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Ernest Borgnine (XI): Vera Cruz – Edelwestern mit großen und kommenden Stars

23 Jan

Vera Cruz

Von Volker Schönenberger

Der folgende Text enthält Spoiler.

Western // Im Jahr 1864 erreicht die zwei Jahre zuvor begonnene französische Intervention in Mexiko mit der Proklamation des zweiten Kaiserreichs Mexiko und der Ernennung des Erzherzogs Ferdinand Maximilian Joseph Maria von Österreich (1832–1867) zum Kaiser eine neue Eskalationsstufe. In den militärischen Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Truppen und den Präsident Benito Juárez (1806–1872) unterstützenden mexikanischen Streitkräften mischen zusehends auch Männer aus den USA mit, die in ihrer Heimat im Sezessionskrieg gekämpft hatten.

Joe Erin fackelt nicht lange

Einer von ihnen ist Ben Trane (Gary Cooper), ein ehrenhafter Ex-Offizier der Konföderierten aus Louisiana, der im Bürgerkrieg all seinen Besitz verloren hat und darauf hofft, als Söldner in Mexiko gutes Geld zu machen. Dort trifft er auf den Ganoven Joe Erin (Burt Lancaster), dem er ein Pferd abkauft, weil seines lahmt. Dass es sich um ein von kaiserlichen Truppen geklautes Pferd handelt, bringt Ben Trane kurzzeitig in ziemliche Bedrängnis – bis er Joe seinerseits dessen Pferd abnimmt. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die die beiden mitten in den Interventionskrieg führt. Nach einer kurzen, aber eindrucksvollen Begegnung mit dem mexikanischen General Ramirez (Morris Ankrum) lassen sich die beiden vom Marquis Henri de Labordere (Cesar Romero) zu Kaiser Maximilian (George Macready) bringen, der sie und Joe Erins Bande für eine Mission anheuert: Es gilt, die Gräfin Marie Duvarre (Denise Darcel) von der Hauptstadt Ciudad de México in die Hafenstadt Vera Cruz zu eskortieren, wo sie sich einschiffen wolle, um Paris einen Besuch abzustatten. Ein Himmelfahrtskommando, das auf beiden Seiten viele Menschenleben kosten wird, denn es geht um viel mehr als um die Städtetour einer verwöhnten Adligen. Der erste Hinterhalt der Juaristas lässt nicht lange auf sich warten.

Robert Aldrich, Burt Lancaster, Gary Cooper

Welch famose Besetzung! Burt Lancaster war nach „Der rote Korsar“ (1952) und „Verdammt in alle Ewigkeit“ (1953) zum Superstar avanciert und hatte kurz zuvor mit „Massai – Der große Apache“ (1954) erstmals unter „Vera Cruz“-Regisseur Robert Aldrich gedreht. Mit „Keine Gnade für Ulzana“ (1972) und „Das Ultimatum“ (1977) folgten Jahre später zwei weitere Kooperationen. Für Gary Cooper („12 Uhr mittags“, 1952) hingegen blieb „Vera Cruz“ die einzige Zusammenarbeit mit Aldrich, auch seine einzige mit Burt Lancaster, wenn man von der Musicalkomödie „Mädchen für Hollywood“ (1947) absieht, in der beide wie viele damals bei Paramount unter Vertrag stehende Stars als sie selbst auftreten.

Bei Hofe weiß sich der Outlaw zu benehmen

Die beiden Topstars erhalten illustre Unterstützung: Ernest Borgnine („Poseidon Inferno – Die Höllenfahrt der Poseidon“, 1972) und Charles Bronson („Spiel mir das Lied vom Tod“, 1968) standen noch am Anfang ihrer großen Karrieren, auch für Jack Elam („Auch ein Sheriff braucht mal Hilfe“, 1969) war es eine frühe Rolle. Demgegenüber stehen bei den weiblichen Figuren weniger bekannte Namen: Der die Gräfin spielenden Französin Denise Darcel („Karawane der Frauen“) war eine vergleichsweise kurze Karriere beschieden, während Sara Montiel („Hölle der tausend Martern“) immerhin in ihrer spanischen Heimat reüssierte. Sie spielt Nina, eine kecke Mexikanerin, die sich mit Mut und Chuzpe in den Kriegswirren behauptet und die Ben Trane unter seine Fittiche nimmt, nachdem sie ihm sein Portemonnaie stibitzt hat.

Lancaster vs. Cooper

Trotz dieses feinen Ensembles und weiterer interessanter Figuren ragen Cooper und Lancaster heraus, wobei sich Letztgenannter ein paar Mal als Szenendieb erweist und in den Vordergrund spielt. Womöglich mangelte es Robert Aldrich zu diesem frühen Zeitpunkt seiner Karriere noch an Erfahrung, zwei so große Stars adäquat parallel einzusetzen, was auch damit zu tun haben mag, dass Burt Lancaster als Co-Produzent beim Dreh ein Wörtchen mitreden wollte, um seine Rolle in ein stärkeres Licht zu rücken. Seine Mimik mit dem berühmten Grinsen mit gebleckten Zähnen strahlt zugegeben auch mehr Charisma aus als Coopers meist stoischer Gesichtsausdruck, und die Rolle des meist gut aufgelegten, gleichwohl skrupellosen Schurken Joe Erin gibt mehr her als die des zurückhaltenden Ehrenmanns Ben Trane. Für ihre kleinen Kabbeleien braucht es aber beide, und wenn Erin mal wieder über den „Gemütsmenschen“ Ben frotzelt (im Original: „got a soft spot“), dann funktioniert das eben nur so gut, weil dieser Gemütsmensch mitspielt. Letztlich ist es schon reizvoll, diese zwei so unterschiedlichen Protagonisten bei ihrem Tanz auf der Klinge zu beobachten, gönnen wir Lancaster seine Momente. Cooper wird es vertragen haben.

Die Gräfin hat es ihm angetan (doch Gold ist ihm lieber)

Die Entwicklung der Beziehung zwischen Ben Trane und Joe Erin zieht sich als roter Faden durch die Geschichte. Beide erkennen schnell, mit wem sie es jeweils zu tun haben, und obwohl sie Teile der Persönlichkeit des jeweils anderen ablehnen, merken sie, dass sie voneinander profitieren können, und ihr gegenseitiger Respekt wächst. Fast kann man sie nach einiger Zeit als Freunde betrachten, aber dafür sind sie dann doch zu unterschiedlich – erst recht, als ein Haufen Gold zwischen ihnen steht. Während Ben das Söldnerdasein letztlich zuwider ist und er sich am Ende auf die Seite der „Guten“ schlägt, geht es Joe einzig um seinen persönlichen Vorteil. Die Beute will er mit niemandem teilen, weder mit Joe noch mit seiner Bande oder gar der Gräfin. So muss es am Ende in Vera Cruz zum Showdown zwischen den beiden ungleichen Protagonisten kommen, und da die Antagonisten (auf kaiserlicher Seite) nun tot sind, übernimmt Joe ihren Part. Die beiden schlagen in der Hinsicht einen vielleicht etwas vorhersehbaren Weg ein (was aufgrund meiner vielen Sichtungen des Films aber täuschen mag), gleichwohl ist diese Entwicklung überaus sehenswert und psychologisch schlüssig. „Vera Cruz“ erzählt insofern auch viel über Moral, Gier, Egoismus und Opportunismus. Und die eindrucksvollste Gefühlsaufwallung gebührt dann auch Coopers Ben Trane, wenn er am Ende das getan hat, was getan werden musste, davon aber – und von sich selbst – angewidert ist.

Nostalgische Erinnerungen

Ich habe ein Faible für „Vera Cruz“ und würde Aldrichs Regiearbeit in einer Rangliste meiner Lieblingswestern auf jeden Fall platzieren (wenn auch nicht ganz vorn). Das mag daran liegen, dass der Film in meiner Jugend wiederholt im Fernsehen lief und ich mit ihm daher viel früher sehr vertraut war als mit vielen anderen Western (es gibt natürlich ein paar weitere Kandidaten, für die das in ähnlicher Form gilt). Deshalb war die erneute Sichtung anlässlich dieser Rezension – die erste seit etlichen Jahren – wie ein wohliges Nachhausekommen und hat meine Haltung zu „Vera Cruz“ bestärkt.

Gemütsmensch Ben Trane nimmt die Mexikanerin Nina unter seine Fittiche

Gleichwohl läuft die Story nicht ganz ohne Unwuchten, wenn auch auf stets unterhaltsame Weise. Die operettenhafte Szenerie am Hofe des Kaisers entbehrt nicht einer gewissen Komik, die mal freiwillig, mal unfreiwillig daherkommt. Immerhin zum Schmunzeln, wenn Joe Erin und seine Spießgesellen dort einfallen und mit rüpelhaften Essmanieren und gierigem Blick auf die feinen Damen den Ball aufmischen. Nicht zu vergessen Captain Danette (Henry Brandon), der den amerikanischen Glücksrittern mit größtmöglicher Herablassung begegnet, dafür aber von Ben Trane souverän ausgekontert wird. Die Sequenz bei Hofe stellt einen Bruch zum vorherigen und anschließendem Geschehen dar, aber das mag manchen auch gefallen. Da sie mich stets blendend amüsiert, störe ich mich nicht daran.

Mexikanische Folklore und Kanonenopfer

Die Mexikaner sind meist nur Staffage, Kanonenopfer, die für ihren Führer bereitwillig in den Tod gehen. Als Persönlichkeiten lernt das Filmpublikum lediglich General Ramirez und die kesse Nina kennen, ansonsten gibt es vornehmlich Folklore mit Sombreros und Mariachi-Weisen. Immerhin bleibt eine Sequenz nachhaltig im Gedächtnis haften, in welcher ein tapferer kleiner Revolutionär der Kutscheneskorte einen Nadelstich versetzt, um anschließend von den kaiserlichen Truppen auf grausame Weise gerichtet zu werden. Die Sympathien sind hier klar verteilt, liegen sicher nicht bei den europäischen Usurpatoren (was auch schwerlich denkbar ist). Die historischen Ereignisse dienen in erster Linie als Hintergrund eines kernigen Abenteuers, geben dem Western aber mit der kaiserlichen Beteiligung eine originelle Färbung. All das hat der achtmal für den Oscar nominierte und für „Das Narrenschiff“ (1965) einmal auch prämierte Kameramann Ernest Laszlo in prächtige und farbenfrohe Technicolorbilder gepackt – gedreht vollständig „on location“ in Mexiko, für die damalige Zeit ungewöhnlich. An den Kinokassen seinerzeit ein veritabler Hit, hat sich „Vera Cruz“ im Lauf der Zeit zu einem Klassiker entwickelt, der nicht zuletzt dank seines amoralischen Protagonisten Joe Erin und eines gewissen Zynismus sogar den Italowestern und dort inbesondere dessen größten Regisseur Sergio Leone beeinflusst hat.

Mediabook von capelight pictures

Damals wie heute ist „Vera Cruz“ eine Augenweide, und der HD-Transfer auf die Blu-ray holt noch etwas mehr heraus. Mit der 2-Disc Limited Collector’s Edition hat capelight pictures dem Edelwestern eine würdige Veröffentlichung angedeihen lassen. Das Mediabook enthält den Film jeweils auf Blu-ray und DVD. Ein knapp einstündiges filmisches Porträt von Gary Cooper und ein 50-minütiges von Burt Lancaster sind feine Boni, was auch für den Booklettext der Publizistin Ines Walk gilt. Sie lässt sich darin kenntnisreich über den Regisseur Robert Aldrich und seine beiden Hauptdarsteller aus und steuert zudem eine präzise Analyse von „Vera Cruz“ bei. Das Gesamtpaket macht aus dem Mediabook eine gewohnt vorbildliche Veröffentlichung. Parallel hat capelight das Werk für den etwas kleineren Geldbeutel auch als DVD veröffentlicht. Da nicht jeder Filmfan HD-affin ist und nicht alle Wert auf Mediabooks legen, tut es für viele sicher auch dieses vermeintlich veraltete Disc-Format. In welchem Format auch immer: Der Edelwestern „Vera Cruz“ schmückt gut sortierte Westernsammlungen.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Robert Aldrich haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Denise Darcel unter Schauspielerinnen, Filme mit Ernest Borgnine, Charles Bronson, Gary Cooper, Jack Elam und Burt Lancaster in der Rubrik Schauspieler.

Vom Sezessions- in den Interventionskrieg

Veröffentlichung: 28. Oktober 2022 als 2-Disc Limited Collector’s Edition (Blu-ray & DVD) und DVD, 3. Dezember 2012 als DVD, 10. Juni 2011 als Blu-ray, 1. Juni 2011, 14. März 2008 und 23. August 2001 als DVD

Länge: 94 Min. (Blu-ray), 90 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Vera Cruz
USA/MEX 1954
Regie: Robert Aldrich
Drehbuch: Roland Kibbee, James R. Webb, Borden Chase
Besetzung: Gary Cooper, Burt Lancaster, Denise Darcel, Sara Montiel, Cesar Romero, Ernest Borgnine, Charles Bronson (als Charles Buchinsky), Jack Elam, Morris Ankrum, James Seay, Henry Brandon, George Macready, Archie Savage, Charles Horvath, Jack Lambert, Juan García
Zusatzmaterial 2022: Featurette „Gary Cooper – Gesicht eines Helden“ (57:48 Min.), Featurette „Burt Lancaster – Griff nach den Sternen“ (50:01 Min.), US-Kinotrailer, deutscher Kinotrailer, nur Mediabook: 24-seitiges Booklet mit einem Text von Ines Walk
Label 2022: capelight Pictures
Vertrieb 2022: Al!ve AG
Label/Vertrieb 2012: 2001 Verlag
Label/Vertrieb 2011 und früher: MGM

Copyright 2022 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & gruppierter Packshot: © 2022 capelight pictures

 

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