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Kinjite – Tödliches Tabu: J. Lee Thompsons letzter Film

30 Aug

Kinjite – Forbidden Subjects

Von Volker Schönenberger

Actionkrimi // J. Lee Thompsons neunter und damit letzter Film mit seinem Star Charles Bronson ist gleichzeitig die letzte Regiearbeit des englischen Filmemachers. Weshalb er seine Karriere nach „Kinjite – Tödliches Tabu“ beendete, ist mir nicht bekannt. Vielleicht dachte er einfach, 75 sei ein gutes Alter für den Ruhestand, was ja nicht von der Hand zu weisen ist. Womöglich ging die Initiative für das Karriereende auch von den Studios aus, speziell von Cannon Films, für die er zuletzt tätig war. Thompsons Stärken lagen im Bereich Abenteuer, Action, Krimi und Thriller, wie nicht zuletzt „Die Kanonen von Navarone“ (1961) und „Ein Köder für die Bestie“ (1962) hinreichend belegen. Aber auch seine Arbeiten mit dem nicht mehr ganz aktuellen Topstar Charles Bronson wie „10 to Midnight – Ein Mann wie Dynamit“ (1983), „Der Liquidator“ (1984) und „Murphys Gesetz“ (1986) haben ihre Qualitäten. Die Zusammenarbeit hatte 1976 mit dem Actionkrimi „Tag der Abrechnung“ begonnen. Thompson starb am 30. August 2002 im Alter von 88 Jahren in seinem Haus in Sooke in der kanadischen Provinz British Columbia.

Was bedeutet „Kinjite“?

Der japanische Ausdruck „Kinjite“ aus dem Titel bedeutet so viel wie Tabu oder Verbot. Gemeint sind offenbar sowohl die an Teenager-Mädchen verübten Taten der Kriminellen, gegen die der von Bronson verkörperte Lieutenant Crowe kämpft, als auch intime Dinge, über die man in den USA nicht spreche, wie eine Gruppe erwachsener Englischschüler in Tokio von ihrem Lehrer erfährt (es verwundert etwas, dass Japaner derart belehrt werden, sprechen sie doch vermutlich selbst selten darüber). Anderswo im Netz findet sich die Interpretation, das Wort beziehe sich auch darauf, dass Sex, Kindesmissbrauch und Prostitution in Japan Tabuthemen sind, aber die Handlung des Films gibt das nicht wirklich her.

Crowe arbeitet als Ermittler im Sittendezernat von Los Angeles. An sich führt er ein glückliches Familienleben mit seiner Frau Kathleen (Peggy Lipton) und seiner Teenager-Tochter Rita (Amy Hathaway), aber sein Job frisst ihn innerlich auf. Insbesondere hat er es auf den Mädchenhändler und Zuhälter Duke (Juan Fernández) abgesehen, der mit bösartiger Skrupellosigkeit agiert und Teenager von der Straße verschleppt. Weil Crowe ihm mit den Mitteln des Gesetzes nicht beikommen kann, droht er dem Kriminellen sogar, ihn umzulegen. Der revanchiert sich mit einem Drive-by-Shooting, dem einige Unschuldige zum Opfer fallen.

Sexuelle Belästigung in der Menschenmenge

Als der japanische Geschäftsmann Hiroshi Hada (James Pax) in einem vollen Bus Crowes Tochter Rita unsittlich begrapscht (eine in Japan als Chikan bekannte und weitverbreitete Form der sexuellen Belästigung), verstärkt das Crowes ohnehin vorhandenen Ressentiments über Japaner. Hada kann zwar unerkannt entkommen, aber Crowes Job lässt die beiden bald darauf aufeinandertreffen, auch wenn sich der Lieutenant dagegen wehrt, in einem Fall zu ermitteln, bei dem er auf Japaner trifft.

Cops üben Selbstjustiz

Bei allen Vorbehalten, die man über den deutschen oder den amerikanischen Rechtsstaat berechtigterweise vorbringen kann: Selbstjustiz ist ganz sicher keine Alternative. Dennoch strotzt der US-Copfilm vor Polizisten, die das Recht in die eigene Hand nehmen – und wir Actionfilmfans haben unsere Freude daran. Es spricht eben nicht nur niedere Instinkte an, die manch einer haben mag, sondern auch ein gewisses Gerechtigkeitsempfinden, wenn übelste Schurken ihre verdiente Strafe erhalten – oft genug den Tod. In der Regel und so auch im Falle von „Kinjite – Tödliches Tabu“ sind die Verbrechen so verabscheuungswürdig, dass wir schnell geneigt sind, ihr sie am Ende ereilendes Schicksal für richtig zu halten. Welche Tür damit geöffnet wird, mag nicht jedem Zuschauer klar sein. Dafür kann man diese Filme auch mit Fug und Recht kritisieren – und sich dennoch an ihnen erfreuen. In den 70er- und 80er-Jahren war es überhaupt kein Problem, dass speziell Hollywood einen Selbstjustiz befürwortenden oder gar verherrlichenden Film nach dem anderen in die Kinos brachte. In unseren heutigen, eher politisch korrekten Zeiten sind Cops wie Clint Eastwoods Dirty Harry und diverse von Charles Bronson gespielte Typen nur noch selten anzutreffen.

Der Actionkrimi hat starke, obgleich bittere Szenen, etwa wenn den Ermittlern im Falle eines entführten japanischen Mädchens gerade erklärt wird, dass diese aufgrund der Sitten und Gebräuche des Landes stets unberührt und unschuldig seien, während die Teenagerin andernorts von ihren Kidnappern gerade wiederholt vergewaltigt wird, um sie auf ihr Dasein als Zwangsprostituierte vorzubereiten. So abgebrüht kann man kaum sein, dass einen dies kaltlässt. Als Ausgleich gibt es punktuell auch ein paar schwarzhumorige Einlagen.

Charles Bronson, wie wir ihn kennen

Bis klar ist, weshalb Hiroshi Hada überhaupt vorkommt, vergeht eine ganze Weile; die Szenen mit ihm wirken seltsam distanziert zum übrigen Geschehen. Nachdem der Japaner an die Story angedockt ist, nimmt sie Fahrt auf. Bronsons Lieutenant Crowe verhält sich so, wie man das von Bronsons ähnlichen Rollen – etwa unter Regisseur Thompson – kennt und hier auch erwartet. Aber er ist auch als Schauspieler versiert genug, um seiner Figur ein paar Facetten zu verleihen, etwa wenn er gegenüber seiner Frau überlegt, den Dienst zu quittieren, weil sich sein Verhalten dem der Typen annähere, die er dingfest machen soll. Es war im Übrigen Charles Bronsons letzter Film für Cannon.

Danny Trejo!

Obacht ganz am Ende: Wer entdeckt Danny Trejo („Machete Kills“) in einer klitzekleinen Rolle als Knastinsasse? 1990 indiziert, wurde „Kinjite – Tödliches Tabu“ 2015 turnusmäßig nach 25 Jahren vom Index gestrichen. Der Actionkrimi ist kein Meisterwerk des Copfilms, dafür zu generisch (wenngleich mit ein paar originellen Details) und in der Befürwortung von Selbstjustiz zu sehr von gestern. Aber J. Lee Thompson weiß, wie man knallharte Krimi-Action inklusive explosiven Showdown inszeniert, und bewährte Kost bietet eben auch verlässliche Qualität. Von mir aus hätten Thompson und Bronson noch ein paar gemeinsame Filme drehen können.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von J. Lee Thompson haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Charles Bronson und Danny Trejo unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 27. Oktober 2017 als Blu-ray und DVD

Länge: 98 Min. (Blu-ray), 94 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Kinjite – Forbidden Subjects
USA 1989
Regie: J. Lee Thompson
Drehbuch: Harold Nebenzal
Besetzung: Charles Bronson, Juan Fernández, Perry Lopez, James Pax, Peggy Lipton, Sy Richardson, Marion Yue, Bill McKinney, Gerald Castillo, Nicole Eggert, Amy Hathaway, Kumiko Hayakawa, Michelle Wong, Sam Chew Jr., Danny Trejo
Zusatzmaterial: Audiokommentar von Marco Erdmann vom Wicked Vision-Magazin, deutscher Trailer, Originaltrailer, Filmografien
Label: NSM Records
Vertrieb: Al!ve AG

Copyright 2021 by Volker Schönenberger
Unterer Packshot: © 2017 NSM Records

 

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