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Brian De Palma (VI): Carlito’s Way – Sein schönster Film?

29 Jun

Carlito’s Way

Von Simon Kyprianou

Gangsterthriller // In der Dokumentation „De Palma“ von Noah Baumbach und Jake Paltrow sagt der Regisseur, als er auf „Carlito’s Way“ zu sprechen kommt, dass er mit diesem Film voll und ganz zufrieden sei; angesichts des finanziellen Misserfolgs äußert er, dass er nicht wisse, wie er einen besseren Film als „Carlito’s Way“ machen könnte. Und in der Tat, „Carlito’s“ Way ist ein hervorragender Film, eine von De Palmas schönsten Arbeiten in einer Filmografie, die reich an schönen Arbeiten ist.

Gangster Carlito kommt aus dem Knast

Brian De Palma zeigt sich hier auf der Höhe seiner Erzählkunst: Als der Mafioso Carlito Brigante (Al Pacino) aus dem Gefängnis kommt, sucht er nach seiner früheren Freundin Gail (Penelope Ann Miller). Sie ist Tänzerin, er schaut ihr vom Dach des Nachbarhauses beim Üben zu. Er steht draußen, im Dunkeln, im Regen, sie tanzt drinnen im Licht. De Palma erzählt hier unglaublich schön mit seinen Bildern von zwei unterschiedlichen Welten, deren Sehnsucht sie aufeinander zu driften lässt. Später klopft der Puerto-Ricaner an Gails Tür, bittet um Einlass, sie fordert ihn spielerisch dazu auf, die Tür einzutreten, wolle er hineinkommen. Carlito hadert mit sich, bevor er sich dann doch mit Gewalt Einlass verschafft. In dieser Szene verdichtet De Palma die Tragik seiner Figur: Carlito will ein besserer Mensch werden, versucht aufrichtig seine brutale Vergangenheit hinter sich lassen, und Gail will das ebenso, aber beide sehnen sich in diesem Moment insgeheim nach dem alten Carlito, der sich nimmt, was er will.

De Palma geht in oben erwähnter Dokumentation auch auf die wunderbar montierte Eingangsszene ein, in Schwarz-Weiß mit Voice-over gedreht. Das Erste, was wir in Farbe zu sehen bekommen, sind die Träume von Carlito: eine Werbeanzeige, die einen Südseestrand zeigt, ein starres Bild, das sich bunt aus dem Schwarz-Weiß herausschält. Die letzten Bilder des Films zeigen wie jenes vormals starre Sehnsuchtsbild plötzlich zu tanzen anfängt. Ebenfalls bemerkenswert ist natürlich die schnittlose Verfolgungsjagd durch die Grand Central Station im Finale. In „Carlito’s Way“ erreicht De Palma einen letzten großen Höhepunkt seiner visuellen Erzählkunst und seines Handwerks. Auch wenn das Spätwerk De Palmas nicht so schlecht ist, wie es oft gemacht wird: „Carlito’s Way“ ist der letzte große Film von Brian De Palma.

Große Schauspielkunst von Al Pacino und Sean Penn

Ironischerweise wird Carlito, der als Nachtclub-Betreiber einer ehrlichen Beschäftigung nachzugehen versucht, ausgerechnet von seinem Freund und Anwalt David Kleinfeld (Sean Penn) – der Carlito zu Beginn wegen eines Verfahrensfehlers aus dem Gefängnis geholt hat – wieder hineingezogen in die Illegalität: Der kokainsüchtige Kleinfeld hat den Gangster Vinnie Taglialucci (Joseph Siravo), den er vertritt, um Geld betrogen, Taglialucci erpresst ihn nun: Hilft Kleinfeld ihm nicht beim Ausbruch, muss er sterben. Die Aktion entgleist völlig, und Carlito versucht mit Gail zu fliehen; sie wollen auf den Bahamas neu anfangen, aber Taglialuccis Männer verfolgen ihn.

Al Pacino ist hervorragend als Carlito, er spielt wunderbar sanft dessen Verletzlichkeit und Unsicherheiten heraus, insbesondere in den Szenen mit Penelope Ann Miller. Aber Sean Penn ist fraglos der schauspielerische Höhepunkt des Films: Er war nie besser als hier, spielt Kleinfeld, diese getriebene, zutiefst verkommene Figur scheinbar ohne Mühe oder Eitelkeiten, mit einer absoluten Selbstverständlichkeit.

Bislang keine deutsche Blu-ray

Bleibt zu hoffen, dass der Film bald eine neue Heimkinoauswertung in Deutschland erfährt. Bisher ist er nur als DVD zu erhalten, diese ist mittlerweile out of print und dementsprechend teuer. Denn ohne Zweifel ist „Carlito’s Way“ De Palmas schönster Gangsterfilm, der auf alle Extravaganzen und Exzesse von „Scarface“ verzichtet und dafür lieber versucht, zu seinen Figuren durchzudringen.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Brian De Palma haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Luis Guzmán, Viggo Mortensen, Al Pacino und Sean Penn in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 8. Januar 2004 als DVD

Länge: 139 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Carlito’s Way
USA 1993
Regie: Brian De Palma
Drehbuch: David Koepp, nach Vorlagen von Edwin Torres
Besetzung: Al Pacino, Penelope Ann Miller, Sean Penn, Luis Guzmán, John Leguizamo, Viggo Mortensen, Joseph Siravo, James Rebhorn, John Ortiz, Ángel Salazar
Zusatzmaterial: Making-of (34:35), Fotogalerie, Original-Kinotrailer
Vertrieb: Universal Pictures Germany GmbH

Copyright 2017 by Simon Kyprianou
Packshot: © 2004 Universal Pictures Germany GmbH

 
 

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4 Antworten zu “Brian De Palma (VI): Carlito’s Way – Sein schönster Film?

  1. Dennis Neiß

    2020/11/07 at 14:52

    „Carlito’s Way ist der letzte große Film von Brian De Palma.“ Für mich ist Femme Fatale sein letzter großer Film und eines der großen Meisterwerke der frühen 2000er Jahre.

     
  2. massi

    2017/06/29 at 05:02

    …Carlitos Way, sein schönster Film? Ja! Definitiv!

    Wunderschöne Rezension, danke dafür.

     
    • Simon Kyprianou

      2017/06/29 at 08:01

      Vielen Dank, sehr gerne!

       

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