RSS

Die Narbenhand – Wenn „Meilenstein“ das richtige Wort ist

15 Mai

This Gun for Hire

Von Ansgar Skulme

Krimidrama // Der Auftragskiller Raven (Alan Ladd) erbeutet eine chemische Formel und ermordet pflichtbewusst den Mann, der sie gestohlen hatte. Sein Auftraggeber Willard Gates (Laird Cregar) jedoch bezahlt ihn mit markierten Geldscheinen und zeigt den angeblichen Diebstahl der Scheine bei der Polizei an. Raven beschließt, sich an Gates zu rächen, dessen Hintermänner offenbar geschäftliche Beziehungen zu den Japanern unterhalten. Dabei trifft er auf die schöne Ellen Graham (Veronica Lake), die in Gates‘ Nachtclub arbeiten soll, um ihn auszuspionieren. Grahams Verlobter, Detective Lieutenant Michael Crane (Robert Preston), ist jedoch bereits hinter Raven her – und mit ihm bald eine ganze Armada an Polizisten.

Raven (l.) lächelt äußerst ungern

„Die Narbenhand“ gilt neben „Die Spur des Falken“ (1941) als wahrscheinlich wichtigster richtungsweisender Vertreter des ganz frühen Film noirs. Die Figur des Raven setzte Maßstäbe für die vielen psychologisch komplex angelegten Antihelden, die der Noir in der Folge hervorbrachte. Basierend auf dem 1936 erschienenen Roman „A Gun for Sale“ des britischen Autors Graham Greene, der in den USA bereits im selben Jahr als „This Gun for Hire“ veröffentlicht wurde – deutscher Titel: „Das Attentat“ –, sorgte der Film zudem für Alan Ladds Durchbruch in Hollywood. Ladd wurde von Fans und Kritik so sehr für seine Darbietung gefeiert, dass er zum Star des Films avancierte, obwohl er im Vorspann noch von Veronica Lake, Robert Preston und Laird Cregar überragt wurde. Besonders eine Szene hat es in sich, in der Raven sein Schicksal als Junge und die Misshandlungen durch seine Tante schildert. Produktionsunterlagen weisen darauf hin, dass es ursprünglich auch Filmmaterial mit dem jungen Raven und seiner Tante geben sollte, das jedoch aus dem finalen Film entfernt wurde. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass dies die bloßen Beschreibungen der Vorfälle durch Raven umso eindrücklicher macht. Insgesamt wurden vor Veröffentlichung des Films aber angeblich mehr als zehn Minuten gekürzt – vermutlich also auch weitere Szenen. Ladd überzeugt, gekrönt von dieser Szene, durchweg als gebrochener Mann, der erst für Geld und schließlich für seine Ideale kämpft. Seine Darstellung des Killers beeinflusste viele nachfolgende Killer-Darstellungen der Filmgeschichte unmittelbar – wobei Alain Delon in „Der eiskalte Engel“ (1967) lediglich eines der offensichtlichsten Beispiele ist.

Nicht nur als Noir wegweisend

Beachtlich ist, dass der Film nicht nur für den Noir und seine Figurenkonzeptionen Maßstäbe setzte, sondern dass die Geschichte auch deutliche Ideenvorlagen für spätere Agentenfilme aufweist – sei es der Plot um die gestohlene chemische Formel oder das Finale im Hauptquartier des Oberschurken. Da darf auch das eine oder andere kuriose Utensil nicht fehlen, das sich der Protagonist zunutze macht, wie in dem Fall eine, wie es diesen nun einmal eigen ist, absonderlich aussehende Gasmaske, die der Protagonist zur Tarnung nutzt, um sich einzuschleichen. Aus heutiger Sicht erstrahlt der Film gewissermaßen in fast alle Richtungen wie eine Arbeit großer Pioniere – da passt es auch recht gut ins Bild, dass es genau dieser Film war, von dessen Set Paramount über seine hauseigene experimentelle TV-Station ein Interview mit Veronica Lake und Alan Ladd live übertragen ließ, das zum damaligen Zeitpunkt nur wenige Haushalte in Los Angeles empfangen konnten, da kaum jemand einen entsprechenden Fernsehempfang besaß.

Taut der Killer auf?

Es verwundert wenig, dass „Die Narbenhand“ allein in den USA im Jahr der Erstveröffentlichung bereits mehr als das Doppelte der Produktionskosten einspielte. Schon im Vorfeld des Drehs hatte Alan Ladd einen langfristigen Vertrag mit Paramount unterzeichnet, nachdem er sich nach langer, ausführlicher Suche schließlich als Besetzung des Raven hatte durchsetzen können. Bis dato hatte die Produktion immer wieder Schwierigkeiten gehabt, in die Gänge zu kommen. Bereits im Jahr der Buchveröffentlichung gab es Pläne für eine Verfilmung. Zunächst sollte Gertrude Michael die Hauptrolle spielen, dann Ida Lupino. Für die männlichen Hauptrollen waren Akim Tamiroff und Ray Milland im Gespräch. Als man 1941 schließlich einen weiteren Versuch wagen wollte, konnte sich der nun auf das Projekt angesetzte Regisseur Frank Tuttle trotz diverser ihm angebotener Stars lange Zeit nicht auf eine Besetzung für Raven festlegen und war schließlich erst zufrieden, nachdem Alan Ladd für die Rolle vorgesprochen und Probeaufnahmen gemacht hatte. Den ihn jagenden Polizisten und Freund von Ellen Graham sollte ursprünglich nun Macdonald Carey spielen, der aber kurzfristig von Robert Preston ersetzt wurde. Nicht unbedingt ein Glücksgriff, da Preston sowohl von Ladd als auch Laird Cregar gehörig die Show gestohlen wird. Die Rolle ist enttäuschend blass und die Darstellung folgt allen nur denkbaren Klischees des Liebhabers der Hauptdarstellerin. Einer der wenigen Schwachpunkte dieses Meilensteins der Filmgeschichte.

Bitte mehr davon!

Paramount setzte Veronica Lake und Alan Ladd im Zuge des Erfolges gemeinsam auf „Der gläserne Schlüssel“ an, ehe Ladd schließlich in „Gangsterfalle“ erneut mit Regisseur Frank Tuttle zusammentraf – drei Filme, alle aus dem Jahr 1942, die seine Karriere unter komplett neuen Vorzeichen erscheinen ließen. Auf den Stoff von „Die Narbenhand“ besann man sich 15 Jahre später noch einmal und gab im Hause Paramount ein Remake in Auftrag: „Short Cut to Hell“, der in Deutschland unter dem Titel „Mit dem Satan auf Du“ erschien. Der Film erlangte vor allem deswegen eine gewisse Bekanntheit, weil er die erste und einzige Regiearbeit des Star-Schauspielers James Cagney wurde.

Auch vor Frauen und älteren Männern wird kein Halt gemacht

Gern mehr würde man von Laird Cregar sehen, der schon bald als aufstrebender Star in Hollywood galt, obwohl er mit seiner fülligen Figur keine typischen Heldenrollen zu verkörpern vermochte. Cregar spielte insgesamt nur 14 namentlich genannte Filmrollen, die im kurzen Zeitraum von 1941 bis 1945 auf den Leinwänden erschienen. Der letzte dieser Filme kam erst posthum ins Kino, da Cregar Ende 1944, kaum über 30 Jahre alt einem Herzinfarkt erlag. Gerade erst war er seinerzeit als Hauptdarsteller entdeckt worden und hatte unter der Regie des deutschen Regisseurs John Brahm in „Scotland Yard greift ein“ (1944), einer Adaption des Romans „The Lodger“, erstmals 1927 von Alfred Hitchcock verfilmt, die Rolle des Jack the Ripper gespielt, worauf mit „Hangover Square“ (1945) unmittelbar eine weitere Hauptrolle in einem Thriller folgte. Bereits 1941 war er außerdem in „I Wake Up Screaming“, einem anderen sehenswerten, frühen Noir zu erleben. „Die Narbenhand“ ist neben dem Stierkämpfer-Epos „König der Toreros“ (1941) und Ernst Lubitschs „Ein himmlischer Sünder“ (1943) aber sicherlich sein bekanntester und erfolgreichster Film. Sowohl seine Darstellung des geldgierigen Feiglings in „Die Narbenhand“ als auch die des Journalisten in „König der Toreros“, der in rasender Verehrung für den Stierkämpfer schwelgt, der jeweils gerade am erfolgreichsten ist, haben etwas Prototypisches und Mitreißendes an sich, womit dem Zuschauer das Gefühl gegeben wird, dass man die Rolle genau so spielen muss wie Laird Cregar es macht. In der Nachbetrachtung seines Schaffens haben Filminteressierte und -historiker unter anderem den bemerkenswerten Aspekt diskutiert, wie er in seiner Rolle in „König der Toreros“ – dem Journalisten, der seine Stierkampf-Helden in der Arena stets frenetisch bejubelt, sie nach oben schreit und schreibt, sich großspurig als Kenner ihrer Fähigkeiten ausgibt und damit vor anderen prahlt, ehe er seine Objekte der Begierde bei Misserfolg schließlich fallen lässt – eine verkappte Homosexualität verankerte, da Cregar selbst homosexuell war und dies vor der Öffentlichkeit geheim halten musste. Wer Lust hat, sich langsam in das Kino der 40er-Jahre hineinzuarbeiten, macht mit der leider überschaubaren Filmografie von Laird Cregar, die diverse Genres umfasst, als Einstieg in jedem Fall nichts verkehrt. Cregar war als Phänomen des aufstrebenden Schauspielers um die 30, der gerade in neue Dimensionen vorstieß, als er auf dem Höhepunkt seines Schaffens aus dem Leben gerissen wurde, für die 40er-Jahre gewissermaßen das, was Heath Ledger für die 2000er-Jahre war und verstörte als Jack the Ripper in seinem vorletzten Film in ähnlich ungeahnter Art und Weise wie Ledger in seinem vorletzten Film, „The Dark Knight“ (2008), als Joker.

Lohnende Veröffentlichung

Auch wenn es etwas überraschend ist, dass ein Film wie dieser vorerst nur auf DVD und nicht als Blu-ray erscheint, lohnt sich der Kauf absolut. Das Bild ist sehr gut und die Neusynchronisation mit Volker Brandt, dem Stammsprecher von Michael Douglas, in der Rolle des Killers Raven atmosphärisch zwar natürlich diskutabel, aber für Neusynchro-Verhältnisse trotzdem gut gelungen. Eine zeitgenössische Synchronisation, die maximal zehn Jahre jünger als der Film ist, existiert nun einmal insbesondere von Filmen der 30er- und 40er-Jahre oftmals nicht oder nicht mehr. Von „Die Narbenhand“ gab es tatsächlich eine deutsche Synchronfassung von 1951, die Stand heute aber nicht verfügbar ist und es möglicherweise auch nie mehr sein wird. Somit muss man mit der 1981 ebenfalls in Berlin entstandenen Synchronfassung vorlieb nehmen. Sprecherin von Veronica Lake war Traudel Haas, deren Stimme vor allem für Kristin Scott Thomas, Diane Keaton und Annette Bening bekannt ist. Als Stimme von Laird Cregar ist Klaus Sonnenschein zu hören, welcher unter anderem der langjährige Stammsprecher von Morgan Freeman war, und sich kürzlich zur Ruhe gesetzt hat. Für Robert Preston hört man Jürgen Kluckert – wie es der Zufall will Sonnenscheins Vorgänger und Nachfolger als Sprecher von Morgan Freeman. Bei so viel Expertise und noch vielen weiteren bekannten Stimmen in kleineren Rollen, muss man sich um die Synchronfassung, trotz dass sie fast 40 Jahre jünger als der Film ist, keine Sorgen machen. Dass der deutsche Titel, wohl bereits auf die 50er-Fassung zurückgehend, reißerisch „Die Narbenhand“ beschreit, obwohl man von Ravens versehrtem Handgelenk im Film nur sehr wenig sieht, sei den Verantwortlichen verziehen. Dass man den etwas umständlichen und luftleeren Titel „This Gun for Hire“ nicht einfach wörtlich übersetzen wollte, ist in diesem Fall sogar gut nachvollziehbar. Angeblich wurde der Film im deutschen Fernsehen zuweilen unter dem Titel „Killer zu vermieten“ ausgestrahlt. Ob dies wohl als satirische Anspielung auf den recht belanglosen Originaltitel gemeint war?

Die Polizei ist Raven auf den Fersen

Die „Film Noir Collection“ von Koch Media haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgeführt. Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Veronica Lake haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Alan Ladd unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 18. Mai 2017 als DVD

Länge: 78 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Englisch
Originaltitel: This Gun for Hire
USA 1942
Regie: Frank Tuttle
Drehbuch: Albert Maltz, W. R. Burnett, nach einem Roman von Graham Greene
Besetzung: Veronica Lake, Robert Preston, Laird Cregar, Alan Ladd, Tully Marshall, Marc Lawrence, Olin Howland, Roger Imhof, Pamela Blake, Frank Ferguson
Zusatzmaterial: Originaltrailer, Bildergalerie, Booklet
Vertrieb: Koch Films

Copyright 2017 by Ansgar Skulme
Fotos & Packshot: © 2017 Koch Films

 

Schlagwörter: , , , , , , , , ,

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..