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Horror für Halloween (XXXI): Das Grab der Lygeia – Krönender Abschluss von Roger Cormans Edgar-Allan-Poe-Zyklus

28 Okt

The Tomb of Ligeia

Von Volker Schönenberger

Horror // Wenn schon Vincent Price „Das Grab der Lygeia“ als seinen Lieblingsfilm aus Roger Cormans Edgar-Allan-Poe-Zyklus bezeichnet hat, kann man dagegen natürlich überhaupt nichts mehr sagen. Mein Favorit bleibt „Das Pendel des Todes“ („Pit and the Pendulum“) von 1961, gefolgt vielleicht von „Lebendig begraben“ („The Premature Burial“, 1962), in welchem Ray Milland den vertraglich verhinderten Price ausnahmsweise ersetzte, aber meine Reihung hat persönliche Gründe. In einer IMDb-Rangliste mit den Wertungen dort angemeldeter Filmfreunde befindet sich „Das Grab der Lygeia“ nur auf dem achten und damit letzten Rang, allerdings schwanken die Wertungen aller acht Filme auf der Zehnerskala denkbar gering zwischen 6,6 und 6,9. Das passt auch, da ich alle Filme hoch einschätze, wobei „Der grauenvolle Mr. X“ („Tales of Terror“, 1962) und „Der Rabe – Duell der Zauberer“ („The Raven“, 1963) noch der Sichtung harren. An Roger Cormas Poe-Regiearbeiten inklusive des Lovecraft-Wolf-im-Poe-Schafspelz-Beitrags „Die Folterkammer des Hexenjägers“ („The Haunted Palace“, 1963) gibt es jedenfalls kein Vorbeikommen, will man sich mit dem Horrorfilm der 1960er-Jahre befassen.

Lady Lygeia wird zu Grabe getragen

1960 mit „Die Verfluchten“ („House of Usher“) begonnen, setzte Roger Corman den Schlusspunkt seines Edgar-Allan-Poe-Zyklus vier Jahre später mit „The Tomb of Ligeia“. Zu Beginn muss Lord Verden Fell (Vincent Price) seine geliebte Gemahlin Lygeia (Elizabeth Shepherd) zu Grabe tragen. Offenbar hat sie Selbstmord begangen, man will dem trauernden Witwer die Beerdigung auf dem geweihten Friedhof verweigern. Eine schwarze Katze springt auf den Sarg, die Tote schlägt die Augen auf. Nur ein Reflex des Leichnams? Lord Fell gerät aus dem Häuschen.

Vom Pferd in den Hafen der Ehe gestürzt

Bald darauf nähert sich eine Reitgesellschaft auf Fuchsjagd dem Gottesacker. Das Pferd von Lady Rowena Trevanion (ebenfalls Shepherd) scheut vor einer schwarzen Katze, sie stürzt zu Boden. Der Lord kommt hinzu und versorgt die leicht Verletzte. Beide sind voneinander fasziniert, Verden von der Lady nicht zuletzt deswegen, weil sie ihn sehr an seine Frau erinnert. Nach einiger Zeit heiraten die beiden, doch mysteriöse Geschehnisse künden von drohendem Unheil. Was hat die schwarze Katze damit zu tun?

Außenaufnahmen in Stonehenge

Angeblich war es Vincent Price, der Roger Corman zu Außenaufnahmen überzeugte, weil er gern mal in einer Burgruine drehen wollte. Die Wahl fiel auf das Castle Acre Priory in der ostenglischen Grafschaft Norfolk. Auch zwischen den Monolithen von Stonehenge wurde gefilmt. Ein reizvoller Kontrast zu den wie gewohnt im Studio entstandenen Szenen, die im Innern der von Lord Fell bewohnten Abtei spielen. In seiner einzigen Zusammenarbeit mit Roger Corman schuf Hammer-Films-Kameramann Arthur Grant („Sie sind verdammt“, „Nächte des Grauens“) betörende Bilder, an denen wir uns kaum sattsehen können, Eine verfallene Abtei und die Steinkreise von Stonehenge sind natürlich auch eine Bank. Die aufwendige Ausstattung reichert die Motive zusätzlich an. So klar und kräftig die Bildgestaltung, so rätselhaft gibt sich die Geschichte, was aber nicht als Kritik gemeint ist. Welches Band spinnt sich da im Dreieck mit Lord Verden Fell, Lady Lygeia und Lady Rowena? Ein übernatürliches Band, so viel wird bald deutlich, aber etwas Wahn mag auch dabei sein.

Lord Verden Fell kann seine erste Frau nicht vergessen

Price war aufgrund seines Alters gar nicht mal erste Wahl für Corman und dessen Drehbuchautor Robert Towne, aber weil American International Pictures als US-Verleih im Boot war und den Film mitfinanzierte, wurde der 53-jährige US-Star für die englische Produktion gecastet und mithilfe von Perücke und Make-up etwas verjüngt. Corman hatte sich wohl mehr als genug mit Edgar Allan Poe befasst, wollte zu neuen Ufern aufbrechen. Seine nächste Regiearbeit nach „Das Grab der Lygeia“ bestätigt diese Annahme: „Die wilden Engel“ (1966) mit Peter Fonda und Bruce Dern spielt im kalifornischen Rockermilieu, denkbar weit entfernt vom Gothic Horror Lygeias.

Roger Corman nimmt sich Freiheiten

Wer den Film mit der literarischen Vorlage vergleichen will, kann dies online sowohl anhand einer deutschen Übersetzung als auch mit dem englischsprachigen Originaltext erledigen. Wenig überraschend: Man wird Unterschiede feststellen. Corman nahm sich einige Freiheiten und fügte diverse Elemente hinzu, das tut bei Edgar Allan Poe auch bitter Not, der Regisseur hat es im gesamten Zyklus so gehandhabt. Wer will es ihm angesichts der brillanten Resultate verdenken?

Was meint Robert Zion zu Lygeia?

In seinem 2018 in Eigenregie veröffentlichten Buch „Roger Corman – Die Rebellion des Unmittelbaren“ schreibt der Publizist Robert Zion im Kapitel über „Das Grab der Lygeia“, kein Gegenstand, kein Handlungselement, kein Bild nehme nicht eine symbolische Bedeutung an. Buchstäblich alles verweise auf die Anwesenheit des Geistes Lygeias, alles sei Symbol, Verweis, Allegorie. Glücklicherweise lässt sich der Film genießen, ohne jedes Detail diesbezüglich zu analysieren, aber Zion belegt damit, welch kluger Filmemacher Roger Corman war und ist. Sein umfangreiches Buch über den Regisseur hat im Übrigen das Zeug zum Standardwerk. Die Lektüre des „Lygeia“-Kapitels empfiehlt sich nach Sichtung des Films, da Zion die Handlung bis zum Ende erzählt. Aber das gilt ja generell für solche analytischen Betrachtungen.

Mediabook mit zwei Covermotiven

Weshalb „Das Grab der Lygeia“ erst 1981 – mithin 17 Jahre nach der Premiere im Vereinigten Königreich – in die bundesdeutschen Kinos kam, entzieht sich meiner Kenntnis. Mit dem Mediabook von Koch Films in zwei Covervarianten hat Cormans Poe-Finale nun hierzulande eine angemessene Veröffentlichung erhalten. Für die Lektüre des Booklet-Texts von Nicolai Bühnemann gilt dasselbe wie für das Kapitel im Buch von Robert Zion: erst nach Sichtung des Films! Glücklicherweise gibt es in Deutschland keinen Mangel an fachkundigen Autoren. Mir kommt in Veröffentlichungen wie dieser kaum mal ein missratener Essay vor die Augen, und auch der von Bühnemann hält das gewohnte Niveau. Die Cover des Mediabooks gefallen mir beide, da wird manch ein Sammler doppelt zuschlagen oder bereits zugeschlagen haben. Am Bonusmaterial auf den Discs ist ebenfalls nichts auszusetzen, auch Bild- und Tonqualität haben einen nach oben gereckten Daumen verdient. Also spricht viel dafür, sich „Das Grab der Lygeia“ in die Sammlung zu stellen – ob ins Corman-Regal, ins Price-Regal oder schlicht ins Mediabook-Regal (auch wenn der eine oder andere Sammler dieses Formats die geringe Höhe der Koch-Editionen missbilligt). Gothic Horror in Reinkultur – schauderhaft gut.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Roger Corman sind in unserer Rubrik Regisseure aufgeführt, Filme mit Vincent Price unter Schauspieler. Roger Cormans Edgar-Allan-Poe-Regiearbeiten haben wir auch in der Rubrik Filmreihen aufgelistet.

Lady Rowena erlebt Beängstigendes

Veröffentlichung: 6. Dezember 2018 als limitiertes 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & DVD in zwei Covervarianten), 11. Oktober 2005 als DVD (unter dem Titel „Das Grab des Grauens“)

Länge: 82 Min. (Blu-ray), 79 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: The Tomb of Ligeia
GB 1964
Regie: Roger Corman
Drehbuch: Robert Towne, nach einer Erzählung von Edgar Allan Poe
Besetzung: Vincent Price, Elizabeth Shepherd, John Westbrook, Derek Francis, Oliver Johnston, Richard Vernon, Frank Thornton, Ronald Adam
Zusatzmaterial Mediabook: Audiokommentar, Trailer, Interviews, Bildergalerie, 20-seitiges Booklet mit Texten von Nicolai Bühnemann
Label/Vertrieb Mediabook: Koch Films
Label/Vertrieb DVD: MGM Home Entertainment

Copyright 2019 by Volker Schönenberger
Szenenfotos: © 2018 Koch Films

 

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