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Zum 65. Geburtstag von Barbara Crampton / Full Moon (XV): Castle Freak – In Charles Bands Schloss

27 Dez

Castle Freak

Von Volker Schönenberger

Horror // Eine alte Frau (Helen Stirling) bereitet in einem Schloss eine karge Mahlzeit zu und bringt sie nach unten in das Verlies des Gemäuers – bald darauf erfahren wir, dass es sich um das Castello d’Orsino in Italien und die Gräfin d’Orsino handelt. Sie trägt eine Peitsche mit sich, mit der sie sich den Eingesperrten (Jonathan Fuller) vom Leib hält – es handelt sich um ihren Sohn Giorgio, wie wir ebenfalls nach einiger Zeit erfahren. Die Gräfin schleppt sich zurück in ihre Gemächer, bricht dort zusammen und haucht ihr Leben aus, stirbt wohl an Altersschwäche.

John Reilly will Spaß haben

Der Amerikaner John Reilly (Jeffrey Combs) erbt das Schloss. Er reist zusammen mit seiner Ehefrau Susan (Barbara Crampton) und ihrer blinden Teenager-Tochter Rebecca (Jessica Dollarhide) an, um das Gemäuer und dessen Inventar zügig zu Geld zu machen. Vor einiger Zeit hatte John in alkoholisiertem Zustand einen Autounfall verursacht, der Rebecca das Augenlicht und ihren kleinen Bruder JJ (Alessandro Sebastian Satta) das Leben gekostet hatte. Die Familie leidet noch immer unter der Tragödie, die Ehe der Reillys besteht nur noch auf dem Papier. Der Schlosserbe, seine Frau und seine Tochter ahnen nicht, dass sie und die Haushälterin Agnesa (Elisabeth Kaza) nicht die einzigen Menschen im Castello d’Orsino sind. Der „Castle Freak“ befreit sich aus seinem Kerker …

Ich wünschte ich wär’ tot, wenn JJ dafür leben würde.

Das wünschte ich auch.

Das bittere Familiendrama nimmt in „Castle Freak“ breiten Raum ein und gibt der Horrorgeschichte eine intensive emotionale Note, die ihr gut zu Gesicht steht. Zumal auch das Familiendrama der d’Orsinos eine Verbindung mit dem der Reillys eingeht. Ganz ohne Grund ist John ja nicht der Erbe des Schlosses. Da stört es auch nicht, dass Stuart Gordons Stammdarsteller Jeffrey Combs („Der Re-Animator“, „From Beyond – Aliens des Grauens“) mal wieder etwas zu Overacting neigt. Andererseits befindet sich John auch in einem emotionalen Ausnahmezustand, da überreagiert man schon mal. So oder so gleichen das Barbara Crampton als Ehefrau und Jessica Dollarhide als Tochter mit nuancierterem Spiel aus, ohne echte Akzente zu setzen. Für Dollarhide blieb es der einzige Spielfilm, zuvor hatte sie in fünf Serienepisoden mitgewirkt, danach aber auch das nicht mehr.

Ernsthaftigkeit statt Humor

Punktuell geht es überaus blutig zu, insbesondere eine sexualisierte Folterszene mit der Prostituierten Sylvana Lucci (Raffaella Offidani) hinterlässt nachhaltigen Eindruck. Diese wurde von Teilen der zeitgenössischen Filmkritik auch gerügt. Das ist nachvollziehbar, allerdings führt das dazu, dass wir umso mehr um das Schicksal von Rebecca und Susan bangen. Die Szene ergibt daher dramaturgisch durchaus Sinn. Sinnvoll erscheint auch der Verzicht auf Humor, den Stuart Gordon ansonsten ja gern eingesetzt hat. Hier geht es düster und grimmig zu.

Der Castle Freak allerdings auch

Gedreht wurde im Castello di Giove in der zentralitalienischen Region Umbrien. Das Schloss befand sich seinerzeit im Besitz von Charles Band, der dort selbst „Meridian – Der Kuss der Bestie“ (Meridian, 1990) für seine Produktionsfirma Full Moon Entertainment gedreht hatte. Stuart Gordon wiederum hatte dort bereits die Full-Moon-Produktion „Meister des Grauens“ („The Pit and the Pendulum“, 1991) inszeniert. „Castle Freak“-Kameramann Mario Vulpiani („Das große Fressen“) nutzt das Gemäuer für schön schaurige Bilder. Hinter jeder Ecke und jeder Tür könnte das titelgebende Monster lauern, denn Giorgio entpuppt sich als übel entstellte Kreatur zum Fürchten. Dafür musste sich Darsteller Jonathan Fuller an jedem Drehtag für sechs Stunden in die Hände der Maskenbildner begeben. Maske und Make-up haben ganze Arbeit geleistet und zählen zu den weiteren Pluspunkten des Films. Ebenso die effektiv eingesetzte Musik von Charles Bands Bruder Richard, die zwischen getragenen Momenten und dramatischem Crescendo wechselt.

Erst Plakat, dann Drehbuch und Film

„Castle Freak“ entstand aus einem Filmplakat, das Charles Band hatte entwerfen lassen und in seinem Büro aufhängte. Es zeigte eine halbnackte Frau, die von einem missgestalteten Monster ausgepeitscht wurde. So begab es sich denn, dass Stuart Gordon eines Tages im Februar 1994 bei Band eintraf und das Plakat sah – nachzulesen in Gordons Vorwort im Booklet des Wicked-Vision-Mediabooks des Films. Die Kreatur erinnerte Gordon an den Glöckner von Notre-Dame, und als er Band fragte, worum es in dem Film gehe, erwiderte der: Na ja, da gibt es ein Schloss und da gibt es einen Freak. Weder Film noch Drehbuch existierten zu dem Zeitpunkt, Band übertrug dies Stuart Gordon, der mit seinem Schreibpartner Dennis Paoli ein Skript entwarf und im Juni jenes Jahres zu drehen begann.

Frei nach Lovecrafts „Der Außenseiter“

Bei ihrer Geschichte bezogen sich Gordon und Paoli lose auf die Kurzgeschichte „Der Außenseiter“ („The Outsider“) von H. P. Lovecraft (1890–1937), im April 1926 im Magazin „Weird Tales“ erstveröffentlicht. Letztlich findet sich im fertigen Film lediglich die Pointe der Kurzgeschichte wieder – in einer Szene, in der sich die Kreatur langsam einem Spiegel nähert, bis sie diesen mit den Fingern berührt. Und obwohl Giorgio auf drastische Weise üble Taten begeht, kommt auch die Tragik seines Schicksals zum Tragen, 40 Jahre lang weggesperrt gewesen zu sein.

Barbara Crampton

Für Barbara Crampton fällt „Castle Freak“ in eine mehrere Jahre andauernde Phase, in der sie wiederholt für Charles Band und dessen Produktionsfirmen Empire Pictures und Full Moon Entertainment aktiv ist, beginnend mit Stuart Gordons Klassiker „Der Re-Animator“ (1985) für Empire Pictures. Am 27. Dezember 1958 in Long Island im US-Staat New York geboren, beginnt sie ihre Laufbahn mit einer Dauerrolle in der 1965 gestarteten und bis heute andauernden Daily Soap „Zeit der Sehnsucht“. 1983 und 1984 wirkt sie darin in 83 Episoden mit (zugegeben keine beeindruckende Zahl angesichts anderer Darstellerinnen und Darsteller mit mehreren hundert bis mehreren tausend Einsätzen). Von 1983 bis 2007 spielt sie in der Daily Soap „Schatten der Leidenschaft“ mit und ihre dortige Rolle erneuert sie 2023.

Was man als Spaß empfindet

Ein kurzer Auftritt in Brian De Palmas Erotikthriller „Der Tod kommt zweimal“ markiert 1984 ihr Leinwanddebüt. Auf „Der Re-Animator“ folgt alsbald „From Beyond – Aliens des Grauens“ (1986) für Empire Pictures, erneut unter Regisseur Stuart Gordon, heute nicht zuletzt aufgrund seiner deftigen Body-Horror-Elemente ebenfalls mit Klassikerstatus. Im Direct-to-Video-Segment produziert Charles Band 1989 (als Executive Producer) „Puppet Master“, in welchem Barbara Crampton allerdings nur kurz in Erscheinung tritt.

Horrorfilme und Daily Soaps

In der Full-Moon-Produktion „Robot Wars“ (1993) darf sie sich immerhin in den Helden verlieben – der trashige Science-Fiction-Streifen ist in Deutschland auch unter dem Titel „Robotjox 2 – Krieg der Stahlgiganten“ vermarktet worden. Im selben Jahr startet sie bei der Daily Soap „Springfield Story“ ihren immerhin 38 Folgen währenden Einsatz. Zwei Jahre später folgen sowohl „Castle Freak“ sowie ihr Auftakt für die nächste Daily Soap: In der seit 1987 laufenden „Reich und Schön“ wirkt sie von 1995 bis 1998 in satten 287 Episoden mit (auch das im Vergleich zu einigen Kolleginnen und Kollegen dort eine bescheidene Zahl).

Auch Susan Reilly gerät in Gefahr

Solche Einsätze in trivialen Formaten bringen stetiges Einkommen, verhindern aber natürlich auch eine schauspielerische Entwicklung. Doch hungrige jüngere Horrorfilmer behalten Barbara Crampton im Blick, etwa Adam Wingard, der sie 2011 für seinen beinharten Home-Invasion-Horrorthriller „You’re Next“ verpflichtet. Rob Zombie bucht sie ein Jahr später für seinen okkulten Hexenfilm „The Lords of Salem“ (2012) – für mich seine stärkste Arbeit. Es folgen weitere interessante Genrebeiträge wie „We Are Still Here“ (2015) und „Puppet Master – Das tödlichste Reich“ (2018) und weniger interessante Arbeiten wie „Sacrifice – Der Auserwählte“ (2020). Sie dreht weiter fleißig, ihre 78 Einträge in der Internet Movie Database zählende Filmografie (Stand Dezember 2023) dürfte die 100 noch erreichen. Am 27. Dezember 2023 feiert die „Scream Queen“ Barbara Crampton ihren 65. Geburtstag.

Niemals auf dem Index

Trotz seiner drastischen Splattereffekte ist „Castle Freak“ in Deutschland nie auf dem Index gelandet, was daran liegen mag, dass Stuart Gordons Regiearbeit hierzulande von vornherein in der gekürzten R-Rating-Fassung der USA oder noch stärker beschnitten erschienen ist. Den ungeprüften Uncut-DVDs von Laser Paradise und X-Rated mit der Unrated-Fassung ließ Wicked Vision 2018 ein ebenfalls ungeprüftes Mediabook folgen, das ebenfalls die Unrated-Fassung auf Blu-ray enthält, dazu eine CD mit Richard Bands Soundtrack. Das von Wicked eigens aufpolierte Bild überzeugt mit guter Qualität, fällt vielleicht in einigen Einstellungen etwas zu dunkel aus. Positiv auch, dass die englische DTS-HD-Master-Audio-Tonspur nicht nur in 5.1 enthalten ist, sondern auch in der originalen Variante 2.0.

Bonusfilm „The Clergyman“

Im üppigen Bonusmaterial findet sich nicht nur ein eigens für die Edition eingesprochener Audiokommentar, sondern auch ein sechsminütiges Featurette, in welchem Stuart Gordon einiges über die Entstehung zum Besten gibt. Auch das zwölfminütige Stelldichein von Gordon, Barbara Crampton und Jeffrey Combs mit William „Captain Kirk“ Shatner lohnt sich (auf der Cover-Rückseite des Mediabooks blieb es übrigens unerwähnt). Herzstück des Bonusmaterials auf den Discs: Charles Bands halbstündiger Horror-Kurzfilm „The Evil Clergyman“ (2012) mit Barbara Crampton und Jeffrey Combs (dazu folgt vielleicht beizeiten ein Text).

Die blinde Rebecca erst recht

Das Booklet enthält ein Vorwort von Charles Band und einen ausführlichen Text von Christoph N. Kellerbach, der sich ausgiebig über die Produktion und diverse Beteiligten auslässt. Wicked Vision hat „Castle Freak“ im Folgejahr der Veröffentlichung des Mediabooks dann doch der FSK vorgelegt, eine Freigabe ab 18 Jahren erreicht und eine Zweitauflage des Mediabooks mit identischen Dreingaben, aber anderem Covermotiv in den Handel gebracht. Allerdings sind beide Mediabook-Varianten vergriffen. Zum Ausgleich gibt es „Castle Freak“ seit August 2022 auch im Scanavo-Case (einem im Vergleich zum herkömmlichen Softcase etwas stabileren Verpackungsformat) mit allen Boni auf der Blu-ray, nur ohne Soundtrack-CD und Booklet. Zu beziehen im Online-Shop von Wicked Vision.

Remake 2020

Der guten Ordnung halber sei das 2020er-Remake (wahlweise Reboot) von „Castle Freak“ erwähnt, von Barbara Crampton als Produzentin und Charles Band als Executive Producer verantwortet. Das Langfilm-Regiedebüt des ansonsten im Bereich Spezialeffekte, Make-up und Animatronik tätigen Tate Steinsiek wartet mit deutlich mehr Lovecraft-Elementen auf als Stuart Gordons Vorgänger. Gordons „Castle Freak“ hat dafür Klassikerstatus. Und das völlig zu Recht.

Giorgio

Die Filme der „Full Moon Classic Selection“ und der „Full Moon Collection“ der Wicked Vision Distribution GmbH sind in unserer Rubrik Filmreihen aufgelistet. Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Stuart Gordon haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgeführt, Filme mit Barbara Crampton unter Schauspielerinnen, Filme mit Jeffrey Combs in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 26. August 2022 als Blu-ray, 29. Oktober 2021 als 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & Soundtrack-CD, Cover B, auf 333 Exemplare limitiert), 14. Dezember 2018 als 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & Soundtrack-CD, Cover A, auf 888 Exemplare limitiert), 31. Juli 2017 als 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & DVD, 2 Covermotive à 99 und 111 Exemplare), 17. Juni 2016 als Blu-ray in großer Hartbox (limitiert auf 50 handschriftlich nummerierte Exemplare), 8. November 2013 als 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & Bonus-DVD mit Zufallsfilm), Retro-Edition Blu #07 Blu-ray im Super-Jewelcase (limitiert auf 199 nummerierte Exemplare), 21. Juni 2004 als DVD in großer Hartbox (2 limitierte Covermotive), 6. Juni 2003 als DVD

Länge: 95 Min. (Blu-ray), 91 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Castle Freak
USA/IT 1995
Regie: Stuart Gordon
Drehbuch: Dennis Paoli, nach der Kurzgeschichte „The Outsider“ von H. P. Lovecraft
Besetzung: Jeffrey Combs, Barbara Crampton, Jonathan Fuller, Jessica Dollarhide, Massimo Sarchielli, Elisabeth Kaza, Luca Zingaretti, Helen Stirling, Alessandro Sebastian Satta, Raffaella Offidani, Marco Stefanelli, Tunny Piras, Rolando Cortegiani
Zusatzmaterial (nur Wicked Vision): Vorwort von Produzent Charles Band (1:26 Min., startet bei Einlegen der Blu-ray), Audiokommentar von Dr. Gerd Naumann, Matthias Künnecke und Christopher Klaese, Stuart Gordon über „Castle Freak“ (6:05 Min.), Videozone Behind the Scenes (9:27 Min.), William Shatner im Gespräch mit Stuart Gordon, Barbara Crampton und Jeffrey Combs (12:17 Min.), Kurzfilm „Evil Clergyman“ (28:59 Min.), Premiere von „Evil Clergyman“ (6:06 Min.), Originaltrailer, Bildergalerie, nur Mediabooks: 24-seitiges Booklet mit einem Vorwort von Stuart Gordon und einem Text von Christoph N. Kellerbach, Soundtrack-CD (42:22 Min.)
Label/Vertrieb seit 2018: Wicked Vision Distribution GmbH
Labels/Vertriebe zuvor: MTM Entertainment, cmv-Laservision, AMS, X-Rated, Laser Paradise

Copyright 2023 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & untere Packshots: © Wicked Vision Distribution GmbH

 

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