Guns Akimbo
Action // Bisweilen bildet sich ein ganzer Filmplot um eine einzige kleine Idee herum. Die kann gar nicht sonderbar genug sein, denken wir nur an die bizarre niederländische Horror-Groteske „Human Centipede – Der menschliche Tausendfüßler“ (2009): Darin verfällt ein „Mad Scientist“ darauf, Menschen aneinanderzunähen, und zwar den Mund des einen an den Darmausgang des anderen. Auch der von Jason Statham verkörperte Auftragskiller in „Crank“ (2006) bekommt es mit einem Einfall der besonderen Art zu tun: Nachdem er mit einem Betablocker-Cocktail vergiftet wurde, der ihn schleichend umbringt, merkt er, dass Adrenalin die Wirkung verlangsamt oder gar aufhält, woraufhin er sich in zahlreiche brenzlige Situationen bringt – sogar Sex mit seiner Freundin in aller Öffentlichkeit hilft! In der Fortsetzung „Crank – High Voltage“ (2009) muss der Gute sein ihm mittlerweile verabreichtes künstliches Herz mittels Stromschlägen in Gang halten.
Auch der neuseeländische Actioner „Guns Akimo“ beruht auf einer solchen Idee: Ein Mann bekommt auf blutige Weise an jeder Hand eine Pistole befestigt und muss ums Überleben kämpfen.
Vom Smombie zum Death-Match-Kandidaten
Als abgehalfterter Programmierer fristet Miles Lee Harris (Daniel Radcliffe) ein kümmerliches Dasein, schlurft als Smombie durch die Straßen, hängt permanent am Computer und steht kurz vor der Entlassung. Im Netz macht er sich größer als er ist, hat sich der Aufgabe verschrieben, Internet-Trolle zu trollen. Eines Tages entdeckt er den derzeit heißesten Online-Scheiß: SKIZM! Eine mysteriöse Organisation organisiert Death Matches, tödliche Duelle zwischen Kriminellen, Psychopathen und sonstigen Kapeiken und streamt sie ins Internet – höchst illegal, versteht sich. Das gegenseitige Abschlachten als Entertainment hat eine enorme Fangemeinde. Miles loggt sich vermeintlich anonym ins SKIZM-Forum ein und provoziert die dort versammelten User. Binnen kürzester Zeit zieht er deren geballten Zorn auf sich.
Weil er doch nicht so anonym war, wie er glaubte, steht kurz darauf SKIZM-Mastermind Riktor (Ned Dennehy) mit seinen Schergen vor Miles’ Wohnung und bittet höflich um Einlass, sprich: Die Tür wird eingetreten, Miles wird verschleppt, gequält und bekommt zwei großkalibrige Pistolen an die Hände getackert und -geschraubt. Über Spezialmagazine am Unterarm stehen ihm immerhin jeweils 50 Schuss pro Knarre zur Verfügung. Riktor zwingt ihn, ausgerechnet gegen Nix Degraves (Samara Weaving) ins Feld zu ziehen, die derzeit angesagteste Kämpferin bei SKIZM. Eine so wilde wie blutige Hatz durch die Stadt nimmt ihren Lauf.
Schrapnell-Gewitter in Shrapnel City
Apropos: In welcher Stadt befinden wir uns eigentlich? In Shrapnel City, das sieht man doch! Gedreht wurde zum Teil im neuseeländischen Auckland, zum Teil in – jawohl! – München, etwa im Englischen Garten. Der Titel „Guns Akimbo“ steht übrigens für die Modeerscheinung in Actionthrillern, die Pistole – oder beide Pistolen – nicht vertikal mit nach unten gerichtetem Ellenbogen auf sein Ziel zu richten, sondern horizontal mit dem Ellenbogen nach außen. Sieht cool aus, ob es effektiv ist, sei dahingestellt. Wer hat das etabliert? Wohl eher John Woo als Quentin Tarantino.
„Guns Akimbo“ wird seine Fans finden und ebenso auf Ablehnung stoßen. Für beides gibt es gute Gründe. Auf der Habenseite steht pulsierende Action ohne Unterlass, die keine halben Sachen macht und sich mit hohem Bleigehalt und Body Count die FSK-18-Freigabe redlich verdient hat. Da wir gerade bei der Altersfreigabe sind: Leonine Distribution hat der FSK auch eine geschnittene Variante vorgelegt und dafür eine 16er-Freigabe erhalten – womöglich für jugendfreie Streaming-Angebote. Obacht ist also geboten, will man den Film online sichten. Die physisch im Handel zu findenden Veröffentlichungen Mediabook (mit Blu-ray und DVD) sowie Blu-ray und DVD im herkömmlichen Softcase enthalten jedenfalls die ungeschnittene Fassung.
Radcliffes runde Rollenwahl
Auch Daniel Radcliffe bereichert den Film. Es muss mittlerweile gar nicht mehr darauf hingewiesen werden, dass er sich vom mächtigen „Harry Potter“-Schatten längst freigemacht hat (Verdammt, jetzt habe ich doch drauf hingewiesen). Filme wie „Imperium“ (2016) und „Swiss Army Man“ (2015) bezeugen eine interessante Rollenwahl, und „Guns Akimbo“ bestätigt das. Den permanent im Fokus stehenden und – logisch – über sich hinaus wachsenden Versager Miles spielt er mit vollem Einsatz und so glaubwürdig, wie es die Story erfordert – was zugegeben nicht viel ist, denn Glaubwürdigkeit spielt hier keine große Rolle (was auch für Logik gilt). Jedenfalls habe ich Radcliffe den Part abgenommen.
An Samara Weaving („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“) habe ich ebenfalls nichts auszusetzen. Nix ist völlig durchgeknallt und permanent auf Koks, das passt schon. Was allerdings beim Duell Miles gegen Nix überhaupt nicht passt, ist die Tatsache, dass er nicht bereits beim ersten Aufeinandertreffen der beiden das Zeitliche segnet, sondern ihr ein ums andere Mal haarscharf entkommt. Die Superkillerin gegen den Loser im Bademantel, das fügt sich nicht gut zusammen. Klar, er ist die Hauptfigur und darf natürlich nicht frühzeitig das Zeitliche segnen, und ich habe bereits auf die Unwichtigkeit des Faktors Glaubwürdigkeit hingewiesen. Dennoch: Das hätte Regisseur Jason Lei Howden eleganter lösen sollen.
You Spin Me Round!
Die hektische bunte Videospiel-Ästhetik muss man mögen, um an „Guns Akimbo“ wirklich Gefallen zu finden. Mein Fall ist sie nicht so recht, erst recht nicht mit dem allgegenwärtigen und enervierenden Elektro-Score. Immerhin die recht früh erklingende 3-Teeth-Coverversion von „You Spin Me Round (Like a Record)“ hat mir gefallen, ebenso einige andere Songs. Das Bild wechselt von rasanten Kamerafahrten zu Zeitlupeneinstellungen – schön anzusehen, irgendwann aber ein wenig eintönig. Hier wird innovative Kameraarbeit suggeriert, aber nicht geboten. All das wird mit reichlich CGI-Blut garniert, was in der Form auch nichts Neues mehr bietet. Kopftreffer mit am Computer generierten Blutfontänen kennen wir zur Genüge.
Gelegentlich will der Film etwas mehr sein als eine Ballerorgie, scheitert daran aber. Bei einer Figur offenbart sich plötzlich ein Trauma. Es bringt die Handlung voran, hat also seine Berechtigung, aber die Ernsthaftigkeit verfliegt schnell wieder und dient eher als Feigenblatt. Miles wiederum muss als Loser geläutert werden, um seine Heldenreise zu überstehen. Als Troll der Trolle ist er anfangs nicht unbedingt ein Sympath. Wenn das Medienkritik sein soll, wirkt sie etwas aufgesetzt. Ein schlechter Mensch kann er nicht sein, wie wir anhand einer Rückblende mit seiner Freundin Nova (Natasha Liu Bordizzo) erkennen. Als er mit den beiden angeschraubten Pistolen bei ihr auftaucht, ist sie längst seine Ex-Freundin, die er nicht vergessen kann. Tiefe bringt das allerdings nicht in den Film, das war aber wohl auch nicht der Anspruch. Humor hingegen war der Anspruch, und daran hapert es meines Erachtens. Ein paar lässige Dialoge kommen vor, aber deutlich zu wenige. Vielleicht reicht einigen schon die starke Überzeichnung von Story und Figuren für das Attribut humorig, mir nicht. Wenn Miles zu Beginn merkt, dass zwei Pistolen in den Händen einige Verrichtungen des täglichen Lebens wie Hose anziehen, pinkeln und Tür öffnen erschweren, bringt das nicht mehr als ein paar Schmunzler. Einen satirischen Aspekt vermag ich schon mal gar nicht zu erkennen.
Glatzentattoos galore
Ein solcher Plot steht und fällt auch mit den Antagonisten. Oberfiesling Riktor ist zwar durch und durch verdorben und gnadenlos, wirkt aber mit seinen Gesicht, Glatze und wohl auch den Rest des Körpers bedeckenden Tätowierungen wie eine überzeichnete Comicfigur. Ähnlich seine besten Helfershelfer, die zum Teil ansprechend gestaltet sind und jeweils einen großen Auftritt haben. Ich hege Zweifel, ob mir Schurke Riktor nachhaltig in Erinnerung bleiben wird.
Drehbuchautor und Regisseur Jason Lei Howden stammt aus der Effektecke, war an den visuellen Effekten von Peter Jacksons „Der Herr der Ringe“-Trilogie (2001–2003) ebenso beteiligt wie am „Der Hobbit“-Dreier (2012–2014). In seiner Filmografie finden sich in dieser Sparte weitere Großproduktionen, darunter „Prometheus – Dunkle Zeichen“ (2012), „Wolverine – Weg des Kriegers“ und „Planet der Affen – Survival“ (2017). Nach drei zwischen 2008 und 2014 entstandenen Kurzfilmen legte er 2015 mit der Horrorkomödie „Deathgasm“ (2015) sein Langfilm-Regiedebüt vor, für das er ebenfalls das Drehbuch geschrieben hatte. „Guns Akimbo“ stellt somit seinen zweiten abendfüllenden Spielfilm dar.
Tipp: „Shoot ’em Up“
Ich mag Ballerfilme durchaus. An „Shoot ’em Up“ (2007) mit Clive Owen hatte ich meine helle Freude, auch der in der First-Person-Perspektive gedrehte „Hardcore“ (2015) hat was. Von „Guns Akimbo“ hatte ich mir einiges versprochen, ziehe deshalb ein eher enttäuschtes Fazit. Die Sichtung hat mich unterhalten, aber die erwähnten Störfaktoren haben den Filmgenuss merklich getrübt. Wer meinen Kritikpunkten weniger Bedeutung beimisst, wird wohl mehr Freude an dem Streifen haben und ihn vielleicht sogar als Kultfilm in Ehren halten.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Ned Dennehy und Daniel Radcliffe haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.
Veröffentlichung: 4. Dezember 2020 als 2-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (Blu-ray & DVD), Blu-ray und DVD
Länge: 97 Min. (Blu-ray), 94 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Guns Akimbo
GB/D/NZ 2019
Regie: Jason Lei Howden
Drehbuch: Jason Lei Howden
Besetzung: Daniel Radcliffe, Samara Weaving, Ned Dennehy, Natasha Liu Bordizzo, Grant Bowler, Edwin Wright, Milo Cawthorne, Mark Rowley, Racheal Ofori, Set Sjöstrand, Rhys Darby, Graham Vincent, Tim Foley, Richard Knowles, Aaron Jackson
Zusatzmaterial: Featurette, Trailer, Trailershow
Label/Vertrieb: Leonine
Copyright 2020 by Volker Schönenberger
Szenenfotos, Packshot & Trailer: © 2020 Leonine
Christoph Wolf
2021/01/27 at 07:43
Ich ärgere mich immer noch, dank Corona den Film nicht gesehen zu haben.