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Zum 75. Geburtstag von Pam Grier / Black Cinema Collection (8): Coffy – Die Raubkatze: Die Erste ihrer Art

26 Mai

Coffy

Von Andreas Eckenfels

Actionthriller // You know just the words that turn me on. And I know what you want, too, and you’re gonna get it. – Du kennst also die Sprache, die mich anturnt. Und ich fühle auch, was du willst, und du wirst es kriegen.

Der attraktiven „Puppe“, die im Auto von Gangsterboss Sugarman (Morris Buchanan) sitzt und ihm mit deutlichen Worten im Gegenzug für einen Schuss ein heißes Schäferstündchen anbietet, kann er einfach nicht widerstehen. Doch bevor es in seiner Wohnung zum Stelldichein kommt, pustet ihm die mysteriöse Frau mit einer abgesägten Schrotflinte aus kurzer Distanz den Kopf weg. Anschließend verabreicht sie seinem Handlanger Grover (Mwako Cumbuka) eine Überdosis in den Arm. Spätestens dann ist klar, dass die ersten Worte von Flower Child Coffin, genannt „Coffy“ (Pam Grier), auch als Versprechen an das Publikum gerichtet waren: Ihr bekommt, was ihr erwartet, wenn ihr für einen Film Eintritt bezahlt, auf dessen Plakat die vollmundige Werbezeile The Baddest One-Chick-Hit-Squad that ever hit town! (Die krasseste Ein-Frau-Killereinheit, die je in der Stadt war!) prangt.

Coffy macht von Beginn an keinen Hehl daraus, weshalb sie die Taten begeht: Sie will Rache! Ihre jüngere Schwester LuBelle (Karen Williams) ist dem Kokain verfallen, nach einer Überdosis siecht sie in einem Pflegeheim dahin, zudem ist die Gewalt in ihrer Heimatstadt Los Angeles deutlich angestiegen. Die Auswirkungen des Drogenkriegs sieht Coffy bei ihrer täglichen Arbeit als Krankenschwester in der Notaufnahme. Da ein Großteil der Polizeibeamten geschmiert ist, will sie nun auf eigene Faust die Dealer und anschließend die führenden Köpfe der Drogensyndikate der Stadt zur Strecke bringen – koste es, was es wolle!

Weibliche Actionheldin mit Star-Appeal

Im Blaxploitation-Kino hatten sie ein Starsystem aufgebaut: Jim Brown, Fred Williamson, Jim Kelly waren alle große Stars dieser Zeit – und auch Pam gehörte dazu. Aber: Wenn über Jim Brown ein Artikel geschrieben wurde, nannten sie ihn „den schwarzen Clint Eastwood“. Fred Williamson war „der schwarze Burt Reynolds“, Jim Kelly „der schwarze Bruce Lee“. Doch es gelang ihnen nicht, einen weißen Star als Äquivalent zu Pam zu finden. Es gab damals schlichtweg keine weiße Heldendarstellerin, deren Name auf den Plakaten stand: Pam Grier ist „Coffy“. Pam Grier ist „Foxy Brown“. Das Publikum ging ihretwegen ins Kino, um sie in diesen Actionrollen zu sehen. Es gab keine Darstellerin vor ihr und keine Darstellerin nach ihr, die ihren Platz einnehmen konnte. Wer, wenn nicht „Jackie Brown“-Regisseur Quentin Tarantino könnte besser zusammenfassen, welchen einzigartigen Status Pam Grier in der Filmgeschichte einnimmt?

Coffy weiß, was Männer wollen – aber ob sie es ihnen gibt?

Keine andere Schauspielerin der 1970er-Jahre brachte markige One-Liner über die Lippen, wie sie sonst nur die Kerle aufsagen durften, war sexy, konnte sich knallhart als auch emotional zeigen und strahlte in der von Männern dominierten Branche und Filmwelt solch ein Selbstbewusstsein aus wie Pam Grier. Die Grundlage für ihren Rollentypus und ihren späteren Status als Filmikone legte sie mit „Coffy“, ihrem ersten Film als alleinige Hauptdarstellerin.

Pam Grier war die Erste ihrer Art: eine Actionheldin mit Star-Appeal. Erst einige Jahre später traten unter anderen Sigourney Weaver in „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ (1979) und Linda Hamilton in „Terminator“ (1984) als weiße Darstellerinnen langsam in ihre übergroßen Fußstapfen.

Entdeckt von Jack Hill und Roger Corman

In ihrer Kindheit muss die am 26. Mai 1946 in Winston-Salem im US-Staat North Carolina geborene Pam Grier mit ihren Eltern häufig umziehen: Ihr Vater ist Tech-Sergeant bei der US Air Force, ihre Mutter Krankenschwester. Unter anderem lebt die Familie einige Jahre in England. Viel Zeit verbringt sie auch auf der Zuckerrüben-Farm ihrer Großeltern. Ihr Großvater bringt ihr Fischen und Jagen bei, weil sie wegen der Rassentrennung nicht zu den Pfadfindern darf, wie sie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erzählt. In der Highschool in Denver spielt sie Theater, später nimmt Grier an Schönheitswettbewerben teil, um Geld fürs College zu verdienen.

Jedenfalls weiß sie, was sie will

Ende der 1960er zieht sie nach Los Angeles, wo sie bei American International Pictures (AIP) einen Job in der Telefonzentrale erhält – und von Regisseur Jack Hill („Spider Baby“, 1967) entdeckt wird. Sie nahm an einem Casting für „The Big Doll House“ teil. Sie hatte praktisch keine Erfahrung, keine Erwartungen, hat mich aber als jemand beeindruckt, der über das verfügt, was wir früher „Autorität“ genannt haben – was bedeutet, dass das Publikum sie ansieht, wenn sie auf der Leinwand ist, erinnert sich Hill.

So beginnt Pam Grier ihre Karriere wie viele weitere spätere Leinwandlegenden auch: in Produktionen von New World Pictures, dem Studio des am 9. Mai 2024 im Alter von 98 Jahren verstorbenen Roger Corman. Bei den von Jack Hill auf den Philippinen gedrehten Frauengefängnisfilmen „The Big Doll House“ (1971) und dessen Fortsetzung „The Big Bird Cage“ (1972) sowie Gerardo de Leons „Frauen hinter Zuchthausmauern“ (1971) sammelt Grier erste Erfahrungen im Exploitation-Genre.

An der Seite von Margaret Markov folgt „Frauen in Ketten“ (1973), dann wird sie kurz darauf von Jack Hill für „Coffy“ engagiert.

Mit Rasierklingen im Haar

Die „Autorität“, die Jack Hill beschrieben hat, besitzt Pam Grier als Coffy ohne Frage: Ihre starke Leinwandpräsenz prägt diesen harten Rache-Thriller von der ersten Minute an. Überhaupt ein Genre inklusive Selbstjustiz-Plot, das besonders in den 1970ern gängig ist und eben von einer charismatischen Hauptfigur lebt, der das Publikum bedingungslos folgt und ihr es dann auch nicht übelnimmt, wenn sie zur Gewalt als letztes Mittel greift; als Beispiel sei nur „Ein Mann sieht rot“ (1974) mit Charles Bronson genannt. Doch es ist nun mal damals eine strikte Männerdomäne, in die Pam Grier hier ihren Fuß reinsteckt. Die Geschichte verläuft dabei geradlinig mit einigen Härten und Schauwerten ab, zaubert aber im letzten Drittel eine Überraschung aus dem Hut, die „Coffy“ einen wesentlich dunkleren Ton verleiht, als es etwa bei dem im Anschluss gedrehten „Foxy Brown“ (1974) der Fall ist.

Das wird auch Zuhälter King George zu spüren bekommen

Pam Grier webt einige Ideen und Erfahrungen ins Drehbuch ein, darunter auch in einer der wenigen lustigen Szenen des Films: Die mit Absicht völlig übertrieben inszenierte Partyprügelei unter den Prostituierten, bei der Coffys eifersüchtige Rivalin (Linda Haynes) ihr an den Haaren zerren will und dabei in die dort versteckten Rasierklingen greift. Autsch! Diese Art des nicht ganz fairen Kampfes sei früher auf der Straße durchaus üblich gewesen, so Grier.

Zuschlagen, schießen und markige Sprüche raushauen kann Pam Grier genauso gut wie die Kerle. Doch im Unterschied zu den Rache-Thrillern mit Männern als Protagonisten reflektiert Coffy ihre Taten – und tut das, was eben nur Frauen können: ihre weiblichen Reize einsetzen. Womit sie damit die Schwächen des „starken“ Geschlechts gnadenlos offenlegt. Mann ist eben einfach gestrickt. Wenn sie das Naivchen spielt oder offenherzig ihre sexuellen Bedürfnisse mitteilt, da wirft auch der sonst noch so skrupelloseste Mafiaboss alle Bedenken über Bord und gibt sich der Femme fatale bereitwillig hin. Somit wird bei „Coffy“ auch ordentlich mit Geschlechterrollen gespielt und den ganzen im Blaxploitation-Genre häufig vertretenen Machotypen subversiv der Spiegel vorgehalten. Zu diesem Thema findet sich mehr im höchst informativen Booklettext der Kultur- und Filmwissenschaftlerin Dr. Lioba Schlösser mit dem Titel: „Emanzipation oder perfides Spiel mit Stereotypen?“.

Die Brown-Nipple-Revolution

Doch Coffy zieht sich nicht nur vor den Dealern aus, als selbstbewusste Frau genießt sie es auch, Sex zu haben. Allerdings nur mit ihrem festen Freund, dem Politiker Howard (Booker Bradshaw), der sich öffentlichkeitswirksam gegen Drogen auf den Straßen einsetzt. Pam Griers Nacktszenen sind zahlreich, und wie Jack Hill im Interview im Bonusmaterial erzählt, wusste sein Star auch, dass diese eben zum Exploitation-Genre dazugehörten. Sie hatte kein Problem damit, ihren Körper zu zeigen und verfolgte dabei sogar eine eigene Agenda: die „Brown-Nipple-Revolution“.

Eine echte Raubkatze

Ich wollte, dass sich alle daran gewöhnen, farbige Frauen wahrzunehmen. Ich habe in „Coffy“ und „Foxy Brown“ Nacktszenen gemacht, um das Publikum für mich zu gewinnen. Es sollte sich daran gewöhnen, dass sie starke Frauen sehen, die Martial Arts beherrschen und mit Waffen umgehen können. Ich nenne es die „Brown Nipple Revolution“. Wir waren nicht der Inbegriff sexueller Anziehung für das männliche Publikum, weder in Filmen noch in Zeitschriften oder irgendwo sonst. Uns wurde gesagt, dass unsere braunen Brustwarzen nicht attraktiv seien. Ich habe versucht, diese Grenze zu durchbrechen, was in der Gesellschaft akzeptabel war.

Auch ein Grund, warum Pam Grier bis heute einen Status als Ikone innehat.

Triumph über Cleopatra Jones – und James Bond

Nach dem Erfolg der „Shaft“-Trilogie (1971–1973) mit Richard Roundtree wird Jack Hill von AIP beauftragt einen Gegenfilm zu Warners „Ein Fall für Cleopatra Jones“ (1973) anzuliefern – ebenfalls mit einer starken afroamerikanischen Hauptfigur. Neben Pam Grier werden unter anderen Robert DoQui („RoboCop“) als Zuhälter King George, Allan Arbus („Damien – Omen II“) als Gangsterboss Arturo Vitroni und Griers langjähriger filmischer Wegbegleiter Sig Haig („Haus der 1000 Leichen“) als kerniger Handlanger Omar verpflichtet. Die Mission gelingt mit einem Budget von zwei Millionen US-Dollar: Nicht „Cleopatra Jones“-Darstellerin Tamara Dobson, sondern Pam „Coffy“ Grier lockt mehr Zuschauerinnen und Zuschauer ins Kino. Zeitweise kann „Coffy“ in den US-Kinos sogar die Einnahmen von „James Bond 007 – Leben und Sterben lassen“ (1973) mit dem 007-Debütanten Roger Moore und dem schwarzen Gegenspieler Yaphet Kotto toppen.

Nicht totzukriegen

Beginn einer steilen Karriere für Pam Grier mit Höhen und Tiefen. Anfang der 1980er-Jahre, als der Blaxploitation-Boom abebbt, zeigt sich Grier häufig in Action-, Fantasy und Horrorfilmen wie der gruseligen Disney-Produktion „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ (1983), „Vindicator“ (1986) und neben Steven Seagal in „Nico“ (1988). 1988 wird bei ihr Gebärmutterhalskrebs im vierten Stadium diagnostiziert, die Ärzte geben ihr nur noch 18 Monate zu leben. Doch so leicht ist die „One-Hit-Chick-Squad“ nicht totzukriegen. Die Chemotherapie und Medikamente wirken – sie wird geheilt.

Nach ihrer Regeneration nimmt Grier weniger Jobs an. Es folgen einige Auftritte in TV-Serien wie „Miami Vice“ (1984–1989) oder „Unter der Sonne Kaliforniens“ (1979–1993). John Carpenter verpflichtet sie für „Flucht aus L.A.“ (1996) und später – nach ihrem grandiosen Comeback dank Tarantinos „Jackie Brown“ (1997) inklusive Golden-Globe-Nominierung – auch in „Ghosts of Mars“ (2001). Von 2004 bis 2009 wirkt sie in allen 70 Folgen der Dramaserie „The L Word – Wenn Frauen Frauen lieben“ mit. Auch hier zeigt sie sich mit den anderen Darstellerinnen freizügig, auch um Aufmerksamkeit zu generieren, um ernste gesellschaftliche Themen wie Abtreibung, Adoption, Homosexualität, multikulturelle Familien und Krebs bei einer breiteren Öffentlichkeit ins Gespräch zu bekommen. Viele kleine Rollen in Kino und TV folgen – aktuell ist sie in der zweiten Staffel der Prime-Video-Horror-Anthologieserie „Them“ (seit 2021) zu sehen.

In meinen Filmen aus den siebziger Jahren ging es zum ersten Mal um schwarzen Stolz. Foxy Brown oder Coffy sind starke Frauen, die ihre Weiblichkeit trotz ihres gerechten Zorns nicht verlieren, sagt Pam Grier später über die Rollen, die sie unsterblich gemacht haben.

Wir wünschen alles Gute zum 75. Geburtstag!

Deutsche Heimkino-Veröffentlichungen von „Coffy – Die Raubkatze“ gibt es einige, zuletzt hat die Wicked Vision Distribution GmbH eine Special Edition mit Blu-ray und DVD in den Handel gebracht – als achten Beitrag der feinen „Black Cinema Collection“. Sie kann unter anderem im Online-Shop des Labels bezogen werden. Die Bildqualität ist vorzüglich (Arrow-Master), zudem präsentiert Wicked den Film erstmals vollständig synchronisiert, vormals fehlende Szenen ließ das Label aufwendig nachsynchronisieren. Auch das Bonusmaterial kann sich sehen lassen (Auflistung siehe unten), ebenso das Booklet mit dem bereits erwähnten Text von Lioba Schlösser. Eine vorbildliche Edition.

Die Filme der „Black Cinema Collection“ der Wicked Vision Distribution GmbH haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgeführt, ebenso die der Reihe „Action Cult Uncut“ von Twentieth Century Fox Home Entertainment. Alle berücksichtigten Filme mit Pam Grier haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Sid Haig unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 20. Dezember 2021 als 2-Disc Special Edition (Blu-ray & DVD, limitiert auf 1.500 Exemplare), 26. Juni 2020 als Blu-ray, 29. März 2019 als 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & DVD, limitiert auf 1.000 Exemplare), 17. August 2012 als DVD in der „Action Cult Uncut“-Reihe, 4. August 2003 als DVD

Länge: 90 Min. (Blu-ray), 86 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch (restaurierter Lichtton mit 2021 neusynchronisierten Segmenten), Deutsch (restaurierter Lichtton mit 2021 neusynchronisierten Segmenten, alternative Version), Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Coffy
USA 1973
Regie: Jack Hill
Drehbuch: Jack Hill, Pam Grier
Besetzung: Pam Grier, Booker Bradshaw, Robert DoQui, William Elliott, Allan Arbus, Sid Haig, Barry Cahill, Linda Haynes, John Perak, Morris Buchanan, Lisa Farringer, Mwako Cumbuka, Karen Williams
Zusatzmaterial 2021: Audiokommentar mit Regisseur Jack Hill, Audiokommentar mit Dr. Gerd Naumann und Christopher Klaese, Featurette „Pam Grier – The Mother of Blaxploitation“ (14:51 Min.) mit PD Dr. Andreas Rauscher, „The Baddest Chick in Town“ – Interview mit Pam Grier (17:38 Min.), „Coffy for Cool“ – Jack Hill über ein Kultphänomen (15:16 Min.), „Coffy in 15 Minuten“ – Britische Super-8-Fassung (15:11 Min.), deutscher Kinovorspann (5:26 Min.), Originaltrailer (2:01 Min.), Bildergalerie, 24-seitiges Booklet mit einem Essay von Lioba Schlösser
Label/Vertrieb 2021: Wicked Vision Distribution GmbH
Label/Vertrieb 2020/2019: Studio Hamburg Enterprises
Label/Vertrieb 2012: Twentieth Century Fox Home Entertainment
Label/Vertrieb 2003: MGM

Copyright 2024 by Andreas Eckenfels

Szenenfotos & erster unterer Packshot: © 2021 Wicked Vision Distribution GmbH,
weitere Packshots unten (in der Reihenfolge): © 2020 Studio Hamburg Enterprises,
© 2019 Studio Hamburg Enterprises,
© 2012 Twentieth Century Fox Home Entertainment,
© 2003 MGM

 

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