RSS

Lucio Fulci (V): Die sieben schwarzen Noten – Giallo-Glanzstück

27 Dez

Sette note in nero

Von Volker Schönenberger

Horrorthriller // Am 12. Oktober 1959 ereignet sich in England an einer Steilküste eine tragische Begebenheit. Gleichzeitig ereilt die kleine Virginia (Fausta Avelli) in Florenz eine Vision davon.

Jahre später ist Virginia (Jennifer O’Neill) mit dem erfolgreichen italienischen Architekten Francesco Ducci (Gianni Garko) verheiratet. Nachdem sie ihren eine Geschäftsreise antretenden Ehemann zum Flughafen gebracht hat, tritt sie mit ihrer Luxus-Limousine die Rückfahrt an. In einem Tunnel hat sie erneut eine grausame Vision: Eine Frau wird lebendig eingemauert. Sie vertraut sich ihrem Freund Luca Fattori (Marc Porel) an, einem Parapsychologen. Bald darauf fährt sie zu einem in Francescos Besitz befindlichen Landhaus, um es zu renovieren. Erschreckt erkennt Virginia das Gebäude aus ihrer kürzlichen Vision.

Neuland: Lucio Fulcis 70er-Gialli

Ich gestehe, zwar mit Lucio Fulcis berüchtigten Gewaltexzessen der 80er wie „Ein Zombie hing am Glockenseil“ (1980), „Über dem Jenseits“ (1981) und „Der New York Ripper“ vertraut zu sein, all seine vor „Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies“ (1979) entstandenen Regiearbeiten sind für mich jedoch völlig unbekanntes Terrain. Das gilt somit auch für seine Gialli der 70er, die gemeinhin hohes Ansehen genießen, etwa „Don’t Torture a Duckling – Quäle nie ein Kind zum Scherz“ (1972). Zu den prominentesten Fans von „Die sieben schwarzen Noten“ zählt zweifellos Quentin Tarantino, der den Horrorthriller sogar mal neuverfilmen wollte, woraus aus mir unbekannten Gründen aber nichts wurde. Wer bei Tarantinos „Kill Bill – Vol. 1“ (2003) genau hinhört, erkennt in ein paar Szenen Ausschnitte aus Fabio Frizzis Soundtrack zu „Die sieben schwarzen Noten“. Der Score des italienischen Komponisten trägt einiges zur Spannung und zum Suspense von Fulcis Regiearbeit bei. Dafür setzte Frizzi außer Streichern und Tasteninstrumenten auch ein Carillon genanntes großes Glockenspiel ein. Gleichwohl bleibt der Soundtrack reduziert, stets ohne jeden Selbstzweck der Szenerie verhaftet. Ein paar der Tonfolgen werden sogar diegetisch eingesetzt – achtet auf die Armbanduhr! Der internationale Filmtitel „The Psychic“ (englisch für „Das Medium“) passt aufgrund von Virginias Visionen ebenfalls, kommt aber natürlich weitaus weniger stimmungsvoll daher als der Originaltitel „Sette note in nero“ – der deutsche Titel „Die sieben schwarzen Noten“ bedeutet in etwa das Gleiche. Auch Farben werden eingesetzt, beispielsweise spielt sogar die Farbe Gelb eine Rolle, was gut zum Giallo (italienisch für „Gelb“) passt.

Stamm-Kameramann Sergio Salvati

Kameramann Sergio Salvati, mehrfach für Lucio Fulci im Einsatz, findet stimmungsvolle Einstellungen, geht gern nah an die Gesichter der Figuren heran, setzt aber auch Totalen mit schönem Blick für Bildgestaltung und Perspektiven ein. Ab und zu zoomt er auch. In Verbindung mit dem intelligenten (Krimi-)Plot entsteht so ein herausragender Giallo in einer Phase, in der dieses italienische Thriller-Genre schon auserzählt schien.

Übernatürliches im Giallo

Der paranormale Aspekt bringt übernatürliche Rätselhaftigkeit, ohne ins Surreale abzugleiten – was Fulci ja ebenfalls beherrschte. Ich bin kein Giallo-Experte, glaube aber, dass übernatürliche Elemente in diesem Thriller-Subgenre eher rar gesät sind, wobei Visionen wohl gelegentlich vorkommen. Auch in „Die sieben schwarzen Noten“ nehmen sie nicht überhand, gleichwohl sind Virginias Visionen zentraler Bestandteil. Bemerkenswert, und so kann der Horrothriller womöglich als eine Art Bindeglied zwischen Fulcis bisherigem Œuvre und seinen kommenden Schockern gesehen werden.

Auf zügellose Gewaltdarstellung verzichtet der Regisseur, obgleich das eingangs erwähnte tragische Ereignis durchaus heftig inszeniert ist (wenn auch tricktechnisch nicht überzeugend). Obendrein füllt Hauptdarstellerin Jennifer O’Neill („Rio Lobo“, „Scanners – Ihre Gedanken können töten“) ihre Rolle überzeugend aus, was wichtig ist, da Virginia permanent im Fokus steht und den Film somit in bedeutsamem Maße trägt. Auch die übrigen Figuren werden glaubwürdig verkörpert – an der Schauspielkunst hapert es Darstellerinnen und Darstellern unter Fulci ja bisweilen.

In der Arte-Mediathek verfügbar

Der deutsch-französische Kultursender Arte hat „Die sieben schwarzen Noten“ Anfang November 2020 ausgestrahlt. Lobenswert, dass ein TV-Kanal ein solch jenseits des Mainstreams angesiedeltes Werk zeigt. Da rege sich noch mal jemand über die Rundfunkgebühren auf – ARD und ZDF sind Miteigentümer von Arte und belegen mit dessen Programm nachdrücklich die Qualität des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Fulcis Horrothriller ist in englischer Sprachfassung mit wahlweise deutschen oder französischen Untertiteln noch bis zum 29. April 2021 in der Arte-Mediathek zum Streamen verfügbar. Weniger lobenswert allerdings: Die Inhaltsangabe unter dem Video führt deutlich zu weit, erzählt den Film fast bis zum Ende. Beim Scrollen der Seite ist also Vorsicht geboten, sofern Ihr „Die sieben schwarzen Noten“ noch nicht geschaut habt und euch nicht spoilern lassen wollt. Angesichts dessen, dass Virginias Visionen erst am Ende stimmig enträtselt werden, erscheint es sehr bedauerlich, derart gespoilert zu werden. Aber da Ihr am Ende meiner Rezension angelangt seid, könnt Ihr euch den Arte-Text ohnehin sparen. Wer auf deutsche Synchronisation Wert legt, kann auf eine der Editionen von ’84 Entertainment zurückgreifen – mangels einer zeitgenössischen deutschen Tonspur hat das Label für die Veröffentlichung eigens eine neue produzieren lassen. Ob sie dem 70er-Jahre-Flair des Films gerecht wird, kann ich nicht beurteilen, da sie mir nicht vorlag.

„Sette note in nero“ ist große Giallo-Filmkunst.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Lucio Fulci haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Jennifer O’Neill unter Schauspielerinnen.

Veröffentlichung: 30. Mai 2016 als 3-Disc Edition große Hartbox in der „Retro Cinema Collection“ (Blu-ray & 2 DVDs, limitiert auf 150 Exemplare), 1. Dezember 2014 als 3-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (Blu-ray & 2 DVDs, auf 2.000 Exemplare limitiert und nummeriert) und 3-Disc Edition große Hartbox (Blu-ray & 2 DVDs, limitiert auf 150 Exemplare)

Länge: 97 Min. (Blu-ray), 94 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK ungeprüft
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Sette note in nero
Internationaler Titel: The Psychic
Alternativtitel: Death Tolls Seven Times
IT 1977
Regie: Lucio Fulci
Drehbuch: Lucio Fulci, Roberto Gianviti, Dardano Sacchetti
Besetzung: Jennifer O’Neill, Gabriele Ferzetti, Marc Porel, Gianni Garko, Evelyn Stewart, Jenny Tamburi, Fabrizio Jovine, Riccardo Parisio Perrotti, Loredana Savelli, Bruno Corazzari, Veronica Michielini
Zusatzmaterial: Audiokommentar von Marcus Stiglegger, Original-Trailer, Promo-Teaser, deutscher Trailer, italienischer Vorspann (3:48 Min.), italienischer Abspann (1:19 Min.), nur 3-Disc Editions: „Fabio Frizzi: Die frühen Jahre“ (14:19 Min.), Die Entstehung der Filmmusik (8:54 Min.), „Gianni Garko: Erinnerungen an eine Karriere“ (13:17 Min.), Inside „Sette Note di Nero“ (4:03 Min.), „Stimmen in Schwarz“ (24:41 Min.), Das Remake (4:56 Min.), Bildergalerie, Trailershow, nur Mediabooks: 16-seitiges Booklet mit einem Text von Sabrina Mikolajewski und einem Interview mit Komponist Fabio Frizzi
Label: ’84 Entertainment
Vertrieb: ELEA Media

Copyright 2020 by Volker Schönenberger
Packshots: © ’84 Entertainment

 

Schlagwörter: , , , , , , , ,

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..