The Black Phone
Horror // Im Jahr 1978 leben die Geschwister Finney (Mason Thames) und Gwen (Madeleine McGraw) nach dem Tod der Mutter mit ihrem trunksüchtigen und gewalttätigen Vater Terrence (Jeremy Davies) in North Denver zusammen. Finney wird in der Schule von Mitschülern drangsaliert, immerhin beschützt ihn sein Freund Robin (Miguel Cazarez Mora), der Kampfsport beherrscht und selbst den großen Moose (J. Gaven Wilde) zusammenschlagen kann.
In der Gegend werden vermehrt Kinder entführt. Die Leute nennen den Kidnapper „The Grabber“ (zu deutsch: der Greifer). Gerade erst ist mit Bruce (Tristan Pravong) ein Junge aus einer Nachbarsschule verschwunden, dann wird auch Robin entführt. Schließlich lauert der Entführer (Ethan Hawke) mit seinem schwarzen Lieferwagen auch Finney auf und verschleppt den Jungen in einen dunklen Keller.
Nach einer Kurzgeschichte von Joe Hill
„The Black Phone“ stellt eine Adaption der gleichnamigen Kurzgeschichte von Stephen Kings Sohn Joe Hill (geboren als Joseph Hillström King) dar. Angeblich dienten auch die Taten des berüchtigten Serienkillers John Wayne Gacy als Inspiration. Die Story des Films gibt das nicht her, ein paar Details von Gacys Morden mögen ihren Weg in „The Black Phone“ gefunden haben. Der deutsche Zusatztitel „Sprich nie mit einem Fremden“ erscheint im Übrigen komplett überflüssig.
Wer ruft da an?
Die in Wilmington im US-Staat North Carolina gedrehte Blumhouse-Produktion ist an sich als Entführungs- oder Serienkiller-Horrorthriller aufgebaut, erhält aber auch ein paar übernatürliche Elemente verpasst. So hat Finneys Schwester Gwen eine hellseherische Gabe von ihrer Mutter geerbt – sie träumt reale Begebenheiten und versucht, auf diese Weise ihren gekidnappten Bruder zu finden. Ihre Träume heben sich in grobkörnigen Bildern vom übrigen Geschehen des Films ab. Als ebenso wichtiges Element erweist sich das titelgebende schwarze Telefon. Es hängt an einer Wand des Kellers, in welchem der Grabber Finney eingekerkert hat, und funktioniert seit Ewigkeiten nicht mehr. Doch unvermittelt erhält der Entführte Anrufe – hilfreiche Anrufe, so viel, aber nicht mehr, sei verraten.
Ethan Hawke als Serienmörder
Viel hängt an den Persönlichkeiten der Figuren und an ihnen ist nichts auszusetzen. Ethan Hawke, 2012 in „Sinister – Wenn du ihn siehst, bist du schon verloren“ schon einmal in einem Horrorfilm von Scott Derrickson zu sehen, hat sichtlich Freude daran, einmal einen durchgeknallten Psychopathen zu spielen. In den meisten Szenen verbirgt er sein Gesicht hinter einer Maske, an deren Gestaltung Maskenbildner-Legende Tom Savini mitgewirkt hat – in den Credits wird Savini als Special Effects Supervisor geführt. Vieles bleibt beim Grabber allerdings vage. So erfahren wir nie, wie übel der Kidnapper den anderen Entführungsopfern verfahren ist. Dass sie tot sind, wird schnell deutlich, aber was für ein Spiel hat er mit ihnen gespielt? Da er Finney tagelang gefangen hält und mit Speis und Trank versorgt, liegt die Vermutung nahe, er habe dasselbe mit den anderen Gekidnappten getan. Offen bleibt, was er sich davon versprochen hat, außer, dass er sie irgendwann tötet. Nun gut, das mag für einen Serienmörder reichen.
Die jungen Mason Thames und Madeleine McGraw spielen die Geschwister Finney und Gwen mit großer Wahrhaftigkeit und beweisen auch Vielseitigkeit. Seltene unbeschwerte Momente weichen der Angst und dem Abscheu vor ihrem Vater, hier gilt es, Coming-of-Age-Motive zu vermitteln. Mason Thames muss Finney zusätzlich als Mobbingopfer personifizieren – und sich nicht zuletzt als Entführter im Keller dem Psychoduell mit dem Grabber stellen.
Mainstream-Horror von Blumhouse
Natürlich zeigt „The Black Phone“ keinen verstörenden oder abseitigen Horror, zu sehr ist der Film ein Kind der Produktionsfirma Blumhouse, die sich dem Mainstream verschrieben hat. Dafür überzeugt das Setdesign, wir fühlen uns direkt in die späten 1970er-Jahre hineinversetzt. Atmosphärisch und handwerklich gibt es nichts auszusetzen, auch der Spannungsbogen stimmt. Die übernatürlichen Elemente wirken jedoch nicht zu Ende gedacht. Die damit einhergehenden Handlungsfäden enden zum Finale einfach, führen fast schon ins Leere. Und wer sich mit Stephen King auskennt, wird sich bei dem einen oder anderen Element an ihn erinnert fühlen – da hat Sohnemann sich wohl von seinem Vater inspirieren lassen.
Von „Doctor Strange“ zurück zum Horror
Drehbuchautor und Regisseur Scott Derrickson („Erlöse uns von dem Bösen“, 2014) hatte sich 2016 mit „Doctor Strange“ am Marvel Cinematic Universe versucht und war auch für „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ (2022) als Regisseur vorgesehen. Aufgrund „kreativer Differenzen“ mit Marvel wurde er dort durch Sam Raimi ersetzt. Mit „The Black Phone“ hat sich Derrickson wieder seinem Leib- und Magengenre Horror gewidmet. Dort ist er gut aufgehoben, auch wenn unter dem Blumhouse-Dach keine Horrorfilme enstehen, die das Genre weit voranbringen. Dafür sind die Produktionen zu sehr dem Mainstream verhaftet, und das gilt auch für „The Black Phone – Sprich nie mit einem Fremden“. In dessen Grenzen funktioniert Derricksons Regiearbeit aber gut, Horrorfans ohne Hang zu Abseitigkeiten dürften ihre Freude haben.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Scott Derrickson haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Ethan Hawke unter Schauspieler.
Veröffentlichung: 8. September 2022 als Blu-ray und DVD
Länge: 103 Min. (Blu-ray), 99 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch
Untertitel: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Niederländisch
Originaltitel: The Black Phone
USA 2021
Regie: Scott Derrickson
Drehbuch: Scott Derrickson, C. Robert Cargill, nach einer Kurzgeschichte von Joe Hill
Besetzung: Mason Thames, Madeleine McGraw, Ethan Hawke, Jeremy Davies, E. Roger Mitchell, Troy Rudeseal, James Ransone, Miguel Cazarez Mora, Rebecca Clarke, J. Gaven Wilde, Spencer Fitzgerald, Jordan Isaiah White
Zusatzmaterial: Audiokommentar von Scott Derrickson, unveröffentlichte Szenen, Ethan Hawkes böse Seite, Hinter den Kulissen, Der Teufel im Design, Super-8-Set, Kurzfilm „Shadowprowler“
Label/Vertrieb: Universal Pictures Germany GmbH
Copyright 2022 by Volker Schönenberger
Packshots: © 2022 Universal Pictures Germany GmbH