![](https://dienachtderlebendentexte.wordpress.com/wp-content/uploads/2022/07/venedig_sehen_und_erben-plakat-1.jpg?w=200&h=300)
The Honey Pot
Von Tonio Klein
Krimikomödie // Nach dem Kraftakt „Cleopatra“ (1963) brauchte Regisseur, Autor und Produzent Joseph L. Mankiewicz wohl eine zweijährige Schaffenspause, um sein neues Projekt beinahe ebenso ambitioniert wie monumental anzugehen. Letzteres nicht im optischen Sinne, da „Venedig sehen – und erben …“, 1965/1966 gedreht und 1967 herausgekommen, meist in einem venezianischen Palazzo spielt. Aber inhaltlich wie dramatisch wollte Mankiewicz Unerhörtes schaffen. Er vergriff sich an „Volpone“ des Elisabethanischen Dichters Ben Jonson, wollte das Stück modernisieren, verbessern, hinter seine Kulissen wie diejenigen des Showbiz blicken und das alles gleichsam öffentlich machen.
Tanti auguri, Signore Celi!
Mankiewicz, der hinsichtlich Drehorten und Handlungen eine gewisse Italien-Affinität hatte, setzte in diesem herausragenden und kitschbefreiten Venedigfilm auch den Darsteller Adolfo Celi ein, der am 27. Juli 2022 seinen einhundertsten Geburtstag gefeiert hätte. Eine Nebenrolle, aber eine wichtige und ein wenig rätselhafte, der sich gegen Ende dieses Textes noch gewidmet werde. Adolfo Celi, der Mann, bei dem die Augenklappe von der Hakennase ablenkt! Wer kennt ihn nicht in seiner bekanntesten Rolle als Emilio Largo, James Bonds Gegner und die Nr. 2 der in „Feuerball“ (1965) vom Hals aufwärts noch unsichtbaren Nr. 1 Ernst Stavro Blofeld? Da war der im sizilianischen Messina gebürtige Celi schauspielerisch ein noch nicht sonderlich beschriebenes Blatt, was bei den klassischen Bond-Filmen häufig für Besetzungen ausschlaggebend war. Eine Bond-Mitwirkung konnte Segen und Fluch zugleich sein. Die Top-Liga sollte Celi zeitlebens verwehrt bleiben, und für manche ist er auf ewig der Bond-Gegner mit der Augenklappe. Dabei machte er das ziemlich gut und gab den Largo als Lebemann, der größer als das Leben und von der schurkischen Grandezza ist, die zum Gesetz der Serie gehört. Man kann seine Filmografie, die von 1946 bis 1987 (ein Jahr nach seinem Tod) reicht, absuchen und wird jede Menge italienische Genrefilme finden, bei denen Klasse und Masse oft schwer zu unterscheiden sind. Hollywood riss sich nicht gerade um ihn. Dafür hatte er keine Hemmungen, seine Bond-Rolle mehr oder minder zu wiederholen, in einem der unverschämtesten und darum besten Nachahmungsfilme: In Alberto De Martinos „Operation ‚Kleiner Bruder‘“ (1967) muss James Bonds, nun ja, kleiner Bruder (Sean Connerys kleiner Bruder Neil Connery, kein Schauspieler und nur der Verwandtschaft wegen besetzt) die Welt retten. Martino ließ es sich nicht nehmen, fünf vormalige Bond-Darsteller zu besetzen und ihre Rollen parodistisch überziehen zu lassen. Wenn Daniela Bianchi so sexy ist, wie sie in „Liebesgrüße aus Moskau“ (1963) nie sein durfte, Lois Maxwell als Miss Moneypenny sogar die Knarre benutzt und Celi nicht nur die Augenklappe und jede Menge schöne Gespielinnen hat, sondern auf deren Haut sogar Filmchen seiner Anschlagspläne guckt: Das muss man nicht mögen, aber es ist schon von einer irren Konsequenz des „larger than life“. Celi hat sichtlich Spaß daran.
Auch in einem der besten Giallos, „The Child – Die Stadt wird zum Alptraum (1972)“, gibt er wieder den Grandseigneur. Als reicher Kunsthändler mit diesmal weniger evidentem, aber als Frage im Raum stehenden Hang zum Bösen darf er nochmals Venedig bewohnen, zudem in einem noblem, mit jeder Menge edler Kunst angefüllten Anwesen. Kleines Kuriosum: Eine Verbindung zu James Bond besteht insoweit, als Celi an der Seite von George Lazenby spielt, dem Einmal-Bond aus „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ (1969), der hier eines der besten Werke seiner ansonsten mehr als durchwachsenen Filmkarriere vorweisen kann. Celis international bekannte Zeit schrumpft so auf wenige Jahre zusammen, aber man sieht dem Mann immer gern zu, der das Joviale überzeugend mit dem Bedrohlichen verbindet.
Celis sizilianische Herkunft soll sich zeitlebens in einem heftigen Akzent niedergeschlagen haben, sodass er häufig synchronisiert wurde. Dabei ist er viel herumgekommen. Seiner ersten Frau, dem brasilianischen Bühnenstar Tônia Carrero (verheiratet 1951–1962), folgte er in ihr Land, wo er auch als Theaterdarsteller und sogar Filmregisseur wirkte. „Tico Tico no Fubá (1952) brachte es auf das Filmfestival von Cannes und war dort für den Preis für die beste Regie nominiert, wie 1951 schon sein „Caiçara“ (1950). Der französische Regisseur Philippe de Broca fand ihn in Rio und gab ihm eine Nebenrolle in „Abenteuer in Rio“ (1964), einer heute noch frischen Abenteuer-/Spionagekomödie mit Jean-Paul Belmondo. Schon in diesem Film steckt ein wenig Bond (Tim und Struppi aber auch). Es kamen der echte und ein falscher Bond und viele andere Filme; nach kurzer zweiter Ehe war Celi von 1966 bis zu seinem Tod mit Veronica Lazar verheiratet, mit der er eine Tochter und einen Sohn hatte. 1973 blieb es dann nicht bei einer Nominierung, sondern konnte er einen Filmpreis tatsächlich entgegennehmen: zwar nicht den Golden Globe, aber den Golden Goblet, der auf dem Filmfestival von Shanghai vergeben wird und den er als bester Darsteller für „Die Sommerfrische“ (1973) erhielt. Am 19. Februar 1986 starb Celi in Siena, Toskana, im Alter von 63 Jahren an einem Herzinfarkt.
Celis Mitwirkung in „Venedig sehen – und erben …“ ist insofern ein Kuriosum, aber auch Beweis seiner Wandlungsfähigkeit, als er die unscheinbarste und biederste Figur spielt, während das Großspurige allen anderen überlassen bleibt. Ein Kontrapunkt zum Rest des Ensembles, aber auch zu anderen bekannten Celi-Rollen! Über die Bedeutung seiner Figur wird noch zu sprechen sein, aber vorerst sei der Film insgesamt gewürdigt.
Ambitioniertes Vorhaben
In Theaterstück wie Film geht es darum, dass ein gutsituierter Lebemann seinen bevorstehenden Tod vortäuscht, um potenzielle Erben naszuführen, die sich schon wie die Geier auf das Aas stürzen, bevor es richtig kalt ist. Aus „Volpone“, dem italienischen Wort für (einen schlauen) Fuchs, ist nun Mr. Cecil Fox (Rex Harrison) geworden, aus den Aasgeiern sind es drei Grazien: der Hollywoodstar Merle McGill (Edie Adams), die französische Prinzessin Dominique (Capucine) und die Was-macht-sie-eigentlich-Amerikanerin Lone Star Crockett (Susan Hayward, in der deutschen Version witzigerweise „Texas“, weil man mutmaßlich befürchtete, das Publikum kapiere die Lone-Star-Anspielung nicht). Fox lädt die Damen in seinen Palazzo in Venedig ein und möchte ihnen seine hübsche kleine Charade vorspielen, assistiert von dem Gelegenheitsschauspieler mit abgebrochenem Jurastudium McFly (Cliff Robertson). Es geht also um Theater im Film, es ging im Original schon um ein Theaterstück übers Theaterspielen, und Mankiewicz wollte diese Meta-Ebene so weit treiben, dass sich sein Film stets ganz bewusst ist, nur ein Film zu sein. So war auch der direkte Kontakt mit dem Publikum und waren eingeblendete Kommentare von fiktiven Zensoren zu einzelnen Filmszenen geplant – eine Vermischung der Ebenen, wie es dies vielleicht noch nie gegeben hatte. Gemessen daran (alles im hervorragenden Mankiewicz-Buch „Pictures Will Talk“ von Kenneth Geist nachzulesen) mag man beim fertigen Film bedauern, dass Mankiewicz sich nicht durchsetzen konnte.
Auch der Torso weiß noch zu gefallen!
Aber was zu sehen ist, besticht in Dialog wie Bild. Ersteres kennt man von Mankiewicz, Letzteres wird ihm gelegentlich abgesprochen. Hier sind zugegebenermaßen nicht alle Mankiewicz-Filme gleich stark, aber „Venedig sehen – und erben …“ gehört zusammen mit „Die barfüßige Gräfin“ (1954) zu den besten. Das ist Kino zum Schwelgen und Sattsehen in einem Bilderrausch, der nicht nur opulent in Ausstattung und Farben ist, sondern auch genauso eigenwillig wie schön in der ungewöhnlichen Ausleuchtung der Innen- wie Außenszenen. Der kurz nach Drehbeginn eingewechselte und kurz vor Drehschluss leider plötzlich verstorbene Kameramann Gianni di Venanzo leistet Großartiges, oder wie ein Beteiligter sagte: „Ich habe nie jemanden gesehen, der so viel erreicht hätte mit so wenig Licht.“ Das Venedig Mankiewicz’ ist in den (eher wenigen) Außenaufnahmen des Nachts oder in der Morgen-/Abenddämmerung zu sehen, bei nicht immer gutem Wetter und am Ende in einer eigentlich romantisch gemeinten Szene mit einem regennassen Markusplatz im Halbdunkel, was dem Film eine ganz eigenartig verträumte Stimmung verleiht.
Innen dann: Schwelgerisch-schwärmerisch gießen Mankiewicz/Di Venanzo die Gedankenwelt des Bonvivants Fox in Bilder. Wunderschön ausgestattet mit Stuck, Schmuck, venezianischen Wandmalereien, edlen Möbeln und Vasen und einer Puppe in typisch venezianischer Kleidung. Der Detailreichtum ist überwältigend und verlangt nach der großen Leinwand oder zumindest einem sehr anständigen Flachbildschirm/Beamer. Fox wird nicht müde zu betonen, dass „sein“ Jahrhundert das siebzehnte sei, und man kann es sehen. Geprägt ist das alles von einer gewissen erhabenen Schwere – tiefes, ins Bordeaux gehendes Rot von Vorhängen und Sitzmöbeln, und nur selten sind natürliche oder künstliche Beleuchtungen von hellem, kaltem Weiß. Licht und Verzierungen schimmern in edlem Goldgelb; um Gold, Reichtümer und andererseits die Vergänglichkeit der (Lebens-)Zeit geht es ja auch, am schönsten symbolisiert durch ein altes, berühmtes Stundenglas, durch das Goldstaub statt Sand rieselt. Bereits der Theatersaal, in dem sich Fox in der Eröffnungsszene „Volpone“ anschaut, nimmt diese Ästhetik vorweg (und wer hat schon die Grandezza, außer Franchot Tone in „Die öffentliche Meinung“ von 1935, einen Theatersaal ganz für sich allein zu mieten?). Musikalisch wechseln ein eher heiteres mit einem eher romantisch-schwermütigen Motiv, Letzteres opulent mit Mandolinenklängen ausgestattet. So wird der Film auf jeglicher Ebene mit einer Goldschicht überzogen, die ihn sehr schön, sehr edel, aber immer auch ein bisschen wehmütig macht. Dies passt zum Inhalt, obwohl der Film zunächst lediglich eine satirische Komödie zu sein scheint. Mankiewicz’ bessere Filme sind stets clever und doch menschlich. Er ist ein scharfer Beobachter des Jahrmarkts der Eitelkeiten und hat auch diesmal wieder viele autobiografische und persönliche Statements einfließen lassen, so wie er schon über das Theatermilieu in „Alles über Eva“ (1950) und über das Filmmilieu in „Die barfüßige Gräfin“ lästerte.
Eitelkeiten und Blödheiten
McFly ist in Hollywood gescheitert, Merle McGill hingegen ist dort erfolgreich, weil Fox (der Mann! Nicht das Studio!) ihr die Zähne richten und die Polypen rausoperieren lassen sowie beträchtliche Anteile einer Filmfirma erworben hat. Das tägliche Pokerspiel der beiden Männer vergleichen diese mit der Chance auf Erfolg in Hollywood, die doch sehr unterschiedlich sei gegenüber derjenigen, in Las Vegas die Bank zu sprengen. Ohne dass sie es aussprechen, ist klar, wo sie die Chance für höher halten. Auch nutzt der Dialog manche Gelegenheit, um McGills Kulturlosigkeit zu entlarven und sie als eine kleine Schlampe zu porträtieren, die sich als Teenie auf der Besetzungscouch sowie in Mr. Fox’ Armen einen Platz in der A-Liga Hollywoods erschlafen hat. „Diese Uhr hat einmal Lucrezia Borgia gehört.“ „Hat sie sie dir geschenkt?“ Das ist schon genauso blöde wie (aus „Millionäre bevorzugt“, 1934): „Das ist ein echter Cellini? Ich dachte, das wär ein Schiff.“ Mankiewicz setzt sogar noch einen drauf, der nicht verraten wird. Herrlich ist auch: „Das gilt nur, wenn ich in Testat sterbe.“ „Ich dachte, du hattest eine Herzattacke.“ Leider der Schere zum Opfer gefallen ist, dass Hollywoodbiene McGill nicht glauben kann, der große Filmregisseur John Ford habe das Theaterstück „Schade, dass sie eine Hure ist“ geschrieben (tatsächlich trug auch der wahre Autor, ein englischer Dramatiker aus dem 17. Jahrhundert, den Namen John Ford). Ganz klar, McGill ist Zielscheibe des Spottes – wenngleich noch etwas mehr, denn auch sie zeigt, dass es um die Vermischung von Kunst und Leben geht, um Theater im wahren Leben: Nicht nur Fox hat ein „Drehbuch“ im Kopf, nach dem er die Damen hereinlegen will, nicht nur Mankiewicz hat ein Drehbuch, mit dem er „Volpone“ umschreiben und noch verbessern will. Auch McGill erinnert sich einmal an einen Film, in dem sie mitgespielt hat und in dem ein todsicherer Plan vorkommt, nach dem sie und Dominique doch gleich einmal die ungeliebte Konkurrentin Lone Star um die Ecke bringen könnten.
Geld, Macht, Sex
Man kommt nicht umhin, bei „Venedig sehen – und erben …“ zu allen Hauptpersonen etwas zu sagen, und wichtig sind immerhin sieben. Von den Erbschleicherinnen hat vielleicht Capucine als Dominique die unbedeutendste Rolle, zumal auch längere Einführungen und Backstorys sowie erklärende Traumsequenzen mit den drei Damen leider geschrieben waren, aber unverfilmt blieben. Dominique bekommt aber eine hinreißend schöne und eigentlich sehr bittere Szene geschenkt, die Fox’ sexuelles Begehren gleichsam zynisch wie tragisch illustriert. Er konnte einfach nicht verkraften, dass er diese Frau zu einem früheren Zeitpunkt nicht für immer an sich binden konnte. Für einen Moment spüren wir ein Gefühl bei dieser in ihrer durchgestylten Schönheit eher kühlen Frau: Jetzt, wo Fox der – verarmten – Hoheit ein Erbe in Aussicht stellen kann, kann er sie in die Kiste bekommen. „Es ist schwer für einen Mann, wenn eine Frau ihn mehr braucht als er sie“, sagt er – und genießt es eben doch, nicht der Eroberer sein zu müssen, sondern die Frau sexuell unter Druck zu setzen und ihr die Knöpfe des Kleides aufzuknüpfen. Fast eine Vergewaltigungsszene, sehr unterschwellig gespielt, aber dadurch von umso größerer Intensität; das Ganze ist Dominique sichtlich unangenehm, die es gleichwohl geschehen lässt. Es muss dann gar nicht mehr „dazu“ kommen. Bezeichnenderweise kommt Fox auch bei McGill in dieser Hinsicht nicht zum Ziel, da sie die Sirene eines eher zufällig vorbeikommenden Polizeibootes hört und als Hollywoodprofi sofort aus Angst vor einem Skandal alle körperlichen Aktivitäten abbricht.
Die nicht mehr ganz junge Susan Hayward alias Lone Star wirkt ein bisschen wie die mit allen Wassern gewaschene, etwas vulgäre Schlampe im Gegensatz zum Dummchen McGill und zur kühlen Eleganz Dominiques. Ihre noch vorhandene, aber so langsam zu verblühen beginnende Schönheit sowie ihre aggressiven Sprüche gegenüber den Konkurrentinnen (die sie beispielsweise ein Mal mit „Your Highness“ und „Your Lowness“ anredet) erinnern an Bette Davis’ Rolle in Mankiewicz’ Meisterwerk „Alles über Eva“. Erstaunlicher- und erfreulicherweise gesteht das Drehbuch dieser Frau aber auch echte Gefühle und Momente des Innehaltens zu, wenn sie verträumt vom Glanz vergangener Zeiten beichtet: „In einem echten Salonwagen … das vergisst man nie.“ Oder wenn sie versonnen und in Großaufnahme berichtet, dass Cecil Fox immer den großen Lebenstraum gehabt hatte, ein Balletttänzer zu werden. Hier spüren wir aufrichtige Gefühle für diesen Mann, mit dem Lone Star immerhin vier Jahre lang ein sexuell so aufregendes Leben geführt hatte, dass Fox schließlich geflüchtet war (ein Angst-Lust-Traum vieler Männer, dass sie trotz der eigenen Überzeugung, auf diesem Gebiet Hochleistungssportler zu sein, sexuell mal überfordert werden?).
Lebenszeit und Lebensqualität
Eine Seelenverwandtschaft spüren wir da auch zwischen Lone Star und Fox, eine Verwandtschaft von zwei Menschen mit großen Träumen, die jedoch bemerken müssen, dass diese in der Vergangenheit verwurzelt und vielleicht unwiederbringlich verloren sind. Zeit und Vergänglichkeit, das sind wichtige Themen dieses Filmes, nicht nur, weil Fox das 17. Jahrhundert liebt, angeblich nicht mehr lange zu leben hat, von jeder der drei Damen eine wertvolle Uhr geschenkt bekommt und am liebsten den „Tanz der Stunden“ tanzt. Zu Lone Stars Monolog – ach ja, der Salonwagen und die verlorene Zeit – gibt es nämlich einen Parallelmonolog von Fox, der nach seriösen Quellen Mankiewicz’ eigene Überzeugungen zum Ausdruck bringt: Es gebe nichts, das so schön und wertvoll sei wie Gold, außer der Zeit (und rinnt nicht auch pures Gold durch das erwähnte Stundenglas?). Diese möge man aber nach Qualität statt Quantität bemessen. Fünfzig fantastische Jahre seien ihm lieber als hundert spießige, und sogar zehn Minuten würde er mehr genießen als manch anderer viele Jahre. Es ist interessant, in welchem Moment Lone Star und Fox ihre jeweils große Rede schwingen und was danach für sie und mit ihnen geschieht. Übrigens deutet auch ein recht spaßiges Ende an, dass von all den Aasgeiern Lone Star noch am ehesten diejenige ist, die man sich mit Fox vereint vorstellen kann.
Zauberin, nicht nur bei „Harry Potter“: Maggie Smith
Bleiben Fox’ Assistent McFly sowie zwei Figuren, die noch gar nicht erwähnt wurden: Lone Stars Krankenschwester Sarah (Maggie Smith) sowie der italienische Commissario Rizzi (Adolfo Celi). Diese halten – nicht nur, aber wesentlich – die kriminalistische Handlung in Schwung. Es kommt nämlich zu Todesfällen, bei denen sich übrigens wieder einmal erweist, dass der Vorwurf, Mankiewicz-Filme seien ein wenig geschwätzig, zu einseitig ist. Sicherlich, es wird viel geredet, laut detektiert, gemutmaßt und schließlich erklärt, aber das alles fügt sich erst mit zuvor rätselhaften Bildern zu einem Puzzle zusammen. Hier ist der Film purer Agatha-Christie-Whodunit auf höchstem Niveau. Es gibt zwar gegen Ende „the switch of the switch of the switch“, weil – Mankiewicz’ Lamento auch in der Realität – das Leben dem „Drehbuchschreiber“ immer wieder ins Handwerk pfusche. Aber das Ganze ist doch stimmig aufgelöst und wurde im Grunde genommen durch die Bilder bereits vollständig gesagt, ohne dass wir diese zunächst genau verstehen konnten. Bevor es zu den Todesfällen kommt, sehen wir längere dialoglose Bildfolgen von kleinen Details, die wir entweder unbewusst wahrnehmen oder bei denen wir uns schon fragen, was sie jetzt genau zu bedeuten haben. Im Nachhinein wird uns sogar klar, dass nicht nur in diesen Szenen am Stück, sondern bereits an völlig unerwarteten Stellen zuvor wichtige Details eingestreut worden waren, deren Bedeutung uns zunächst nicht klar sein konnte (was hat es zum Beispiel damit auf sich, dass Sarah die Etiketten von Lone Stars Schlafpillen und den Placebos vertauscht?). Dass am Ende ein fast perfekter Mord durch ein dummes Detail einer völlig unnötigen Gier auffliegen kann, zeigt, dass Mankiewicz als geschickter Puzzlespieler immer noch besonders stark an seinen Aussagen über menschliche Schwächen interessiert ist.
Aber Mankiewicz huldigt auch der Moral, und Sarah erhebt sie nun, die Stimme der Moral. Maggie Smith, bekannt unter anderem als Minerva McGonagall aus den Harry-Potter-Filmen sowie aus der Serie „Downton Abbey“ (2010–2015), ist fast eine heimliche Hauptfigur. Zwar Maggie-Smith-mäßig deutlich konservativer zurechtgemacht als die anderen drei Damen, aber durchaus sexy. „Die Stimme der Moral – UND SOLCHE BEINE!“, seufzt Fox mehrmals, dessen sexuelle Frustration ihn dazu führt, sich auch noch an sie – natürlich vergeblich – heranzumachen, obwohl er behauptet, über plumpe Anmachversuche erhaben zu sein. Schöne Beine, ja, die hat sie, und sexy ist sie zudem, weil sie sehr clever und auf eine versteckte und darum umso wirkungsvollere Art extrem tatkräftig und gerissen ist. Als Lone Stars Begleiterin/Krankenschwester Sarah Watkins ist sie es statt der anderen drei Damen, die einen Kerl um den Finger wickeln und sich jede Menge Geld unter den Nagel reißen kann. Aber im Gegensatz zu den Konkurrentinnen will und wird sie damit etwas Gutes bewirken. „Wit and humanity“, in der Figur der Sarah kulminiert Mankiewicz’ Weltsicht, der einerseits ein scharf beobachtender, leicht elitärer Zyniker ist, andererseits ein hundertzehnprozentiger Moralist. Rolle und Darstellerin gelingen es aufs Schönste, diese nicht einfache Kreisquadratur in einer Figur zu vereinen und die Moral alles andere als piefig erscheinen zu lassen. Sarah wird den Exzentriker McFly dazu bringen, sein Jurastudium abzuschließen und Anwalt zu werden, weil man sein Talent nicht auf der Jagd nach dem schnellen Geld vergeuden sollte. Die Chuzpe, mit der sie dies erreicht, ist gleichwohl bestechend. In einem nicht zu verratenden Schluss erhebt sich die Kamera über das Geschehen, als blicke ein Gott auf dieses menschliche Treiben da unten, und dem auktorialen (göttlichen?) Mankiewicz gelingt es, das moralische Ende gleichzeitig zu feiern und darüber zu lästern. Obwohl ich, Jurist, über McFlys Satz „Jurist ist ein Beruf und keine Berufung“ sehr schmunzeln musste, kann man Sarah nur lieben und sich sagen: Eine wie sie kann es sogar schaffen, dass ein Jurist, der eigentlich ein verhinderter Möchtegernkünstler ist, seinen Beruf als Berufung ansieht.
Nun aber: Adolfo Celi
Schließlich die etwas kleinere Rolle des Commissario Rizzi: Er ist ein cleverer Mann und schätzt Fox’ extravagante Lebensweise genauso, wie er dennoch ein Talent hat, hinter die Kulissen zu blicken. Damit entspricht auch er der Haltung des Filmes und Mankiewicz’, ein Lebensgefühl gleichzeitig zu feiern und zu entlarven. Wichtig ist in diesem Zusammenhang eine scheinbar absolut rätselhafte, nicht zum Rest passende, gar überflüssig wirkende Szene: Rizzi sitzt in einem sehr schmucklosen Wohnzimmer und guckt mit seiner Familie „Perry Mason“. Dröge Wohnung, dröge Stühle und Sessel, dröge Menschen, kein heimeliges Familiensofa. Papa, Mama und viele Kinder sitzen jeder für sich separat gelangweilt vor der popeligen Schwarzweißglotze und achten nicht nur nicht aufeinander, sondern auch nicht auf das Geschehen auf dem Bildschirm. Es ist dies nicht nur eine Lästerei Mankiewicz’ über das Medium Fernsehen und was es bewirkt (auch McFly und Fox geißeln einmal das TV-Niveau und Fox kennt nicht einmal den Vornamen eines Serienhelden wie James Bond). Es zeigt auch einen brutalen, traurigen Kontrast zwischen Rizzis Alltag und dem glamourösen Milieu, in dem er nun ermitteln muss, in das er sich aber auch hineinsehnt, obwohl er den falschen Lack entlarven kann und wird. Weil Perry Mason läuft, der (obschon als Rechtsanwalt und nicht als Kriminalpolizist) wie Rizzi seine messerscharfen Beweisführungen wortreich präsentiert, zeigt sich: Rizzi ist dieser ganzen Familie genauso gleichgültig wie der TV-Anwalt, Rizzi kommt wie Mason abends per Knopfdruck ins Wohnzimmer, ist irgendwie da, aber keinen interessiert’s. Von Rizzis Kommentaren und seiner Ankündigung, zwecks Ermittlungen noch einmal wegzugehen, nimmt niemand Notiz. Ein bitterer Beigeschmack bei allem Schwelgerischen auch hier, und ein weiterer Beweis, dass Mankiewicz nicht die Realität aus den Augen lässt und sein etwas künstlich wirkendes Milieu in Beziehung zu ihr setzen kann. Eine gleichsam brutal-traurige wie erhellende und wichtige Szene, die glücklicherweise nicht – wie vieles andere – der Schere zum Opfer fiel. Mankiewicz hatte immer beklagt, niemand habe sie verstanden und gewürdigt. Ich möchte mir nicht anmaßen, dies nun endlich tun zu können, habe aber Verständnis für den Meister und halte die Szene für ungeheuer wichtig sowie sehr berührend.
Das Licht und die Dunkelheit – Letzteres leider auch auf dem Heimkinomarkt
So bitter das Ganze ist, wir haben auch viel zu lachen, und wir haben, bei aller Vorliebe des Filmes für dunkle Töne, die Lichtgestalt Sarah. Ohne einen Lichtblick hat uns Mankiewicz selten entlassen – selbst wenn in „Der Fall Cicero“ (1952) der hereingelegte James Mason erkennt, dass seine Hereinlegerin ebenfalls einen Meister gefunden hat, weswegen er den Film mit dem irrsten Lachen beendet, das sich jemals über einen Abspann gelegt hat. Blickt also genau, aber fröhlich auf „Venedig sehen – und erben …“ und genießt diesen Film!
Zu den unterschiedlichen Versionen: Die ursprünglich geplante und nie vollständig gedrehte Fassung dürfte um die drei Stunden lang gewesen sein. Die Londoner Premiere wartete mit 150 Minuten auf und wurde negativ aufgenommen. Danach schnitt Mankiewicz den Film auf 131 Minuten herunter, in dieser Version habe ich ihn im Fernsehen gesehen. Des Weiteren existiert eine noch kürzere Version. Als DVD sind eine 126-Minuten- und eine 114-Minuten-Fassung im Umlauf. Bei ersterer dürfte es sich um die 131-Minuten-Fassung handeln, die für die US-Auswertung nach dem London-Fiasko geschnitten wurde: Europäische DVDs werden mit 25 statt 24 Bildern pro Sekunde abgespielt. Ich beziehe mich ausdrücklich auf die längere Version und rate dazu, diese zu kaufen, in Ermangelung der noch längeren Londoner Version, die auch mir leider nicht bekannt ist. Deutschland schaut in puncto DVD oder gar Blu-ray bislang vollständig in die Röhre. In Australien wird man fündig, ebenso in Spanien, dort aber mit höchster Bootleg-Gefahr, da manch spanisches Label es offenbar mit dem Lizenzieren nicht so genau nimmt.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Joseph L. Mankiewicz haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Susan Hayward unter Schauspielerinnen, Filme mit Adolfo Celi, Rex Harrison und Cliff Robertson in der Rubrik Schauspieler.
Veröffentlichung D: keine
Länge: 131 Min. (Neufassung), 126 Min. (DVD), 114 Min. (DVD, nochmals gekürzt)
Altersfreigabe: FSK nicht bekannt
Originaltitel: The Honey Pot
USA 1967
Regie: Joseph L. Mankiewicz
Drehbuch: Joseph L. Mankiewicz, frei nach Bühnenstücken von Frederick Knott und Ben Jonson sowie einem Roman von Thomas Sterling
Besetzung: Rex Harrison, Susan Hayward, Cliff Robertson, Adolfo Celi, Capucine, Edie Adams, Maggie Smith, Hugh Manning, David Dodimead, Mimmo Poli, Luigi Scavran
Copyright 2022 by Tonio Klein
![](https://dienachtderlebendentexte.wordpress.com/wp-content/uploads/2022/07/venedig_sehen_und_erben-plakat-2.jpg?w=197&h=300)
Filmplakate: Fair Use
Gefällt mir Wird geladen …