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Zum 80. Geburtstag von Christopher Walken: Die Hunde des Krieges – Vom Russisch Roulette in Vietnam zum Söldnerputsch in Afrika

31 Mär

The Dogs of War

Von Volker Schönenberger

Kriegs-Actionthriller // Wieso hat eigentlich Christopher Walken noch keinen Oscar gewonnen? Hätte der am 31. März 1943 in New York City Geborene nicht längst einen verdient? Aber ja! Natürlich hätte er das. Und plötzlich stelle ich fest: Er hat tatsächlich schon einen! 1979 für seine Nebenrolle in Michael Ciminos Vietnamkriegsdrama „Die durch die Hölle gehen“ („The Deer Hunter“). So kann man etwas aus den Augen verlieren. Seine intensive Verkörperung eines traumatisierten Vietnamveteranen, der als Russisch-Roulette-Spieler in Saigon endet, ist mir nachhaltig im Gedächtnis geblieben, nur eben der dazugehörige und wohlverdiente Oscar nicht. 2003 folgte eine weitere Nominierung für seine Nebenrolle in Steven Spielbergs Gaunerkomödie „Catch Me If You Can“ – den Oscar schnappte ihm aber Chris Cooper für „Adaptation“ weg.

Als Erzengel Gabriel

Filmpreise sind das eine, sich dem Publikum einprägende Rollen das andere. Und von denen hat Walken einige zu bieten. Bisweilen verleiht er seinen Figuren ein nervöses, fast schon fahriges Auftreten, lässt sie etwas neben der Spur stehend wirken, nicht zuletzt auch dank seines eigentümlichen Sprech-Rhythmus. So etwa in „Communion – Die Besucher“ (1989), wo er den Schriftsteller Whitley Strieber verkörpert, zu dem Außerirdische Kontakt aufnehmen (was dem echten Strieber eigenen Angaben zufolge tatsächlich widerfahren war). Oder bei seinem Kurzauftritt, erneut als Vietnamveteran, in der Episode um die goldene Uhr in Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ (1994). Walkens Verkörperung des Erzengels Gabriel im Horrorfilm „God’s Army – Die letzte Schlacht“ (1995) wohnt sogar etwas zutiefst Beunruhigendes inne, was zugegeben auch daran liegen mag, dass Gabriel Beunruhigendes tut.

Ein berühmter Bond-Bösewicht

Gangster und sonstige Schurken hat Walken immer gern gespielt, und sei es ein Gangsterboss im Ruhestand, der gekidnappt wird, wie in „Suicide Kings“ (1997), oder ein Auftragskiller, der die Seiten wechselt, wie in Michael Ciminos Western-Flop „Heaven’s Gate – Das Tor zum Himmel“ (1980). In Abel Ferraras „King of New York“ (1990) darf er als Gangstergröße nach Herzenslust wüten und als Verschwörer in John Badhams Echtzeit-Thriller „Gegen die Zeit“ (1995) den einen arglosen Bürger spielenden Johnny Depp auf bitterböse Weise unter Druck setzen, ein Attentat zu begehen. „Homeboy“ (1988) zeigt Walken als verbrecherischen Boxpromoter, der es darauf anlegt, einen von Mickey Rourke gespielten Faustkämpfer zu Raubüberfällen zu verleiten. Unvergessen auch sein Part als schurkischer Industrieller und Gegenspieler des von Roger Moore verkörperten Superagenten in „James Bond 007 – Im Angesicht des Todes“ (1985). Ganz zu schweigen von seinem Auftritt als Mafioso in Tony Scotts „True Romance“ (1993), wo er sich von dem von Dennis Hopper gespielten Cop im Ruhestand verspotten lassen muss, weil angeblich alle Sizilianer Gene von Schwarzen in sich tragen (woraufhin er Hoppers Figur letztlich abknallt).

Moderator von „Saturday Night Live“

Seine Vielseitigkeit beweist Christopher Walken auch im Comedysektor, etwa als wiederholter Moderator der legendären US-Show „Saturday Night Live“, wo er zum Teil einige seiner ikonischen Rollen persifliert. Auch im Kino tritt er komödiantisch in Erscheinung, beispielsweise in Gore Verbinskis „Mäusejagd“ (1997), wo er einen exzentrischen Kammerjäger verkörpert, der antritt, einer Maus den Garaus zu machen, aber schmählich scheitert. In „Antz“ (1998), einem der ersten vollständig computeranimierten Spielfilme, leiht er dem Ameisenoffizier Colonel Cutter die Stimme, und die Figur ist Walken sogar optisch nachempfunden, wie auch alle übrigen zentralen Figuren des Films ihren Sprecherinnen und Sprechern nachempfunden sind. In der Animations-Realfilm-Mixtur „The Jungle Book“ (2016) leiht er dem am Computer entstandenen Affenkönig King Louie die Stimme.

Hauptrolle in „Dead Zone“

Seine vielleicht tragischste Rolle übernimmt Walken 1983 in „Dead Zone“ unter der Regie von David Cronenberg, einer der besten Stephen-King-Verfilmungen. Darin sieht man ihn als nach fünf Jahren aus dem Koma erwachtes Unfallopfer, das in der Lage ist, das Schicksal eines Menschen zu sehen, wenn er diesen berührt – Segen und Fluch zugleich.

Seit 1969 mit der Casting-Agentin Georgianne Walken verheiratet, lebt das kinderlos gebliebene Ehepaar etwas nördlich von New York City in der Kleinstadt Wilton im US-Staat-Connecticut. Am 31. März 2023 feiert Christopher Walken seinen 80. Geburtstag. Da er seit jeher die Angewohnheit hat, kaum eine Rolle abzulehnen, dürfen wir vielleicht sogar noch den einen oder anderen Filmauftritt von ihm erwarten. Immerhin hat er zentrale Parts in der britischen Krimikomödienserie „The Outlaws“ (2021–2022) und der US-Science-Fiction-Serie „Severance“ (seit 2022) übernommen. Freuen wir uns auf ihn als Kaiser Shaddam IV. in Denis Villeneuves epischem „Dune – Teil 2“, der für den Herbst dieses Jahres angekündigt ist.

Im Fahrwasser von „Die Wildgänse kommen“

Es mag verwundern, dass ein Star wie Christopher Walken ein Jahr nach seinem Oscar in einem Actioner aus dem doch recht räudigen Söldnerfilmgenre mitwirkt, aber vergessen wir nicht, dass es eine andere Zeit war und er trotz des Academy Awards auch fortan nicht für die großen Blockbuster gebucht wurde. 1978 hatte Andrew V. McLaglens „Die Wildgänse kommen“ an den Kinokassen eingeschlagen, mit Richard Burton, Roger Moore, Richard Harris, Hardy Krüger und Stewart Granger denkbar hochkarätig besetzt. Und noch 1984 bot „Geheimcode Wildgänse“ von Antonio Margheriti keinen Geringeren als Ernest Borgnine auf, dazu mit Lewis Collins, Lee van Cleef und Klaus Kinski weitere klangvolle Namen, die zugegeben von jeher auch abseitigen Streifen eine Chance gaben. Aber Schauspieler konnten damals solche Rollen übernehmen, ohne sich die Finger zu verbrennen.

Ist in Zangaro ein Militärputsch machbar?

In „Die Hunde des Krieges“ von John Irvin („Hamburger Hill“, 1987) verkörpert Walken den US-Söldner Jamie Shannon. Kaum mit seinen Kameraden Drew (Tom Berenger), North (Colin Blakely), Terry (Ed O’Neill), Michel (Jean-François Stévenin) und Richard (Harlan Cary Poe) von einer Mission in Zentralamerika zurückgekehrt, lässt er sich von einem britischen Bergbauunternehmen anheuern. Der Auftrag: Shannon soll in dem (fiktiven) westafrikanischen Staat Zangaro die Möglichkeit eines Staatsstreichs auskundschaften. Unter dem dort mit eiserner Hand herrschenden Militärdiktator Olu Kimba (Ilario Bisi-Pedro) hat der Konzern offenbar keine Aussicht, die Schürfrechte für ein gewaltiges Platinvorkommen übertragen zu bekommen, weshalb der korrupte Colonel Sekou Bobi (George Harris) aus dem Exil geholt und als neuer Machthaber installiert werden soll.

Als Vogelkundler und Journalist für ein Naturmagazin nur notdürftig getarnt, fällt Shannon alsbald den Schergen des Machthabers auf und in die Hände. Nach ausgiebiger Folter wird er schwer verletzt ausgewiesen. Um alsbald mit seinen Söldner-Kameraden zurückzukehren …

Nach Frederick Forsyth

Kein falsches Pathos, jede Szene story- oder charakterdienlich, präzises Abspinnen der Ereignisse – „Die Hunde des Krieges“ entpuppt sich als Perle des Söldnerfilms, weit weniger krawallig als etwa die italienischen Regiearbeiten eines Antonio Margheriti wie der bereits erwähnte „Geheimcode Wildgänse“ und „Der Commander“ (1988). Zwischen einem kurzen, in Zentralamerika angesiedelten Action-Prolog und dem fulminanten Showdown in Zangaro geht es über weite Strecken überraschend ruhig zu, und die Action weicht Thrillerelementen rund um die Vorbereitung von Shannons Rückkehr in das afrikanische Land. Das mag Genrefans missfallen, die rein auf Radau aus sind, aber all jenen, die Wert auf ein durchdachtes Drehbuch legen, wird hier Mehrwert geboten. Das Skript profitiert hier womöglich von der Romanvorlage, die immerhin von Spannungsgarant Frederick Forsyth stammt. Für den fernseherfahrenen John Irvin war es die erste Kino-Regiearbeit, kurz zuvor hatte er mit dem Siebenteiler „König, Dame, As, Spion“ (1979) bereits die Vorlage eines anderen großen Thrillerautors verfilmt – John le Carré.

Unterschiedliche Schauplätze bringen Abwechslung. Gedreht wurde in New York City und London, wo die entsprechenden Szenen auch spielen, sowie im zentralamerikanischen Belize, das fürs afrikanische Zangaro herhielt, mit dem wiederum Äquatorialguinea gemeint gewesen sein könnte. Die Kamera bediente der Oscar-Preisträger Jack Cardiff („Die schwarze Narzisse“), der als Regisseur 1968 mit „Katanga“ selbst einen Söldnerfilm in die Kinos gebracht hatte.

Der Söldner

Söldnerfilme richten in der Regel nicht über ihre Protagonisten (höchstens über deren schurkische Gegenspieler). Das ist auch hier nicht zu bemerken. Shannon und seine Leute üben ihren Beruf aus, sie tun das, was sie am besten können. Auf knochenharte Weise unter Inkaufnahme großer Risiken. Jamie Shannon wird dabei als Einziger tiefgründig charakterisiert, aber er wird es immerhin. Ein interessanter Typ, auf jeden Fall zwiegespalten ob seines Tuns. Jedenfalls ist er nicht erpicht darauf, dass ihm der Tod ein ständiger Begleiter ist, sucht nach seinem ersten Zangaro-Trip sogar eine Zukunft jenseits des Söldnerlebens.

Cherchez la femme! In diesem Fall sind es sogar zwei Frauen, die immerhin erwähnenswert sind. Da ist zum einen Gabrielle Dexter (Maggie Scott), die in Zangaro kurzzeitig als Shannons Führerin fungiert und die er vor dem Garnisonsgebäude fotografiert, was ihn gehörig in die Bredouille bringen wird. Gegen Ende wird sie noch einmal kurz auftauchen. Zum anderen ruft der Söldner nach seiner Genesung von der Folter seine Ex-Freundin Jessie (JoBeth Williams) an – offenbar eine große Liebe, der er hinterhertrauert. Die beiden treffen sich sogar, aber mehr Szenen hat sie nicht. Der Söldnerfilm lässt eben keinen Raum für starke Frauenfiguren. Dafür sei noch eine Männerfigur erwähnt, die nicht ganz bedeutungslos bleiben wird: Dr. Okoye (Winston Ntshona), ein Arzt, der Shannon kurz vor seiner Ausweisung notdürftig zusammenflickt. Er erweist sich als ehemaliger Präsidentschaftskandidat, den Kimba unmittelbar nach seiner Wahl in den Knast werfen ließ.

Britischer Konzern steuert Staatsstreich in Afrika

Ist all das politisch korrekt, was wir zu sehen bekommen? Gegenfrage: Muss es das sein? Jedenfalls kommt „Die Hunde des Krieges“ nicht als reaktionäres Machwerk daher. Eine seriös-authentische Abhandlung über das Söldnerwesen ist das sicher nicht, aber als action- und spannungsorientierter Spielfilm ist das auch schwerlich möglich. Man kann es kritisch sehen, dass ein afrikanischer Staat als korrupte Diktatur gezeichnet wird, aber es gibt diese Despoten nun mal. Und immerhin zeichnet der Film auch alles andere als ein positives Bild westlicher Konzernlenker. Es ist ein neokolonialer Wirtschaftsimperialismus, der ein britisches Unternehmen motiviert, in der sogenannten Dritten Welt einen Staatsstreich zu initiieren. Und das nicht mal, um demokratische Verhältnisse einzuführen, sondern einzig aus dem Grund, einen unberechenbaren Tyrannen durch einen berechenbaren zu ersetzen. Unser Westen bekommt auch sein Fett weg. Er ist es, der letztlich das Söldnerunwesen gebiert.

Am Ende folgt eine überraschende Wendung, die die Ereignisse mit etwas Moralin überzieht. Sie passt nicht recht zu den damit einhergehenden Nahaufnahmen von Shannon, dessen Gesicht in diesen Einstellungen wie eine eiskalte Maske wirkt, bar jeden Gefühls. Dies offenbart sich auch in einer zwar aus einem Anflug von Idealismus geborenen, gleichwohl gnadenlosen Tat. Shannon ahnt: Das Dasein als Söldner ist sein Leben, dem er nicht entkommen wird, höchstens mit dem Tod. „Die Hunde des Krieges“ gehört zum Besten, was das Genre des Söldnerfilms zu bieten hat.

Lieferprobleme bestehen hierzulande nicht. Die Blu-ray – oder eines der Mediabooks mit Blu-ray und DVD – ist der DVD vorzuziehen, da sie außer der 104 Minuten langen Kinofassung auch die um eine Viertelstunde längere Langfassung enthält. Das Mediabook wiederum enthält wie üblich ein Booklet, dessen Text einmal mehr Nando Rohner verfasst hat. Sprich: lesenswert!

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von John Irvin haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit JoBeth Williams unter Schauspielerinnen, Filme mit Tom Berenger, Colin Blakely, Ed O’Neill, Robert Urquhart und Christopher Walken in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 26. März 2021 als Blu-ray und DVD, 7. Februar 2002 als DVD

Länge: 119 Min. (Blu-ray, Langfassung), 104 Min. (Blu-ray), 100 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a.
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: The Dogs of War
GB 1980
Regie: John Irvin
Drehbuch: Gary DeVore, George Malko, nach einem Roman von Frederick Forsyth
Besetzung: Christopher Walken, Tom Berenger, Colin Blakely, Maggie Scott, JoBeth Williams, Robert Urquhart, Ed O’Neill, Jean-François Stévenin, Harlan Cary Poe, Hugh Millais, Paul Freeman, Winston Ntshona, Pedro Armendáriz Jr., Isabel Grandin, Ernest Graves, Kelvin Thomas, Shane Rimmer, Joseph Konrad, Bruce McLane, George Harris, David Schofield, Terence Rigby, Tony Mathews, Jean-Pierre Kalfon, Ilario Bisi-Pedro
Zusatzmaterial: Audiokommentar von Dominik Starck, Originaltrailer, nur Blu-ray: Langfassung, nur Mediabook: 24-seitiges Booklet mit einem Text von Nando Rohner
Label 2021: NSM Records
Vertrieb 2021: Al!ve AG
Label/Vertrieb 2002: MGM

Copyright 2023 by Volker Schönenberger

3er-Packshots: © 2020/2021 NSM Records (DVD links unten: © 2002 MGM)

 

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