Nightlife
Kinostart: 13. Februar 2020
Von Philipp Ludwig
Komödie // Schlagworte wie „Deutsche Komödie“, „Elyas M’Barek“ oder „Berlin“ sorgen bei dem Autor dieser Zeilen in der Regel nur bedingt für Freudenstürme. Entsprechend skeptisch ging es daher auch in die durchaus schöne Astor Filmlounge in Hamburg, um dort in der abendlichen Pressevorführung einen ersten Eindruck von Simon Verhoevens neuestem Werk „Nightlife“ zu gewinnen. Nur zu oft tendiert der deutsche Film ja leider dazu, einen eher seichten und platten Humor auf sein Publikum loszulassen. Dazu mit den immer gleichen Stoffen (große Liebe mit Startproblemen oder Lebensprobleme hipper Großstadtmenschen) und gefühlt den immer gleichen Gesichtern. Neben M’Barek sei hier insbesondere auf den mittlerweile schier omnipräsenten Frederik Lau (unter anderem „Victoria“, „4 Blocks“) verwiesen, der als Darsteller ein erstaunliches Arbeitspensum beweist und neben seinen zahlreichen, anspruchsvollen Auftritten nun zunehmend das Klamauk-Gerne für sich entdeckt zu haben scheint. Überraschenderweise weiß Verhoeven mit seinem Film dennoch für einige kreative Einfälle und mitunter auch große Lacher zu sorgen – trotz einiger offensichtlicher Schwächen also kein kompletter Reinfall. Aber lag das überraschend positive Grundgefühl nach der Sichtung des Films tatsächlich am dargebotenen Inhalt oder doch vielmehr an dem zur Pressevorführung freundlicherweise gereichten Gin Tonic?
Zur Story: Milo (M’Barek) und Renzo (Lau) sind nicht nur seit der Kindheit beste Kumpels, sondern auch Mitbewohner und arbeiten gemeinsam als Barkeeper in einem Berliner Szenelokal. Als Milo eines Morgens nach einem weiteren anonymen One-Night-Stand durch Kreuzberg nach Hause geht, beobachtet er gleich eine ganze Reihe junger Eltern, die ihre Kinder in der Schule abliefern. Für ihn ist dies ein Moment der Erleuchtung: Er fühlt sich langsam alt und will raus aus dem Nachtleben, endlich einen Weg ins „Tagleben“ finden. Seriös werden, so richtig erwachsen, mit Kindern sowie Fahrradausflügen am Sonntag und dem ganzen Zeugs. Sein gutmütiger, aber auch immer etwas langsam denkender Kumpel Renzo stimmt ihm da total zu, während er nach einer durchzechten Nacht den morgendlichen Kater mit Aspirin und Joint zu verjagen versucht. Gerade auf Fahrradausflüge hätte er auch so richtig Lust, allein bei dem Gedanken daran kämen ihm schon fast die Freudentränen. Milo wird sich wahrscheinlich hier schon (und wohl nicht zum ersten Mal) fragen, ob sein chaotischer Kumpel Renzo wirklich der richtige Partner für den nächsten Schritt ist. Merkt er doch skeptisch an, dieser könne ja noch nicht einmal Fahrrad fahren.
Ein seriöser Plan
Nichtsdestotrotz will Milo den gemeinsamen Traum der beiden in Angriff nehmen: Endlich die eigene Bar besitzen, mal andere für sich im stressigen „Nightlife“ schuften lassen. Um den nötigen Kredit von der Bank zu bekommen, sind ihnen alle Mittel recht. So wird etwa der leicht dröge und nerdig veranlagte Sachbearbeiter Heiko (Leon Ullrich, „Eichwald MdB“) kurzerhand zu einem folgenreichen Besuch im Berliner Nachtleben eingeladen, ein Besuch bei dessen wöchentlichen Spieleabend versprochen oder Hilfe bei der Eroberung seiner Büroflamme Petra (Milena Dreißig, „Stromberg“) angeboten. Doch bei all ihren Überzeugungsversuchen gibt es ein unüberwindbares Problem: Renzos Vorstrafe. Dabei sei das ja keine große Sache gewesen, wie dieser versichert, da er damals ja „nur mal was von A nach B gefahren“ habe. Die Enttäuschung über den verpassten Kredit währt zumindest für Milo nur kurz, trifft er doch am Folgeabend bereits auf die schöne Sunny (Palina Rojinski, „Willkommen bei den Hartmanns“). Die toughe Managerin eines Plattenlabels scheint seine vermeintliche Liebe des Lebens zu sein. Aufgrund ihrer Vorbehalte gegenüber Typen aus dem Nachtleben, die in ihren Augen nur Stress bedeute, versucht er alles, um an dem ersten Date wie versprochen – und zudem stressfrei – teilzunehmen. Er will sich dabei auch nicht von der Tatsache aufhalten lassen, dass sich Renzo ungefragt erneut seine Kontakte zur Berliner Unterwelt zu nutzen machen wollte, um das nötige Kleingeld für ihre Bar anderweitig zu besorgen. Wobei er sich mal eben den Ärger des russischen Möchtegernpaten Sorokin (YouTube-Phänomen Mark Filatov, „Ost Boys“) zugezogen hat. Eine denkwürdige Nacht nimmt ihren Anfang.
Simon Verhoeven ist ein wahres Multitalent. Der Sohn der deutschen Schauspielerin Senta Berger stand als Jugendlicher beim TSV 1860 München vor einer Karriere als Profifußballer, bevor eine schwere Verletzung den Traum jäh beendete. Es folgten stattdessen unter anderem eine Ausbildung zum Filmkomponisten sowie eine Karriere als Schauspieler. Gerade als erfolgreicher Komödienregisseur konnte er in den letzten Jahren wiederholt auf sich aufmerksam machen und mit „Willkommen bei den Hartmanns“ und „Männerherzen“ große Publikumserfolge erschaffen. Mit seinem neuesten Werk „Nightlife“ versucht er nun offensichtlich, an Meilensteine des deutschen Buddy-Films wie „Absolute Giganten“, „Bang Boom Bang“ oder „Lammbock“ anzuknüpfen; indem er liebenswerte, aber auch leicht chaotisch veranlagte Freunde in ein verhängnisvolles, meist selbstverschuldetes Abenteuer wirft. Wobei diese genrebedingt natürlich auf eine ganze Reihe äußerst skurriler Figuren aus diversen Milieus am Rande der Gesellschaft treffen.
Licht und Schatten
Verhoeven kann diesen großen filmischen Fußstapfen allerdings nur bedingt gerecht werden. Wie bei seinen vorherigen Werken verbindet er auch in „Nightlife“ eine zwar gut gedachte Grundidee mit teilweise kreativen und urkomischen Einfällen. Doch leider steht ihm entweder der Mainstreamanspruch des Films oder vielleicht mitunter auch persönliches Unvermögen im Weg, sodass er sich leider immer mal wieder im allzu platten Holzhammerhumor verliert. Zudem macht er es sich als Regisseur und Autor wiederholt sehr einfach, indem er den Plot durch allerlei Zufälligkeiten und Deus-ex-Machina-Momenten am Laufen hält. Ist dies in gewissem Maße für das dem Abstrusen zugeneigte Genre durchaus üblich und zumindest für die Kurzweil der Erzählung förderlich, so wirkt das Ganze an zu vielen Stellen doch arg konstruiert. Ebenso wirkt die zugrunde liegende Darstellung des Berliner Nachtlebens und krimineller Machenschaften in einer aufgrund von Clankriminalität und anderer Umtriebe im Brennpunkt befindlichen Stadt wie Berlin – auch für den lockeren Anspruch einer Komödie – doch arg naiv.
Und trotz aller Vorbehalte gegenüber Schauspielern des Typus M’Barek, der auch hier wieder mit dem stets strahlenden, locker-leichten Lebemann Milo vor allem sich selbst zu spielen scheint, bringt dieser hier einen großen Vorteil mit sich: Den Hauptdarsteller verbinden sowohl mit Frederick Lau als auch Palina Rojinski jahrelange Freundschaften, das Trio versteht sich offensichtlich prächtig. So ist die positive Chemie zwischen den drei tragenden Figuren nicht gespielt und weiß durch die damit innewohnende Authentizität zu begeistern und anzustecken. Zudem bewies Verhoeven auch mit der Besetzung der Nebenrollen Fingerspitzengefühl. Neben dem bereits erwähnten, leicht verklemmten Banksachbearbeiter Heiko seien an dieser Stelle beispielsweise der österreichische Theater- und Fernsehstar Nicholas Ofczarek („Der Pass“) als bierbäuchig-versnobte, mit einer eigenen, tölpelhaften Hooligantruppe ausgestattete Berliner Unterweltgröße Kempa und „4 Blocks“-Kleingangster Rauand Taleb als Rollenspielfan Mennrich aus einer ganzen Reihe an lustigen wie einfallsreichen Figuren erwähnt. Wobei natürlich eine genrebedingte Überzeichnung der meisten Figuren zwangsläufig ist und auch hier am Ende nicht immer jeder implizierte Witz und humoristische Seitenhieb sitzt.
PR-Coup für die Generation YouTube?
Als besonders geschickt dürfte sich die Besetzung des russischen Kleingangsterbosses und Hüpfburgbetreibers Sorokin mit dem Internetstar Mark Filatov erweisen. Der russischstämmige Schauspieler und Regisseur erlangte mit der YouTube-Mockumentary „Ost Boys“ nicht nur Kultstatus gerade bei jüngeren Generationen – auf seinem Instagramprofil kann er zudem nun schon mehr als eine Million Follower aufweisen. So verwundert es nicht, dass in dem Kommentarbereich des verlinkten (sowie weiterer) Trailer auf YouTube gefühlt zwei Drittel der Bemerkungen Bezug zu Filatov oder dessen aus seiner populären Internet-Serie bekanntem Alter Ego Slavik aufweisen. Seine Rolle als zusätzliches Zugpferd dürfte er damit mehr als erfüllen. Ein durchaus geschickter Schachzug, neben den sowieso schon populären Darstellern M’Barek, Lau und Polinski auch hier eine kluge Wahl in der Besetzung zu treffen. Doch auch abseits solcher marketingtechnischer Überlegungen vermag gerade er es auf seine ganz eigene Art, seiner Figur eine spezielle humoristische Tiefe zu verleihen – damit sorgt er für einige der größeren Lacher.
Trotz einiger Schwächen überzeugt „Nightlife“ durch seine mitunter kreativen und gutplatzierten Gags, seine meist liebevoll gezeichneten Figuren und die kurzweilige Inszenierung. Wenn man bereit ist, seinen Denkapparat auch mal ein wenig herunterzufahren, kann man bei Simon Verhoevens neuester Komödie unterhalten werden, auch ohne sich im eigenen Intellekt zu sehr angegriffen zu fühlen. „Nightlife“ ist somit ein weiterer Kandidat aus der breiten Kategorie „Kann man gucken, muss man aber nicht“. So passt der im Film von Milo erwiderte Kommentar aufs Renzos Bemerkung, dessen neueste Bekanntschaft Sunny sei ja ganz schön anstrengend – da sie sich einmal (!) nach den Modalitäten für das anstehende Date erkundigte –, dies stimme zwar, aber immerhin auf eine liebenswerte Weise anstrengend, ebenso als Fazit für das Werk „Nightlife“ selbst. Da sich hier zwar die nervigen Begleiterscheinungen des deutschen Mainstreamfilms nicht vollends kaschieren lassen, aber durch dessen positiven Seiten durchaus dennoch Sympathie auslösen. Allerdings sollte man nicht zwingend den unten verlinkten Trailer als Maßstab nehmen. Der Film hat durchaus mehr humoristisches Potenzial, als man aufgrund der mitunter seltsam anmutenden Auswahl an Gags vermuten könnte.
„Da ziehe ich doch lieber zurück nach Hannover“
Es wäre für das deutsche Mainstreamkino dennoch wünschenswert, in den behandelten Stoffen ebenso wie der Besetzung sowie den Charakterzuschreibungen seiner Hauptfiguren künftig etwas mehr Risiko und Kreativität zu wagen, statt wie hier immer nur auf das bewährte Schema F zu setzen. Aber solange diese Filme ihr Publikum finden, wird sich wohl kaum etwas ändern und auch „Nightlife“ wird garantiert kein Schicksal als Kassengift ereilen. Gerade Fans der Hauptstadt dürften bei der Ode an das Berliner Nachtleben und hier ansässigen Kultstätten wie das Berghain besondere Freude empfinden. Auch wenn ich es persönlich eher mit der hier zitierten Filmfigur halten würde und der ganze Hype um Berlin zumindest an mir bislang vorbeigezogen ist. Nichtsdestotrotz sind es gerade die zahlreichen Anspielungen auf Großstadtprobleme wie die zugezogenen Spießer in hippen Szenevierteln, ein verheißungsvolles aber auch verruchtes Nachtleben und die überall gegenwärtigen Touristen, die mitunter für die stimmigsten Lacher im Film sorgen. Auch wenn die hier präsentierte Berlin-Liebe gerade für Menschen, die es anders sehen, ab einem gewissen Punkt zu nerven beginnt. Hannover muss es aber als Alternative dann auch nicht gleich sein. Da würden wohl auch keine Gin Tonics mehr zur persönlichen Aufheiterung helfen.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Frederick Lau haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.
Länge: 111 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Originaltitel: Nightlife
D 2020
Regie: Simon Verhoeven
Drehbuch: Simon Verhoeven
Besetzung: Elyas M’Barek, Frederick Lau, Palina Rojinski, Leon Ullrich, Mark Filatov, Caro Cult, Nicholas Ofczarek, Julian Looman, Cristina do Rego, Rauand Taleb, Milena Dreißig, Surho Sugaipov, Grit Boettcher
Verleih: Warner Bros. Entertainment GmbH
Copyright 2020 by Philipp Ludwig
Filmplakat, Szenenfotos & Trailer: © 2019 Warner Bros. Ent., Szenenfotos auch: © Frédéric Batier