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The Believer – Der jüdische Nazi

02 Aug

The Believer

Von Lucas Gröning

Drama // In den 1960er-Jahren ereignete sich in den Vereinigten Staaten von Amerika eine bemerkenswerte Geschichte: Daniel Burros, ein jüdisch-aufgezogener junger Mann, schloss sich der nationalsozialistischen American Nazi Party an und arbeitete sich im Laufe der Zeit bis zum Sekretär der Organisation hoch. Auch nach seinem Austritt aus der Partei blieb er der Neonazi-Szene treu und trat weiteren Organisationen und Parteien bei. Überfälle, Mordversuche und Folterungen an jüdischen Mitgliedern der Gesellschaft sowie Gegnern der nationalsozialistischen Ideologie gehörten in dieser Zeit zu Burros’ Taten. 1965 beging er Selbstmord, nachdem seine jüdische Herkunft von einem Journalisten der New York Times aufgedeckt worden war. Die Geschichte diente Henry Bean als Grundlage seiner Regiearbeit „The Believer“ aus dem Jahr 2001, für die er auch das Drehbuch verfasst hatte. Für die Hauptrolle des Daniel Burros verpflichtete der Regisseur Ryan Gosling („Blade Runner 2049“, „The Place Beyond the Pines“), der damals lediglich durch kleine Nebenrollen wie in Boaz Yakins „Remember the Titans“ aufgefallen war. Henry Bean selbst ist vor allem als Drehbuchautor bekannt und zeichnete in dieser Rolle unter anderem für „Venus Rising“ (1995) und „Basic Instinct – Neues Spiel für Catherine Tramell“ (2006) verantwortlich. Die Geschichte des jüdischen Nazis inszenierte Henry Bean als eine von nur zwei Regiearbeiten – 2007 folgte noch das Drama „Noise“ mit Tim Robbins und William Hurt.

Viele Irrwege

Dafür nahm sich Bean einige kreative Freiheiten und verlegte die Story aus den 1960ern in die Gegenwart. Wir lernen den für den Film in Danny Balint umbenannten Protagonisten gleich als brutalen Schlägertypen kennen, der in der ersten Szene des Films einen Juden, scheinbar ohne Grund, verfolgt und auf offener Straße zusammenschlägt. In der Folge lernt Danny die faschistischen Intellektuellen Curtis Zampf (Billy Zane) und Lina Moebius (Theresa Russell) kennen, die aufgrund einiger pseudointellektueller Äußerungen großes Potenzial in dem Neonazi erkennen. Lediglich sein offen zur Schau getragener Antisemitismus wird als Schwäche entlarvt, da Zampf und Moebius ihre Ablehnung des Judentums subtiler in die Gesellschaft tragen wollen. Ihr Ansinnen ist, nach außen hin, eine Erneuerung und Modernisierung der klassischen nationalsozialistischen Gedanken, um Brücken hin zum intellektuellen, konservativen Bürgertum zu bauen und so den Weg in die gesellschaftliche Mitte zu finden. Trotzdem sehen sie in ihm die Möglichkeit, Neonazis für ihre Idee um sich zu scharren und sie als Attentäter zu missbrauchen, etwa für Mordanschläge auf Juden in Schlüsselpositionen der Gemeinschaft. Dazu wird Danny, zusammen mit anderen Neonazis, zu einem Camp eingeladen, in welchem diese lernen sollen, mit Schusswaffen umzugehen und Anschläge auf die Gegner der Organisation zu planen. Während die Nazis genau das tun, kommt der Journalist Guy Danielsen Dannys Geheimnis auf die Spur und droht, die jüdische Identität des Protagonisten an die Öffentlichkeit zu bringen. Währenddessen verliebt sich Danny in die Tochter von Lina Moebius, Carla (Summer Phoenix), welche zunehmend ein Interesse am Judentum entwickelt und dahingehend von Danny unterrichtet wird. So viel zur, zugegebenermaßen komplizierten Geschichte es Werkes.

Anfangs ist Danny noch einer von mehreren gefestigten Nazis …

Die Frage stellt sich nun: Wie kann man die Geschichte lesen? Ist „The Believer“ eine Außeinandersetzung mit der Neonaziszene in den Vereinigten Staaten? Sehen wir hier das Eindringen von Aspekten rechter Ideologien in die Mitte der Gesellschaft und damit einen Vorboten auf unsere Gegenwart geprägt von Trump, AfD und Co.? Bietet das Drama eventuell eine Auseinandersetzung mit den generellen Themen Radikalisierung, Ideologie, Antisemitismus oder Religion im Allgemeinen? All diese Ideen müssen wohl über Bord geworfen werden, ist der Film doch wesentlich intelligenter, als wir es auf den ersten Blick annehmen.

Gott als Diktator eines schwachen Volkes

Es geht hier weniger um die Verhandlung gesellschaftlicher Gestaltungspositionen, als um den Protagonisten selbst. Henry Bean konzentriert sich in seinem Werk auf Danny und dessen inneren Konflikt zwischen seiner jüdischen Vergangenheit (und auch Gegenwart) und seiner nach außen getragenen Identität als Neonazi. Beide Seiten seiner Persona koexistieren und stehen zusätzlich im Konflikt mit den äußeren Einflüssen, die auf Danny einprallen. Kommen wir zunächst zum inneren Konflikt und der Frage, warum dieser überhaupt vorhanden ist: Könnte sich Danny nicht einfach für eine Seite entscheiden oder beiden Ideen abschwören, sowohl der des Nationalsozialismus als auch der des Judentums? So einfach ist es leider nicht, wie uns „The Believer“ besonders durch seine Rückblenden klarmachen will. Diese zeigen Danny als aufgeweckten, diskursorientierten Schüler an einer jüdischen Lehreinrichtung. Er debattiert dort angeregt mit Mitschülern und seinem Lehrer über Aspekte des Judentums. Das größte Thema der Diskussionen ist die Aufforderung Abrahams durch Gott, seinen Sohn Isaak zu opfern. Obwohl ein Engel Abraham von der Ermordung Isaaks abhält, interpretiert Danny den blinden Gehorsam des israelischen Stammvaters als Verherrlichung einer autoritären Ideologie. Gott wird von ihm ab diesem Moment als Faschist betrachtet. Nicht zuletzt aufgrund des vehementen Widerspruchs der anderen Anwesenden wiederum interpretiert er die Lehren des Judentums fortan generell als faschistisch, während alle anderen diese in seinen Augen falsch deuten. Zugleich sieht er in der Rolle Abrahams als blindem Gefolgsmann Gottes die Schwäche des jüdischen Volkes repräsentiert. Die Juden seien somit grundsätzlich schwach, in einer permanenten Opferrolle und verlieren somit ihre Existenzberechtigung.

In der Gegenwart wiederum sehen wir Dannys Sicht auf die Religion ebenfalls aus zwei Perspektiven. Zum einen wird uns der Antisemitismus präsentiert, der sich aus seinem Denken und seinem Studium der jüdischen Kultur entwickelt hat. Zum anderen eine tiefe Faszination für jüdische Schriften, Traditionen und auch die hebräische Sprache. Somit ist es nicht das Judentum an sich, das die Hauptfigur des Werkes verabscheut, sondern lediglich einige Aspekte, die mit ihren Vorstellungen nicht vereinbar sind. Diese Aspekte, gepaart mit der von ihm konstatierten Schwäche des jüdischen Volkes, hält Danny für derart verabscheuenswürdig, dass er in Teilen so weit wie möglich weg will von dieser Ideologie – der Grund für sein Dasein als Neonazi.

Abwesenheit des Intellektuellen

Inmitten der nationalsozialistischen Gemeinschaft findet Danny eine Heimat. Diese vereint zwei Aspekte, die ihm sehr wichtig sind: Zum einen die Ablehnung des Judentums, zum anderen die angestrebte Überlegenheit, die in ihrer Ideologie propagiert wird, sowohl in intellektueller, als auch in körperlicher Hinsicht. Kurzum: Er sieht in der vermeintlichen Stärke des Nationalsozialimus ein Gegenstück zur von ihm ausgemachten Schwäche des Judentums. Doch auch auf Seiten der Nazis fühlt sich Danny im Verlauf alles andere als heimisch. Zum einen symphatisiert er nicht mit der Idee von Zampf und Moebius, eine Aufweichung des Nationalsozialismus in Form bürgerlicher, konservativer Ideen voranzutreiben, zum anderen wird ihm immer wieder bewusst gemacht, dass er sich im Dunstkreis der Nazis nicht in dem intellektuellen Milieu befindet, welches er für seine Seelenheimat benötigt. Dies wird anhand mehrerer Szenen deutlich: Zum Beispiel geht Danny mit einigen Verbündeten in ein koscheres Restaurant und sorgt dort für Ärger. Der Unterschied zwischen Danny und den anderen wird in dieser Szene sehr subtil herausgearbeitet. Während seine Mitstreiter lediglich dumme Kommentare von sich geben und beispielsweise Sandwiches mit Fleisch und Käse bestellen wollen (Produkte, die mit koscheren Essgewohnheiten nicht vereinbar sind), zitiert Danny aus jüdischen Schriften und versucht die Betreiber des Restaurants eher durch inhaltliche und in seinen Augen sinnentleerte Lücken in den Texten bloßzustellen.

Das Gleiche sehen wir, wenn der Protagonist auf andere Juden trifft, beispielsweise in Synagogen. Er diskutiert mit diesen auf Augenhöhe und schafft es in den meisten Fällen, sie argumentativ auszumanövrieren. Den anderen Nazis wiederum fehlen diese intellektuelle Tiefe und dieses Bewusstsein der jüdischen Kultur. In einer weiteren Szene schleichen sich die Faschisten in eine Synagoge ein, um dort zu randalieren. Während sie im Zuge dessen eine Tora (der erste Teil der Tanach, der hebräischen Bibel) beschmutzen, entwendet Danny ihnen diese und weist zögerlich auf ihre Bedeutung hin, während sich die anderen Nazis unwissend zeigen. Es zeigt sich der Unterschied zwischen dem blinden, antiintellektuellen Hass der übrigen Nazis und der, zumindest teilweise fundierten, Ablehnung der Ideen durch Danny, die lediglich in ein fehlgeleitetes Extrem gestiegen ist. Folgerichtig fragt Danny die anderen dann auch danach, wie sie etwas hassen können, was sie nicht verstehen und womit sie sich nicht beschäftigt haben. Auf eine Antwort wartet Danny vergeblich.

… doch seine Überzeugungen drohen zu bröckeln

In diesen Konflikten zwischen der Ablehung des Judentums und der gleichzeitigen Verehrung der heiligen Schriften liegt das große Problem der Hauptperson. Danny lehnt die Unterwerfung der Juden vor einem aus seiner Sicht faschistischen Gott ab und tut dies als Schwäche ab. Im Nationalsozialismus wiederum sieht er zwar in gewisser Weise Gegenstücke dazu, findet jedoch keine intellektuelle Seelenheimat und erfährt auch, wie seine Sicht auf die Überlegenheit des Nationalsozialismus entlarvt wird. Zugleich empfindet er trotz seiner offensichtlichen Ablehnung des Judentums eine tiefe Liebe zur jüdischen Kultur und zum Menschen an sich, die er nicht abstreifen kann. Am besten wird dieser Konflikt in einer Szene dargestellt, in der die staatliche Obrigkeit Danny zwingt, sich Erfahrungsberichte von Überlebenden des Holocaust anzuhören. Einer von ihnen erzählt, dass er dabei zusehen musste, wie sein Sohn von einem Nazi umgebracht wurde. Die Hinrichtung wird dabei szenisch dargestellt und ereignet sich so auch in Danny Kopf. Dieser stellt sich vor, wie er in die Rolle des Nazis schlüpft, der das Kind hinrichtet. Später im Film sehen wir die Szene erneut. Während er immer noch die Rolle des Nazis einnimmt, ist er gleichzeitig der flehende Vater, welcher der Ermordung seines Kindes beiwohnen muss. Danny wird somit Opfer und Täter zugleich und uns wird gezeigt, wie er sich durch seinen Konflikt und dessen Sinnlosigkeit selbst Schaden zufügt. Es bleibt ihm lediglich die reine Liebe zur menschlichen Existenz mit all ihren Fehlern und dem Akzeptieren ihrer Schwächen. Ein Versuch des Ausmerzens dieser ist weder möglich noch in irgendeiner Form zielführend.

Die Bilder der Hinrichtung sind schlussendlich die wohl eindringlichsten, furchtbarsten, aber auch besten in einem rundum genialen Drama, das sich zwar extrem sperrig zeigt, seinen Rezipienten aber eine fantastische Charakterstudie präsentiert, sofern diese dazu bereit sind, sich auf dieses anspruchsvolle Werk einzulassen. Ein wirklich fantastischer Film mit einem großartigen Ryan Gosling in einer frühen Rolle. Ein Jammer, dass Henry Bean anschließend nur noch einmal auf den Regiestuhl zurückgekehrt ist.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Garret Dillahunt, Ryan Gosling und Billy Zane haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgeführt.

Auch Carla lässt ihn an seiner Identität zweifeln

Veröffentlichung: 21. Juni 2019 als 3-Disc Limited Collector‘s Edition Mediabook (Ultra HD Blu-ray, Blu-ray & DVD) und DVD, 12. Juni 2009 als DVD unter dem Titel „Inside a Skinhead“

Länge: 99 Min. (Blu-ray), 95 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: The Believer
Alternativtitel: Inside a Skinhead
USA 2001
Regie: Henry Bean
Drehbuch: Henry Bean
Besetzung: Ryan Gosling, Summer Phoenix, Peter Meadows, Garret Dillahunt, Kris Eivers, Joel Marsh Garland, Billy Zane, Theresa Russell
Zusatzmaterial: Verschiedene Texte (Hintergrundinformationen zu den realen Ereignissen und eine Einordnung dieser, ein Text zum Entstehungsprozess des Films, eine Analyse des Filmstoffs, ein Text zur realen Neonaziszene der USA), Trailershow
Label: capelight pictures
Vertrieb: Al!ve AG

Copyright 2019 by Lucas Gröning
Szenenfotos: © 2019 capelight pictures

 

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