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Zum 65. Geburtstag von Frank Darabont: The Majestic – Die Amnesie und der verlorene Sohn

28 Jan

The Majestic

Von Volker Schönenberger

Melodram // „Die Verurteilten“ (1994), „The Green Mile“ (1999) und „Der Nebel“ (2007) gelten als drei der besten Stephen-King-Verfilmungen überhaupt. Bemerkenswert, dass es sich dabei um drei der nur vier Kino-Regiearbeiten von Frank Darabont handelt – die vierte ist „The Majestic“ von 2001, um die es in der Folge noch gehen wird. Insgesamt setzt sich Darabont lediglich elfmal auf den Regiestuhl.

Fundstück am Strand

Als Ferenc Árpád Darabont wird er am 28. Januar 1959 in einem Flüchtlingslager im französischen Montbéliard geboren. Seine Eltern waren nach dem Ungarischen Volksaufstand 1956 aus ihrer Heimat geflohen. Die Familie emigriert in die USA, lässt sich in Los Angeles nieder. Der richtige Ort für jemanden, der schon als Jugendlicher eine große Filmleidenschaft entwickelt. Mit dem 30-minütigen „Vergiftet“ („The Woman in the Room“) gibt er 1984 sein Drehbuch- und Regiedebüt. Der Horror-Kurzfilm nach einer Kurzgeschichte von Stephen King wird 1994 Bestandteil des Direct-to-Video-Double-Features „Nightshift Collection“. Fürs Fernsehen inszeniert er 1990 den Thriller „Buried Alive – Lebendig begraben“, der somit sein erster Langfilm wird. Schon zuvor hat er sich auch als Drehbuchautor für andere Regisseure betätigt, an den Skripts zu „Nightmare 3 – Freddy Krueger lebt“ (1987), „Der Blob“ (1988) und „Die Fliege 2“ (1989) mitgeschrieben. Auch für die von George Lucas konzipierte Serie „Die Abenteuer des jungen Indiana Jones“ (1992–1996) und einige ihrer Langfilm-Umsetzungen schreibt er einige Drehbücher.

Drehbuch für „Mary Shelley’s Frankenstein“

„Die Verurteilten“ wird 1994 an den Kinokassen zwar kein Riesenhit, entwickelt sich aber zum Kritiker- und Fanliebling, was Darabont weitere Türen öffnet. Im selben Jahr kommt „Mary Shelley’s Frankenstein“ in die Kinos, für den Darabont einen zweiten Drehbuchentwurf (nach dem ersten von Steph Lady) verfasst. Später wird er darüber sagen: Das beste Drehbuch, das ich je geschrieben habe, und der schlechteste Film, den ich je gesehen habe. Glück für Darabont: Da Regisseur und Frankenstein-Darsteller Kenneth Branagh das Resultat allein für sich beansprucht, zieht er auch alle Kritik auf sich und von anderen Beteiligten wie eben Darabont ab (ganz so schlimm finde ich den Film Branagh zum Trotz allerdings gar nicht).

Ganz Lawson ist aus dem Häuschen

Die großen Filmpreise gehen bis heute allesamt an Frank Darabont vorbei. Zweimal ist er als Autor für den Oscar nominiert – fürs adaptierte Drehbuch von „Die Verurteilten“ sowie „The Green Mile“, der obendrein als bester Film nominiert ist. Die Academy Awards gewinnen aber andere. Ebenso den Golden Globe, für den sein „Die Verurteilten“-Drehbuch nominiert ist, den Preis der Directors Guild of America (drei Nominierungen), den Preis der Writers Guild of America (drei) und den Saturn Award der Academy of Science Fiction, Fantasy & Horror (vier). Immerhin: Weil sich „Die Verurteilten“ seit etlichen Jahren hartnäckig auf der Spitzenposition der IMDb Top 250 hält, hat sich das Knastdrama mit Tim Robbins und Morgan Freeman den Ruf als „bester Film aller Zeiten“ erarbeitet (auch wenn der Verdacht naheliegt, dass sich ein IMDb-Phänomen verselbständigt hat).

Der „The Walking Dead“-Rausschmiss

2010 schlägt die für den Sender AMC produzierte Zombie-Fernsehserie „The Walking Dead“ (2010–2022) ein wie eine Bombe. Sie basiert auf der gleichnamigen Comicreihe von Robert Kirkman und Tony Moore, an der TV-Umsetzung ist Darabont maßgeblich beteiligt, fungiert im Verbund mit Gale Anne Hurd als Executive Producer, schreibt das Drehbuch zum Pilotfilm und inszeniert diesen auch. Als Showrunner ist er der kreative Kopf hinter der Serie. Bis er von AMC im Juli 2011 zwischen der ersten und zweiten Staffel überraschend gefeuert wird. Persönliche Animositäten und geplante Budgetkürzungen durch den Sender mögen dabei eine Rolle gespielt haben. Beginn eines zehn Jahre währenden Rechtsstreits, an deren Ende Darabont und seine Agentur im Rahmen eines Vergleichs 200 Millionen Dollar und eine Beteiligung an künftigen Einnahmen erhalten.

Geschafft! „The Majestic“ …

Frank Darabont arbeitet viel, optimiert Drehbücher anderer, bereitet Projekte vor, doch sein Œuvre bleibt überschaubar. Seine Filmografie in der Internet Movie Database weist außer den nur elf Regiearbeiten auch nur 21 Drehbücher und elf Produzenten-Credits aus. Frank Darabont hat offenbar immer wieder viel Energie in Projekte gesteckt, die in der Entwicklungshölle (development hell) jämmerlich verreckt und nie umgesetzt worden sind. Darunter sein ambitioniertes Drehbuch zu einem Bürgerkriegsdrama. Aber er muss ja noch nicht in Rente gehen, vielleicht erblicken beispielsweise seine Verfilmungen von Robert R. McCammons Roman „Mine“ und von Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ doch noch das Licht der Welt, so unwahrscheinlich das sein mag. Am 28. Januar 2024 feiert Frank Darabont seinen 65. Geburtstag.

„The Majestic“

Nun zu „The Majestic“, Darabonts dritter Kino-Regiearbeit: Das Melodram spielt 1951, wie wir beispielsweise gleich zu Beginn an einem aktuellen Filmplakat für John Hustons „African Queen“ mit Humphrey Bogart und Katharine Hepburn erkennen, später auch an einer Kinovorführung von Vincente Minnellis „Ein Amerikaner in Paris“ mit Gene Kelly und Leslie Caron. Der Hollywood-Drehbuchautor Peter Appleton (Jim Carrey) träumt vom großen Wurf. Einstweilen reicht es nur für den B-Film „Sand Pirates of the Sahara“, für den er das Skript geliefert hat und in dem seine Freundin Sandra Sinclair (Amanda Detmer) die weibliche Hauptrolle spielt.

… wird wiedereröffnet

Es ist die Zeit der Kommunistenhatz, der zweiten „Roten Angst“ in den USA. In der McCarthy-Ära werden vermeintliche Sympathisanten des Kommunismus unter den Filmschaffenden Hollywoods reihenweise vor das Komitee für unamerikanische Umtriebe geladen, um sich dort zu erklären – etwa die „Hollywood Ten“, die anschließend zu Haftstrafen verurteilt wurden. Get the Reds out of Hollywood! – Raus mit den Roten aus Hollywood! So ertönt es in der Wochenschau.

Amnesie nach Sturz in den Fluss

Auch Peter Appleton gerät aus heiterem Himmel auf Hollywoods schwarze Liste, weil er in seiner Collegezeit an irgendeinem Friedenstreffen teilgenommen hat, um ein Mädchen zu beeindrucken. Die Dreharbeiten zu seinem nächsten Film „Ashes to Ashes“ werden verschoben, er als Autor durch einen anderen ersetzt. Sandra verlässt ihn. Grund genug, sich in der Kneipe volllaufen zu lassen und die Stadt zu verlassen. Einen Autounfall und einen Sturz in den Fluss später findet ihn der Rentner Stan Keller (James Whitmore) am Ufer des Pazifiks und nimmt ihn mit in die kalifornische Kleinstadt Lawson. Im Diner erhält er von Mabel (Catherine Dent) eine Portion ganz hervorragender Eier, bis der örtliche Arzt Doc Stanton (David Ogden Stiers) erscheint und ihn zur Untersuchung mit in seine Praxis nimmt. Es stellt sich heraus, dass der körperlich nur leicht Verletzte an Amnesie leidet. Weder kann er sich an den Unfall erinnern noch daran, wer er ist.

Heimkehr des verlorenen Sohns?

Der alte Harry Trimble (Martin Landau) indes ist wie vom Donner gerührt: Er ist überzeugt davon, in Peter seinen Sohn Luke zu erkennen, der neuneinhalb Jahre zuvor im Zweiten Weltkrieg in Europa als „Missing in Action“ gemeldet worden und vermutlich gefallen war (wobei Harry seinem vermeintlichen Sohn berichtet, er habe an der Invasion in der Normandie teilgenommen, und ein Gedenkstein auf dem Friedhof gibt das Todesdatum mit dem 9. Juli 1944 an, also sieben Jahre zuvor). Schnell verselbständigt sich die Nachricht von der „Rückkehr des verlorenen Sohns“. Peter alias Luke trifft auf Doc Stantons Tochter Adele (Laurie Holden), mit der sich Luke am Vorabend seines Abschieds nach Übersee verlobt hatte. Sie führt ihn an Stätten, die den beiden als junge Leute und Liebespaar etwas bedeutet hatten. Bürgermeister Ernie Cole (Jeffrey DeMunn) lässt sogar eine Willkommensfeier ausrichten.

Ferndale wird zu Lawson

„The Majestic“ atmet Nostalgie aus jeder Pore. Frank Darabont schwelgte 2001 in 50er-Jahre-Ausstattung, als habe es die Jahrtausendwende nicht gegeben. Er drehte von März bis Juni des Jahres teils im Studio, teils an Originalschauplätzen wie dem berühmten Grauman’s Chinese Theatre in Hollywood. Für das fiktive Örtchen Lawson hielt die idyllische kalifornische Gemeinde Ferndale her. Kräftige Farben mit Tendenz zu Brauntönen und ein weiches Bild verleihen „The Majestic“ eine Retro-Optik, die sich stimmig in die gefühlige Atmosphäre einfügt.

Ist das ein Kommunist?

Der Filmtitel rührt vom gleichnamigen Kino her, das Harry Trimble einstmals geführt hat und nun wiedereröffnen will. So wird „The Majestic“ auch zu einer Ode ans Kino, an den altmodischen Kintopp. Wer will bezweifeln, dass Frank Darabont das Kino liebt? Nach „The Majestic“ sicher niemand mehr. Die märchenhaft-romantische Handlung mit ihren diversen Unwahrscheinlichkeiten entführt uns in die Illusion einer Realität, angesichts derer der politische Faktor mit der Kommunistenhatz jener Zeit ein Nebenaspekt bleibt. Selbst wenn dieser Faktor zum Finale hin viel Gewicht bekommt, wird er dort doch von großen Gefühlen erneut an die Seite gedrängt. Macht aber nichts! Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps. Wenn am Ende die Grenze zum Kitsch überschritten wird, merken wir, dass Film auch einfach mal Eskapismus sein darf.

Klangvolle Besetzung

Jim Carrey hatte sich zuvor mit „Die Truman Show“ (1998) und „Der Mondmann“ (1999) bereits von den Brachialkomödien früherer Jahre verabschiedet. Gegenüber den beiden erwähnten Filmen nimmt er sich schauspielerisch noch einmal zurück, was der Charakterisierung der Figur spürbar guttut. Ihn unterstützt ein feines Ensemble, von der zauberhaften Laurie Holden („The Walking Dead“) über Oscar-Preisträger Martin Landau („Ed Wood“), Jeffrey DeMunn („Die Verurteilten“, „The Green Mile“) bis zu James Whitmore („Kesselschlacht“, „Die Verurteilten“). Hal Holbrook („The Fog – Nebel des Grauens“) ist als Kongressabgeordneter und Vorsitzender einer Anhörung zu sehen, Bob Balaban („Monuments Men – Ungewöhnliche Helden“) als sein Kollege. Die englische Originaltonspur wartet zudem mit ein paar Stimmen bekannter Regisseure auf: In einer Szene zu Beginn, die am Ende fortgeführt wird, sind Garry Marshall, Paul Mazursky, Sydney Pollack, Carl Reiner und Rob Reiner zu hören. Im Bild ist nur Peter Appleton, der sich anhören muss, wie die von erwähnten Regisseuren gesprochenen Studiomanager hirnrissige Vorschläge zur Änderung seines Drehbuchs diskutieren. Erwähnt sei auch Matt Damon, mit dessen Stimme wir einen Brief Luke Trimbles zu hören bekommen, den dieser kurz vor seinem Tod an Adele schrieb. Erwähnt seien dies abschließend Bruce „Ash“ Campbell („Bubba Ho-Tep“) und Cliff Curtis („Meg“), die in Ausschnitten des Films im Film „Sand Pirates of the Sahara“ zu sehen sind.

Beim Publikum und bei Jim Carrey abgeschmiert

All das kann man als sentimental kritisieren, wenn man will, und die zeitgenössische Filmkritik hat das teils auch getan. An den Kinokassen ging „The Majestic“ gnadenlos baden: Bei Produktionskosten von 72 Millionen Dollar spielte das Melodram weltweit nur 37,3 Millionen Euro ein, was auch an der starken Konkurrenz mit unter anderem „Der Herr der Ringe – Die Gefährten“ und „Harry Potter und der Stein der Weisen“ gelegen haben mag. Dem Vernehmen nach mag Jim Carrey es gar nicht mal so sehr, während Frank Darabont „The Majestic“ in Ehren hält: Im Interview mit „Empire“ sagte er 2008, es sei ein Film, auf den er sehr stolz sei und den er wirklich liebe. Und weiter: Er hat exakt das erreicht, was ich mir vorgenommen hatte. Und ich finde ihn sehr bewegend. Dem schließe ich mich an. Ein warmherziger Wohlfühlfilm. Nicht mehr, aber ganz sicher auch nicht weniger.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Frank Darabont haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Laurie Holden unter Schauspielerinnen, Filme mit Bob Balaban, Bruce Campbell, Jim Carrey, Cliff Curtis, Jeffrey DeMunn, Hal Holbrook und James Whitmore in der Rubrik Schauspieler.

Die Rückkehr des verlorenen Sohns

Veröffentlichung: 29. Januar 2015 als Blu-ray, 24. Oktober 2002 als DVD

Länge: 153 Min. (Blu-ray), 146 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 6
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a.
Untertitel: Deutsch (nur DVD), Deutsch für Hörgeschädigte, Englisch (nur DVD), Englisch für Hörgeschädigte u. a.
Originaltitel: The Majestic
USA 2001
Regie: Frank Darabont
Drehbuch: Michael Sloane
Besetzung: Jim Carrey, Martin Landau, Bob Balaban, Jeffrey DeMunn, Hal Holbrook, Laurie Holden, Brent Briscoe, Ron Rifkin, Gerry Black, David Ogden Stiers, James Whitmore, Susan Willis, Catherine Dent, Brian Howe, Karl Bury, Chelcie Ross, Amanda Detmer, Allen Garfield, Bruce Campbell, Cliff Curtis, nur Stimmen (Originalfassung): Garry Marshall, Paul Mazursky, Sydney Pollack, Carl Reiner, Rob Reiner, Matt Damon
Zusatzmaterial: Der Film im Film: „Wüstenpiraten der Sahara“ (4:48 Min.), nicht verwendete Szenen (9:45 Min.), US-Kinotrailer
Label/Vertrieb: Warner Home Video

Copyright 2024 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & gruppierter Packshot: © Warner Home Video

 

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