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Robert Siodmak (II): Gewagtes Alibi – Blind vor Liebe

10 Apr

Gewagtes_Alibi-Packshot

Criss Cross

Von Ansgar Skulme

Krimidrama // Steve Thompson (Burt Lancaster) will seine alte Liebe Anna (Yvonne De Carlo) zurück. Ihretwegen sucht er den Weg nach Los Angeles, doch Anna hat sich mittlerweile mit dem Gangster Slim Dundee (Dan Duryea) eingelassen. Slim merkt, dass Steve ihm zwar privat gefährlich werden kann, mit diesem verliebten Kerl jedoch vielleicht auch gutes Geld zu machen ist. Wenn ihm ein Wachmann für Geldtransporte so einfach vor die Füße fällt und blind vor Liebe zu allem bereit scheint, lässt sich das ein gewiefter Krimineller schließlich nicht zweimal sagen und vielleicht lassen sich ja sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen …

Nach Universals „Der schwarze Spiegel“ (1946) und dem für 20th Century Fox produzierten „Schrei der Großstadt“ (1948) war „Gewagtes Alibi“ der dritte Film noir, den Robert Siodmak in Folge seines großen Hits „Die Killer“ (1946) ablieferte, und der erste, der offenkundig mit dem Ziel produziert wurde, eng an das Erfolgsrezept dieses Genre-Highlights anzuschließen. Im Hause Universal forderte man anscheinend mehr davon ein – und Siodmak stand beim Studio unter Vertrag und somit in der Pflicht. Erneut engagierte man Burt Lancaster für die Hauptrolle, erneut durfte Miklós Rózsa die Musik komponieren. Die instrumentalen Harmonien erinnern oft an „Die Killer“, auch Settings und Kameraeinstellungen greifen Motive dieses Films auf – etwa bei der Autofahrt zur Küste, die stark an das Intro des Erfolges von 1946 erinnert. Die Story um einen Mann, der für eine Frau bis aufs Letzte alles tun würde, wird hier einmal mehr auf die Spitze getrieben.

Alibi-Story statt coole Killer?

So routiniert das alles gemacht ist, wirkt der Film aus heutiger Sicht deutlicher als viele andere Genrebeiträge wie eine nach Strich und Faden einem „Schema F“ folgende Produktion, vor allem für Siodmaks Verhältnisse. Die meisten Film noirs von Robert Siodmak zeichnen sich durch zueinander recht individuelle Storys und Herangehensweisen aus. Da haben wir bis dato etwa den überraschend undurchschaubaren Verrückten in „Zeuge gesucht“ (1944), den verzweifelten Mörder in „Unter Verdacht“ (1944), der quasi in psychologischer Pein aus Notwehr tötet, das Verwirrspiel „Onkel Harrys seltsame Affäre“ (1945), das Horror/Noir-Gemisch „Die Wendeltreppe“ (1945), die kuriose Doppelgänger-Story in „Der schwarze Spiegel“, den mit der Integration in die Gesellschaft hantierenden „Schrei der Großstadt“ (1948). Mal experimentierte Siodmak besonders stark mit Licht und Schatten, mal mit Doppelbelichtung, mal mit neorealistischen Anklängen und vielen Nahaufnahmen. „Gewagtes Alibi“ jedoch ist ein Abziehbild von „Die Killer“ und krankt an Alleinstellungsmerkmalen. Die Highlights des Streifens finden sich vor allem in den Nebenrollen, wo Stephen McNally als väterlicher Freund, der am blinden Eifer des Protagonisten scheitert, in einer seiner wahrscheinlich besten Filmrollen zu sehen ist, Percy Helton als Barkeeper eine amüsant eigenwillige und penetrante Vorstellung abliefert und Dan Duryea schließlich sogar die Schlussszene stiehlt. Die letzte Nahaufnahme des Films ist wahrscheinlich die beste. Zudem fehlt „Gewagtes Alibi“ das Gegengewicht zum Scheitern des Protagonisten. Hatte man in „Die Killer“ über die Story des Schweden (Burt Lancaster) hinaus noch den coolen Plot mit Edmond O’Brien, der die Geschichte aufrollt, auf der einen und den beiden Killern auf der anderen Seite, fehlt „Gewagtes Alibi“ diese Meta-Ebene.

Ein halbgarer Anti-Held auf ausgetretenen Pfaden

Man ist mit Burt Lancasters Figur praktisch allein gelassen und wird Zeuge, wie sich dieser Steve Thompson auf beinahe absurd zielstrebige Weise Hals über Kopf wegen einer Frau ins Unglück stürzt, ohne dass dieses Verhalten wirklich nachvollziehbar wird. Der Film ist ziemlich vorhersehbar, da Steve Thompson von vornherein den Eindruck vermittelt, dass mit ihm einfach nicht zu reden ist und er sich um jeden Preis für diese Frau kaputt machen will und wird. In manchen Szenen wirkt die Dickköpfigkeit der Figur derart demonstrativ, dass man das Gefühl nicht los wird, Steve Thompson sei mit gar nichts beizukommen. Da mag sich der von Stephen McNally verkörperte Cop den Mund wund reden wie er möchte: Steve Thompson ist und bleibt ein gegen jede Vernunft vernarrter Waschlappen. Das wäre alles vielleicht noch recht unterhaltsam, hätte die weibliche Figur ein Charisma wie beispielsweise Marlene Dietrich in „Der blaue Engel“ (1930), Rita Hayworth in „Blood & Sand“, hierzulande besser bekannt als „König der Toreros“ (1941), oder Ava Gardner in Siodmaks „Die Killer“. In diesen Filmen konnte man greifen, warum Emil Jannings und Tyrone Power, ja nicht zuletzt sogar Lancaster selbst für die jeweilige Frau jegliche Vernunft aus den Augen verlieren. Obwohl Yvonne De Carlo eine durchaus gute, resolute Schauspielerin war, die ich sogar als unterschätzt bewerte, gelang es ihr in „Gewagtes Alibi“ nicht so recht, greifbar zu machen, warum Steve Thompson Anna so vergöttert, dass er den Verstand darüber verloren zu haben scheint. Man mag nun argumentieren, dass die Femme fatale mitsamt ihres fatalen Einflusses auf einen bestimmten Mann ein zentrales Thema des Film noirs ist und blindlings vernarrte Männer an sich nichts Ungewöhnliches für das Genre, ja vielleicht sogar wichtig sind. Das stimmt zweifelsohne, jedoch scheint es zentral, dass dem Ganzen trotz der überspitzten Dramaturgie eines solchen Noirs eben doch eine gewisse Glaubwürdigkeit inmitten des Fatalistischen innewohnt. Ob die Figuren an sich unglaubwürdig sind, ist sekundär. Entscheidend ist, ob sie auch offenkundig unglaubwürdig wirken und dieser Eindruck, mangels sonstiger Bonuspunkte, am Ende sogar die Überhand gewinnt. „Gewagtes Alibi“ hat genau dieses Problem: Die beiden Hauptfiguren überzeugen nicht und in den meisten anderen Belangen ist der Film viel zu vorsichtig und vage. Während „Schrei der Großstadt“ unmittelbar zuvor auch visuell ein auffälliges, klares, individuelles Konzept mit vielen Nahaufnahmen und kammerspielartigen Szenen hatte, die die Großstadt und die Aufnahmen im Freien clever kontrastierten, ist das auffälligste Konzept von „Gewagtes Alibi“ leider lediglich die Nachahmung von „Die Killer“.

Auf Deutsch nicht besser

Eine Problematik der im Oktober 1953 ins Kino gekommenen deutschen Fassung ist zudem, dass der an sich sehr gute Synchronsprecher Klaus Schwarzkopf, der später vor allem als erste dauerhafte Stimme von Inspektor „Columbo“ (Peter Falk) Bekanntheit erlangte, für Burt Lancaster leider völlig fehlbesetzt ist. Er klingt nicht nur zu jung, sondern hatte zum damaligen Zeitpunkt für Lancaster auch eine zu hohe Stimme. Dadurch wird der Eindruck, dass Steve Thompson ein ziemlicher Weichmeier ist, sogar noch zusätzlich verstärkt, was sich auf den Film überaus unglücklich auswirkt. Umso tragischer ist es, dass man Lancasters Sprecher aus „Die Killer“, Curt Ackermann, stattdessen für Stephen McNally hört. Ackermann macht das hervorragend, er fehlt für Lancaster trotzdem schmerzlich. Es überrascht in jedem Fall gar nicht, dass Klaus Schwarzkopf Burt Lancaster in diesem Film zum ersten und einzigen Male synchronisierte, während Ackermann, der Lancaster zuvor auch bereits in „Zelle R 17“ (1947) gesprochen hatte, zu weiteren Einsätzen in den großen Klassikern „Vera Cruz“ (1954), „Massai – Der große Apache“ (1954), „Der Mann aus Kentucky“ (1955) und „Trapez“ (1956) kam. Bis auf Schwarzkopf ist die deutsche Fassung zwar durchaus gelungen – genial vor allem Hans Hessling, der spätere erste Asterix-Sprecher, als Barkeeper (Percy Helton) –, aber eine akut fehlbesetzte Hauptrolle kann so einer Fassung durchaus einmal ein komplett irreführendes Vorzeichen geben. Für dieses Phänomen ist „Gewagtes Alibi“ leider ein sehr gutes Beispiel. Man kann den Spieß allerdings auch umdrehen und den Sachverhalt so deuten, dass die Rolle des Steve Thompson von den deutschen Verantwortlichen um Dialogregisseur Hugo Schrader aus verständlichen Gründen als naiver junger Tölpel aufgefasst wurde und man mit dieser ungewöhnlichen Synchron-Besetzung absichtlich versuchte, Lancaster jünger und verletzlicher wirken zu lassen, um das alberne, ansatzlos selbstzerstörerische und kaum nachvollziehbare Verhalten der Figur praktisch indirekt zu rechtfertigen, während der verdammt souveräne Curt Ackermann nun die Rolle sprach, die Steve Thompson ständig vergeblich zur Vernunft zu bringen versucht. Durchaus eine kuriose Konstellation. Das wäre alles halb so schlimm, hätte Ackermann nicht schon in dem bereits drei Jahre zuvor in Deutschland veröffentlichten „Die Killer“ bewiesen, dass er Lancaster in einer so gearteten Rolle durchaus zu vertonen wusste.

Trotzdem kaufen?

Trotz allem muss man festhalten: Es ist nicht so, dass sich dieser Film nur für Komplettisten lohnt oder weil er das wahrscheinliche Spielfilm-Debüt von keinem Geringeren als Tony Curtis beinhaltet, der in einer schick gefilmten, allerdings auf die Dame fokussierten Tanzszene gleich einmal Yvonne De Carlo als Partnerin ergatterte. „Gewagtes Alibi“ ist sicher einer der schwächsten, beliebigsten Film noirs von Robert Siodmak, zeigt die Konventionen und Klischees des Genres aber trotzdem recht gut und, allen Widrigkeiten zum Trotz, auch recht unterhaltsam auf. Wenn man Systematiken des Film noirs demonstrieren will, eignet sich das Werk allemal. Siodmak beherrschte die Regeln dieser Kunst wie kaum ein anderer. „Gewagtes Alibi“ ist kein schlechter Film und die Erzählweise ist narrativ wie auch stilistisch letztlich ausreichend schlüssig, nur mangelt es an hervorragenden Momenten und vor allem guten Figuren. Für einen Siodmak-Film in dessen Paradegenre ist das enttäuschend, innerhalb des Genres insgesamt dennoch gutes Mittelmaß. In der Originalversion ist der Streifen für Noir-Fans durchaus einen Kauf wert und die mittlerweile knapp acht Jahre alte deutsche DVD von Carol Media ist momentan noch in Restbeständen zu haben. Sie enthält neben dem Originalton und der Synchronisation sogar deutsche und englische Untertitel, was selbst nach heutigen Maßstäben für eine Film-noir-Klassiker-Veröffentlichung ein recht guter Service ist. Der Bonus ist bis auf den originalen Wiederaufführungstrailer leider völlig belanglos.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Robert Siodmak haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Tony Curtis, Burt Lancaster und Stephen McNally unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 5. Mai 2008 als DVD

Länge: 85 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch & Englisch
Untertitel: Deutsch & Englisch
Originaltitel: Criss Cross
USA 1949
Regie: Robert Siodmak
Drehbuch: Daniel Fuchs, William Bowers, nach einem Roman von Don Tracy
Besetzung: Burt Lancaster, Yvonne De Carlo, Dan Duryea, Stephen McNally, Percy Helton, Alan Napier, Tom Pedi, Griff Barnett, Tony Curtis
Zusatzmaterial: Original-Wiederaufführungstrailer, Bildergalerie, Filmo- & Biografien, Trailer zu anderen Filmen
Vertrieb: Carol Media Home Entertainment

Copyright 2016 by Ansgar Skulme
Packshot: © 2008 Carol Media Home Entertainment

 

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