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Horror für Halloween (XIII) / Zum 100. Geburtstag von Donald Pleasence: Die schwarze 13 – Danach kann nur noch Satan kommen

Eye of the Devil

Von Ansgar Skulme

Horror // Die Angestellten des Marquis Philippe de Montfaucon (David Niven) sind in Aufruhr – auf seinem Besitz in Belnac droht eine Missernte! Der Marquis macht sich daher auf den Weg von Paris aufs Land, wo die Menschen in einer völlig anderen, von heidnischen Ritualen und Überzeugungen geprägten Welt leben, die das Mittelalter kaum überwunden hat. Seine Frau Catherine (Deborah Kerr), verunsichert durch sein sonderbares Verhalten vor der Abreise, entschließt sich, ihm zu folgen. Was die Genießer des Pariser Lebens in Belnac an archaischer Verlorenheit bis hin zu mörderischen Opfer-Kulten erwartet, scheint aus dem Blickwinkel des modernen Großstadtlebens kaum denkbar. Selbst die kleinen Montfaucon-Kinder haben keinen Grund mehr, sich sicher zu fühlen.

„Die schwarze 13“ ist ein immens unangenehmer, verunsichernder 60er-Horrorfilm, der eine für das damalige Kino, vor allem für Produktionen dieser Größenordnung auffällig konsequente Hoffnungslosigkeit ausstrahlt. Zu keinem Zeitpunkt gibt es hier so etwas wie einen Helden, der den Eindruck vermittelt, die Sache vielleicht doch in den Griff bekommen zu können. Besonders verstörend wirkt dies gerade deswegen, weil es sich eben nicht etwa um einen Independent-Film handelt, sondern um ein MGM-Projekt mit bekannten Hollywood-Altstars in den Hauptrollen – also typischen Gesichtern einer heilen Filmwelt, die hier nun gewissermaßen wie ein Kartenhaus zerbricht. Wenn man so will, bewegt sich „Die schwarze 13“ damit ein wenig im Fahrwasser von William Castles „Er kam nur nachts“ (1964), der mit Robert Taylor und Barbara Stanwyck anstelle von David Niven und Deborah Kerr aufwartete, nur ist in „Die schwarze 13“ erst recht kein Verlass mehr auf Bezüge zu klassischen Handlungsmustern. Vielmehr startet der Film von vornherein mit irritierend wirkenden, Orientierungslosigkeit herausfordernden Kamerabewegungen und Schnitten – ein Stilmittel, das auch später immer wieder zu finden ist. Dazu viele nervenzehrende musikalische Klänge und diverse wirklich kaltblütig abgestumpfte Figuren – Menschen, an denen wenig übrig ist, was für uns moralisch noch erklärbar ist. Selbst die Opfer wirken zunehmend unnahbar und verloren, als seien sie in einer Art Trance, die hoffnungslos aufs Ende zusteuert, schon halb blutleer, seelisch leergesaugt. „Die schwarze 13“ entwickelt sich so zu einem Fleisch werdenden Albtraum.

Fanatismus, Mordlust, Menschenverachtung

Als sei der Horror auf der narrativen und visuellen Ebene nicht schon übel genug, gesellt sich dazu ein doppelter Boden: Sharon Tate, die im Zuge ihrer grausamen Ermordung 1969 – aktuell durch den Quentin-Tarantino-Film „Once Upon a Time in Hollywood“ im Kino thematisiert – zu einer der tragischsten Legenden der Filmgeschichte geworden ist, ist in „Die schwarze 13“ in ihrer (am Zeitpunkt des Drehs gemessen) ersten großen Kinorolle zu sehen, also der ersten, bei der sie auch mit ihrem Namen im Vorspann genannt wurde. Und das ausgerechnet als in Schwarz gekleidete, gefühlskalte, blutjunge Götzenanbeterin, die auf bloßes Geheiß übergeordneter Heiden hin auch vor dem Tod kleiner Kinder keinen Halt macht. Niemand konnte ahnen, wie entsetzlich diese junge Schauspielerin rund drei Jahre nach Abschluss der Dreharbeiten in der Realität von schockierend ähnlichen Gestalten eingeholt werden würde. Ein Kritiker der New York Times beanstandete die Ausdruckslosigkeit ihrer Performance in „Die schwarze 13“, aber gerade diese konsequente Abwesenheit von Emotionen, die man für angemessen halten würde, macht ihre Interpretation der Rolle doch eigentlich besonders genial und auch für das Kino visionär. Und leider sollte sich schon bald sehr deutlich zeigen, dass es solche abgestumpften, gefühlsleeren, den Weisungen eines Gurus folgenden jungen Frauen, die kein Erbarmen mit kleinen Kindern, ja sogar einem Baby haben, nicht nur im Film gibt. „Die schwarze 13“ ist spätestens dann, wenn man rückblickend um Sharon Tates Schicksal weiß, stellenweise nur noch schwer zu ertragen. Sie drehte danach lediglich fünf weitere Filme.

Bei seiner Mitwirkung an „Der schwarze 13“ ebenfalls am Beginn seiner Filmkarriere stand David Hemmings, der kurze Zeit später durch seine Hauptrolle in Michelangelo Antonionis „Blow Up“ (1966) nicht nur internationale Bekanntheit erlangte, sondern auch direkt den erfolgreichen Sprung in den Arthaus-Sektor schaffte. Da „Die schwarze 13“ eine Weile auf Eis lag und erst nach „Blow Up“, vor allem in der zweiten Hälfte des Jahres 1967, international die Runde in den Kinos machte, mag es etwas verwundern, Hemmings in einem solch brachialen, kurz nach Antonionis berühmtem Kunstgriff erschienenen Genrefilm und noch dazu in einer auf einmal wieder recht kleinen Rolle in „Die schwarze 13“ wahrzunehmen – wenngleich „Die schwarze 13“, aus heutiger Sicht, hinsichtlich experimenteller Kameraarbeit und Bildmontage durchaus auch als visionärer „Kunstfilm“ durchgeht. Aber diese Verwirrung um David Hemmings ist eben der verzögerten Veröffentlichung des Films geschuldet. In seinem eigentlichen Produktionsland Großbritannien – von dem die zwar in Hollywood populären, aber auf britischem Boden geborenen Hauptdarsteller auf den ersten Blick etwas ablenken mögen – kam der düstere Meilenstein erst 1968 ins Kino.

Verflucht sind sie alle – wenn nicht gar der gesamte Film

Während Sharon Tate für ihre Rolle offenbar die erste und einzige Wahl war, führte die größere Rolle der Catherine de Montfaucon zu recht gravierenden Problemen bei der Produktion. Zunächst wurde Kim Novak („Vertigo“) besetzt, die damals noch bei einem der Produzenten des Films, Martin Ransohoff, unter Vertrag stand. Ransohoff war es auch, der Sharon Tate aufgebaut und mit einem Sieben-Jahres-Vertrag ausgestattet hatte, welcher schließlich zu dieser ersten größeren Kinorolle führte und ihr den Weg zum Durchbruch ebnete. Im September 1965 startete der Dreh zu „Die schwarze 13“ mit Kim Novak. Nur zwei Wochen bevor sämtliche Aufnahmen abgeschlossen gewesen wären, wurde Novak bei einer Szene von einem Pferd abgeworfen und verletzte sich so schwer am Rücken, dass eine rechtzeitige Erholung, um die Dreharbeiten abzuschließen, offenbar nicht mehr gelang. Ein Versuch der Wiederaufnahme der Arbeit scheiterte nach einem Tag. Sie wurde ersetzt, somit mussten zahlreiche Szenen erneut gedreht werden. Eine andere Theorie besagt allerdings, dass Novak schließlich auch Streit mit dem Produzenten Ransohoff hatte und letztlich deswegen gefeuert wurde. Mitursächlich dafür könnte wohl eine Affäre am Set mit David Hemmings gewesen sein. So kam schließlich Deborah Kerr ins Boot, der es – ob absichtlich oder auch nicht – ziemlich gut gelang, die positivste erwachsene Figur dieses Films unangenehm unnahbar zu verkörpern, so dass man sich selbst mit ihr kaum identifizieren mag, obwohl ihre Figur weder böse noch lebensmüde ist. Wobei sich Kim Novak mit Sharon Tate, schon allein aus Typ-Gründen, zugegebenermaßen visuell vermutlich noch besser ergänzt hätte. Deborah Kerr fällt in dem Film irgendwie ein wenig aus dem Rahmen, wirkt fremd und etwas unpassend – allerdings passt das auf eine gewisse Art gerade sehr gut zu ihrer Rolle und gut zur viel Verunsicherung säenden Grundstimmung des Films. Auf dem Regiestuhl gab es ebenfalls mehrere Wechsel, allerdings offenbar im Wesentlichen schon bevor die Dreharbeiten begannen. Je nach Quellenlage scheint aber möglich, dass wenige Szenen, die in der finalen Fassung sichtbar sind, doch nicht von J. Lee Thompson inszeniert wurden.

Fachmann für fiese Figuren

„Die schwarze 13“ ist ein in allen Belangen solch düsterer Film, dass eine Flora Robson („Der Wachsblumenstrauß“), die sich beileibe gut darauf verstand, gruselige und wenig weiblich wirkende Damen mittleren Alters zu verkörpern und oft von einer recht kalten Aura umgeben ist, hier noch vergleichsweise mitleidserregend, wenn auch ziemlich hoffnungslos wirkt. Robson taugte mit ihren schauspielerischen Qualitäten und begünstigt durch markante Gesichtszüge gewissermaßen wie aus dem Bilderbuch für finstere Rollen des männerverneinenden Typs „Mutter Oberin“, aber diese Seite ihrer Kunst wurde überraschenderweise ausgerechnet in „Die schwarze 13“ nicht genutzt. Ein Horrorfilm so düster, dass selbst Flora Robson noch eine der nahbarsten Figuren darstellt – ein Kontext wie geschaffen, um für Donald Pleasence zu einem richtungsweisenden Projekt zu werden. Er wäre am 5. Oktober 2019 100 Jahre alt geworden.

Dieser Horrorfilm lief in den Kinos der Welt seinerzeit mehr oder weniger Rücken an Rücken mit „James Bond 007 – Man lebt nur zweimal“ (1967), in dem Pleasence als Ernst Stavro Blofeld den berühmtesten glatzköpfigen Narbengesicht-Schurken der Filmgeschichte verkörperte. Danach dürfte er bei vielen seinen Ruf weggehabt haben – in „Die schwarze 13“ ist er ausgerechnet ein Priester, der es aber eher mit dem Satan als sonstigen Göttern zu halten scheint, und bei Bond der Superschurke schlechthin. Das lässt einen anderes schnell vergessen und die vielseitige Begabung dieses Schauspielers, der in „Gesprengte Ketten“ (1963) wiederum so berührend freundlich agierte, womöglich unter den Tisch fallen. Mit der „Halloween“-Reihe und „Dracula“ (1979) erlebte Pleasence später einen zweiten Frühling im Horrorfilm; wohlgemerkt nicht auf Oberschurken abonniert. Er vermochte allerdings genauso, herrlich selbstironisch sein Talent für überkandidelte Fieslinge auf die Schippe zu nehmen, wie sich besonders denkwürdig in „Zwei wie Pech und Schwefel“ (1974) zeigte – an der Seite von Bud Spencer und Terence Hill in einem ihrer besten Filme.

Seine Darstellung von Emotionslosigkeit mit gefühlskalten Augen und regungsloser Mimik bei der Verkörperung von Verbrechern, hatte aus meiner Sicht durchaus einen gewissen stilbildenden Einfluss. Von Donald Pleasence gespielte Schurken wirken zum Teil einfach viel verstörender, emotional kaputter und perverser als es bis dato der Regelfall im Kino war. Allerdings auch nicht im Sinne von Klaus Kinski, sondern stattdessen auf einer weitaus ruhigeren, ziemlich leisen, schlangenähnlichen und sehr dämonischen Grundlage. Hätte es Harry Potter damals schon gegeben, wäre Donald Pleasence der ideale Lord Voldemort gewesen, zumal er auch noch Brite war. Man möchte fast meinen, er habe dieser Figur mit einigen seiner Rollen, wie besonders in „Die schwarze 13“, als emotionsverneinendes, befremdlich kahl wirkendes Vorbild gedient. Bemerkenswert auch, dass als englischer Originaltitel des Films schließlich „Eye of the Devil“ gewählt wurde, obwohl zunächst eine Verfilmung unter dem Titel der Buchvorlage „Day of the Arrow“ geplant und dann noch die Titelvariante „Thirteen“ bzw. „13“ – die für die deutsche Fassung „Die schwarze 13“ letztlich bewahrt wurde – ins Spiel gekommen war. Denn in „Eye of the Devil“ scheinen mit dem Auge des Teufels vor allem die Augen von Donald Pleasence im Titel verankert zu sein – auch wenn es vielleicht nicht so intendiert war. Augen, die irgendwie auf eine doch andersartige, unangenehme, im Kino gefühlt so noch nie dagewesene Art böse und fremd anmuten. Kritiker bezeichneten diese Augen des Donald Pleasence später hin und wieder schlichtweg als hypnotisch.

Die stillen Sieger

Kommerziell gesehen war „Die schwarze 13“ nicht das, was man sich erhofft hatte. 1968 wurde er als eine von bis dahin nur drei Ransohoff-Produktionen verschrien, die sich an den Kinokassen nicht rentiert haben. Allerdings war der Film seiner Zeit voraus – durch seinen kompromisslos abgründigen Umgang mit Okkultismus und seiner spürbaren Nähe zu Satansliebhaberei-Themen. Die Zeiten von populären Horrorfiguren wie Dracula und Frankenstein wurden mit Filmen wie diesem durch menschliche Monster abgelöst, die sich in Gruppen organisieren und ihr Unwesen treiben. Wie krank der eine oder andere Zeitgenosse unter uns wirklich ist und dass es für einen handfesten Horrorfilm keine Kunstfiguren braucht, sondern auch eine gewisse surreale Gangart bei Narration, Kameraarbeit und Schnitt genügen, hätte man im klassischen Hollywood noch nicht so fühlbar bedrückend zeigen können, im Vereinigten Königreich der 60er allerdings schon eher. Und damit es gewissermaßen gar nicht erst zu halben Sachen kommen kann, wurde sogar der Okkultist Alex Sanders, der sich als einem Geschlecht walisischer Hexen zugehörig sah, als Berater bei der Produktion von „Die schwarze 13“ beschäftigt. Ein sehr forscher Schritt, weg von prüden Kinozeiten, sich zwecks Authentizität bei der Erarbeitung eines Filmstoffs und dessen Realisierung solcher Kooperationspartner zu bedienen. Was jetzt in jedem Falle noch fehlt, wäre eine angemessene Würdigung dieses Horror-Meisterwerks fürs Heimkino in Deutschland – aber leider haben es MGM-Klassiker diesbezüglich besonders schwer. Da liegt noch vieles in der Warteschleife.

Ein kurzes Wort sollte nicht zuletzt zur deutschen Synchronfassung verloren werden, da David Niven hier von Erich Fiedler und nicht seiner charakteristischsten deutschen Stimme, Friedrich Schoenfelder, vertont wurde. Schoenfelder war zum damaligen Zeitpunkt aber einfach noch nicht so fest als Nivens deutsche Stimme etabliert, wie es schon einige Jahre später der Fall sein sollte. Fiedler macht seinen Job gewohnt präzise und weiß mit seiner sehr speziellen Stimme so oder so zu glänzen. Herausragend ist hier aber vor allem die Performance von David Niven selbst, der so wunderbar sein Gentleman-Image nutzt, um den Zuschauer mit seiner Figur in ein Loch ohne Boden stürzen zu lassen. Der schicke Niven, der immer so elegant, charmant wirkt, sein Äußeres in seinen Rollen kaum variierte. Er, der meist so rüberkommt als hätte er alles komplett im Griff, und hier sogar noch einen Franzosen spielt, obwohl er Brite war, aber im Grunde jedes Klischee eines eleganten französischen Mannes von Welt erfüllt. Ausgerechnet er wird hier von einer Bande miteinander verschworener, gemeingefährlicher Hinterwäldler destabilisiert, demontiert, geradezu entthront und bietet dem Zuschauer von vorn herein einfach nichts mehr von den Führungsqualitäten an, die er sonst ausstrahlt. Man wartet regelrecht darauf, dass die Figur aus der Depression erwacht, auf eine Wendung – aber nein! Oder doch?! Er sieht eigentlich aus wie immer, aber ist einfach nur gebrochen, kaputt, leer und seine Fans laufen ins offene Messer, mit dieser irren Besetzung gegen den Strich. Eine starke Darbietung, die man würdigen sollte, gerade weil der Film absichtlich irritierend, sehr ungewöhnlich und sowieso aus einem Genre ist, für das Schauspieler meist keine großen Preise gewinnen. Erst durch die verlorene Seele des David Niven kommt das verstörende Potenzial von „Die schwarze 13“ in vollen Zügen zur Geltung. Chapeau, Marquis!

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von J. Lee Thompson haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgeführt, Filme mit David Hemmings, David Niven und Donald Pleasence unter Schauspieler.

Veröffentlichung (USA): 21. Februar 2011 als DVD

Länge: 92 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Originaltitel: Eye of the Devil
GB 1967
Regie: J. Lee Thompson
Drehbuch: Robin Estridge, Dennis Murphy, Terry Southern, nach dem Roman „Day of the Arrow“ von Robin Estridge
Besetzung: Deborah Kerr, David Niven, Sharon Tate, Flora Robson, Donald Pleasence, David Hemmings, Edward Mulhare, Emlyn Williams, John Le Mesurier, Robert Duncan
Verleih: Metro-Goldwyn-Mayer

Copyright 2019 by Ansgar Skulme
Filmplakat: Fair Use

 

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