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Der Pazifikkrieg (I): Tora! Tora! Tora! Die Erweckung des schlafenden Riesen

05 Nov

Tora! Tora! Tora!

Von Volker Schönenberger

Kriegsdrama // Kuriosum bei den Regiepersonalien: Am Ende des Vorspanns der internationalen Kinofassung von „Tora! Tora! Tora!“ wird Richard Fleischer mit dem Vermerk „Directed by“ als Hauptregisseur genannt, eine Einblendung zuvor sind seine beiden Kollegen Toshio Masuda und Kinji Fukasaku mit der Bemerkung „Japanese Sequences Directed by“ etwas in die zweite Reihe gerückt worden; in der japanischen Fassung hingegen ist es genau umgekehrt: Auf „American Sequences Directed by Richard Fleischer“ folgt „Directed by Toshio Masuda [and] Kinji Fukasaku“. Ohne mit der Stoppuhr die japanischen und US-Sequenzen gegeneinander abzuwägen, belassen wir es doch einfach dabei, die drei Herren als gleichberechtigte Regisseure zu betrachten. Bemerkenswert genug, dass ein solches Projekt ein knappes Vierteljahrhundert nach den von japanischer wie amerikanischer Seite gleichermaßen erbittert geführten Schlachten, Kämpfen und Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs von Produktionsfirmen beider Nationen umgesetzt worden ist. Noch kurioser mutet eine Anekdote bezüglich der Regiestühle an, die ich in den Trivia der Internet Movie Database fand: Demnach war kein Geringerer als Akira Kurosawa („Die sieben Samurai“) als Regisseur der japanischen Sequenzen vorgesehen. Der war dazu bereit, weil man ihm weisgemacht hatte, bei den amerikanischen Szenen werde David Lean („Lawrence von Arabien“) auf dem Regiestuhl sitzen – Lean war allerdings zu keinem Zeitpunkt in das Projekt involviert. Als Kurosawa das herausfand, war es das mit seiner Beteiligung.

Die Kaiserlichen Streitkräfte sind gerüstet

Der als Angriff auf Pearl Harbor in die Geschichtsbücher eingegangene Überfall der Kaiserlich Japanischen Marineluftstreitkräfte auf die Pazifikflotte der USA am 7. Dezember 1941 stellt eines der prägenden und richtungsweisenden Ereignisse des Zweiten Weltkriegs dar. Zuvor galten die später Pazifikkrieg genannten Konflikte im Pazifischen Ozean noch nicht als Teil der globalen militärischen Auseinandersetzungen, man spricht vom Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg, der bereits am 7. Juli 1937 mit der japanischen Invasion Chinas begonnen hatte. Pearl Harbor machte die USA zur Kriegspartei, der flugs – am 11. Dezember 1941 – auch das Deutsche Reich und Italien als Verbündete Japans den Krieg erklärten.

Japans Botschafter schindet in Washington Zeit

Zu Beginn lernen wir Lieutenant Commander Fuchida Mitsuo (Takahiro Tamura) kennen, der den Angriff auf Pearl Harbor führen wird. Von seinem neuen Oberbefehlshaber Vize-Admiral Isoroku Yamamoto (Sô Yamamura) scheint er nicht viel zu halten. Im fernen Berlin wird am 27. September 1940 zwischen dem Deutschen Reich, Italien und Japan der sogenannte Dreimächtepakt abgeschlossen, der die drei Staaten fortan zu Bündnisgenossen macht – den „Achsenmächten“. In Washington DC schindet der japanische Botschafter Kichisaburo Nomura (Shôgo Shimada) gegenüber US-Außenminister Cordell Hull (George Macready) und Kriegsminister Henry L. Stimson (Joseph Cotten) Zeit. Und im Pazifik trainieren die Piloten japanischer Kampfflugzeuge mit Torpedo-Ladung, ihre tödliche Fracht zielgenau abzuwerfen. Insgesamt mehr als 300 Jäger, Sturzkampfbomber und Torpedobomber sollen den Schlag gegen Pearl Harbor in zwei Wellen ausführen.

Erfolg in Japan, Misserfolg in den USA

1970 war der Vietnamkrieg in vollem Gange, was ein Grund dafür gewesen sein mag, dass „Tora! Tora! Tora!“ an den US-Kinokassen floppte. In Japan hingegen lief das Kriegsdrama erfolgreich. Vielleicht war es auch die vergleichsweise konventionelle Machart des Films zu einem Zeitpunkt, als „New Hollywood“ bereits mächtig frischen Wind durch die Traumfabrik wehen ließ, ein wenig für den Misserfolg verantwortlich. „Tora! Tora! Tora!“ atmet jedenfalls klassische Erzählstrukturen, Bilder und Heldenporträts aus jeder Pore. Die Vielzahl der Figuren und der Wechsel der Schauplätze der Szenen inklusive Freund und Feind erinnerte mich stark an das Invasionsdrama „Der längste Tag“ („The Longest Day“). Vor allem die ausgiebige Einführung der Figuren und die langen beidseitigen Vorbereitungen auf den in der Rückschau unausweichlichen Ausbruch der feindseligen Auseinandersetzungen liefern einige Parallelen zu dem ebenso monumentalen Kriegs-Epos von 1962.

Soundtrack von Jerry Goldsmith

Diese Einleitung endet nach 83 Minuten, eine zweiminütige orchestrale „Intermission“ ohne Bilder unterbricht die Handlung, bevor für eine gute Stunde der Angriff auf Pearl Harbor breiten Raum einnimmt. Für dieses musikalische Intermezzo wie für den gesamten, stets passenden Score zeichnet der für einige Jahrzehnte gut beschäftigte Jerry Goldsmith verantwortlich, 18-fach Oscar-nominiert, aber nur einmal prämiert: 1977 für seinen Soundtrack für den okkulten Horrorschocker „Das Omen“.

Zur Entstehung des Filmtitels „Tora! Tora! Tora!“: Lieutenant Commander Fuchida ließ seinen Funker übrigens als Signal für den Überraschungsangriff to ra to ra to ra senden, wobei to für „totsugeki“ (Angreifen) und ra für „raigeki“ (Torpedos) steht. Amerikanische Funker verstanden jedoch tora (Tiger).

Überraschung während der Flugstunde

Unmittelbar vor den ersten Attacken der japanischen Flugzeuge lockert ein ungewöhnliches Aufeinandertreffen in der Luft die große Spannung kurzzeitig auf: In einem quietschgelben Doppeldecker-Zivilflugzeug gibt eine Fluglehrerin einem Schüler gerade eine Übungsstunde, als plötzlich zahlreiche japanische Kampfflugzeuge über und neben den beiden den Himmel säumen – man könnte einander zuwinken. Die Lehrerin zieht es vor, das Weite zu suchen. Eine solche Szene soll es während des japanischen Angriffs tatsächlich gegeben haben.

Japanische Bomber auf dem Weg zum Ziel

In Pearl Harbor ahnen die Soldaten an diesem sonnigen Morgen nichts Böses. Zwei Kadetten wollen auf einem U-Boot gerade das Sternenbanner hissen und können sich vor den ersten Salven mit Müh und Not ins Wasser retten. Auf einem Schlachtschiff spielt ein Orchester die Nationalhymne, als das Inferno losbricht. Der moderne Kriegsfilm mag sich seit Beginn der 1970er-Jahre entwickelt haben, das ändert aber nichts daran, dass die Actionszenen in „Tora! Tora! Tora!“ auch heute noch angetan sind, schweißnasse Hände zu verursachen. Die Kombination aus Luftaufnahmen und Bildern der attackierten Schiffe im Wasser beeindruckt ungemein.

Martin Balsam und Jason Robards als US-Offiziere

Unter der illustren Besetzung finden sich Martin Balsam als Admiral Husband E. Kimmel, seinerzeit Oberbefehlshaber der US-Pazifikflotte, und Jason Robards als General Walter C. Short, Befehlshaber der amerikanischen Armeestreitkräfte auf Hawaii. Obwohl auch politische Entscheidungsträger auftreten, vermeidet das Kriegsdrama jedwede Schuldzuweisung. Ansonsten wäre es bei der Produktion des Films womöglich auch nicht zur japanisch-amerikanischen Kooperation gekommen. Die militärischen Befehlshaber auf japanischer Seite folgen Befehlen von oben und schwören ihre Untergebenen auf das große Ziel ein. Sie sind fester Überzeugung, ebenso im Dienst der großen – richtigen – Sache zu stehen wie ihre Pendants auf der Gegenseite, die immerhin lediglich defensiv agieren und sich auf den japanischen Schlag vorbereiten.

„Tora! Tora! Tora!“ stellt zweifellos die Referenz dar, was Verfilmungen des Angriffs auf Pearl Harbor angeht. Fred Zinnemanns „Verdammt in alle Ewigkeit“ (1953) mit Burt Lancaster, Montgomery Clift, Frank Sinatra, Ernest Borgnine, Deborah Kerr und Donna Reed ist zwar herausragend, der japanische Überfall steht darin aber nicht im Fokus. Michael Bays „Pearl Harbor“ (2001) mit Ben Affleck, Josh Hartnett und Kate Beckinsale mag modernen Sehgewohnheiten stärker entgegenkommen, ist insgesamt aber nicht groß der Rede wert.

Japanische Fassung etwa vier Minuten länger

Die Japan-Fassung von „Tora! Tora! Tora!“ fällt knapp vier Minuten länger aus als die internationale Kinofassung. Sie enthält zwei zusätzliche Szenen, die dem Geschehen auf japanischer Seite minimal mehr inhaltliche Tiefe geben. Die Unterschiede können im Schnittbericht nachgelesen werden. Die deutsche Blu-ray beeindruckt mit sehr guter Bildqualität, beiden Schnittfassungen und massig Bonusmaterial. Die zusätzlichen Szenen der japanischen Fassung sind nicht synchronisiert, dafür mit Untertiteln unterlegt worden.

Die Amerikaner werden überrascht …

Laut einer 1994 am USS Arizona Memorial vorgenommenen Umfrage stellt „Tora! Tora! Tora!“ für Amerikaner die geläufigste Quelle ihrer Kenntnisse über den Angriff auf Pearl Harbor dar (for Americans the film was the most common source of popular knowledge about the Pearl Harbor attack).

Kritik am Krieg – Fehlanzeige

Wer epischem Kriegskino zum Zweiten Weltkrieg etwas abgewinnen kann, sollte sich dieses handwerklich herausragende, aufwendig inszenierte Werk auf jeden Fall einmal angeschaut haben. Einen kritischen Kommentar zum Wesen des Kriegs darf sich aber niemand erhoffen, hier geht es einzig um die Nachstellung eines gravierenden militärischen Akts von höchster kriegshistorischer Bedeutung. Diesen Anspruch erfüllt „Tora! Tora! Tora!“ auf formidable Weise. Ob jedes militärische Gerät authentisch und nicht etwa anachronistisch gezeigt wird, entzieht sich meinem Urteilsvermögen, erscheint auch nicht sonderlich relevant, sofern dem Laien keine gravierenden Fehler auffallen. Der renommierte Filmkritiker Roger Ebert mochte das Werk zwar überhaupt nicht, bezeichnete es als one of the deadest, dullest blockbusters ever made. Dem kann ich mich aber nicht anschließen. Wir haben es mit Hochglanz-Kriegskino in technischer Perfektion zu tun, der Oscar für die besten visuellen Spezialeffekte 1971 geht für das Spektakel völlig in Ordnung.

Fast 2.500 Tote

Auf Seiten der US Army starben beim Angriff auf Pearl Harbor mehr als 2.400 Mann. Zwölf Schiffe wurden versenkt oder strandeten, 164 Flugzeuge wurden zerstört. Die Japaner hatten den Tod von 65 Piloten oder U-Boot-Besatzungsmitgliedern zu beklagen. I fear all we have done is to awaken a sleeping giant and fill him with a terrible resolve. (Es ist, als ob wir einen schlafenden Riesen aufgeweckt und den Willen in ihm entfacht haben, mit allen Kräften zu kämpfen.) So spricht’s der japanische Oberbefehlshaber Yamamoto am Ende von „Tora! Tora! Tora!“. Diese bedeutungsschwangeren Worte sind allerdings nicht wörtlich verbürgt, gleichwohl prophetisch.

Die Hoheit über den Pazifik währte nicht lange

Der Erfolg der Kaiserlich Japanischen Marineluftstreitkräfte in Pearl Harbor war in der Tat trügerisch. Zwar gewann die japanische Flotte dadurch für eine Weile die militärische Hoheit im Pazifik, diese Überlegenheit endete jedoch bereits nach sechs Monaten im Juni 1942 mit der Schlacht um Midway. Aber das ist eine andere Geschichte, die 1976 mit „Schlacht um Midway“ und 2019 mit „Midway – Für die Freiheit“ fürs Kino erzählt worden ist.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Richard Fleischer haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgeführt, Filme mit Martin Balsam, Joseph Cotten, Jason Robards und James Whitmore unter Schauspieler.

… und sterben wie die Fliegen

Veröffentlichung: 20. November 2009 als Blu-ray, 23. Mai 2005 als DVD

Länge: 149 Min. (Blu-ray, japanische Fassung), 145 Min. (Blu-ray, Kinofassung), 139 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch/Japanisch u. a.
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a.
Originaltitel: Tora! Tora! Tora!
JAP/USA 1970
Regie: Richard Fleischer, Kinji Fukasaku, Toshio Masuda
Drehbuch: Larry Forrester, Hideo Oguni, Ryûzô Kikushima sowie ohne Credits Akira Kurosawa, nach Vorlagen von Gordon W. Prange und Ladislas Farago
Besetzung: Martin Balsam, Sô Yamamura, Jason Robards, Joseph Cotten, Tatsuya Mihashi, E. G. Marshall, Takahiro Tamura, James Whitmore, Eijirô Tôno, Wesley Addy, Shôgo Shimada, Frank Aletter, Koreya Senda, Leon Ames, Shôgo Shimada, George Macready
Zusatzmaterial Blu-ray: Audiokommentar von Regisseur Richard Fleischer, Audiokommentar von Stuart Galbraithiv, Dokumentarfilm: „Der Tag der Schande“, „Geschichte durch die Kamera: Ein Riese erwacht“, „AMC Backstory: Tora! Tora! Tora!“, 2 Bildergalerien, Fox Movietonews, Original Kinotrailer
Label/Vertrieb: Twentieth Century Fox Home Entertainment

Copyright 2019 by Volker Schönenberger
Szenenfotos: © 2009 Twentieth Century Fox Home Entertainment

 

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