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Die letzten Amerikaner – Verloren im Cajun-Sumpf

10 Aug

Southern Comfort

Von Volker Schönenberger

Action-Abenteuer // Im Jahr 1973 sammeln sich Einheiten der Louisiana Army National Guard in den Sümpfen Louisianas zum Manöver. Der texanische Bohringenieur (im Original „Chemical Engineer“) Corporal Charles Hardin (Powers Boothe) wird der Gruppe von Sergeant Crawford Poole (Peter Coyote) zugeteilt. Mit den Rednecks wie Reece (Fred Ward) kann er nicht viel anfangen. Immerhin findet er im Gefreiten Spencer (Keith Carradine) einen Kameraden, mit dem er ein paar Worte wechseln kann.

Ein erstes Opfer

Der Marsch gestaltet sich nass und beschwerlich. Ein Fischernetz im Weg wird von Reece kurzerhand zerschnitten. Rücksicht gegenüber den einheimischen Cajuns wird ohnehin nicht großgeschrieben. Als der neunköpfige Trupp überraschend auf ein tiefes und breites Gewässer stößt, nimmt er sich kurzerhand drei Kanus aus einem menschenleeren Jagdlager am Ufer. Während der Überfahrt bemerken die Männer ein paar Cajuns, die am Ufer aufgetaucht sind und die Nationalgardisten beobachten. Der Gefreite Stuckey (Lewis Smith) macht sich einen Spaß, richtet seine Maschinenpistole auf die Cajuns und feuert eine Salve Platzpatronen ab. Ein Fehler, der sich schnell rächen soll. Kurz darauf finden sich die Männer in einer Kriegssituation wieder. Als sie nach einiger Zeit auf einen Trapper (Brion James) und seine Hütte treffen, nehmen sie ihn kurzerhand gefangen.

Sumpfdreh im Winter

Gedreht wurde unter erschwerten Bedingungen „on location“ in der Gegend des Caddo Lake an der Grenze zwischen Texas und Louisiana. Regisseur Walter Hill, auch einer der drei Drehbuchautoren, sagte dazu später in einem Interview anlässlich der Veröffentlichung von „Shootout – Keine Gnade“ (2012): Es war viel härter, als es vielleicht im Film aussieht. (…) Ich entsinne mich an so viele Momente, als wir nur ein paar Minuten hatten, die Kamera zu platzieren, weil der sumpfige Boden nachgab. (…) Das Wetter war erbärmlich. Aber wie auch immer, lassen Sie mich sagen: Wer sich entscheidet, mitten im Winter einen Film im Sumpf zu drehen, verdient vielleicht das, was er bekommt.

Der beschwerliche Marsch …

In der Tat merkt man „Die letzten Amerikaner“ die Entbehrungen von Cast und Crew beim Dreh nicht an. Zwar kann man den durch den Sumpf stapfenden Nationalgardisten ihrerseits die Strapazen ansehen, die Bilder machen aber technisch einen absolut sauberen Eindruck. So, als seien sie von Profis unter professionellen Bedingungen produziert worden.

Walter Hill und die Vietnambezüge

„Southern Comfort“, so der Originaltitel, lässt sich natürlich als Reflexion des Vietnamkriegs deuten – US-Soldaten, die den Konflikt von einem fernen Land in die Heimat getragen haben. Walter Hill ahnte das wohl, und es gefiel ihm überhaupt nicht. In einem anderen Interview berichtete er 2009: Wir waren uns sehr wohl bewusst, dass die Leute die Story als Metapher für Vietnam sehen würden. Am Tag, bevor wir in die Sümpfe gingen, sagte ich zu allen: Die Leute werden sagen, dies sei über Vietnam. Sie können sagen, was sie wollen, aber ich will kein Wort mehr darüber hören. Er ergänzte, Vietnam sei heute nicht mehr so präsent wie 1980, die Geschichte wirke daher viel universeller.

… wird nicht leichter …

Vietnam hin oder her, zum einen sind die Analogien natürlich unverkennbar, zum anderen ist der Überlebenskampf einer Gruppe von Leuten aus der Zivilisation in einer unbekannten, so wilden wie feindseligen Umgebung in der Tat universell. Unbekannt trifft es auch gut, denn über die im Cajun County (auch: Acadiana) von Louisiana angesiedelten Cajuns dürften viele US-Bürgerinnen und -Bürger nicht viel wissen (wir Deutsche schon mal gar nicht). Bei dieser frankokanadisch-stämmigen Bevölkerungsgruppe handelt es sich um Nachfahren der Akadier, die wiederum Nachfahren französischer Siedler sind, die sich im 17. Jahrhundert in der im Nordosten Nordamerikas gelegenen damaligen französischen Kolonie Akadien niedergelassen hatten. Ab 1713 war Akadien im Besitz Englands und 1755 wurde ein Großteil der Bevölkerung gewaltsam deportiert. Ein bedeutsamer Teil der Deportierten ließ sich in den Bayous von Louisiana nieder, wo sie bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ihre Sitten und Gebräuche unberührt von der US-Umgebung bewahrten. Aufgrund des fehlenden Kontakts zu ihren französischen Wurzeln entwickelten die Cajun im Lauf der Zeit auch ihren eigenen Dialekt, Cajun-Französisch genannt.

Soundtrack von Ry Cooder

Zurück zu „Die letzten Amerikaner“: Den Soundtrack steuerte Ry Cooder bei. Der begnadete Slide-Gitarrist hatte gerade erst Walter Hills Western „Long Riders“ (1980) mit einem feinen Score versehen und kannte sich ohnehin mit „Southern“-Klängen aus. Die zurückhaltende, spärlich instrumentierte musikalische Untermalung von „Southern Comfort“ fällt präzise aus – sie kündet schon zum Auftakt von kommenden Unheil, setzt in dialogfreien Szenen ein, um Stimmung zu erzeugen, und verstummt, um Action oder Gesprächen Raum zu geben. Ry Cooder ließ sich eigenen Angaben zufolge von der Delta-Blues-Legende John Lee Hooker inspirieren. Er lieferte später Soundtracks zu weiteren Regiearbeiten Walter Hills ab, darunter „Straßen in Flammen“ (1984), „Johnny Handsome – Der schöne Johnny“ (1989), „Last Man Standing“ (1996) und „Geronimo – Eine amerikanische Legende“ (1993).

… und kostet viel Kraft

Parallelen zu John Boormans „Beim Sterben ist jeder der Erste“ (1972) mit Burt Reynolds, Jon Voight und Ned Beatty sind nicht von der Hand zu weisen. Hier wie dort dringt eine Schar Männer aus der „Zivilisation“ in eine störrische Natur vor und muss sich unter großen Opfern feindseliger Einheimischer erwehren. Unterschiede und Parallelen beider Filme lassen sich sehr schön herausarbeiten. Das hat David von „The Howling Men“ bereits 2019 ausführlich erledigt, weshalb ich es mir an dieser Stelle spare. Ein gewichtiger Unterschied sei aber erwähnt: Obwohl sowohl Boormans als auch Hills Regiearbeit gleichermaßen hohe Qualität aufweisen, hat es lediglich „Beim Sterben ist jeder der Erste“ zu großer Bekanntheit gebracht. Das belegt allein schon ein Blick auf die Zahl der Bewertungen in der Internet Movie Database (IMDb): Setzt sich die 7,7-Durchschnittswertung von „Beim Sterben ist jeder der Erste“ aus stattlichen 108.282 abgegebenen Stimmen zusammen, so wurde die 7,1-Wertung von „Die letzten Amerikaner“ lediglich aus 19.702 abgegebenen Stimmen ermittelt (Stand August 2022). Welchen der beiden Filme man bevorzugt, ist so oder so und auch des Wertungsunterschieds von 0,6 in der IMDb zum Trotz reine Geschmackssache – ich gebe „Die letzten Amerikaner“ knapp den Vorzug.

Mediabook von Turbine

Walter Hills in jedem Moment fesselnde Menschenjagd hat weitere Verbreitung verdient, weshalb es löblich ist, dass Turbine Medien „Die letzten Amerikaner“ als Mediabook veröffentlicht hat. Die zwei Covervarianten mit der niedrigen Limitierung von 222 und 333 Exemplaren sind bereits vergriffen, lediglich das auf 999 Exemplare limitierte Motiv ist noch exklusiv im Online-Shop von Turbine zu beziehen. Im Bonusmaterial findet sich eine Open-Matte-Retro-Fassung in 4:3-Vollbild – für mich verzichtbar, aber für viele Filmfans sicher ein willkommener Zusatz. Das dreiviertelstündige Interveiw mit Regisseur Walter Hill stellt ebenfalls einen wertigen Zusatz dar. Das gilt auch für das Booklet. Auf 24 fein bebilderten Seiten lässt sich Tobias Hohmann unter dem Titel „Im Sumpf des Filmemachens“ über den Werdegang des Regisseurs und die Entstehungsgeschichte von „Die letzten Amerikaner“ aus. Da es an der Bild- und Tonqualität des Films auch nichts auszusetzen gibt, stellt die Veröffentlichung von Turbine einmal mehr eine vorbildliche Edition dar.

Die Nerven liegen blank

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Walter Hill haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Powers Boothe, Brion James und Fred Ward unter Schauspieler.

Reece will töten

Veröffentlichung: 29. Juli 2022 als 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & DVD, 3 Covermotive à 999, 333 und 222 Exemplare), 17. Januar 2008 als DVD im limitierten Metallschuber, 5. August 2004 als DVD

Länge: 106 Min. (Blu-ray), 102 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörgeschädigte, Englisch, Englisch für Hörgeschädigte
Originaltitel: Southern Comfort
Alternativtitel: Kommando Bravo
USA 1981
Regie: Walter Hill
Drehbuch: Michael Kane, Walter Hill, David Giler
Besetzung: Keith Carradine, Powers Boothe, Fred Ward, Franklyn Seales, T. K. Carter, Lewis Smith, Les Lannom, Peter Coyote, Brion James
Zusatzmaterial Mediabooks: „Wird er leben oder wird er sterben“ –Walter Hill über „Die letzten Amerikaner“ (44 Min.), Retro-Fassung (4:3, Open Matte), US-Kinotrailer, deutscher Kinotrailer, 24-seitiges Booklet von Tobias Hohmann
Label/Vertrieb Mediabooks: Turbine Medien
Label/Vertrieb DVDs: EMS GmbH

Copyright 2022 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & 3er-Packshot: © 2022 Turbine Medien

 

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