung so manchen Pärchens locker übertrifft.

Dawes, der Freund und Helfer

Der Patenten wird das Frauliche teils genommen; der Sinnlichen fehlt alles Patente – das darf man auch ein Stück weit mit Magengrummeln goutieren. Lassen wir es mal so stehen. Fairerweise sei gesagt, dass ein weiteres Mankiewicz-Highlight, „Ein Brief an drei Frauen“, so gar nichts Misogynes hat, wo wirklich den Frauen die Bühne gehört und wo sie ernstgenommen und sehr differenziert betrachtet werden. Dort ist es sogar die (so subjektiv das sein mag) Schönste, Verführerischste von allen (Linda Darnell), die die beste Rolle hat: Zu Beginn am berechnendsten und negativsten gezeichnet, springt der Film in drei Rückblenden (aha, schon wieder) immer weiter zurück in die Vergangenheit und korrigiert das Bild, zeigt sie positiver, verletzlicher auch. So kämpft der Film erfolgreich gegen das selbst erzeugte Klischee des sich seiner Verführungskünste bewussten Miststücks an und führt dem Zuschauer vor Augen, wie leicht er doch in die Falle gehen kann. Am 16. Oktober 2023, Darnells hundertstem Geburtstag, lesen wir uns hier hoffentlich wieder.

Märchenhafter Jahrmarkt der Eitelkeiten

Manchen gilt „Ein Brief an drei Frauen“ als der bessere Rückblenden- und Perspektivwechselfilm und „Alles über Eva“ als der ebenfalls mit dem einen wie dem anderen arbeitende Film, der noch schärfer die Eitelkeiten eines Künstlermilieus aufs Korn nimmt. Dort Theater, bei „Die barfüßige Gräfin“ Hollywood. Vielleicht waren die Erwartungen einfach zu hoch. „Alles über Eva“ war – auch bei der Kritik – ein großer Erfolg, und sollte man nicht meinen, Mankiewicz werde sogar noch ein Stück besser, wenn er sich in ein Milieu begibt, das er noch besser kennt? Das kann man natürlich so sehen, und stellenweise scheint der Film auch diese Erwartung zu bedienen. Etwa wenn Dawes über das Business doziert (Bogart mit den üblichen Tics wie wissend-stirnrunzelndem Grinsen und Fingerzeigen passt perfekt) und die Vorführung von Vargas-Probeaufnahmen so arrangiert, dass ihr Ruhm nicht mehr aufzuhalten ist. Oder wenn eine Off-Stimme, scheinbar ohne jegliche Verbindung zur Haupthandlung, mal eben fallen lässt, dass es allen Ernstes Schönheitssalons für Hunde gebe. Gleichwohl ist „Die barfüßige Gräfin“ nicht so sehr Hollywoodfilm über Hollywood (und bekommt völlig zu Recht kein eigenes Kapitel in Robert Lorenz’ wunderbarem Buch „Traumafabrik – Hollywood im Film“, 2020). „Alles über Eva“ zeigt das Theatermilieu, die Proben, die Bühne, den Applaus, die Schminke, das Abschminken, die Kritiker, die Verleihung eines Preises, bei der die Branche sich selbst feiert. Der Film geht mitten hinein. „Die barfüßige Gräfin“ bleibt außen vor. Die Probeaufnahmen, Dreharbeiten oder Ausschnitte eines fertigen Filmes mit Maria Vargas sehen wir nie. Es geht konsequent um das Randgeschehen. Edwards, der eine Frau schlägt. Der unbeholfene Muldoon, der Vargas nicht an den Tisch zu bitten in der Lage ist und dem permanent der Schweiß vom Gesicht perlt. Der Medienrummel und wie man aus Maria eine trauernde Tochter machen könne, obwohl wir ihre Mutter kennengelernt haben und verstehen, warum Maria ihren Tod nicht betrauert. In „Alles über Eva“ gibt es den Karrieretod, in „Die barfüßige Gräfin“ den Tod. In „Alles über Eva“ wird Margo zum Menschen, in „Die barfüßige Gräfin“ Maria zur Statue auf dem Grabessockel. „Die barfüßige Gräfin“ ist viel stärker das Märchen – nur eben ein bittersüßes, todtrauriges. Cinderella kann sich die Schuhe nur anziehen, um damit in ihr Grab zu steigen. Wer sich davon berühren lässt und dahinter den scharfen Verstand, die Dialogperlen, aber auch die visuelle Kraft und vor allem die perfekte Verschmelzung von Vargas mit dem Gardner-Image goutieren kann, für den gilt wie für mich: nicht ein schwächerer Mankiewicz, sondern ein ganz großer.

Jenseits Maria Vargas: Ava Gardner

Maria Vargas hat nur drei Filme gedreht, Ava Gardner natürlich deren ungleich mehr, aber die Kernzeit ihrer Karriere war vergleichsweise kurz. 1946 beginnend (siehe oben), war ihr Zenit etwa ein gutes Jahrzehnt danach schon wieder überschritten. In „Zwischen Madrid und Paris“ (1957) wirkte sie bereits etwas verlebt, was aber in diesem hervorragenden (wenngleich etwas zu langen) Film auch Absicht sein mag. Wie sie in das stargespickte Post-Atomkriegsdrama „Das letzte Ufer“ (1959) noch Glamour bringt und dies nicht einmal deplatziert wirkt, ist ein Erlebnis für sich. In den 1960ern ist meines Erachtens nur noch „Die Nacht des Leguan“ (1964) bemerkenswert.

Die lebenshungrige, aber anscheinend unsichere Gardner hatte nach zwei kurzen Ehen mit Schauspieler Mickey Rooney und Bandleader Artie Shaw eine argwöhnisch von Hollywoods Doppelmoralisten beäugte Beziehung mit Frank Sinatra, bevor er 1951 zu ihrem letzten Mann wurde. Wikipedia: „Gardner ließ sich 1953 in Madrid im franquistischen Spanien nieder. Dort lernte sie Ernest Hemingway kennen, mit dem sie fortan eine tiefe Freundschaft verband. Durch ihn beeinflusst, begann sie sich für Stierkämpfe zu interessieren. So traf sie dann auch ihren langjährigen Geliebten, den Stierkämpfer Luis Miguel Dominguín. 1957 ließ sie sich von Sinatra scheiden.“ Nicht nur Maria Vargas kam also 1954 aus Madrid nach Hollywood. Was die Beziehung zu Howard Hughes betrifft, liegt einiges im Vagen. In „Aviator“ verkörpert Kate Beckinsale sie in nur wenigen, aber ausdrucksstarken Szenen. Nochmals Horst: „Die […] Szenen […] lassen etwas ahnen vom Widersprüchlichen ihrer Erscheinung […]. Von […] Hughes lässt sie sich nichts gefallen – weder teure Geschenke noch Handgreiflichkeiten. Und am Ende ist sie es, die den körperlich und seelisch am Rand des Ruins angekommenen Unternehmer wieder aufrichtet, die ihn in Form bringt, rasiert und ihm zuredet, als wäre er ein Kind.“ Die Bodenständige und die Glamouröse, selbst Kind und manchmal auch Mutter? Zu ihm soll sie sich sexuell nie hingezogen gefühlt haben, bei anderen Männern war dies anders; ein Stück Rätsel wird bei ihr bleiben.

Die Bildschöne als schönes Bild: Maria

Interessant ist ein später berühmt gewordener Film, in dem ihre Besetzung nicht zustande kam: „Der rosarote Panther“ (1963). Denkt man daran, dass Blake Edwards’ Film, dem viele mit dem Ulk-Inspektor Clouseau (für echte Fans nur Peter Sellers) folgen sollten, noch nicht so stark auf Clouseau und Slapstick zugeschnitten war, ist Folgendes durchaus glaubwürdig: Als Clouseau war ursprünglich Peter Ustinov, als die ihn mit einem Meisterdieb (David Niven) betrügende Gattin Ava Gardner vorgesehen. Gardner brachte indes in einer Mischung aus unangenehmen Temperamentsausbrüchen und überzogenen Forderungen das Team zur Verzweiflung. „Ava wollte eine private Villa, ihren eigenen Vollzeitchauffeur, einen persönlichen Chefkoch. […] Sie bestand sogar darauf, dass die Produktion an ihren geliebten Urlaubsort in Madrid verlegt werde. […] Zwei Wochen, bevor die Dreharbeiten beginnen sollten, musste der Produzent sie vom Film entbinden.“ (Sam Wasson: „A Splurch in the Kisser: The Movies of Blake Edwards“, 2011, meine Übersetzung). Die andere Seite: Gardner hatte durchaus Ambitionen, sich als Schauspielerin wie Mensch weiterzuentwickeln, war ein Bücherwurm und wollte dadurch Defizite in klassischer Bildung kompensieren, wollte bessere, authentische Rollen, statt nur auf ihre glamouröse Schönheit reduziert zu werden (John Daniell: „Ava Gardner – Ihre Filme, ihr Leben“, dt. 1987 als Bd. 107 der Heyne Filmbibliothek). Das klappte bei unvollständiger Kenntnis ihres späteren Werks wohl nur noch unter John Hustons „Die Nacht des Leguan“, wobei meine Sichtung des stargespickten Katastrophenthrillers „Treffpunkt Todesbrücke“ (1976) Jahrzehnte her ist. Kinderlos geblieben, zog sie sich 1986 aus dem Filmgeschäft zurück und starb 1990 im Alter von 67 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung in London, wohin sie 1968 gezogen war. Am 24. Dezember 2022 wäre sie einhundert Jahre alt geworden.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Joseph L. Mankiewicz haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Ava Gardner unter Schauspielerinnen, Filme mit Humphrey Bogart in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 16. August 2019 als Blu-ray, 13. Juni 2008, 1. Dezember 2007 und 10. Mai 2002 als DVD

Länge: 130 Min. (Blu-ray), 124 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: keine
Originaltitel: The Barefoot Contessa
USA/IT 1954
Regie: Joseph L. Mankiewicz
Drehbuch: Joseph L. Mankiewicz
Besetzung: Humphrey Bogart, Ava Gardner, Edmond O’Brien, Marius Goring, Valentina Cortese, Rossano Brazzi, Elizabeth Sellars, Warren Stevens
Zusatzmaterial: Wendecover
Label/Vertrieb 2019: Studio Hamburg Enterprises
Label/Vertrieb 2008: Universal Pictures Germany GmbH
Label/Vertrieb 2007: Süddeutsche Zeitung GmbH
Label/Vertrieb 2002: MGM Home Entertainment GmbH

Copyright 2022 by Tonio Klein

Szenenfotos: © 2019 Studio Hamburg Enterprises,
Packshot Blu-ray: © 2019 Studio Hamburg Enterprises, Packshot DVD: © MGM Home Entertainment GmbH

 

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