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Der Pazifikkrieg (II): Schlacht um Midway – Wendepunkt im Pazifik

06 Nov

Midway

Von Volker Schönenberger

Kriegsdrama // In den ersten Monaten des Kriegsjahrs 1942 frohlockte das kaiserliche Japan: Nach dem vernichtenden Angriff auf Pearl Harbor und der damit einhergehenden enormen Schwächung der Pazifikflotte der USA wähnte sich die Kaiserlich Japanische Marine als Herrscherin des Pazifik.

Bis es im Juni 1942 zur Schlacht um Midway kam …

Das mit Top-Stars gespickte monumentale Kriegsdrama „Schlacht um Midway“ vom heute nicht mehr vielen Filmfans bekannten Regisseur Jack Smight („Der Tätowierte“) setzt mit Schwarz-Weiß-Bildern amerikanischer B-25-Langstreckenbomber ein, die von einem Flugzeugträger aus starten – es handelt sich um den sogenannten Doolittle Raid. Die tödliche Luftfracht trifft Tokio und andere japanische Metropolen, wie kurz darauf Vize-Admiral Isoroku Yamamoto (Toshirô Mifune), Oberbefehlshaber der Vereinigten Flotte, von seinem Adjutanten Commander Watanabe (Clyde Kusatsu) erfährt. Die Schäden und Opfer halten sich in Grenzen, aber dass die United States Army Air Forces zu einem solch frühen Zeitpunkt des Konflikts zwischen Japan und den USA einen Schlag gegen das japanische Festland führen konnten, darf als kleiner psychologischer Erfolg gewertet werden.

Vater und Sohn ziehen in den Krieg

Der im Hauptquartier der US-Pazifikflotte stationierte Captain Matt Garth (Charlton Heston) erlebt eine Überraschung, als er auf seinen Sohn Thomas Garth (Edward Albert) trifft, der sich als Fähnrich freiwillig gemeldet hat. Die nächste Überraschung folgt auf dem Fuß: Thomas hat sich mit der japanischstämmigen Haruko Sakura (Christina Kokubo) verlobt – die allerdings wurde kürzlich in der Folge des Angriffs auf Pearl Harbor im Verbund mit ihren Eltern in Honolulu interniert (die Internierung japanischstämmiger Amerikaner und auf US-Boden lebender Japaner gehört zu den wenig ruhmreichen Kapiteln der US-Geschichte des Zweiten Weltkriegs).

Captain Matt Garth bereitet sich auf den Einsatz vor

Derweil plant der japanische Generalstab, die Amerikaner aus ihren Höhlen zu locken. Im Mai 1942 kommt es zur Schlacht im Korallenmeer mit schweren Verlusten auf beiden Seiten, einer ersten sogenannten Trägerschlacht, bei der auf beiden Seiten Flugzeugträger zum Einsatz kommen und ihre tödlichen Schwärme aussenden. Vize-Admiral Yamamoto plant, den japanischen Einflussbereich weiter auszudehnen und den US-Vorposten auf den Midway-Inseln im Nordpazifik anzugreifen, ein zwar kleines Atoll, für die Amerikaner aber nicht unbedeutend. Und während die Aufklärungsflugzeuge auf beiden Seiten versuchen, in den Weiten des Pazifiks die feindlichen Schiffe zu entdecken, bringen sich diese unausweichlich in Position für die große Schlacht.

Das ist großartige Schnitttechnik, die „Schlacht um Midway“ da auffährt: Wenn das Geschehen noch vor den Hauptgefechten eine ganze Weile permanent zwischen den Fliegern in der Luft und den Entscheidungsträgern an Bord der Flugzeugträger hin und her wechselt, baut sich kaum fassbare Spannung in der Erwartung der tödlichen Kämpfe auf, zu denen es dann auch kommt. Als friedliebender Mensch sollte man sich der Faszination dieses schweren militärischen Geräts eigentlich entziehen, aber das fällt schwer, und als bekennender Fan des Kriegsfilmgenres in all seinen Facetten will ich auch gar nicht moralisieren.

Perfekter Kriegsfilm?

Perfekter Kriegsfilm zitiert Koch Films auf dem Cover der Blu-ray das „Lexikon des internationalen Films“, verkürzt die Aussage damit allerdings gehörig – anderswo findet sich der Satz in voller Länge: Ein handwerklich perfekter Kriegsfilm mit prominenter Besetzung, der jedoch den Krieg auf fatale Weise zu einem „Spiel für harte Männer“ reduziert und keine historischen Zusammenhänge aufzeigt. Das trifft es schon eher, besteht doch allein schon zwischen perfekter Kriegsfilm und handwerklich perfekter Kriegsfilm ein großer Unterschied. Mich wundert das etwas, habe ich Koch Films doch in den vergangenen Jahren als seriösen Publisher kennengelernt. Aber die Veröffentlichung liegt auch schon fünf Jahre zurück. Historische Zusammenhänge bekommen wir in der Tat nicht erklärt, deutlich wird lediglich, dass Japan einen Angriffskrieg führt und die USA als defensive Kriegspartei agieren und reagieren. Letztlich geht es einzig um die Darstellung der titelgebenden Schlacht.

Die US-Kampfpiloten suchen die feindlichen Flugzeugträger

Verstehen wir uns nicht falsch: Sofern man sich kriegerische Auseinandersetzungen als fesselndes Entertainment geben will, ist „Schlacht um Midway“ dafür vorzüglich geeignet. Ich habe mich über die gesamte Dauer von mehr als zwei Stunden hervorragend unterhalten gefühlt. Die reine Darstellung der Entwicklung und Vorbereitung der Schlacht sowie die kriegerischen Auseinandersetzungen und Verluste scheinen mir auch den historischen Fakten zu entsprechen. Was das individuelle Agieren der Handlungs- und Entscheidungsträger angeht, bleibt vieles zwangsläufig der Fantasie und Interpretation der Drehbuchautoren überlassen, völlig legitim.

Parallelen zu „Tora! Tora! Tora!“

„Schlacht um Midway“ ist zweifellos alles andere als ein Antikriegsfilm und will das auch gar nicht sein. Das Sterben zahlloser junger Soldaten wird zwar gezeigt, hat aber eher den Charakter einer Randnotiz. Welch schicksalhafte und tragische Wucht der Krieg auf Individuen und Familien haben kann, bleibt ungesagt. Hier geht es um das große Ganze, den Erfolg in der Schlacht. Das eint Jack Smights Regiearbeit mit dem epischen Pearl-Harbor-Kriegsdrama „Tora! Tora! Tora!“ von 1970, und ohnehin ähneln beide Kriegsdramen einander, allein schon durch den permanenten Schwenk von Amerikanern zu Japanern und zurück. Dieser Perspektivwechsel steht ihnen gut zu Gesicht. Schurken gibt es keine, dafür zu allem entschlossene Männer, die schwere Entscheidungen treffen und gleichzeitig die Entscheidungen ihrer Kontrahenten vorausahnen müssen – Irrtümer können und werden für viele Soldaten den Tod bedeuten. Immerhin sind hochrangige Offiziere mit gewaltigen Entscheidungsbefugnissen an Bord der Flugzeugträger mitten im Geschehen, scheuen sich also nicht, sich selbst in Gefahr zu bringen. Wir haben es mit Heldenkino zu tun. Großes Kino – das lässt sich ohne Übertreibung feststellen.

Einen gewichtigen Unterschied zum qualitativ und vom Anspruch ebenbürtigen „Tora! Tora! Tora!“ gibt es allerdings: Während der sich ganz auf das Kriegsgeschehen konzentriert, wartet „Schlacht um Midway“ mit der Geschichte um Vater und Sohn Garth auf, im Übrigen zwei fiktive Figuren. Auf mich wirkte der Konflikt der beiden um die Liebe des Sohns zu einer Japanerin gar nicht mal aufgesetzt, sondern fügte dem Film eine interessante Facette hinzu. Stirnrunzeln löste es bei mir allerdings aus, dass sich der vom Mittvierziger Charlton Heston verkörperte Captain Garth am Ende selbst in einen Sturzkampfbomber setzt und persönlich den vierten japanischen Flugzeugträger angreift. Meines Wissens beenden Kampfpiloten ihre aktive Zeit deutlich früher.

Stars in Uniform

Zu Heston gesellen sich weitere große Namen: Henry Fonda spielt Admiral Chester W. Nimitz, den Oberbefehlshaber der alliierten Marineeinheiten im Pazifik. Um den 20 Jahre älteren Seeoffizier darzustellen, ließ sich Fonda dem Vernehmen nach die Haare grau tönen. Glenn Ford ist als Rear Admiral Raymond Ames Spruance zu sehen. Hal Holbrook tritt als Codeknacker Joseph Rochefort auf, der maßgeblich am Abfangen geheimer japanischer Nachrichten beteiligt war. Robert Mitchum wiederum spielt in einem denkbar kurzen Auftritt Admiral William F. Halsey, der das Geschehen aufgrund einer schweren Erkrankung nur vom Krankenhausbett aus verfolgen kann. Den als Assistenten des Gerichtsmediziners „Quincy“ bekannten Robert Ito bekommen wir als japanischen Luftkampf-Strategen Genda Minoru zu Gesicht, der Vize-Admiral Nagumo Chūichi (James Shigeta) berät, welcher den Angriff auf Midway führt. In weiteren, nicht allzu großen Rollen: James Coburn, Cliff Robertson und Robert Wagner.

Der Kampf um Midway hat begonnen

Am Soundtrack des x-fach Oscar-nominierten und fünf Mal auch prämierten „Star Wars“-Komponisten John Williams gibt es ebenso wenig etwas auszusetzen wie an der Kamera von Harry Stradling Jr. („Little Big Man“). Für die Flugzeugaufnahmen bediente sich „Schlacht um Midway“ bei existierendem Material: Die Bombardierung Tokios zu Beginn beispielsweise stammt aus Mervyn LeRoys „Dreißig Sekunden über Tokio“ (1944). Wenn die japanischen Flugzeuge Midway attackieren, erinnert das nicht zufällig an „Tora! Tora! Tora!“. Die unsanfte Landung eines Flugzeugs, bei dem eins der Fahrwerke nicht ausgefahren war, habe ich jedenfalls sofort wiedererkannt. Den Trivia der Internet Movie Database zufolge wurden weitere Luftkampfsequenzen womöglich dem englischen Kriegsdrama „Die Luftschlacht um England“ von 1969 entnommen. Auch aus dem weniger bekannten „Klar Schiff zum Gefecht“ (1956) entlieh man offenbar ein paar Szenen. Sogar beim japanischen „Banzai-Banzai, die Piloten des Teufels“ von 1960 bediente sich „Schlacht um Midway“, und last not least wurden auch Farbaufnahmen echter Luftkämpfe eingebaut. Selbstverständlich erkennt man die unterschiedliche Bildqualität sofort, aber das suggeriert Authentizität und wirkt daher nicht störend. Sieht man von diesen Schwankungen ab, lässt sich konstatieren, dass die Bildqualität hervorragend ist. Auch beim Ton fielen mir keine Makel auf, dieses Urteil steht aber unter dem Vorbehalt meiner akustisch suboptimalen technischen Ausstattung. In die Kinos kam der Film seinerzeit mit dem sogenannten Sensurround-Tonverfahren, das ein intensives akustisches Erlebnis versprach, aber keine große Verbreitung erfuhr und bald eingestellt wurde.

Zeitzeuge John Ford

Der legendäre Western-Regisseur John Ford („Faustrecht der Prärie“) war während der Schlacht um Midway vor Ort und filmte die Gefechte. Dabei wurde er sogar leicht verwundet. Das Resultat trägt wie der 1976er-Spielfilm den Titel „Schlacht um Midway“ („The Battle of Midway“). Weil die 18-minütige Doku als Teil der Public Domain gemeinfrei ist, kann sie kostenlos im Netz angeschaut und sogar heruntergeladen werden. Eine restaurierte Fassung findet sich bei YouTube. Bei der Verleihung der Academy Awards 1943 erhielt sie einen Oscar. Aufgrund der Gemeinfreiheit hätte Koch Films Fords Dokumentarfilm an sich problemlos ins Bonusmaterial der Blu-ray stecken können. Vielleicht wurde das übersehen, oder es gab andere, mir nicht bekannte Gründe, weshalb das nicht geschehen ist. Auch so enthält die Blu-ray aber interessante Featurettes, die eine Bereicherung darstellen – gelungene Veröffentlichung eines großartigen Kriegs-Spektakels. Roland Emmerichs „Midway – Für die Freiheit“ (2019) muss sich daran messen lassen.

Im Anschluss: Guadalcanal

Die Schlacht um Midway brachte die US-Pazifikflotte wieder auf Augenhöhe mit der japanischen Kriegsmarine und versetzte die US-Streitkräfte in die Lage, initiativ vorzugehen und nicht mehr nur zu reagieren wie in den Monaten nach Pearl Harbor. Diese setzten die Amerikaner ab August 1942 mit der Landung auf der Salomonen-Insel Guadalcanal zügig in die Tat um. Die Schlacht um Guadalcanal gilt gegenüber der Schlacht um Midway als nächster, womöglich größerer Wendepunkt des Pazifikkriegs. Terrence Malick hat sie für sein meisterhaftes Kriegs-Epos „Der schmale Grat“ (1998) aufgegriffen. Die zehnteilige Miniserie „The Pacific“ von 2010 beginnt mit der Landung auf Guadalcanal.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit James Coburn, Henry Fonda, Glenn Ford, Charlton Heston, Hal Holbrook, Toshirô Mifune, Robert Mitchum, Cliff Robertson und Robert Wagner haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgeführt.

Veröffentlichung: 20. März 2014 als Blu-ray, 29. November 2007 als DVD

Länge: 132 Min. (Blu-ray), 126 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Midway
USA 1976
Regie: Jack Smight
Drehbuch: Donald S. Sanford
Besetzung: Charlton Heston, Henry Fonda, James Coburn, Glenn Ford, Hal Holbrook, Toshirô Mifune, Robert Mitchum, Cliff Robertson, Robert Wagner, Edward Albert, Robert Webber, Ed Nelson, James Shigeta, Christina Kokubo, Monte Markham, Biff McGuire, Clyde Kusatsu
Zusatzmaterial: Making-of (39 Min.), Featurette über die Musik (6 Min.), Featurette zum Sensurround-Ton (4 Min.), geschnittene Szenen der TV-Version (11 Min.), Doku-Special „Sie waren dabei“ mit Charlton Heston (6 Min.), Super-8-Fassung (18 Min.), Bildergalerie mit seltenem Werbematerial, deutscher und amerikanischer Kinotrailer
Label/Vertrieb Blu-ray: Koch Films
Label/Vertrieb DVD: Universal Pictures Germany GmbH

Copyright 2019 by Volker Schönenberger

Szenenfotos: © 2014 Koch Films, Packshot DVD: © 2007 Universal Pictures Germany GmbH

 

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