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Ronin – Ich hab noch einen Koffer in Paris

01 Dez

Ronin

Von Volker Schönenberger

Actionthriller // Was ist ein MacGuffin? Ein Objekt, das eine Filmhandlung vorantreibt, weil es für die Figuren wichtig ist, ohne dass es für die Erzählung wirklich nützlich ist. So kann es vorkommen, dass das Filmpublikum gar nicht erfährt, was genau dieses Objekt ist. Paradebeispiel dafür: der leuchtende Inhalt des Koffers in Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ (1994). Oder das Filmpublikum erfährt es, nicht jedoch die Personen, die danach gesucht haben – Beispiel „Citizen Kane“ (1941), wo die Ergründung der Bedeutung des letzten Wortes „Rosebud“ des von Regisseur Orson Welles verkörperten Zeitungsmoguls erfolglos bleibt und wir Filmguckerinnen und Filmgucker ihrer erst in der letzten Einstellung gewahr werden. Sogar Personen können MacGuffins sein, wie man an „Star Wars: Episode VII – Das Erwachen der Macht“ (2015) sieht, wo ein gewisser Luke Skywalker gesucht wird. Den Begriff MacGuffin hat kein Geringerer als Alfred Hitchcock populär gemacht, der das Stilmittel in seinen Regiearbeiten oft und gern verwendet hat, etwa in „Die 39 Stufen“ (1935) – dort ist die titelgebende Geheimorganisation der MacGuffin. In „Der zerrissene Vorhang“ (1966) ist es eine wissenschaftliche Formel für ein Raketenabwehrsystem. Weitere Beispiele für MacGuffins finden sich bei Wikipedia.

Ein Koffer als MacGuffin

In John Frankenheimers „Ronin“ (1998) ist der MacGuffin einmal mehr ein Koffer – ein Aluminiumkoffer, um genau zu sein. Seinen Inhalt verrät die Irin Deidre (Natascha McElhone) den fünf Männern nicht, die sie in Paris anheuert, den Koffer zu beschaffen: den Strategen Sam (Robert De Niro) aus den USA, den Franzosen Vincent (Jean Reno), zuständig fürs Organisieren von allem, was so gebraucht wird, den Deutschen Gregor (Stellan Skarsgård), einen IT-Spezialisten, den Briten Spence (Sean Bean), der es mit Waffen hat, und Larry (Skipp Sudduth), den Fahrer.

Der Koffer befindet sich in Nizza in den Händen einer Organisation, mit der nicht zu spaßen ist. Der Hinterhalt will gut geplant sein.

Gefallene Samurai, gefallene Agenten

Um nach dem MacGuffin auch gleich den Filmtitel zu erklären: Die Männer, Söldner, wenn man so will, sind wie Rōnin – jene Samurai des feudalen Japans, die ihren Herrn oder auch nur ihren Status verloren hatten und nun umherzogen und sich als Söldner verkauften oder kriminell wurden. Die Protagonisten in „Ronin“ entstammen offenbar einer vergangenen Ära, sie sind Relikte des Kalten Krieges, ehemalige Agenten unterschiedlicher Mächte, ihrer Existenzberechtigung beraubt. Diese leicht tragisch-melancholische Stimmung zieht sich bei aller Action durch den Film. Und es gibt sogar eine direkte Anspielung auf die Rōnin, genauer: auf die 47 Rōnin, die Anfang des 18. Jahrhunderts den Tod ihres Herrn rächten, ein in Japan mythisch überhöhtes Ereignis. Jean-Pierre (Michael Lonsdale), ein Freund Vincents, den dieser mit Sam nach einiger Zeit aufsucht (aus Gründen), bastelt gern Miniaturen und hat ein Ensemble der 47 Rōnin in seinem Haus stehen.

Es gibt reichlich Action zu sehen, und ein Gutteil davon besteht aus Verfolgungsjagden, drei an der Zahl, alle von stattlicher Länge. Regisseur John Frankenheimer („The Train – Der Zug“) kam dabei zweifellos seine bei den Dreharbeiten des Rennfahrerfilms „Grand Prix“ (1966) gewonnene Erfahrung zugute. Der französische Kameramann Robert Fraisse („Duell – Enemy at the Gates“) filmt die „Ronin“-Verfolgungsjagden schweißtreibend. In rasanten Schnittfolgen bekommen wir unterschiedliche Perspektiven zu sehen, inklusive der subjektiven Kamera, welche die Raserei hautnah erlebbar macht. Mal blicken wir aus dem Autoinneren heraus durch die Windschutzscheibe, mal eher von der Kühlerhaube aus unmittelbar auf die Fahrbahn. Gedreht wurde tatsächlich in den Straßen von Paris und Nizza. Laut Trivia der Internet Movie Database wurden dabei 80 Autos zerstört. Angesichts der Bilder eine glaubhafte Zahl.

Unsere Kati

Knackige Schießereien bringen weitere Adrenalinschübe, auch ein paar überraschende Wendungen und Intrigen halten die Spannung hoch. Als Deidres Hintermann Seamus O’Rourke tritt Jonathan Pryce („Brazil“) in Erscheinung, und der Ire O’Rourke wird noch wichtig werden. In einer kleinen Nebenrolle ist zudem die deutsche Eiskönigin Katarina Witt zu sehen; sie spielt die russische Eiskunstläuferin Natacha Kirilova, die in Paris bei einer Eislaufgala auftritt. Dass sie die Geliebte des russischen Mafioso Mikhi (Féodor Atkine) ist, rückt sie in einer denkwürdigen Szene in den Fokus des Geschehens.

„Ronin“ wurde wiederholt mangelnder Tiefgang attestiert. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, aber der Fokus auf Action überspielt das vorzüglich. Und zum Ende rundet eine Enthüllung die Geschichte sehr gut ab.

Mediabook von capelight pictures

Nach der Weltpremiere beim Internationalen Filmfestival von Venedig im September 1998 spielte „Ronin“ an den weltweiten Kinokassen rund 70 Millionen Dollar ein, was den Actionthriller angesichts seines Produktionsbudgets von 55 Millionen Dollar nur zu einem moderaten Erfolg macht. Mit enorm kurzer Vorlaufzeit angekündigt, veröffentlicht capelight pictures das Werk nun als Mediabook mit UHD Blu-ray und Blu-ray nebst Bonus-Blu-ray. Das kommt ebenso überraschend wie die eine oder andere Wendung des Films, passt also (ich wusste bereits seit zehn Tagen Bescheid, sonst hätte ich zum jetzigen Zeitpunkt kaum diesen Text veröffentlichen können). Das Bild hat mir ausgezeichnet gefallen (ich habe die Blu-ray gesichtet). Das Zusatzmaterial auf der zweiten Blu-ray enthält alle Boni der bisherigen Veröffentlichungen (Auflistung siehe unten). Neues Material ist nicht dabei, aber letztlich lassen die Featurettes keine Wünsche offen. Im Booklet findet sich ein Text mit dem Titel „Zwischen Action und Existenzangst – John Frankenheimers tragische Agenten in RONIN“. Die mir bis dato nicht bekannte Autorin Kathrin Horster weiß, wovon sie schreibt, und weiß auch zu schreiben. Ihr Text hat obendrein ein professionelles Korrektorat/Lektorat erhalten, bei capelight nach meiner Beobachtung sowieso Standard. Insofern ist das Mediabook insgesamt einmal mehr seinen Preis wert, so meine bescheidene Ansicht. Wer die üblichen Preise für Filme in Mediabooks für überteuert hält, darf diese Gegenmeinung gern vertreten. Richtig oder falsch gibt es hier nicht, es bleibt die individuelle Entscheidung jedes Filmfans, wieviel er ausgeben will. Wobei es im Falle von „Ronin“ diesmal keine parallele Veröffentlichung einer Blu-ray und/oder DVD im herkömmlichen Softcase gibt, wie es capelight pictures sonst oft handhabt. Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt.

„Ronin“ hat sich seinen Ruf als Actionklassiker redlich erarbeitet. Bleibt die Frage: Was war denn nun in dem Koffer?

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von John Frankenheimer haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Natascha McElhone unter Schauspielerinnen, Filme mit Sean Bean, Robert De Niro, Jonathan Pryce, Jean Reno und Stellan Skarsgård in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 7. Dezember 2023 als 3-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (UHD Blu-ray & 2 Blu-rays) und 2-Disc Edition Steelbook (UHD Blu-ray & Bonus-Blu-ray), 25. Februar 2008 als Blu-ray, 24. Oktober 2008 als DVD in der „Cash, Crime & Characters“ Edition (mit 29 anderen Filmen der United Artists Collection), 27. Dezember 2006 als Special Edition DVD im Steelbook, 17. November 2003 als DVD in der „Robert De Niro Collection“ (mit „Wie ein wilder Stier“ und „Fesseln der Macht“), 5. Oktober 2004 als 2-Disc Gold Edition (2 DVDs), 1. Januar 2010, 4. September 2006, 1. Januar 2004 und 16. Juli 1999 als DVD

Länge: 122 Min. (Blu-ray), 116 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Ronin
GB/F/USA 1998
Regie: John Frankenheimer
Drehbuch: J. D. Zeik, David Mamet (als Richard Weisz)
Besetzung: Robert De Niro, Jean Reno, Natascha McElhone, Stellan Skarsgård, Sean Bean, Skipp Sudduth, Jonathan Pryce, Michael Lonsdale, Katarina Witt, Jan Tríska, Ron Perkins, Féodor Atkine, Bernard Bloch, Tolsty, Lionel Vitrant, Katia Tchenko
Zusatzmaterial 2023: Audiokommentar von Regisseur John Frankenheimer, deutscher Kinotrailer, Original-Kinotrailer, „Im Schneideraum“ (18:09 Min.), „Natascha McElhone – Die Arbeit einer Schauspielerin (13:22 Min.), „Die Komposition der Musik“ (11:22 Min.), „Riskante Fahrmanöver“ (14:50 Min.), „Filmen auf der Überholspur“ (17:01 Min.), „Durch das Objektiv“ (17:12 Min.), „Die Venedig-Interviews“ (19:49 Min.), alternatives Filmende (1:45 Min.), 24-seitiges Booklet
Zusatzmaterial zuvor (variiert je nach Veröffentlichung): siehe 2023, Bildergalerie, Trailershow bei Einlegen der Disc
Label 2023: capelight pictures
Vertrieb 2023: Al!ve AG
Label/Vertrieb zuvor: MGM / Twentieth Century Fox Home Entertainment

Copyright 2023 by Volker Schönenberger

Unterer Mediabook-Packshot: © capelight pictures,
gruppierter Blu-ray- und DVD-Packshot: © MGM / Twentieth Century Fox Home Entertainment

 

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