I Don’t Want to Be Born
Von Tonio Klein
Horror // … oder besser, wenn er rausgeholt, mit der Zange? Der deutsche Titel nun wieder (zugegeben auch der alternative englische „The Devil Within Her“); der Film beginnt in dem Moment, in dem der Teufel NICHT MEHR in ihr ist. Sie, das ist Lucy (Joan Collins), Ex-Stripperin, nun Ehefrau und just während des Vorspanns auch Mutter. Doch sie hat bei der Geburt ihres Kindes mächtig zu leiden, da es anscheinend partout nicht geboren werden will, was auch mehrmals thematisiert wird und den Originaltitel „I Don’t Want to Be Born“ erklärt. Der kleine Nicholas könnte von seinem berühmten französischen Namensvetter aus der Feder René Goscinnys nicht weiter entfernt sein. Und wenn ein Film nun einmal als dritten englischen Titel „The Monster“ verpasst bekommt, verwundert es nicht, dass schon der Säugling ein Kratz- und Beißling ist. Und das bereits unmittelbar nach der Geburt. Gibt’s doch gar nicht? Selbstredend widerspricht dies den Fähigkeiten eines Neugeborenen. Aber hey, wir sind in einem fantastischen Horrorfilm. Da darf sowas halt existieren, denn …
„Er ist besessen.“ – „Und zwar vom Teufel.“
Himmelherrgott(!)nochmal, von wem denn sonst? Okay, es hätte auch ein ihm untergeordneter Dämon sein können und nicht der Leibhaftige persönlich. Der Dialog mag andeuten, dass dieser Film nicht immer ganz rund und gewiss kein Meisterwerk ist. Das muss diese hübsche B-Perle aber auch gar nicht sein! Die Grundidee ist nämlich ausgesprochen charmant und macht wirklich Angst: Wie geht „Rosemaries Baby“ (1968), der bekanntlich mit der Geburt der Satanistentitelfigur endet, weiter? Unter der Annahme, dass der Teufel in Nicholas – anders als das Kind in Roman Polanskis Vergleichsfilm – höchst unwillkommen ist und die Fähigkeit hat, sich stante pede mit überbabylichen Kräften gegen die Erwachsenen zu wenden?
Das sorgt für ein wirklich mulmiges Gefühl permanenter Bedrohung, denn natürlich haben wir den berühmten, von Alfred Hitchcock kultivierten Informationsvorsprung angesichts der Tatsache, dass alle die Gefahr nicht nur permanent ignorieren, sondern geradezu fortwährend heraufbeschwören: Ein Baby sei halt niedlich, kraftlos, hilfs- und zuneigungsbedürftig, und diese Zuneigung gibt es logischerweise en masse, natürlich auch per Körperkontakt. Das führt zu jeder Menge hochgefährlicher Situationen, und diverse Erwachsene begeben sich ein ums andere Mal freiwillig in sie. Und wie das im Genre so ist, aber auch in der Realität so wäre, zaubert man fieberhaft Versuche rationaler Erklärungen aus dem Hut, vor allem der von Donald Pleasence gespielte Arzt Dr. Finch. Der übrigens ausnahmsweise einmal von Gottfried Kramer statt vom hochstimmig-nasalen Wolfgang Spier synchronisiert wurde, woran man sich erst mal gewöhnen muss. Wie dem auch sei, die „Merken die es denn nicht?“-Masche funktioniert noch immer hervorragend. Dies hat aber auch damit zu tun, dass wir Zuschauer uns ungeachtet des Mehrwissens immer noch fragen müssen, was dem Balg denn nun wirklich alles zuzutrauen ist, und damit zu einem weiteren Pluspunkt:
Eine hübsch altmodische Machart
Dem Film ist anzusehen, wovon auch diverse Crew-Mitglieder einschließlich des Regisseurs Peter Sasdy in den lohnenden Interviews des Bonusmaterials berichten: Viel Geld war nicht vorhanden. In der heutigen Zeit ließe sich ein CGI-Superduperbaby erschaffen, das wirklich ausnahmslos alles könnte, sodass uns jegliches Staunen und Miträtseln abhandenkäme. Damals gab es freilich auch schon (praktische) Effekte, aber diese waren mit Ausnahme des Kunstbluts schlicht nicht finanzierbar. Folglich muss es gute alte Unterhaltungsfilmkunst (und ja, Unterhaltung und Kunst widersprechen einander nicht) richten. Ein wirklich ausdrucksstark und manchmal seltsam ernst guckendes Baby, die Attacken oftmals komplett off-screen oder so, dass nur eine Hand oder ein mordsgefährliches Werkzeug des kleinen Monsters zu sehen ist. Schnitte und Geräuscheffekte tun ihr Übriges. Dieser Film, für den die Crew nur einen fest vorgegebenen Sechswochenzeitraum in den Pinewood-Studios bei London zur Verfügung hatte, wurde im Schneide- und Tonraum gemacht! Und obwohl, vielleicht sogar weil man es weiß und sehen kann, funktioniert es. Film ist Illusion, und man geht gern auf den Leim, wenn der Leim gut ist. Keine Perfektion zu sehen, wird dadurch mehr als kompensiert, dass die Auslassungen des direkt Gezeigten äußerst unangenehme Bilder im Kopf entstehen lassen.
Die Hand aus der Wiege ist die Hand, die die Welt regiert oder zumindest in Angst und Schrecken versetzt, und wir wissen nie, wann sie on-screen oder off-screen auftaucht und ihr nächstes Schurkenstück vollführen wird. Gleichzeitig führt die Meisterung ökonomischer Zwänge dazu, dass die Macher genau wussten: Könnte Nicholas schon zu Beginn allzu abstruse Kraftakte vollführen, würde das Publikum es dem Film nie und nimmer abnehmen. Also kann er die Schraube langsam, aber gnadenlos drehen, nimmt den Zuschauer mit, der bald (durch einige geschickt gestreute Informationen der Geschichte) mehr und mehr zu schlucken bereit ist. Die Taten Nicholas’ werden immer brutaler, rational gesehen auch unglaubwürdiger, aber nun sind wir in dieses Universum hineingezogen worden und empfinden es gar nicht mehr so. Satan kann sowas halt! Zudem steckt in Nicholas (natürlich nicht per Spezialeffektverwandlung zu sehen) auch noch ein erwachsener Mensch, der gleichzeitig eine reale Identität als Entertainer hat. Wenn ein Kleinwüchsiger (George Claydon) schon Hercules heißt, sollte man seine Kraft nicht unterschätzen!
Die Italiener und die Stripperinnen
Im Interview erzählt Peter Sasdy, wie sich das Vorhaben einer italienisch-britischen Koproduktion zerschlagen hatte und aus dem Film „100 % Rank“ (The Rank Organisation, eine britische Produktionsgesellschaft) wurden. Warum Pidax als Länder GB/USA angibt, ist unerklärlich und mutmaßlich falsch (mit IMDb und Wikipedia vs. Filmdienst gehen auch zwei von drei Datenbanken von einer rein britischen Produktion aus). Der italienische Einfluss ist schon oder noch eher spürbar, ist Lucys Ehemann Gino (Ralph Bates) doch Italiener, wie auch seine Schwester, die zu Besuch in London ist, die Nonne Albana (Eileen Atkins). Ohne Muttersprachler zu sein, ist mein Eindruck, die nichtitalienischen Darsteller schlagen sich achtbar. Albana darf am Ende natürlich (angenehm kurz ohne das übliche Brimborium) exorzieren und ein nicht englisch klingendes Latein sprechen – hier war Sasdy laut Doku bezüglich der Diktion Perfektionist im positiven Sinne. Beim deutschen Synchronsprecher Ginos geht der leichte Akzent leider verloren. Zudem sieht er mit Haarmatte (glatt, nicht extrem lang, aber ein üppiges Ohrenversteck), absurd langem Hemdkragen und ebenso absurd breiter Krawatte wie eine wandelnde 1970er-Modesünde aus dem nicht südlichen Europa à la Großbritannien oder Deutschland aus. Mit alldem lässt sich gut leben. Fragwürdiger ist die Zurschaustellung des Strippermilieus. Wer’s gern mal ein bisschen sleazy hat, kommt auf seine Kosten, aber es fällt schon auf, dass des Filmes „Schauwerte“ gelegentlich eher sinnfrei hereingeklatscht wirken. Dies betrifft nicht einmal die Collins-Figur und ihre von Bond- („Der Spion, der mich liebte“) und „Maniac“-Girl Caroline Munro gespielte Freundin Mandy, die zudem nicht oben und unten ohne zu sehen sind. Ersteres gibt es aber mehrfach und Letzteres einmal bei anderen Tänzerinnen. Da möge, wer will, in einen Stripclub gehen, aber für den Film braucht’s das nicht. Obschon die Hintergrundgeschichte ohne das Milieu nicht denkbar wäre. Zum Ensemble gehört nämlich auch Hercules, den Lucy herablassend behandelt hatte und dessen Avancen (heute zu Recht eindeutig als sexuelle Nötigung gewertet) sie zurückwies. Da verfluchte er sie …
Der Strang um Impresario Tommy (John Steiner) wirkt hingegen zu breit ausgewalzt. Der Mann kann die Finger von keiner seiner Damen lassen und hatte auch Lucy am Haken. Weil sie sich kurz vor der Hochzeit und ca. neun Monate vor Nicholas’ Geburt noch einmal mit ihm eingelassen hat, kann sie nun nicht sicher sein, wessen Vater das Kind ist. Daher sucht sie das Gespräch mit Tommy. Ein Treffen während eines Vorstrippens führt nur dazu, dass dem Zuschauer full frontal nudity geboten wird, aber nach etwas Palaver vertagt man die Zusammenkunft, welche sich eine gefühlte Ewigkeit später an anderem Ort fortsetzt. Die Probestrip-Szene hat sich damit für den Boden des Schneideraumes qualifiziert! Laut Doku sei der Film ursprünglich zu kurz geraten und mit sinnfreien Szenen aufgefüllt worden, in denen Gino durch London geht und dies und jenes erledigt. Dies ist komplett unverständlich. Der Film dauert 94 Minuten, und wäre eine um vielleicht 10 Minuten geringere Länge so ungewöhnlich? Zudem haben die London-Szenen gerade aus heutiger Zeit noch einen dokumentarischen Schauwert an sich. Wenngleich es das Churchill-Denkmal und den Big Ben noch gibt – so sieht es dort nicht mehr aus. Hingegen wirken die Stripszenen ausgesprochen lieblos und sinnfrei und stehen auch in Kontrast zu den wenigen Szenen, wo Sex nicht nur angepriesen, sondern praktiziert wird und die Kamera gediegen wegschaut und/oder das Bild absichtlich unscharf werden lässt. Das allzu Direkte sei wie gesagt den realen Stripclubs überlassen.
Fazit und Zusätze
Guter, aber nicht großartiger B-Horror, der Angst macht, dem das geringe Budget zum Vorteil gereicht, der aber in den Stripszenen und in einem Kuckuckskind-Motiv etwas zu sehr mäandert. Obwohl nie langweilig, würde eine Kürzung per Reduktion auf das Wesentliche den Film noch etwas besser machen. Bild und Ton der Blu-ray überzeugen. Obskur bleibt, warum Pidax seit neuestem seinen Vorspann so laut schaltet, dass man ohrenschmerzgeplagt die Lautstärke erst mal herunterregelt, was man beim Film wieder rückgängig machen muss. Schade ist zudem, dass eines der Fotos auf der Rückseite etwas verrät, das man gern durch den Film selbst erfahren hätte und dort recht lange in der spannenden Schwebe bleibt. Zugegeben, die Empfehlung „Guckt weg!“ mag genauso unsinnig wie „Denkt 60 Minuten nicht an einen Hund“ sein – gebt zu, Ihr habt das Tier genau jetzt vor Augen. Aber Weggucken lohnt sich; das verräterische Foto taucht in dieser Rezension bewusst nicht auf. Der Cover-Hinweis auf den „Hammer-Regisseur“ ist nicht falsch, da Peter Sasdy andere Filme für die legendären Hammer Studios inszeniert hat – nur diesen nicht. Bedenkt man, dass Hammer neben Period Horror auch ein paar zeitgenössische Geschichten präsentiert hat, ist der Film von Hammer aber gar nicht so weit entfernt, auch in der Nutzung des Black Park nahe dem Großraum London, der als Kulisse schon für Transsilvanien und was weiß ich für Gegenden in Hammer-Horrorfilmen herhalten musste.
Von den Extras konnte ich mangels technischer Möglichkeiten die PDF-Datei des Drehbuchs leider nicht einsehen – sicherlich verdienstvoll zum Nachschlagen für alle, die es ganz genau wissen wollen. Erwähnenswert ist neben den Interviews eine der synchronisierten Folgen der Serie „Orson Welles erzählt“ (1973–1974); Pidax hat 2017 zehn der insgesamt 26 Episoden in einem mittlerweile vergriffenen 2-DVD-Set veröffentlicht. Hier übernahm der Meister den süffisanten Ansager in einem Format à ca. 23 Min., in denen je eine abgeschlossene Geschichte präsentiert wurde. Oftmals eine gruselige, aber in „Dinner bei McGill“ (1973) geht es ganz ohne Übernatürliches zu – eine Satire mit einer hübschen finalen Überraschungspointe, wie sie der Feder Roald Dahls oder Henry Slesars entstammen könnte (die Vorlage stammt aber von James Michael Ullman). Joan Collins spielt deutlicher als im Hauptfilm ihr Sirenen-Image aus, aber mit Hintersinn – ein Vergnügen. In „Der Teufel in ihr“ kann man sie als ernsthafte Schauspielerin schätzen.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Joan Collins haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Donald Pleasence unter Schauspieler.
Veröffentlichung: 26. Mai 2023 als Blu-ray und DVD
Länge: 94 Min. (Blu-ray), 89 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch (Englisch beim Bonusmaterial)
Untertitel: Englisch (nicht beim Bonusmaterial)
Originaltitel: I Don’t Want to Be Born
Alternativtitel: The Monster / The Devil Within her / Sharon’s Baby
GB 1975
Regie: Peter Sasdy
Drehbuch: Stanley Price, nach einer Geschichte von Nato De Angeles
Besetzung: Joan Collins, Eileen Atkins, Ralph Bates, Donald Pleasence, Caroline Munro, Hilary Mason, John Steiner, George Claydon, Janet Key
Zusatzmaterial: Interviews mit Regisseur Peter Sasdy und der Filmcrew (46 Min.), Originaltrailer, Alternativvorspann „I Don’t Want to Be Born“, TV-Folge „Dinner bei McGill“ aus der Serie „Orson Welles erzählt“ mit Joan Collins, Bildergalerie, Drehbuch (PDF), Trailershow, Wendecover
Label: Pidax Film
Vertrieb: Al!ve AG
Copyright 2023 by Tonio Klein
Szenenfotos & gruppierter Packshot: © 2023 Pidax Film