RSS

Schlagwort-Archive: Frederick Lau

Nightlife – Auf liebenswerte Art anstrengend

Nightlife

Kinostart: 13. Februar 2020

Von Philipp Ludwig

Komödie // Schlagworte wie „Deutsche Komödie“, „Elyas M’Barek“ oder „Berlin“ sorgen bei dem Autor dieser Zeilen in der Regel nur bedingt für Freudenstürme. Entsprechend skeptisch ging es daher auch in die durchaus schöne Astor Filmlounge in Hamburg, um dort in der abendlichen Pressevorführung einen ersten Eindruck von Simon Verhoevens neuestem Werk „Nightlife“ zu gewinnen. Nur zu oft tendiert der deutsche Film ja leider dazu, einen eher seichten und platten Humor auf sein Publikum loszulassen. Dazu mit den immer gleichen Stoffen (große Liebe mit Startproblemen oder Lebensprobleme hipper Großstadtmenschen) und gefühlt den immer gleichen Gesichtern. Neben M’Barek sei hier insbesondere auf den mittlerweile schier omnipräsenten Frederik Lau (unter anderem „Victoria“, „4 Blocks“) verwiesen, der als Darsteller ein erstaunliches Arbeitspensum beweist und neben seinen zahlreichen, anspruchsvollen Auftritten nun zunehmend das Klamauk-Gerne für sich entdeckt zu haben scheint. Überraschenderweise weiß Verhoeven mit seinem Film dennoch für einige kreative Einfälle und mitunter auch große Lacher zu sorgen – trotz einiger offensichtlicher Schwächen also kein kompletter Reinfall. Aber lag das überraschend positive Grundgefühl nach der Sichtung des Films tatsächlich am dargebotenen Inhalt oder doch vielmehr an dem zur Pressevorführung freundlicherweise gereichten Gin Tonic?

Renzo (l.) und Milo genießen ihre Arbeit im Berliner Nachtleben

Zur Story: Milo (M’Barek) und Renzo (Lau) sind nicht nur seit der Kindheit beste Kumpels, sondern auch Mitbewohner und arbeiten gemeinsam als Barkeeper in einem Berliner Szenelokal. Als Milo eines Morgens nach einem weiteren anonymen One-Night-Stand durch Kreuzberg nach Hause geht, beobachtet er gleich eine ganze Reihe junger Eltern, die ihre Kinder in der Schule abliefern. Für ihn ist dies ein Moment der Erleuchtung: Er fühlt sich langsam alt und will raus aus dem Nachtleben, endlich einen Weg ins „Tagleben“ finden. Seriös werden, so richtig erwachsen, mit Kindern sowie Fahrradausflügen am Sonntag und dem ganzen Zeugs. Sein gutmütiger, aber auch immer etwas langsam denkender Kumpel Renzo stimmt ihm da total zu, während er nach einer durchzechten Nacht den morgendlichen Kater mit Aspirin und Joint zu verjagen versucht. Gerade auf Fahrradausflüge hätte er auch so richtig Lust, allein bei dem Gedanken daran kämen ihm schon fast die Freudentränen. Milo wird sich wahrscheinlich hier schon (und wohl nicht zum ersten Mal) fragen, ob sein chaotischer Kumpel Renzo wirklich der richtige Partner für den nächsten Schritt ist. Merkt er doch skeptisch an, dieser könne ja noch nicht einmal Fahrrad fahren.

Ein seriöser Plan

Nichtsdestotrotz will Milo den gemeinsamen Traum der beiden in Angriff nehmen: Endlich die eigene Bar besitzen, mal andere für sich im stressigen „Nightlife“ schuften lassen. Um den nötigen Kredit von der Bank zu bekommen, sind ihnen alle Mittel recht. So wird etwa der leicht dröge und nerdig veranlagte Sachbearbeiter Heiko (Leon Ullrich, „Eichwald MdB“) kurzerhand zu einem folgenreichen Besuch im Berliner Nachtleben eingeladen, ein Besuch bei dessen wöchentlichen Spieleabend versprochen oder Hilfe bei der Eroberung seiner Büroflamme Petra (Milena Dreißig, „Stromberg“) angeboten. Doch bei all ihren Überzeugungsversuchen gibt es ein unüberwindbares Problem: Renzos Vorstrafe. Dabei sei das ja keine große Sache gewesen, wie dieser versichert, da er damals ja „nur mal was von A nach B gefahren“ habe. Die Enttäuschung über den verpassten Kredit währt zumindest für Milo nur kurz, trifft er doch am Folgeabend bereits auf die schöne Sunny (Palina Rojinski, „Willkommen bei den Hartmanns“). Die toughe Managerin eines Plattenlabels scheint seine vermeintliche Liebe des Lebens zu sein. Aufgrund ihrer Vorbehalte gegenüber Typen aus dem Nachtleben, die in ihren Augen nur Stress bedeute, versucht er alles, um an dem ersten Date wie versprochen – und zudem stressfrei – teilzunehmen. Er will sich dabei auch nicht von der Tatsache aufhalten lassen, dass sich Renzo ungefragt erneut seine Kontakte zur Berliner Unterwelt zu nutzen machen wollte, um das nötige Kleingeld für ihre Bar anderweitig zu besorgen. Wobei er sich mal eben den Ärger des russischen Möchtegernpaten Sorokin (YouTube-Phänomen Mark Filatov, „Ost Boys“) zugezogen hat. Eine denkwürdige Nacht nimmt ihren Anfang.

Treffen sich zwei Piraten auf ’ne Currywurst: Sunny (l.) und Milo scheinen füreinander bestimmt

Simon Verhoeven ist ein wahres Multitalent. Der Sohn der deutschen Schauspielerin Senta Berger stand als Jugendlicher beim TSV 1860 München vor einer Karriere als Profifußballer, bevor eine schwere Verletzung den Traum jäh beendete. Es folgten stattdessen unter anderem eine Ausbildung zum Filmkomponisten sowie eine Karriere als Schauspieler. Gerade als erfolgreicher Komödienregisseur konnte er in den letzten Jahren wiederholt auf sich aufmerksam machen und mit „Willkommen bei den Hartmanns“ und „Männerherzen“ große Publikumserfolge erschaffen. Mit seinem neuesten Werk „Nightlife“ versucht er nun offensichtlich, an Meilensteine des deutschen Buddy-Films wie „Absolute Giganten“, „Bang Boom Bang“ oder „Lammbock“ anzuknüpfen; indem er liebenswerte, aber auch leicht chaotisch veranlagte Freunde in ein verhängnisvolles, meist selbstverschuldetes Abenteuer wirft. Wobei diese genrebedingt natürlich auf eine ganze Reihe äußerst skurriler Figuren aus diversen Milieus am Rande der Gesellschaft treffen.

Licht und Schatten

Verhoeven kann diesen großen filmischen Fußstapfen allerdings nur bedingt gerecht werden. Wie bei seinen vorherigen Werken verbindet er auch in „Nightlife“ eine zwar gut gedachte Grundidee mit teilweise kreativen und urkomischen Einfällen. Doch leider steht ihm entweder der Mainstreamanspruch des Films oder vielleicht mitunter auch persönliches Unvermögen im Weg, sodass er sich leider immer mal wieder im allzu platten Holzhammerhumor verliert. Zudem macht er es sich als Regisseur und Autor wiederholt sehr einfach, indem er den Plot durch allerlei Zufälligkeiten und Deus-ex-Machina-Momenten am Laufen hält. Ist dies in gewissem Maße für das dem Abstrusen zugeneigte Genre durchaus üblich und zumindest für die Kurzweil der Erzählung förderlich, so wirkt das Ganze an zu vielen Stellen doch arg konstruiert. Ebenso wirkt die zugrunde liegende Darstellung des Berliner Nachtlebens und krimineller Machenschaften in einer aufgrund von Clankriminalität und anderer Umtriebe im Brennpunkt befindlichen Stadt wie Berlin – auch für den lockeren Anspruch einer Komödie – doch arg naiv.

Gangster Sorokin (M.) interessiert sich in erster Linie für seine Kohle

Und trotz aller Vorbehalte gegenüber Schauspielern des Typus M’Barek, der auch hier wieder mit dem stets strahlenden, locker-leichten Lebemann Milo vor allem sich selbst zu spielen scheint, bringt dieser hier einen großen Vorteil mit sich: Den Hauptdarsteller verbinden sowohl mit Frederick Lau als auch Palina Rojinski jahrelange Freundschaften, das Trio versteht sich offensichtlich prächtig. So ist die positive Chemie zwischen den drei tragenden Figuren nicht gespielt und weiß durch die damit innewohnende Authentizität zu begeistern und anzustecken. Zudem bewies Verhoeven auch mit der Besetzung der Nebenrollen Fingerspitzengefühl. Neben dem bereits erwähnten, leicht verklemmten Banksachbearbeiter Heiko seien an dieser Stelle beispielsweise der österreichische Theater- und Fernsehstar Nicholas Ofczarek („Der Pass“) als bierbäuchig-versnobte, mit einer eigenen, tölpelhaften Hooligantruppe ausgestattete Berliner Unterweltgröße Kempa und „4 Blocks“-Kleingangster Rauand Taleb als Rollenspielfan Mennrich aus einer ganzen Reihe an lustigen wie einfallsreichen Figuren erwähnt. Wobei natürlich eine genrebedingte Überzeichnung der meisten Figuren zwangsläufig ist und auch hier am Ende nicht immer jeder implizierte Witz und humoristische Seitenhieb sitzt.

PR-Coup für die Generation YouTube?

Als besonders geschickt dürfte sich die Besetzung des russischen Kleingangsterbosses und Hüpfburgbetreibers Sorokin mit dem Internetstar Mark Filatov erweisen. Der russischstämmige Schauspieler und Regisseur erlangte mit der YouTube-Mockumentary „Ost Boys“ nicht nur Kultstatus gerade bei jüngeren Generationen – auf seinem Instagramprofil kann er zudem nun schon mehr als eine Million Follower aufweisen. So verwundert es nicht, dass in dem Kommentarbereich des verlinkten (sowie weiterer) Trailer auf YouTube gefühlt zwei Drittel der Bemerkungen Bezug zu Filatov oder dessen aus seiner populären Internet-Serie bekanntem Alter Ego Slavik aufweisen. Seine Rolle als zusätzliches Zugpferd dürfte er damit mehr als erfüllen. Ein durchaus geschickter Schachzug, neben den sowieso schon populären Darstellern M’Barek, Lau und Polinski auch hier eine kluge Wahl in der Besetzung zu treffen. Doch auch abseits solcher marketingtechnischer Überlegungen vermag gerade er es auf seine ganz eigene Art, seiner Figur eine spezielle humoristische Tiefe zu verleihen – damit sorgt er für einige der größeren Lacher.

Milo (l.) und Renzo müssen sich schnell etwas einfallen lassen

Trotz einiger Schwächen überzeugt „Nightlife“ durch seine mitunter kreativen und gutplatzierten Gags, seine meist liebevoll gezeichneten Figuren und die kurzweilige Inszenierung. Wenn man bereit ist, seinen Denkapparat auch mal ein wenig herunterzufahren, kann man bei Simon Verhoevens neuester Komödie unterhalten werden, auch ohne sich im eigenen Intellekt zu sehr angegriffen zu fühlen. „Nightlife“ ist somit ein weiterer Kandidat aus der breiten Kategorie „Kann man gucken, muss man aber nicht“. So passt der im Film von Milo erwiderte Kommentar aufs Renzos Bemerkung, dessen neueste Bekanntschaft Sunny sei ja ganz schön anstrengend – da sie sich einmal (!) nach den Modalitäten für das anstehende Date erkundigte –, dies stimme zwar, aber immerhin auf eine liebenswerte Weise anstrengend, ebenso als Fazit für das Werk „Nightlife“ selbst. Da sich hier zwar die nervigen Begleiterscheinungen des deutschen Mainstreamfilms nicht vollends kaschieren lassen, aber durch dessen positiven Seiten durchaus dennoch Sympathie auslösen. Allerdings sollte man nicht zwingend den unten verlinkten Trailer als Maßstab nehmen. Der Film hat durchaus mehr humoristisches Potenzial, als man aufgrund der mitunter seltsam anmutenden Auswahl an Gags vermuten könnte.

„Da ziehe ich doch lieber zurück nach Hannover“

Es wäre für das deutsche Mainstreamkino dennoch wünschenswert, in den behandelten Stoffen ebenso wie der Besetzung sowie den Charakterzuschreibungen seiner Hauptfiguren künftig etwas mehr Risiko und Kreativität zu wagen, statt wie hier immer nur auf das bewährte Schema F zu setzen. Aber solange diese Filme ihr Publikum finden, wird sich wohl kaum etwas ändern und auch „Nightlife“ wird garantiert kein Schicksal als Kassengift ereilen. Gerade Fans der Hauptstadt dürften bei der Ode an das Berliner Nachtleben und hier ansässigen Kultstätten wie das Berghain besondere Freude empfinden. Auch wenn ich es persönlich eher mit der hier zitierten Filmfigur halten würde und der ganze Hype um Berlin zumindest an mir bislang vorbeigezogen ist. Nichtsdestotrotz sind es gerade die zahlreichen Anspielungen auf Großstadtprobleme wie die zugezogenen Spießer in hippen Szenevierteln, ein verheißungsvolles aber auch verruchtes Nachtleben und die überall gegenwärtigen Touristen, die mitunter für die stimmigsten Lacher im Film sorgen. Auch wenn die hier präsentierte Berlin-Liebe gerade für Menschen, die es anders sehen, ab einem gewissen Punkt zu nerven beginnt. Hannover muss es aber als Alternative dann auch nicht gleich sein. Da würden wohl auch keine Gin Tonics mehr zur persönlichen Aufheiterung helfen.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Frederick Lau haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Milo (r.) lässt sich nicht von einem Date mit seiner Traumfrau abhalten – oder?

Länge: 111 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Originaltitel: Nightlife
D 2020
Regie: Simon Verhoeven
Drehbuch: Simon Verhoeven
Besetzung: Elyas M’Barek, Frederick Lau, Palina Rojinski, Leon Ullrich, Mark Filatov, Caro Cult, Nicholas Ofczarek, Julian Looman, Cristina do Rego, Rauand Taleb, Milena Dreißig, Surho Sugaipov, Grit Boettcher
Verleih: Warner Bros. Entertainment GmbH

Copyright 2020 by Philipp Ludwig

Filmplakat, Szenenfotos & Trailer: © 2019 Warner Bros. Ent., Szenenfotos auch: © Frédéric Batier

 

Schlagwörter: , , , , , , , , ,

Dem Horizont so nah – „Love Story“ zum Heulen schön

Dem Horizont so nah

Kinostart: 10. Oktober 2019

Von Iris Janke

Melodram // Eins ist klar: Vergleicht man Tim Trachtes („Abschussfahrt“) Verfilmung „Dem Horizont so nah“ nach dem überaus erfolgreichen Jugendroman von Jessica Koch mit rührigen Buch- und Film-Klassikern wie „Love Story“, liegt die Messlatte extrem hoch. Trotzdem: „Dem Horizont so nah“ erinnert an eben jenen Tränen-Klassiker von 1970 von Erich Segal und dessen Verfilmung mit Ryan O’Neal und Ali MacGraw als Liebespaar in den Hauptrollen. Fans jüngerer tragisch-schöner Liebesgeschichten werden vermutlich eher Fime wie „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ (2014) und „Drei Schritte zu dir“ (2019) einfallen. Was diese Geschichte und ihre Verfilmung glaubhafter und damit noch ein bisschen verhängnisvoller, aber auch faszinierend macht: Sie ist wahr. Es ist die Liebesgeschichte der Autorin Jessica Koch selbst.

Danny und Jessica sind ein fast normales Liebespaar

Irgendwann Ende der 90er-Jahre verliebt sich die hübsche 18-jährige Jessica (Luna Wedler) aus solidem Elternhaus in den charmanten jungen Danny (Jannik Schümann). Die patente Jessica hat noch keine konkreten Pläne für ihr Leben, sie jobbt nach der Schule im Catering-Betrieb ihrer Eltern. Der umschwärmte Danny hingegen scheint sein Leben bereits im Griff und seine Zukunft durchgeplant zu haben: Er lächelt als Männer-Model von Plakatwänden, ist sportlich auf Kickbox-Wettkämpfen erfolgreich und lebt in einem schicken Loft mit seiner platonischen Freundin Tina (Luise Befort) zusammen. Kurzum, Danny scheint der Typ zu sein, dem die Mädchen scharenweise hinterherlaufen.

Die beiden genießen ihre gemeinsame Zeit

Dass das tatsächlich der Fall ist, ahnt Jessica, den Grund, warum Danny auf viele Avancen nicht eingeht, erfährt sie von seiner Mitbewohnerin Tina: Danny verbirgt ein dunkles Geheimnis, das auch Jessica gefährlich werden könnte … Trotz dieses Wissen will Jessica um ihre Liebe zu Danny kämpfen – notfalls gegen die Bedenken ihrer Eltern und Freunde. Danny seinerseits verstrickt sich ebenfalls immer mehr in seine Gefühle zu Jessica – entgegen Tinas gutgemeintem Ratschlag, lieber den Rückzug anzutreten.

Danny (r.) ist vom sportlichen Ehrgeiz gepackt

Tim Trachtes Film funktioniert vor allem wegen seiner beiden perfekt aufeinander abgestimmten jungen Hauptdarsteller. Luna Wedler und Jannik Schümann verkörpern glaubhaft das schöne junge Liebespaar, das entgegen aller Widerstände zueinander zu finden versucht. Vor allem weibliche junge Kinofans dürfen wegen Jannik Schümann, der zuvor vor allem als jugendlicher Bösewicht besetzt wurde („Charité“, „Die Mitte der Welt“) und der seinen Körper nun modelmäßig traniert hat, an die Kinokasse strömen. Als Identifikationsfigur für die Teenager-Altersklasse dient die Schweizerin Luna Wedler („Das schönste Mädchen de Welt“) als selbstbewusste Jessica. Schauspielerin Luna Wedler wurde für ihr darstellerisches Können 2018 auf der Berlinale zum European Shooting Star gekürt.

Zuschauerin beim Kickbox-Wettkampf: Jessica (M.) fiebert mit

Lässt man sich also auf den Film „Dem Horizont so nah“ mit seinen kitschig-schönen Bildern in warmen Farben und seinen tollen Darstellern ein, dann bleiben – wie im Buch – vor allem die großen Gefühle.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Frederick Lau haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Länge: 109 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Originaltitel: Dem Horizont so nah
D 2019
Regie: Tim Trachte
Drehbuch: Ariane Schröder, nach einen Roman von Jessica Koch
Besetzung: Luna Wedler, Jannik Schümann, Luise Befort, Frederick Lau, Denis Moschitto, Victoria Mayer, Stephan Kampwirth
Verleih: Studiocanal Filmverleih

Copyright 2019 by Iris Janke

Filmplakate, Szenenfotos & Trailer: © 2019 Studiocanal Filmverleih, Szenenfotos auch: © Bernd Spauke

 

Schlagwörter: , , , , , , , ,

Der Hauptmann: Kleider machen Leute – und Massenmörder

Der Hauptmann

Von Volker Schönenberger

Kriegsdrama // Im April 1945 neigt sich der Zweite Weltkrieg auf deutschem Boden dem Ende zu. Eine Schar Wehrmachtssoldaten jagt einen der ihren durch Wald und Flur. Doch sie haben getrunken, ihre Kugeln verfehlen das Ziel. Es gelingt dem Deserteur Willi Herold (Max Hubacher), seinen Häschern zu entkommen. Mehr schlecht als recht und unzureichend bekleidet schlägt er sich ein paar Tage durch, bis er in einem verlassenen Auto Ausrüstung, Proviant und eine Hauptmanns-Uniform findet. Das Überziehen der höherrangigen Tracht wirkt umgehend: Der versprengte Gefreite – oder ebenfalls Deserteur – Walter Freytag (Milan Peschel) hält Herold für einen echten Hauptmann und bittet darum, sich ihm unterstellen zu dürfen. In einem Dorfgasthof behauptet Herold dreist, Plünderungen durch Deserteure protokollieren zu wollen, damit die Geschädigten später Schadenersatz erhalten. Das nötigt ihn kurz darauf, einen Deserteur zu erschießen, eine Aufgabe, die der falsche Hauptmann kaltblütig erledigt. Bald schließen sich ihm weitere desertierte oder von ihren Einheiten getrennte Soldaten an, darunter der Gefreite Kipinski (Frederick Lau). Schließlich erreicht der kleine Trupp ein Strafgefangenenlager. Auch dort zieht Herold seine Nummer durch – immerhin hat er Einsatzbefehl und Befugnisse „vom Führer persönlich“ erhalten …

Auf Menschenjagd – aber vergeblich

Der deutsche Drehbuchautor und Regisseur Robert Schwentke („R.E.D. – Älter, Härter, Besser“, 2010) hat es riskiert, „Der Hauptmann“ im vermeintlich altmodischen Schwarz-Weiß zu inszenieren. Er tat gut daran, hätten einige der blutigen Szenen das Werk für manche Filmgucker doch womöglich als Splatter-Exzess in Exploitation-Gefilden verortet. Und dort gehört es beileibe nicht hin. Der Verzicht auf Farbe hält uns auch ein wenig auf Distanz – zu nah will man dem bitteren Geschehen auch nicht kommen, es wirkt auch so tief genug nach. Die Gewaltszenen sind schonungslos, auch wenn Schwentke seinen Kameramann Florian Ballhaus nicht ganz draufhalten lässt. Aber wenn ein schweres Maschinengewehr voll auf einen in einer Grube stehenden Haufen Todgeweihter hält, wissen wir auch so, dass das, was da hochspritzt, nicht nur Sand ist. Beim internationalen Filmfestival von San Sebastián gab’s 2017 für den Sohn von Kamera-Legende Michael Ballhaus den Preis für die beste Kamera.

Gebt mir eine Uniform!

Wir haben es mit einem ernsthaften und erschütternden Kriegsdrama zu tun, das einen Blick auf Mechanismen von Machtausübung wirft. Wenn das Überwerfen einer Uniform seinem Träger sogleich die Macht über Leben und Tod verleiht, hat das zwar im in den letzten Zügen liegenden „Dritten Reich“ viel mit der langen militaristischen Tradition Deutschlands und Preußens zu tun, es zeigt aber auch, wie leicht wir unter verschiedenen Deckmänteln agierenden Rattenfängern auf den Leim gehen können.

Willi Herold übernimmt das Kommando

Max Hubacher („Mario“) spielt Willi Herold eiskalt und skrupellos. Am Ende redet er sich sogar noch vor dem deutschen Militärgericht heraus. Für die Gewissensbisse ist der von Milan Peschel („Gundermann“) verkörperte Gefreite Freytag zuständig, während der von Frederick Lau („Victoria“) gespielte Gefreite Kipinski die Gelegenheit nutzt, richtig aufzudrehen. Das gesamte Ensemble passt vorzüglich.

Der Hauptmann von Köpenick war uns lieber

„Der Hauptmann“ zeigt eine Köpenickiade der grausamen Art. Und ebenso wie den Schuster Friedrich Wilhelm Voigt, der als Hauptmann von Köpenick Berühmtheit erlangte, hat es Willi Herold tatsächlich gegeben: Der im September 1925 geborene Schornsteinfegerlehrling war 1943 zum Wehrdienst eingezogen und im Krieg in Italien eingesetzt worden. Seine im Film gezeigten Gräueltaten an der Heimatfront sind belegt, sie lassen in ihrer Kaltschnäuzigkeit frösteln, zumal Herold nicht als überzeugter Nazi galt. Er starb am 14. November 1946 mit einigen Spießgesellen als Kriegsverbrecher unter dem Fallbeil. Seine Taten sind bereits 1998 im Dokumentarfilm „Der Hauptmann von Muffrika – Eine mörderische Köpenickade“ aufgearbeitet worden. Zur Lektüre sei „Der Henker vom Emsland – Dokumentation einer Barbarei am Ende des Krieges 1945“ von T. X. H. Pantcheff empfohlen, erschienen 1995.

Der Gefreite Kipinski mischt eifrig mit

Robert Schwentke machte erstmals 2002 mit dem düsteren Thriller „Tattoo“ auf sich aufmerksam – auch in Hollywood bemerkte man sein Talent, bald durfte er sich in der Traumfabrik verdingen. Dort schlug er sich mal besser („Flightplan – Ohne jede Spur“, 2005), mal schlechter („R.I.P.D.“, 2013). Nach „Die Bestimmung – Insurgent“ (2015) und „Die Bestimmung – Allegiant“ (2016) zog es ihn für „Der Hauptmann“ zurück in seine Heimat. Gut so!

Das Schnellgericht Herold sucht Görlitz heim

Mit zehn anderen Filmen war „Der Hauptmann“ in der Auswahl, für Deutschland ins Rennen um den Oscar 2019 als bester fremdsprachiger Film zu gehen, kürzlich wurde dann aber „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck ausgewählt. Sicher ebenfalls ein herausragender Film, und an der Klasse von Robert Schwentkes Regiearbeit ändert die Nichtnominierung nichts. Wenn der Regisseur seine Hauptfiguren im Abspann im alten Militärfahrzeug mit der Aufschrift „Schnellgericht Herold“ durch die Straßen des modernen Görlitz fahren und Passanten drangsalieren lässt, schlägt er damit einen zwar plakativen, aber wirkungsvollen Bogen ins Hier und Heute. Deutschland mag keine militaristische Nation mehr sein, aber dass sich auch unter unserer demokratisch-freiheitlichen Grundordnung manipulative Wortführer und viele manipulierbare Menschen tummeln, ist nicht zu bestreiten. Robert Schwentke hat im Interview geäußert, mit diesen Szenen auch das Wirken/Wüten des sogenannten Islamischen Staats (IS) in Timbuktu 2012 und Ereignisse in Sarajevo während des Bosnienkriegs 1992 bis 1995 kommentiert zu haben. Er bezieht das allerdings auch auf die Situation in Deutschland, wie er weiter ausführte: Mir ist wichtig, dass die Leute verstehen, dass am Anfang aller Massaker eine verschärfte Rhetorik steht – erst kommen die brutalen Worte, dann die brutalen Taten. Und im Augenblick ist die Rhetorik in der Bundesrepublik wieder scharf. Das muss man stringenter bekämpfen, das darf sich nicht normalisieren. „Der Hauptmann“ mag sich an einem historischen Thema abarbeiten, welches für viele nur in einer fernen Vergangenheit liegt. Das Kriegsdrama berührt dennoch ganz aktuelle Befindlichkeiten. Die Täter sind schon wieder auf den Straßen. Ein wichtiger Film, der viel Aufmerksamkeit verdient hat.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Robert Schwentke haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Frederick Lau unter Schauspieler. Einen lesenswerten Text zu „Der Hauptmann“ hat auch Christoph auf dem „Fluxkompensator“ veröffentlicht.

„Hauptmann“ Herold und sein zusammengewürfelter Trupp

Veröffentlichung: 7. September 2018 als Blu-ray und DVD

Länge: 119 Min. (Blu-ray), 115 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, auch mit Audiodeskription für Sehbehinderte
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
Originaltitel: Der Hauptmann
Internationaler Titel: The Captain
D/POL/POR/F 2017
Regie: Robert Schwentke
Drehbuch: Robert Schwentke
Besetzung: Max Hubacher, Milan Peschel, Frederick Lau, Waldemar Kobus, Alexander Fehling, Samuel Finzi, Wolfram Koch, Britta Hammelstein
Zusatzmaterial: Interviews mit den Darstellern Max Hubacher, Frederick Lau und Milan Peschel sowie Produzent Frieder Schlaich, Hinter den Kulissen („Die Flucht“, 7:52, „Das Versteck“, 8:59), Storyboard-Film-Vergleich (3:45), Featurette „Die Entstehung der Wurzel“ (4:45), unveröffentlichte Szene, Soundtrack-Video, Trailer, Trailershow, Wendecover
Label/Vertrieb: Universum Film

Copyright 2018 by Volker Schönenberger
Fotos & Packshot: © 2018 Universum Film

 
 

Schlagwörter: , , , , , , , , , , , ,