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Die letzte Fahrt der Demeter – Mit Dracula auf Hoher See

12 Aug

The Last Voyage of the Demeter

Kinostart: 17. August 2023

Von Christoph Leo – ganz recht, ein neuer Autor bei „Die Nacht der lebenden Texte“. Aus der Stammleserschaft. Herzlich willkommen, viel Spaß und gutes Gelingen!

Horror // Erstmals machte der Norweger André Øvredal (* 1973) 2010 mit seiner zweiten langen Regiearbeit „Troll Hunter“ international auf sich aufmerksam. Den bemerkenswerten Found-Footage-Horrorfilm um die Fabelwesen aus der nordischen Mythologie schauten sich offenbar auch Hollywood-Produzenten an, sodass Øvredal die Regie von „The Autopsy of Jane Doe“ (2016) und „Scary Stories to Tell in the Dark“ (2019) übertragen bekam. Nachdem das ebenfalls mythologisch aufgeladene Fantasy-Drama „Mortal – Mut ist unsterblich“ (2020) ihn wieder zurück nach Norwegen geführt hatte, unterschrieb er für seine nächste, bislang vielleicht spektakulärste Arbeit erneut in Hollywood (wobei der Film eine US-europäische Koproduktion ist): Für die Dreharbeiten von „Die letzte Fahrt der Demeter“ konnte er immerhin diesseits des Atlantiks bleiben – gedreht wurde von Ende Juni bis Mitte September 2021 im Studio Babelsberg in Berlin sowie im Mittelmeer in den Gewässern rund um Malta. Die Finanzierung erfolgte auch mit deutschen Fördermitteln.

Aus dem Logbuch des Kapitäns

Die Handlung stellt eine Erweiterung des Kapitels „The Captain’s Log“ aus Bram Stokers 1897 erschienenem Roman „Dracula“ dar: dem Seetransport des Sargs von Graf Dracula von Transsylvanien nach London. Der russische Schoner „Demeter“ wurde gechartert, um im Jahr 1897 50 Holzkisten aus dem Schwarzmeerhafen von Warna nach England zu bringen. Ergänzt wurde die Handlung um drei Figuren, die im Roman nicht vorkommen: der als Protagonist eingeführte schwarze Arzt Clemens (Corey Hawkins, „BlacKkKlansman“), der Schiffsjunge Toby (Woody Norman) und die im späteren Verlauf auftauchende Anna (Aisling Franciosi). Da es sich bei dem Kapitel, der Überfahrt von Dracula von Transsylvanien nach England um einen etwa sechsseitigen Auszug aus Bram Stokers Roman handelt, war es interessant zu sehen, wie der Film die zugrunde liegende Prämisse mit seiner reduzierten Grundidee nutzt und ob André Øvredal tatsächlich einen „Alien auf Hoher See“ inszeniert, wie er es angedachten hatte.

Clemens untersucht Draculas Sarg

Eine Texttafel zu Beginn erklärt, dass es sich bei „Die letzte Fahrt der Demeter“ um die Geschichte handelt, wie Dracula von Tanssylvanien nach England gelangte. Das Geschehen setzt mit einem Prolog der auf der Küste Englands aufgelaufenen „Demeter“ ein, somit ein Ausblick auf den Ausgang der Geschichte. Die zeitlich vorgelagerte Haupthandlung ist klassisch in drei Akte aufgeteilt. Ein Polizist erfährt, dass es keine Überlebenden gibt – hier orientiert sich der Film am Roman. Die Handlung springt dann in die Vergangenheit, wo wir den Protagonisten Clemens (Corey Hawkins), kennenlernen. Dieser befindet sich im regen Treiben am Hafen von Warna, was organisch und optisch wertig dargestellt wird. Auch Kamera und Soundtrack wirken stimmig. Die Kamera begleitet in einigen Einstellungen das Gewusel und der Score von Bear McCreary („Godzilla II – King of the Monsters“) untermalt die Szenerie mit imposanten Streichern.

Clemens (l.) und Kapitän Eliot blicken ins Verderben

Das Wappen auf den zu verladenden Kisten lässt die Bevölkerung am Hafen verängstigt zurück. Ein frisch angeheuerter einäugiger Seemann (Noureddine Farihi) heuert gar sogleich wieder ab, was Clemens erst den Job an Bord einbringt. Lange hält man sich nicht am Hafen auf, bald läuft die „Demeter“ aus. Corey Hawkins verkörpert Clemens als selbstsicheren Charakter, was seine ausdrucksstarke Stimme im Originalton bekräftigt. Er dient den Zuschauenden als moralischer Ankerpunkt. Hier ergibt sich für mich aber auch ein erster Kritikpunkt: Clemens passt wenig in das Szenario der Seeleute und rauen Männer. Dies wird zu Beginn zwar kurz angeschnitten, macht den weiteren Verlauf dadurch aber nicht interessanter. Clemens kann wenig Akzente unter den Crewmitgliedern setzen, auch wenn er einen reizvollen Gegensatz zu den knorrigen Typen mit ihren seeluft- und wettergegerbten Gesichtern bietet. Sein Dasein als einziger Schwarzer wirkt etwas gewollt, erst recht, wenn er nach und nach seinen Werdegang preisgibt: Sein medizinisches Wissen hat er in Cambridge erworben, wo er als erster Schwarzer einen Abschluss gemacht hat. Bald darauf berichtet er, aufgrund seiner Hautfarbe trotz Diploms nirgendwo eine Anstellung als Arzt bekommen zu haben. Ein Nebenaspekt, der für das Geschehen keinerlei Nutzen hat und auch nicht zur Glaubwürdigkeit der Figur Clemens beiträgt.

Vorhersehbarkeit

Vielleicht wäre es die bessere Entscheidung gewesen, eine homogene Crew zu zeigen, bei der sich anfänglich keine reine Hauptfigur herauslesen lässt, ähnlich wie bei Ridley Scotts „Alien – das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ (1979) oder John Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“ (1982). Der folgende Überlebenskampf wäre eventuell spannender ausgefallen. Spannung kommt kaum einmal auf, da sich stets erahnen lässt, was passiert. Ein paar obligatorische Jump-Scares sind immerhin rar gesät.

Die Bedrohung ist …

Der Auftritt von Anna verspricht kurz, die Handlung interessant werden zu lassen. Was sie an Bord verschlagen hat, soll an dieser Stelle nicht verraten werden, hat mich aber auch nicht überrascht. Leider kann Aisling Franciosi ihrer Rolle bis auf eine Ausnahme keine Akzente abgewinnen, sodass die Figur noch überflüssiger wirkt als Clemens und der Schiffsjunge. Einzig ein kurzes Gebet, das Anna vor einer Seebestattung spricht, während die Männer keine Worte finden, lässt einen interessanten Charakter und schauspielerisches Talent durchblicken (wie sie es 2018 auch schon bei „The Nightingale“ gezeigt hat). Danach steht sie aber auch wie der Großteil wieder nur herum und bleibt ähnlich farblos wie alle anderen. Der famose Liam Cunningham („Game of Thrones“) als Kapitän ist darstellerisch fast verschenkt und tritt auch hinter Corey Hawkins eher zurück. Gegen Ende des Mittelteils hat er trotzdem ein paar einprägsamere Szenen und gerät stärker in den Vordergrund.

… greifbar

Ziemlich schnell steigt Dracula (Javier Botet, „Die Mumie“, 2017) aus seiner Kiste und beginnt damit, erst die Tiere unter Deck und dann auch die Crew zu dezimieren. Einen Spannungsaufbau gibt es so gut wie gar nicht, da Dracula – von der Besatzung als „Teufel“ bezeichnet – zügig gezeigt wird und uns die Crew nicht wichtig genug ist, um um sie zu bangen. Anders als beim als Vorbild dienenden „Alien“ verzichtet der Regisseur hier auf einen langsamen Aufbau, zeigt seinen Dracula ohne Ehrfurcht recht schnell in voller Gänze. Der hier gezeigte Vampir erinnert dabei von Gesicht und Kopfform stark an den von Max Schreck dargestellten Graf Orlok aus Friedrich Wilhelm Murnaus Klassiker „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ (1922).

Fortsetzung folgt?

Leider ist das Monster überwiegend per CGI erstellt worden und verliert dadurch einen Großteil seiner Bedrohlichkeit. Mir ist eine einzige Szene im Gedächtnis geblieben, in der die Kreatur ein Crewmitglied über die Seile hinauf auf den Mast verfolgt. Dieser dreht sich verängstigt um und sieht das Monster direkt hinter ihm. Dracula wirkt dabei besonders bedrohlich, weil er den Seemann nach einem Ausruf mit genau dessen Worten nachmacht und nicht mehr nur, wie ein seelenloses Monster wirkt. Im weiteren Verlauf metzelt sich das Monster relativ einfallslos über das Schiff und erwischt dabei, bis auf eine kleine Ausnahme, natürlich immer nur die komplett farblos gebliebenen Crewmitglieder, damit es am Ende zum Showdown kommen kann. Den hier gezeigten Dracula könnte man auch gegen jedes andere Filmmonster austauschen. Wir erfahren außer ein paar kurzen Ausführungen von Anna keine Hintergrundinformationen über Dracula. Das eigentliche Ende ist interessant inszeniert, da es auch in einen nicht gedrehten Universal-Monster-Universe Film passen könnte, definitiv auf eine Fortsetzung ausgelegt. Positiv ist dabei, dass wir kurz einen uns bekannten Dracula durchschimmern sehen, der mehr Potenzial als ein seelenloses CGI-Monster versprüht. Im Roman ist Graf Dracula eine deutlich vielschichtigere Figur, ebenso in etlichen Verfilmungen – in „Die letzte Fahrt der Demeter“ ist er schlicht ein blutrünstiges Monster. Trotz R-Ratings in den USA gibt es auch keine nennenswerten Härten, sodass die deutsche FSK-16-Freigabe gerechtfertigt erscheint.

Der Tod naht

Ein paar Logikmängel seien erwähnt. Dass der russische Schoner seinen Namen „Demeter“ in lateinischer Schrift trägt und nicht in kyrillischer, ist nur ein kleines Detail. Schwerer wiegen da schon einige Entscheidungen der Crew. So beginnt Clemens im Verbund mit Anna irgendwann die Suche nach dem Monster – das aber mitten in der Nacht. Dabei weiß er längst, dass die Kreatur nur nachts zuschlägt, das Tageslicht somit einigermaßen Sicherheit bietet. Keine gute Idee! Nach einiger Zeit erfahren wir (per vom Kapitän als Stimme aus dem Off vorgetragenem Logbucheintrag), dass die Straße von Dover nicht mehr fern ist – die „Demeter“ muss sich somit bereits im Ärmelkanal befinden. Zu diesem Zeitpunkt geht es bereits ums nackte Überleben der verbleibenden Crew. Einzig richtige Entscheidung wäre es hier gewesen, in die „Demeter“ ein Leck zu schlagen und sich ins Rettungsboot zu setzen. Ein Hinaustreiben in den Atlantik wäre aufgrund des Golfstroms nicht zu befürchten, die englische oder französische Küste wären gut zu erreichen. So hält der Film seine Handlung letztlich mit falschen und unwahrscheinlichen Entscheidungen aufrecht.

Knarrendes Gebälk

Das klingt alles sehr negativ und ich habe mich im Anschluss an die Berliner Pressevorführung von „Die letzte Fahrt der Demeter“ ein wenig geärgert, dass alles so beliebig, einfallslos und langweilig geraten ist. Vielleicht gibt der Stoff einfach auch nicht viel mehr her, denn „Alien“ gibt es schon und diverse mal mehr, mal weniger beliebige Nachahmer. Die formale Ebene mit Kamera und Schnitt stimmt, der Film sieht sehr gut aus und weiß sein Setting insofern zu nutzen. Auch das Sounddesign passt, das Schiff knarrt an allen Enden, gelegentlich klopfen die Seeleute aufs Holz, ein Geräusch, das sich ausbreitet – all das erzeugt Stimmung. Es fehlt am Ende an Konsequenz und auch eigenen Ideen, die über den Hauptdarsteller hinausgehen. Der zu Beginn des Films starke Score versackt während des Mittelteils, wird erst zum Finale hin wieder präsenter und unterstreicht auch hier wieder einige schöne Bilder bei Sonnenschein.

Als Einstieg ins Genre geeignet

Interessanterweise gefielen mir viele helle Szenen wesentlich besser, was vielleicht auch an der schwachen CGI-Darstellung von Dracula liegen kann. Für all jene, die vielleicht noch nicht so viele Vampir- oder Dracula-Filme gesehen haben und generell wenig bewandert im Horrorgenre sind, mag „Die letzte Fahrt der Demeter“ ein relativ guter Einstieg ins Genre sein. Der Film ist nicht zu blutig, nicht zu nervenaufreibend, eckt nirgends an und zieht seine Geschichte mit wenigen Überraschungen bei wertiger Inszenierung durch. Für mich wird es wohl bei der einen Sichtung bleiben.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von André Øvredal haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Javier Botet und Liam Cunningham unter Schauspieler.

Erbitterter Kampf

Länge: 118 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Originaltitel: The Last Voyage of the Demeter
USA/GB/MAL/IT/D 2023
Regie: André Øvredal
Drehbuch: Bragi F. Schut, Zak Olkewicz, nach Motiven von Bram Stokers Roman „Dracula“
Besetzung: Corey Hawkins, Aisling Franciosi, Liam Cunningham, Javier Botet, David Dastmalchian, Chris Walley, Jon Jon Briones, Stefan Kapicic, Martin Furulund, Nikolai Nikolaeff, Woody Norman, Graham Turner, Noureddine Farihi
Verleih: Universal Pictures International Germany

Copyright 2023 by Christoph Leo
Filmplakat & Szenenfotos: © 2023 Universal Pictures International Germany

 
2 Kommentare

Verfasst von - 2023/08/12 in Film, Kino, Rezensionen

 

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2 Antworten zu “Die letzte Fahrt der Demeter – Mit Dracula auf Hoher See

  1. Christoph Wolf

    2023/08/19 at 00:06

    Schöner Einstand, Namensvetter:-)
    Hab den Film eben gesehen und finde meine Eindrücke in deinem Text hervorragend auf den Punkt gebracht.

     
    • Christoph Leo

      2023/08/19 at 09:27

      Vielen lieben Dank für die lobenden Worte. Ich hatte mir etwas mehr erhofft und war dann leider ein wenig enttäuscht.

       

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