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Unternehmen Rosebud – Ein jeder trägt eine Maske. Auch Otto Preminger?

Rosebud

Von Tonio Klein

Agenten-Abenteuer // Bedauerlich: In den Feuilletons der USA wie Deutschlands wurde „Unternehmen Rosebud“ (1975) seinerzeit vornehmlich verrissen. Zu Euphorie besteht zwar kein Anlass, aber als missratenes Alterswerk Otto Premingers („Exodus“) mag ich den Film auch nicht abtun; er verdient eine genauere Betrachtung. Gut ist er schon in der Anfangsphase: Terroristen der Gruppe „Schwarzer September“ werden als Alltagsmenschen eingeführt, worauf der Bericht eines tragischen Familienschicksals hinweist, für den Plot scheinbar völlig überflüssig. Der endgültige Hinweis, womit sich zwei Freunde beschäftigen, die einander nach langer Zeit wiedersehen, kommt eher beiläufig und bohrt sich daher umso mehr in die Magengrube, genauso wie die tödlich-kindliche Unschuld, mit der ein Killer seine Spezialwaffe preist wie ein neues Spielzeug. Wenn es dann zu der Entführung von fünf Millionärstöchtern und -enkelinnen von einer Yacht (keinem Schlitten) namens „Rosebud“ kommt (unter ihnen Isabelle Huppert sowie Kim Cattrall in ihrem Filmdebüt), hat man endgültig das Gefühl, Preminger kann es noch, das atmosphärische Spannungskino. Leuchtturmlicht lässt die Szenerie unheimlich monochrom erscheinen. Beim verabredeten Signal – dem Anzünden einer Zigarette – baut Preminger einen kurzen Moment der Spannung durch Verzögerung ein (der klassische nicht anspringende Motor aus Billy Wilders „Frau ohne Gewissen“); das wirkt.

Bergvagabunden

Später jedoch wirkt „Unternehmen Rosebud“ tatsächlich ausgefranst und langatmig; vielleicht wäre ein Schauplatz weniger mehr gewesen, unter anderem geht es nach Berlin, Hamburg, Korsika, Paris und in den Libanon. Peter O’Toole als Geheimagent Larry Martin ist die personifizierte Schnöseligkeit, eine Selbstparodie seines Womanizer-Images. Eine Pseudo-Erotikszene mit Isabelle Huppert und O’Toole wirkt völlig aus dem Rahmen gefallen, geschmacklos, deplatziert. Und worin er am Anfang stark war, die klassisch-spannende Dramaturgie, das läuft Preminger völlig aus dem Ruder, die Schnitzeljagd verzettelt sich und verläuft oft genug im Nichts. Ein besonders krasses Beispiel ist die lange, sehr lange Szene, in der Martin und sein deutscher Kollege Schloss (Klaus Löwitsch) die komplizierte Übergabe antisemitischer Comics von A zu B zu C bespitzeln. Isoliert gesehen gar nicht schlecht, und in einer Szene, in der eine Ladenbesitzerin unter Druck gesetzt wird, mischen sich Komik und Erschrecken über die Omnipotenz einer perfekten Überwachungsmaschinerie (übrigens, der Dialogsatz „Es kommt nicht auf die Technik, sondern nur auf die Menge der gespeicherten Daten an“ ist erschreckend modern). Aber dann? Ein Mädel latscht mit den Dokumenten einfach über den Checkpoint Charlie, wohin Schloss und Martin ihr nicht folgen dürfen. Vorher hyperperfekt und hyperperfekt organisiert und dann verschwindet das Zielobjekt auf so lächerlich einfache Weise? Preminger macht hier viel Lärm um nichts, vertrödelt Zeit.

Im Flugzeug, das gar nicht abfliegt

Am Ende hat man, was beinahe schon wieder anerkennenswert ist, den Eindruck, das Ganze habe Methode. Das Agenten-Abenteuer führt vor, dass die Geheimdienst- wie Terrorismuswelt von multiplen Täuschungen lebt, anhand deren leicht die Grenzen zwischen Gut und Böse, aber auch die Vergewisserung der Individualität und „Verortung“ aufgehoben zu werden drohen. So werden (eigentlich völlig idiotisch, weil man die Geschwindigkeit beim Abflug bemerkt) die Entführungsopfer maskiert in ein stehendes Flugzeugteil gesetzt und ihnen wird Ortsveränderung vorgegaukelt, wo es sie nicht gibt. Isabelle Huppert als schließlich freigelassenes Entführungsopfer muss sich maskieren, ändert Frisur und Styling und wird sogleich tatsächlich zum Vamp (seltsam aus dem Rahmen fallend wirkt ihre oben erwähnte Erotikszene dennoch). Polizisten, die doch eigentlich die Guten sein sollten, prügeln einen linken Aktivisten halbtot. Der Film-Großvater von Huppert ist gegenüber diesem Mann erstaunlich aufgeschlossen, muss dann aber seine Beteiligung an tödlichen Waffenlieferungen zugeben (offen bleibt, ob dies eine von den Terroristen erzwungene Lüge oder erzwungene Wahrheit ist).

In der Höhle des Löwen

Peter O’Toole soll als von der CIA eingesetzter britischer Undercoveragent Larry Martin der harte Knochen sein, hat aber die Maske des Dandy-Reporters angelegt. Er muss später einmal eine „echte Verkleidung“ als der geprügelte linke Aktivist anlegen. Die Araber werden vom abtrünnigen Briten Edward Sloat (Richard Attenborough) angeführt. Martin und Schloss (also CIA und BND) hatten früher einmal eine Befreiung einer gekaperten Passagiermaschine im Austausch gegen palästinensische Gefangene organisiert; dabei hatte der britische Agent die Entführung erst ermöglicht, damit die Deutschen die Gefangenen loswerden konnten, ohne bei den Israelis ihr Gesicht zu verlieren. Perverse Welt, Welt der Tricksereien, der verschwundenen und gewechselten Identitäten; der Heimlichkeiten (alle Aktionen laufen übrigens auch eher durch Täuschung und Tricks denn durch offenen Kampf ab, der Film ist nahezu actionfrei). Und am Ende die Klarheit, dass nur ein Mosaikstein in einer weit komplizierteren Geschichte verhandelt wurde, und diese Geschichte lässt Premingers Titeldesigner Saul Bass mit einer (blut?-)roten Leinwand erschreckend enden.

Vielleicht wäre Hitchcock die bessere Wahl gewesen

Man kann also sagen: Vielleicht ist Preminger, der immer schon einmal durch minutenlange kontemplative Nichts-passiert-Szenen (selbst in unbestrittenen Klassikern wie „Laura“) sein Publikum herausforderte, einfach noch radikaler geworden. „Ich vertraue eben auf die Intelligenz des Publikums“, hatte er einmal gesagt (zu einem anderen Film). Das geht so weit, dass er meint, dem Publikum bei einem nicht unterhaltenden Thema einen nicht unterhaltenden Film zuzumuten. Vielleicht stimmt das alles aber auch nicht und der Mann war einfach nur auf Autopilot. Wie dem auch sei: Obwohl ich gern vor der übertriebenen Vergötterung Alfred Hitchcocks warne, wäre der Mann meines Erachtens der bessere und genau der richtige Mann gewesen: Er interessierte sich für die Weltpolitik zeitlebens einen Dreck (an Filmen wie seiner 1966er-Regiearbeit „Der zerrissene Vorhang“ kann man dies besonders gut sehen), aber für menschlich-allzumenschliche Verstrickungen ungemein, für Identitätskrisen und -wechsel, er hatte dies meisterhaft in „Vertigo“ – aus dem Reich der Toten“ (1958) vorgeführt und er hatte mit „Der unsichtbare Dritte“ (1959) das Ganze mit einer nur Hülle bleibenden Spionagegeschichte wunderbar verknüpft.

Doch mal Action

Bei Otto Preminger ist man hingegen nie so ganz sicher, ob er nur einen psychologischen oder auch einen politischen Film schaffen wollte. Gleichwohl ist er radikal konsequent und gradlinig, und (wie Norbert Grob bemerkt hat) ausgerechnet diese Gradlinigkeit führt zum Ausfransen. Preminger kümmert sich kaum ums filmische Erzählen und schildert eine Geschichte so, wie sie ist oder wie er sie eben empfindet. Das ist radikale Ehrlichkeit, sich nicht um erzählerische Strukturen zu kümmern, wenn das Erzählte unstrukturiert ist. Gleichwohl: Ein nichtdokumentarischer Film leidet darunter. Wenngleich nicht jeder Film unterhalten soll, soll er doch irgendwie berühren, sein Publikum mitnehmen. Preminger hingegen stößt es vor den Kopf. Dass und wie er das macht, ist faszinierend, viele Einzelszenen sind wunderbar, aber das Gesamtwerk hat dadurch Schwächen.

Erstmals auf Blu-ray

Da die 2011er-DVD von EuroVideo im Handel vergriffen ist, ergibt es Sinn, dass sich explosive media des Agenten-Abenteuers angenommen und es im Vertrieb von Plaion Pictures hierzulande erstmals auf Blu-ray und erneut auf DVD veröffentlicht hat. Das neue Bild entstammt einem 2K-Master und weiß zu gefallen (mir lag die Blu-ray vor), an den beiden Tonspuren gibt es ebenfalls nichts auszusetzen. Welche Terrorismus-Thriller und -Abenteuer der 1970er-Jahre könnt ihr empfehlen?

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Kim Cattrall und Isabelle Huppert haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Richard Attenborough und Peter O’Toole unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 23. Mai 2024 als Blu-ray und DVD, 11. August 2011 als DVD

Länge: 126 Min. (Blu-ray), 121 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Rosebud
USA 1975
Regie: Otto Preminger
Drehbuch: Erik Lee Preminger, nach einem Roman von Joan Hemingway und Paul Bonnecarrère
Besetzung: Peter O’Toole, Richard Attenborough, Cliff Gorman, Claude Dauphin, John V. Lindsay, Peter Lawford, Raf Vallone, Adrienne Corri, Amidou, Yosef Shiloach, Brigitte Ariel, Isabelle Huppert, Lalla Ward, Kim Cattrall, Debra Berger, Hans Verner, Françoise Brion, Klaus Löwitsch, Maria Machado, Ori Levy, Paul Bonifas, David Cassidy
Zusatzmaterial: deutscher und englischer Trailer, Bildergalerie, Wendecover
Label 2024: explosive media
Vertrieb 2024: Plaion Pictures
Label/Vertrieb 2011: EuroVideo Medien GmbH

Copyright 2024 by Tonio Klein

Gruppierter Packshot: © 2024 explosive media,
Szenenfotos & DVD-Packshot: © 2011 EuroVideo Medien GmbH

 

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John Carpenter (XVI): Big Trouble in Little China – Die Parodie des Actionhelden

John Carpenter’s Big Trouble in Little China

Von Lucas Gröning

Fantasy-Actionkomödie // Schauen wir uns John McTiernans „Stirb langsam“ (1988) an, so sehen wir so etwas wie einen prototypischen Actionfilm der 1980er- und frühen 1990er-Jahre. Wir haben einen furchtlosen, machomäßigen, coolen, starken Mann, der sich einer hohen Anzahl klischeebehafteter Gegner in den Weg stellt und diese, zwar mit einigen Schwierigkeiten, schlussendlich aber weitgehend gefahrlos besiegen kann. Andere Beispiele dafür sind „Rambo“ (1982), „Predator“ (1987) und „Terminator 2 – Tag der Abrechnung“ (1991). Besonders dieses Coole und zugleich Machomäßige wird in „Stirb Langsam“ sehr deutlich – zum einen durch das generelle Verhalten des Protagonisten, zum anderen durch das weiße Unterhemd als typisches, ikonisches Bild für den handelnden, testosteronbeladenen Mann. Doch „Stirb Langsam“ war nicht der erste Film, der diese Ikonografie aufgegriffen und auf einen Actionhelden übertragen hatte. Bereits zwei Jahre bevor Bruce Willis sich durch das Nakatomi Plaza kämpfte, streifte ein anderer Actionheld sich das weiße Unterhemd über und zog gegen das Böse in den Kampf: Kurt Russell in John Carpenters „Big Trouble in Little China“.

Carpenter und Russell zum Dritten

Nach dem dystopischen Actionfilm „Die Klapperschlange“ (1981) und dem polaren Alien-Schocker „Das Ding aus einer anderen Welt“ (1982) war es bereits die dritte Kooperation zwischen Carpenter und Russell. Später sollten sie noch einmal zusammenarbeiten – für „Flucht aus L.A.“ (1996), die Fortsetzung von „Die Klapperschlange“. Der vor allem im Horrorgenre beheimatete Carpenter („Halloween – Die Nacht des Grauens“, „The Fog – Nebel des Grauens“) machte sich auch als Regisseur von Actionfilmen einen Namen – „Die Klapperschlange“, „Sie leben“ (1988) und eben „Big Trouble in Little China“ seien hier erwähnt. Kurt Russell wiederum ist seit der Kindheit als Schauspieler aktiv. Seine coole Verkörperung des Snake Plissken in „Die Klapperschlange“ machte ihn zum gut beschäftigten Star. Nicht zuletzt dank Quentin Tarantino erlebte er zuletzt seinen zweiten Frühling – der besetzte ihn bislang dreimal: im „Grindhouse“-Segment „Death Proof – Todsicher“ (2007) sowie in „The Hateful Eight“ (2015) und „Once Upon a Time in Hollywood“ (2019). Es treffen bei „Big Trouble in Little China“ also zwei absolute Größen aufeinander und, so viel sei bereits erwähnt, es kam bei dieser erneuten Zusammenarbeit wieder ein toller Film heraus, wenn auch etwas vollkommen anderes, als das bei den anderen gemeinsamen Werken des Duos der Fall war.

Booklet des Arrow-Video-Steelbooks

Im Zentrum der Handlung steht der Trucker Jack Burton (Kurt Russell). Burton ist ein recht „einfacher“, latent rassistischer, frauenfeindlicher Macho mit großer Klappe. Gerade zu Beginn wird er mehrmals mit Sonnenbrille und Harley-Davidson-Cap gezeigt, was dieses Bild unterstützt. Seine Tage verbringt er auf dem Bock seines Trucks mit dem Transport verschiedener Güter und mit Glücksspielen im Restaurant seines chinesischen Freundes Wang Chi (Dennis Dun) im chinesischen Stadtteil von San Francisco: Chinatown. Eines Tages will Wang seine Verlobte Miao Yin (Suzee Pai) vom Flughafen abholen, wobei Jack ihn begleitet. Miao wird am Flughafen jedoch bereits von einigen ominösen Gestalten erwartet, die sie sogleich entführen. Wang und Jack folgen den Männern und können sie tatsächlich stellen, müssen angesichts der Macht ihrer Gegner jedoch kapitulieren – die Entführer setzen in der Auseinandersetzung schwarze Magie ein. Davon völlig überfordert bleibt den beiden Freunden nur die Flucht. Bald finden sie heraus, dass hinter der Entführung der Industrielle David Lo Pan (James Hong) steckt, der sich als 2200 Jahre alter Geist enpuppt, welcher durch die Opferung einer besonderen Frau im Zuge eines Rituals seine menschliche Form zurückgewinnen will. Gemeinsam mit dem Magier Egg Shen (Victor Wong), der Anwältin Gracie Law (Kim Cattrall), der Journalistin Margo Litzenberger (Kate Burton) und dem Ober Eddie Lee (Donald Li) sagen Jack und Wang dem Bösen den Kampf an.

Der Ernst weicht der Komik

Wie bereits erwähnt unterscheidet sich „Big Trouble in Little China“ fundamental von den vorherigen gemeinsamen Arbeiten des Duos Carpenter-Russell. Unterschieden sich der Horrorstreifen „Das Ding aus einer anderen Welt“ sowie die actionlastigen Science-Fiction-Filme „Die Klapperschlange“ und (der später entstandene) „Flucht aus L.A.“ zwar hinsichtlich der zugeordneten Genre, einte sie doch eine gewisse Ernsthaftigkeit. Für schräge Witze, Lächerlichkeiten und Slapstick war in der Regel kein Platz. Mit „Big Trouble in Little China“ änderte sich der Ton nun dramatisch. Bis auf die grundsätzlich ernsthafte Prämisse des Films gestaltet sich fast kein Aspekt noch humorfrei. Dramatische und spannungsgeladene Szenen wie die Blutabnahme in „Das Ding aus einer anderen Welt“ sucht man nun vergebens. Stattdessen finden wir hier ein Arbeiten mit Klischees, Stereotypen, Parodien und Situationskomik zum Erzeugen einer heiteren Atmosphäre. Vor allem die Stereotype stechen ins Auge. Wir haben mit Jack den einfachen, großmäuligen Macho, mit Margo die schwächliche, ab und an in Schwierigkeiten geratende, Frau, mit Egg den alten, weisen Asiaten und natürlich mit den Schergen von Lo Pan die chinesischen Martial-Arts-Kämpfer. Der Film erinnert zum einen damit, zum anderen aber auch durch seinen exorbitant häufigen Einsatz enorm plastischer und bewusst lächerlich wirkender Effekte stark an Trashfilme der 1960er- und 1970er-Jahre, deren Elemente das Actiongenre der 1980er aufgriff.

Entgegen der Sehgewohnheiten

Und doch muss man sagen, dass Carpenters Werk noch ein ganzes Stück weit von einem typischen Actionfilm dieses Jahrzehnts entfernt ist. Obwohl er mit seiner Figur des Jack Burton den Protagonisten aus „Stirb langsam“, John McClane, rein optisch vorweggenommen hat, unterscheiden sich die Figuren stark in ihrer Art des Voranschreitens und ihrer Beziehung zu den Nebenfiguren. John McClane geht fast über die gesamte Lauflänge von „Stirb langsam“ als Einzelkämpfer vor, kommt mit anderen Menschen nur sporadisch in Kontakt und repräsentiert das klassische Bild des agierenden, den Tag rettenden männlichen Helden, womit er in einer Reihe mit Rambo, Major „Dutch“ Schaefer aus „Predator“ und dem T-800 aus „Terminator 2“ steht. Jack Burton ist dagegen viel mehr eine Parodie dieser Actionhelden. Er tritt im ersten Moment auf ähnliche Weise wie die genannten Herren auf, der Verlauf des Films steht jedoch im Kontrast zu allem, was wir aus anderen Actionfilmen kennen.

Die Kastration des Actionhelden

Nur selten ist es Jack, der den Ton setzt oder den nächsten Schritt auf dem Weg zum Ziel vorgibt. Meist verkommt er zu einem passiven Subjekt, das zwar die agierende Rolle einnehmen will, sich jedoch für den Erfolg der Gruppe fügen muss. Aktionen auf eigene Faust, eine Seltenheit im Film, enden zumeist in Schwierigkeiten, aus denen sich Burton nie allein herauswinden kann und aus denen der Film einen Großteil seines Humors zieht. Umso mehr ist er auf das Kollektiv angewiesen, deren Mitglieder ihm stehts aus der Klemme helfen müssen. Die heimliche Anführerin der Gruppe ist passenderweise eine Frau: die Anwältin Gracie Law. Sie ist es, die meist den Ton angibt und die nächsten Aktionen vorgibt, ohne dass bei ihr jedoch eine Umkodierung im Stile klassischer Actionhelden vorgenommen wird, wie das beispielsweise mit Ellen Ripley in „Aliens – Die Rückkehr“ geschah. Sie bleibt die „normale“ Frau, also der Klischee-Charakter, wie man ihn aus vielen Actionfilmen kennt, und mutiert nicht zu einer Männerfigur. Vielmehr sind es ihre Worte, die Gewicht haben und mit denen die Macht in ihre Richtung verschoben wird. Mit dieser Verschiebung der Macht vom männlichen Helden zu einer Frau und zum Kollektiv steuert John Carpenter mit der Zeit auf eine Kastration seines Protagonisten zu, die sich auch im symbolischen Verlust des Phallus manifestiert – in diesem Fall im Diebstahl seines Trucks.

Für Trash-Fans und Carpenter-Fans

Das alles macht „Big Trouble in Little China“ zu einem großartigen Abenteuer. Zum einen ist der Film aufgrund der vielen slapstickartigen Momente, der trashigen Actionszenen und lächerlich wirkenden Effekte enorm unterhaltsam, zum anderen erleben wir hier Carpenter-typisch einen sehr intelligenten Film, der unter seiner Oberfläche deutlich mehr beinhaltet, als zunächst ersichtlich ist. Er reiht sich damit vorzüglich in die Filmografie des Regisseurs ein, stellt aber trotzdem etwas Einzigartiges in dessen Gesamtwerk dar. Es ist deswegen auch schwer zu bewerten, ob der Film nun besser oder schlechter als andere Carpenter-Filme ist. Er funktioniert in seiner Sparte als trashige Komödie hervorragend und steht dem, was der Regisseur uns bisher gezeigt hatte, in fast jeglicher Hinsicht entgegen. Für Actionfans ist „Big Trouble in Little China“ in jedem Fall eine Pflichtsichtung – für Fans von Großmeister John Carpenter sowieso. Beschaffungsprobleme gibt es hierzulande nicht, Blu-ray und DVD sind lieferbar, auch ein Mediabook mit beiden Formaten ist erschienen. Wer auf die deutsche Synchronisation verzichten mag, kann auf die Blu-ray des englischen Labels Arrow Video zugreifen, die qualitativ und bezüglich der Ausstattung keine Wünsche offen lässt. Das wunderbare Steelbook des Labels (siehe oberstes Foto) ist allerdings vergriffen und auf dem Sammlermarkt nicht mehr ganz preiswert zu haben.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von John Carpenter haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Kim Cattrall unter Schauspielerinnen, Filme mit James Hong, Kurt Russell und Cary-Hiroyuki Tagawa in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 9. Juli 2018 als Mediabook in vier unterschiedlichen Covervariationen (eines davon wattiert), 20. Januar 2012 als DVD (Action Cult Uncut), 19. Juni 2009 als Blu-ray, 30. April 2007 als Special Edition DVD im Steelbook, 13. Januar 2001 als 2-Disc Special Edition DVD

Länge: 100 Min. (Blu-ray), 95 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Big Trouble in Little China
USA 1986
Regie: John Carpenter
Drehbuch: Gary Goldman, David Z. Weinstein, W. D. Richter
Besetzung: Kurt Russell, Kim Cattrall, Dennis Dun, James Hong, Victor Wong, Kate Burton, Donald Li, Carter Wong, Peter Kwong, James Pax, Suzee Pai, Chao Li Chi, Cary-Hiroyuki Tagawa
Zusatzmaterial: keine Angabe
Label/Vertrieb: 2018/2019: ’84 Entertainment
Label Vertrieb: 2001-2012: Twentieth Century Fox Home Entertainment

Copyright 2020 by Lucas Gröning

Packshot Blu-ray und DVDs: © Twentieth Century Fox Home Entertainment

 

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