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David Cronenberg (X) zum 80. Geburtstag: Rabid – Der brüllende Tod: Die Vampirin aus der Schönheitsklinik

15 Mär

Rabid

Von Volker Schönenberger

SF-Horror // Body-Horror – nun ist das böse Wort raus! Da eine Würdigung des am 15. März 1943 in Toronto geborenen David Cronenberg nicht ohne Thematisierung dieses filmischen Elements auskommt, verbraten wir es am besten gleich zu Beginn. Er war sicher nicht der erste Regisseur, der Körperhorror als bedeutsames Motiv seiner Arbeiten eingesetzt hat – bei Weitem nicht (das abzuhandeln, würde aber zu weit von der Intention dieses Texts wegführen); aber Cronenberg hat ihn auf die Spitze getrieben. Wenn sich der menschliche Körper auf extreme und zerstörerische Weise verändert, hält der Kanadier eben gern drauf. Und das so deutlich, dass bei der Erwähnung cineastischen Body-Horrors unweigerlich sein Name fällt, häufig genug als Erstes.

Mit einem Motorradunfall geht alles los

Das liegt nicht zuletzt an seiner 1986er-Regiearbeit „Die Fliege“, in welchem der von Jeff Goldblum verkörperte Wissenschaftler Seth Brundle aufgrund einer unbemerkt in die Teleportationskammer gelangten Stubenfliege nach und nach zu einem ekelerregend anzuschauenden Mischwesen mutiert. 1987 gab es dafür zu Recht den Oscar für das beste Make-up. Außer Brundles spektakulärer Metamorphose wartet der Film auch mit den üblen Folgen auf, die es hat, wenn das Fliegenmonster in gewalttätiger Absicht sein Verdauungssekret ausscheidet. Erwähnt sei auch eine kleine Szene, die es in sich und mich seinerzeit im Kino durchaus erschreckt hat: der Handgelenkbruch beim Armdrücken. Auch das ist Body-Horror. Und gerade der Film belegt, dass es diesen schon weit vor Cronenberg gab, handelt es sich doch um das Remake des 1958er-Schockers „Die Fliege“ mit Vincent Price, auf den die Zuschreibung Body-Horror ebenfalls zutrifft.

Der platzende Kopf in „Scanners“

Fünf Jahre zuvor hatte bereits „Scanners – Ihre Gedanken können töten“ (1981) Cronenbergs Ruf als Meister des Body-Horrors zementiert. Man denke nur an die ikonische Szene, in welcher der Scanner Darryl Revok (Michael Ironside) mittels telekinetischer Kräfte den Kopf eines anderen zum Explodieren bringt, und an das Finale des Films mit dem sagenhaften Duell zweier Scanner.

Einfach mal beim Operieren etwas Neues ausprobieren

Aber Cronenbergs Körperhorror ist nicht zwangsläufig derart überbordend wie in den beiden erwähnten Werken. In „Rabid – Der brüllende Tod“ (1977) manifestiert er sich eher im Detail: mit einer Art Mundöffnung in der Achselhöhle, aus der sich eine längliche, entfernt einem Penis ähnelnde Wucherung herauswindet, mittels der die solcherart mutierten Menschen anderen das Blut abzapfen. Einmal mehr ein Beleg für den Einfallsreichtum des kanadischen Filmemachers in seinem Trachten, ein sehr körperliches Kino zu erschaffen. Allerdings hat Cronenberg hier am Schneidetisch einen Fehler gemacht, den er später auch eingeräumt hat: Er ließ seinen Cutter Jean LaFleur eine Szene herausschneiden, welche diese Wucherung erklärt hat.

Das Unfallopfer und die Schönheitschirurgen

„Rabid“ beginnt mit einem Motorradunfall, den Hart (Frank Moore) und seine Freundin Rose (Marilyn Chambers) irgendwo im ländlichen Raum der kanadischen Provinz Québec erleiden. Während Harts Verletzungen überschaubar bleiben, ist es um Rose ungleich schlimmer bestellt, zumal sie Verbrennungen erlitten hat. Vermeintliches Glück im Unglück: Ganz in der Nähe des Unfallorts befindet sich die Klinik von Dr. Dan und Dr. Roxanne Keloid (Howard Ryshpan, Patricia Gage), die sich der plastischen Chirurgie verschrieben haben. Dr. Dan Keloid beschließt, an Rose eine neuartige Prozedur vorzunehmen, die sich noch im Experimentalstadium befindet.

Nach einem Monat erwacht Rose aus ihrem Koma, scheinbar genesen. Doch sie kann keine herkömmliche Nahrung mehr aufnehmen, sondern benötigt Blut. Menschliches Blut …

Dr. Roxanne Keloid geht es gar nicht gut

Bei David Cronenberg darf man natürlich nicht mit einem Vampirfilm herkömmlicher Machart rechnen. Zwar wird auch hier bisweilen kräftig zugebissen, aber speziell bei Rose hat sich die im vierten Absatz dieses Textes beschriebene Mutation gebildet, die es ihr ermöglicht, anderen den Lebenssaft abzuzapfen. Die Pornodarstellerin Marilyn Chambers („Behind the Green Door“) macht in ihrer ersten nichtpornografischen Hauptrolle eine gute Figur, was später auch David Cronenberg anerkannte, dem sie von den Produzenten des Films aufgenötigt worden war (er wollte Sissy Spacek haben). Sie starb 2009 kurz vor ihrem 57. Geburtstag eines natürlichen Todes.

Medizinischer Fortschritt entfesselt Unheil

„Rabid – Der brüllende Tod“ wird gern in einem Atemzug mit dessen unmittelbarem Vorgänger „Shivers – Parasiten-Mörder“ (1975) und dem zwei Jahre später entstandenen „Die Brut“ (1979) genannt. Das hat was für sich. Alle drei Filme eint neue medizinische Methodik, die der Menschheit Fortschritt bringen soll, aber Unheil entfesselt – in „Shivers“ ist es der Ersatz erkrankter menschlicher Organe, in „Die Brut“ die Heilung psychischer Störungen, in „Rabid“ der Ersatz zerstörten menschlichen Gewebes. Mit „Die Brut“ eint „Rabid“ auch, dass dieses Unheil in einer Klinik ihren Ursprung nimmt – eine psychotherapeuthische Einrichtung dort, eine Schönheitsklinik hier. Und auch in „Shivers“ gibt es eine Klinik, wenn auch eine kleine, als medizinische Einrichtung des hochmodernen Hochhauskomplexes, in welchem sich das Geschehen abspielt.

Raserei …

Inhaltlich dreht sich in allen drei Filmen vieles um Kontrollverlust, den viele der Figuren mit der körperlichen Transformation erleiden. Ein Kontrollverlust, der von einzelnen Individuen ausgeht und sich auf die Gesellschaft überträgt. Speziell die diesbezüglichen Parallelen zwischen „Rabid“ und „Shivers“ sind unübersehbar. Der so explizite wie gewalttätige Sex von „Shivers“ weicht in „Rabid“ einer eher metaphorischen Anspielung. Vampirismus ist ja per se sexuell besetzt, und die vampirischen Attacken sind teils auch wie sexuelle Attacken inszeniert.

Der Motorradunfall

Dabei vermag „Rabid“ jederzeit zu fesseln, was sich bereits zu Beginn zeigt, wenn eine Parallelmontage zum Motorradunfall führt – wir sehen zum einen das Motorrad, auf dem Hart und Rose über eine Landstraße fahren, zum anderen den Kleinbus mit der Familie auf Urlaubsreise, der vom Vater ungelenk quer auf eben diese Landstraße gestellt wird, weil er sich mit seiner Ehefrau auf dem Beifahrersitz darüber in der Wolle hat, ob er sich verfahren hat. Der kommende Unfall lässt sich erahnen, er fällt dann sogar weniger drastisch aus als befürchtet – das Motorrad rauscht auf ein neben der Landstraße befindliches Feld. Dass sich Rose so schwer verletzt, wird erst klar, als das Motorrad in Flammen aufgeht, während sie eingeklemmt darunter liegt.

Impfzwang und Oktoberkrise

„Rabid – Der brüllende Tod“ offenbart auch ein Misstrauen gegenüber der Medizin oder besser noch: der Ärzteschaft. Dass er ein solches empfindet, hat Cronenberg selbst freimütig zugegeben. Gerade in der kanadischen Provinz Québec, wo gedreht wurde und sich die Handlung des Films abspielt, hat sich diesbezüglich offenbar auch einiges abgespielt, was ein solches Misstrauen rechtfertigt (worüber ich mangels Kenntnis aber nicht mehr schreiben kann). Kurioserweise kann man vom Geschehen im Film sogar einen Bogen zur Corona-Pandemie schlagen, wenn die Regierung angesichts der sich ausbreitenden Vampirseuche eine Impfpflicht ausspricht und Verweigerern die Internierung droht. Tatsächlich kommentiert Cronenberg damit aber eher Ereignisse rund um die sogenannte Oktoberkrise von Québec und der monatelangen Verhängung des Ausnahmezustands über die Provinz im Jahr 1970 – samt damit einhergehender Einschränkungen von bürgerlichen Rechten. All dies belegt, dass Cronenberg auch ein ausgesprochen politischer Filmemacher mit gesellschaftlicher Relevanz ist.

… greifen um sich

Keine Frage: David Cronenberg ist ein echter Auteur, ein Autorenfilmer, der seinen Arbeiten einen unverwechselbaren Stempel aufdrückt. Selbst dann, wenn ihm eine andere Hauptdarstellerin aufgedrückt wird wie im Falle von „Rabid – Der brüllende Tod“. Auch dann, wenn er Literaturvorlagen adaptiert statt eigene Originaldrehbücher, wie etwa „Dead Zone“ (1983) nach Stephen King, „Naked Lunch“ (1991) nach William S. Burroughs (ein Lieblingsautor Cronenbergs), „Crash“ (1996) nach J. G. Ballard und „Cosmopolis“ (2012) nach Don DeLillo.

Auch als Schauspieler aktiv

Neben seiner Regisseurstätigkeit lässt es sich Cronenberg auch nicht nehmen, gelegentlich als Schauspieler in kleinen Rollen oder Cameos in Erscheinung zu treten. In seinen Filmen sowieso, aber auch beispielsweise in Clive Barkers zweiter Regiearbeit „Cabal – Die Brut der Nacht“ („Nightbreed“, 1990), wo er einen Psychotherapeuten und Serienmörder verkörpert. Vielleicht seine größte Rolle. In Gus Van Sants schwarzer Krimikomödie „To Die For“ (1995) mit Nicole Kidman und Joaquin Phoenix etwa ist er nur kurz als Mann am See zu sehen. Michael Apteds „Extrem … Mit allen Mitteln“ (1996) mit Hugh Grant und Gene Hackman zeigt ihn als Juristen eines Krankenhauses, in „Jason X“ (2001) lässt er sich als Arzt von Jason Voorhees abmurksen.

Sohn Brandon Cronenberg folgt seinem Vater

David Cronenbergs Einfluss manifestiert sich auch und gerade bei seinem 1980 geborenen Sohn Brandon, der als Regisseur in die Fußstapfen seines Vaters tritt und sehr körperliche Filme mit Science-Fiction-Elementen inszeniert. Etwa „Antiviral – Setz dir einen Schuss Berühmtheit“ (2012), in welchem sich Fans mit dem nötigen Kleingeld die Krankheiten der von ihnen verehrten Stars verpassen lassen, um diesen nah zu sein. Oder „Possessor“ (2020) mit dem Kernelement der Bewusstseinsübertragung einer Killerin. Und drastischen Tötungsszenen, die auch Cronenberg Junior zu einem Vertreter des Body-Horrors machen. Bereits bekannt sind die Probleme, die seine aktuelle Arbeit „Infinity Pool“ mit der Altersfreigabe für die US-Kinos bekam. Das Horrordrama feierte seine Deutschlandpremiere kürzlich bei der Berlinale, ab 20. April kann sich das hiesige Publikum flächendeckend ein Bild machen. Brandon Cronenbergs vier Jahre jüngere Schwester Caitlin eifert übrigens ebenfalls ihrem Vater nach: Sie hat den Endzeit-Horrorthriller „Humane“ abgedreht (noch ohne Starttermin). Man darf gespannt sein.

… und Tod …

Vom Nachwuchs zurück zum Vater: David Cronenberg hat bereits angedeutet, den Ruhestand als ernsthafte Option ins Auge zu fassen. Mit „Crimes of the Future“ mit Viggo Mortensen und Léa Seydoux hat er 2022 noch einmal ein Ausrufezeichen gesetzt (das im Übrigens nichts mit seinem einstündigen 1970er-Frühwerk gleichen Titels zu tun hat). Seine achtjährige Regisseurs-Schaffenspause seit „Consumed“ (2014) spricht auch nicht unbedingt für viele Folgeprojekte. Cronenberg hat uns Filmfans so viel gegeben, der Ruhestand wird ein wohlverdienter sein. Aber noch ist es nicht so weit: Derzeit dreht er den Horrorthriller „The Shrouds“ mit Vincent Cassel und Diane Kruger, ursprünglich als Netflix-Serie konzipiert (die vormals für den Film bestätigte Seydoux scheint nun doch nicht mit von der Partie zu sein). Freuen wir uns drauf!

„Rabid – Der brüllende Tod“ ist wie andere von David Cronenbergs 70er-Jahre-Regiearbeiten noch räudiger als seine späteren Werke, gleichwohl faszinierend und beeindruckend geraten. Am 15. März 2023 feiert der Kanadier seinen 80. Geburtstag.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von David Cronenberg haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet.

Veröffentlichung: 28. Juni 2019 als 2-Disc Limited Fridge Edition (Blu-ray & DVD, auf 2.000 Exemplare limitiert, in Österreich kurz zuvor auch als Mediabook, siehe Vierfach-Packshot), 26. September 2008 als DVD in „David Cronenbergs Cult-Classic Box“ (mit „Shivers – Parasitenmörder“), 25. September 2009 und 14. Oktober 2002 als DVD

Länge: 91 Min. (Blu-ray), 87 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Rabid
Alternativtitel: Rabid – Bete, dass es nicht Dir passiert / Überfall der teuflischen Bestien
KAN 1977
Regie: David Cronenberg
Drehbuch: David Cronenberg
Besetzung: Marilyn Chambers, Frank Moore, Terry Schonblum, Joe Silver, Howard Ryshpan, Patricia Gage, Susan Roman, Roger Periard, Lynne Deragon, Victor Désy, Julie Anna, Gary McKeehan
Zusatzmaterial 2019: Audiokommentar mit David Cronenberg, Audiokommentar mit Jill C. Nelson und Ken Leicht, Interview mit David Cronenberg (20:35 Min.), „Young and Rabid“ – Interview mit Susan Roman (33:04 Min.), Bildergalerie (5:49 Min.), Originaltrailer, TV-Spot, Radio-Spots, Bildergalerie mit Aushangfotos (1:17 Min.), 3 deutsche Trailer, Trailershow
Label 2019: Indeed Film
Vertrieb 2019: WVG Medien GmbH
Label/Vertrieb 2009 und früher: splendid film

Copyright 2023 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & Doppel-Packshot: © 2002/2009 splendid film, Vierfach-Packshot: © 2019 Indeed Film

 

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