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Nachts, wenn Dracula erwacht – Mit Christopher Lee im Gepäck kann selbst Jess Franco was

09 Jan

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El conde Drácula

Von Volker Schönenberger

Horror // Schon auf seiner Reise nach Bistritz erhält Jonathan Harker (Fred Williams) ernste Warnungen: Ein Mann im Zug erschrickt sichtlich, als ihm der junge Londoner Jurist berichtet, er fahre zum Grafen Dracula. Eine junge Frau im Gasthof, in dem Harker eine Nacht verbringt, warnt ihn: Morgen sei die St.-Georgs-Nacht, in der alles Böse dieser Welt zum Leben erwache. Dessen ungeachtet lässt sich Harker von der Kutsche am Borgo-Pass absetzen, wo ihn alsbald der Kutscher von Graf Dracula abholt – oder ist’s der Graf persönlich? Jedenfalls scheint der Kutscher über die Wölfe zu befehlen, die die Fahrt begleiten. Harkers Gastgeber (Christopher Lee mit Bart) erweist sich als zuvorkommend, ist aber nicht gewillt, seinen Gast gehen zu lassen, obwohl der Zweck von Harkers Besuch zügig über die Bühne geht: Dracula will in London eine Immobilie erwerben. Ein Spiegel in Harkers Zimmer gibt dem jungen Mann ein Rätsel auf: Graf Dracula ist darin nicht zu sehen, obwohl er direkt neben Harker steht.

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Jonathan Harker erlebt Schreckliches

„Wie schmeckt das Blut von Dracula“, „Dracula – Nächte des Entsetzens“, dazu ein Cameo-Auftritt in der von Jerry Lewis inszenierten Komödie „Die Pechvögel“ – obwohl Christopher Lee seiner Rolle als Vampirfürst Anfang der 70er-Jahre überdrüssig war, verkörperte er ihn 1970 gleich vier Mal, beginnend mit „Nachts, wenn Dracula erwacht“. Erstmals war er 1958 in der Hammer-Films-Produktion „Dracula“ in die Rolle des Blutsaugers geschlüpft. Als Draculas Gegenspieler Dr. Van Helsing ist Herbert Lom („Spartacus“) zu sehen, allerdings haben die beiden keine einzige wirklich gemeinsame Szene. Bei ihrem einzigen Aufeinandertreffen im Finale wird zwischen beiden hin und her geschnitten.

Herbert Lom nur dritte Wahl

Lom war bei der Besetzung lediglich die dritte Wahl von Regisseur Jess Franco: Sein Wunschkandidat Vincent Price („Das Pendel des Todes“) war vertraglich gebunden, Kandidat Nummer zwei Dennis Price („Turm der lebenden Leichen“) fiel aus gesundheitlichen Gründen aus.

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Graf Dracula gelüstet es nach dem Blut junger Frauen

Franco hält sich bei seiner Umsetzung des Bram-Stoker-Romans vergleichsweise eng an die Vorlage – mit ein paar Freiheiten, versteht sich. Im Gegensatz zu allen vorherigen Adaptionen übernimmt „Nachts, wenn Dracula erwacht“ die schrittweise Verjüngung des Vampirs durch den Konsum von Menschenblut. Für Exploitation-Papst Jess Franco überraschend verzichtet der Film auf allzu blutige Szenen, ebenso auf die Zurschaustellung weiblicher Nacktheit. Das mag manche Horrorfans enttäuschen, es bringt aber eine wohltuende Distanz zum Trash, für den Jess Franco berüchtigt ist. Das würdige Spiel von Christopher Lee und Herbert Lom tut sein Übriges, gegen die beiden verblassen die ansonsten farblosen übrigen Darsteller – mit Ausnahme natürlich von Klaus Kinski, der als wahnsinniger Irrenhaus-Insasse Renfield ein paar schöne Szenen hat, in denen er nach Angaben des Regisseurs ein paar echte Fliegen verspeiste. Man kann Method Acting auch übertreiben. Ende des Jahrzehnts spielte Kinski den Vampirfürsten in Werner Herzogs „Nosferatu – Phantom der Nacht“ (1979) dann selbst.

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Irre: Renfield hat Fliegen zum Fressen gern

Wer „Die Nacht der lebenden Texte“ bereits eine Weile verfolgt, weiß, dass ich mich wiederholt mit der Filmografie von Jess Franco befasst habe, wohl wissend, dass der spanische Vielfilmer eine eingeschworene Fangemeinde um sich geschart hat, die ihn vehement gegen Anfeindungen verteidigt. So richtig konnte ich mich nie für ihn erwärmen, auch wenn vielen Filmen ein trashiger Unterhaltungswert nicht abzusprechen ist. Das oft bemerkte Postulat, man müsse nur erst ausreichend Filme gesichtet haben, um sich für Franco begeistern zu können, erschließt sich mir nach wie vor nicht. „Nachts, wenn Dracula erwacht“ versöhnt allerdings mit seinem Œuvre, wirkt aber untypisch, sticht geradezu heraus. Versierte Kameraarbeit und schöne Kulissen bringen dichte Grusel-Atmosphäre, die erwähnte Nähe zum Roman hat womöglich auch zum Gelingen beigetragen. Der Film gehört sicher nicht zur Speerspitze der Dracula-Umsetzungen, sicher aber zur Speerspitze von Jess Francos Regiearbeiten. Ein paar amateurhafte Tricks müssen toleriert werden, so etwa Schäferhunde, die als Wölfe herhalten, und minderwertig animierte Fledermäuse.

Wo ist die Blu-ray?

Die deutsche DVD hat interessantes Zusatzmaterial zu bieten (siehe unten) und zeigt die restaurierte Fassung des Films in der womöglich weltweit längsten derzeit lieferbaren Version. Für 2015 war in den USA eine Blu-ray angekündigt, die weitere Szenen enthalten sollte, dazu ist es aber offenkundig nicht gekommen, jedenfalls finde ich keine solche Veröffentlichung (wer Abhilfe leisten kann, möge das gern per Kommentar tun). Die Bildqualität ist anständig, wenn auch nicht überragend. Für Franco-Fans ohnehin Pflichtprogramm, darf „Nachts, wenn Dracula erwacht“ auch Freunden des Vampir-Horrorgenres mal einen Blick wert sein.

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Professor Van Helsing geht auf Vampirjagd

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Jess Franco haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, die mit Klaus Kinski, Christopher Lee, Herbert Lom und Fred Williams unter Schauspieler.

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Nimm ruhig noch einen ordentlichen Schluck!

Veröffentlichung: 19. Januar 2010 als DVD, 18. Mai 2007 als 2-Disc Special Edition DVD

Länge: 93 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
Originaltitel: El conde Drácula
Alternativtitel: Dracula 71 / Dracula – Seine Küsse sind tödlich (8mm-Fassung)
SP/BRD/IT/LIE 1970
Regie: Jesús Franco
Drehbuch: Augusto Finocchi, Erich Kröhnke
Besetzung: Christopher Lee, Herbert Lom, Klaus Kinski, Maria Rohm, Fred Williams, Soledad Miranda, Paul Muller, Jack Taylor, Franco Castellani
Zusatzmaterial: Audiokommentar von Fred Williams, Featurette „Beloved Count“ mit Jess Franco (26:35), Interview mit Jack Taylor (15:35), Jess Franco über Klaus Kinski (9 Texttafeln), Starinfo Soledad Miranda (6 Texttafeln), Fotogalerien, internationale Plakate, Die Restauration der deutschen Kinofassung (2 Texttafeln, 2 Bildvergleiche), Trailershow, nur Special Edition (Angabe unbestätigt): deutsche Super-8-Fassung des Films, Christopher Lee liest „Dracula“
Vertrieb: Studiocanal Home Entertainment

Copyright 2017 by Volker Schönenberger
Fotos & Packshot: © 2010 Studiocanal Home Entertainment

 
 

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7 Antworten zu “Nachts, wenn Dracula erwacht – Mit Christopher Lee im Gepäck kann selbst Jess Franco was

  1. denisfeuerstein

    2021/09/30 at 11:45

    Leider, leider, leider ist die Scheibe von Wicked Vision von der Bildqualität enttäuschend. Offensichtlich wurde auf das Master von Severin-Films zurückgegriffen und das bedeutet ein recht farbloses detailarmes Bild. In vielen Nahaufnahmen sind Falten und Poren nur schwer zu erkennen. Gerade bei dunklen oder nebeligen Szenen ist wenig Kontrast vorhanden. DIe Enttäuschung wird nur größer, wenn man sich andere Veröffentlichungen von älteren Filmen anschaut, wie etwa „Der Fluch von Siniestro“ von 1961, wo man wirklich eine Menge erkennen und man wirklich von einer guten Bildqualität sprechen kann.
    Nicht falsch verstehen: Natürlich finde ich es cool, dass Wicked Vision sich die Mühe gemacht hat (gerade weil der Film eher was für Kompletisten ist) und gerade die Fülle an Extras ist ein dickes Plus, aber für eine neue Veröffentlichung hätte man sich doch etwas mehr gewünscht.

     
  2. denisfeuerstein

    2021/03/29 at 19:47

    Ich würde mich über eine neu abgetastete HD-Version freuen. Wicked Vision hat ja für dieses Halbjahr eine Neuveröffentlichung angekündigt. Ich hoffe mal, dass die Scheibe unser aller Wunsch erfüllt.

     
  3. filmgeist9

    2017/01/09 at 14:51

    Jess Franco ist sehr speziell, aber auch er hat einige tolle Perlen gemacht, die man aus dem Matsch ziehen muss.

     
    • V. Beautifulmountain

      2017/01/09 at 15:21

      Hast du ein paar Tipps? VAMPYROS LESBOS steht auf meinem Zettel.

       
      • filmgeist9

        2017/01/09 at 18:33

        Vampyros Lesbos lag mir überhaupt nicht, obwohl er in mein Beuteschema passt. Doch der Film ist zu gestellt, zu sehr auf Erotik aus, die nicht gut ist. Ein paar Tipps sind m.E.:
        – Die Liebesbriefe einer portugiesischen Nonne
        – Jack the Ripper (mit Kinski)
        – Greta, Haus ohne Männer (ist ein halber Ilsa- Film)
        – Female Vampire
        – Marquis de Sade

         

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