Dark Star
Von Lars Johansen
Science-Fiction // John Carpenter ist in Hollywood bis heute ein Außenseiter geblieben. Seine Werke erscheinen im Nachhinein oft als hellsichtige, visionäre Filme, die bei ihrem Erscheinen jedoch von der etablierten Filmkritik (und manchmal auch vom Publikum) gern missverstanden wurden. So stehen großen Erfolgen auch immer wieder Misserfolge gegenüber, die beim Wiedersehen, jedenfalls empfinde ich es so, in den allermeisten Fällen gewinnen. „Dark Star – Finsterer Stern“ (1974) hingegen nahm mich schon bei der ersten Sichtung im Kino, das muss so Mitte der 80er-Jahre gewesen sein, komplett gefangen.
An den Tricks kann es nicht gelegen haben, denn diese mögen für eine Produktion, die angeblich nur 60.000 Dollar gekostet haben soll, sehr ordentlich sein, man sieht ihnen aber natürlich diese Billigkeit an. Andererseits ist es Carpenter und seinem Co-Autoren, Tricktechniker und Schauspieler Dan O’Bannon gelungen, diesen preiswerten Look als filmisches Element zu integrieren. Hier erleben wir kein Hochglanzraumschiff, sondern einen schmuddeligen, allmählich zerfallenden Schrotthaufen. Die Besatzung passt dazu, denn man sieht ihren Mitgliedern an, dass sie schon jahrelang unterwegs sind und sich nicht mehr dafür interessieren, wie sie aussehen.
O’Bannon hat diesen Look direkt in das sehr viel höher budgetierte Projekt „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ (1979) hinübergerettet, für welches er das Drehbuch verfasste. Ohnehin gibt es einige auffallende Parallelen in der Handlung. Das beginnt schon damit, dass in „Dark Star“ der in der deutschen Fassung „Exot“ genannte Außerirdische im Original als „Alien“ bezeichnet wird, was seinerzeit zum ersten Mal in einem amerikanischen Film der Fall gewesen zu sein scheint. Zuvor sprach man dort in der Regel von „Extraterrestrials“. Und auch der Tod der meisten Besatzungsmitglieder wiederholt sich in Ridley Scotts Regiearbeit, genau wie das ostentative Desinteresse der irdischen Auftraggeber, denen das Leben ebendieser völlig gleichgültig ist. Bei „Dark Star“ werden einfach die Budgets für notwendige Reparaturen nicht genehmigt, bei „Alien“ der Tod der Besatzung aus kommerziellen Gründen billigend in Kauf genommen. Da glänzt nichts wie bei „Star Trek“ (1965–1969) oder Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ (1968), sondern Interieur und Besatzung erinnern eher an die Romane von Joseph Conrad. Nicht umsonst heißt das Raumschiff in „Alien“ nach einer seiner berühmtesten Erzählungen „Nostromo“. Auch bei Conrad geht es immer wieder um heruntergekommene Seemänner, die sich fern der Heimat trotz allen Abstiegs und selbst im Angesicht ihres Todes ihre Ehrbarkeit bewahrt haben. Und auch Carpenter verrät seine Figuren nicht, sondern lässt ihnen bis zuletzt ihre Würde. Sie enden übrigens auf die gleiche Weise wie die Astronauten in Ray Bradburys Erzählung „Kaleidoskop“ aus „Der illustrierte Mann“, die bereits 1952 erschienen ist und unübersehbar einen wichtigen Einfluss auf den Film hatte.
Wenn ich hier „2001 – Odyssee im Weltraum“ erwähne, dann natürlich auch deswegen, weil „Dark Star“ oftmals als reine Satire auf diesen Film rezipiert wird. Das aber greift zu kurz. Denn auch Kubricks „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte die Bombe zu lieben“ (1964) dürfte zumindest die Inspiration für die Probleme mit den Bombenschächten gewesen sein. Und wenn dort Major Kong auf der Bombe sitzend zur Erde reitet, dann erinnert das natürlich an das Surfen von Doolittle (Brian Narelle). Die Dreharbeiten zu „Dark Star“ begannen zwar 1970 und damit einigermaßen zeitnah nach Erscheinen von Kubricks Meisterwerken, deren Dekonstruktion war aber gewiss nicht Carpenters einziges Ziel. Natürlich spielte das auch eine Rolle, aber zugleich musste ich sehr an die Arbeiten der britischen Komikergruppe Monty Python denken. Gerade der hochintelligente und zugleich hochkomische Dialog mit der Bombe, welcher die Phänomenologie gelehrt wird, damit sie ihre eigenen Existenz in Frage stellt und eben nicht direkt unter dem Schiff explodiert, erinnert zwar an HAL, den bösartigen Bordcomputer aus „2001“, aber zugleich an das Fußballspiel der Philosophen aus der zweiten Folge von „Monty Python’s Fliegender Zirkus“, die 1971 in Deutschland gedreht und im Folgejahr ausgestrahlt wurde. Es ist der intelligente, studentisch geprägte Humor, der aus diesem Grund in den USA gern als „Camp“ bezeichnet wird, was sich von Campus ableitet, also dem Gelände der Universität. Und wenn man sich „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams anhört oder durchliest, ein Werk, welches ab 1978 entstanden ist, bemerkt man wiederum den Einfluss von „Dark Star“ darauf. Denn der Job dieses Raumschiffes besteht darin, Planeten zum Explodieren zu bringen, um eine Besiedlung zu ermöglichen. Und nichts anderes tun die Vogonen bei Adams, welche die Erde im Rahmen einer galaktischen Umgehungsstraße sprengen. Der Einfluss von „Dark Star“ auf die Popkultur ist erstaunlich groß, vielleicht, weil auch er viel mit popkulturellen Zitaten arbeitet. Der im Weltall umhertreibende Toilettenspülkasten mit der Aufschrift „thx1138“ spielt natürlich ziemlich unverschämt auf George Lucas’ ersten Langfilm „THX 1138“ (1971) und seinen 1967 erschienenen studentischen Kurzfilm „Electronic Labyrinth: THX 1138 4EB“ an.
Das Planetensprengkommando
Der folgende kurze Abriss der Handlung enthält ein paar Spoiler, was aber unerlässlich für das Verständnis des Films ist: Die „Dark Star“ befindet sich Mitte des 22. Jahrhunderts seit 20 Jahren im Weltraum, ihre Besatzung soll instabile Planeten sprengen, um Sonnensysteme mit erdähnlichen Trabanten für eine spätere Besiedlung vorzubereiten. Der Commander (Joe Saunders) ist schon vor Jahren gestorben und wird in einer kryogenischen Kammer künstlich am Leben erhalten. Nomineller Chef der gelangweilten Besatzung ist jetzt Lieutenant Doolittle (Brian Narelle). Talby (Dre Pahich, gesprochen von Carpenter selbst) sitzt in einer Glaskuppel auf dem Raumschiff. Boiler (Cal Kuniholm) treibt allerlei Unsinn, unter anderem absolviert er Schießübungen auf dem Schiff, und Sergeant Pinback (Dan O’Bannon) schließlich heißt eigentlich ganz anders und ist nur aufgrund einer unglücklichen Verwechslung mit an Bord. Er ist für die Fütterung einer außerirdischen Lebensform zuständig, einem großen Ballon mit Krallen, welcher ihn zu töten versucht und schließlich durch den Schuss aus einer Betäubungspistole stirbt. Aufgrund diverser Fehlfunktionen explodiert eine der Bomben im Schiff und tötet die gesamte Besatzung außer Talby und Doolittle, welche sich außerhalb desselben befinden und auf für sie angenehme Weise ums Leben kommen: Der passionierte Surfer Doolittle surft auf einem großen Metallstück und verglüht in der Atmosphäre eines Planeten, Talby löst sich in dem regenbogenfarbenen Meteorstrom der von ihm verehrten Phönix-Asteroiden auf.
Was „Dark Star – Finsterer Stern“ so interessant macht, sind nicht nur die ihm ohnehin innewohnenden Qualitäten, sondern auch die Bedeutung für Carpenters Gesamtwerk. Viele Motive tauchen hier schon auf, welche in seinen späteren Filmen größeren Raum einnehmen werden. Wobei gerade die Räume bei Carpenter oft sehr beschränkt sind. Ist es hier ein Raumschiff, erleben wir im 1976 entstandenen „Assault – Anschlag bei Nacht“ ein abseits gelegenes Polizeirevier in einem nahezu verlassenen Stadtviertel. Im Fernsehfilm „Das unsichtbare Auge“ (1978) ist der Handlungsort ein Appartement. In „Halloween – Die Nacht des Grauens“ (1978) und „The Fog – Nebel des Grauens“ (1980) sind es Kleinstädte. Und selbst Manhattan wird 1981 in „Die Klapperschlange“ zu einem nahezu klaustrophobischen abgeschlossenen Gefängnis. Auch „Das Ding aus einer anderen Welt“ (1982) landet in einer kleinen arktischen Forschungsstation. „Die Fürsten der Dunkelheit“ (1987) wiederholt das Belagerungsszenario aus „Assault“. In „Die Mächte des Wahnsinns“ (1994) gibt es eine seltsame Kleinstadt, aus der man nur schwer entkommen kann. „Das Dorf der Verdammten“ (1995) erklärt schon im Titel den Handlungsort. Die „Ghosts of Mars (2001) lassen einen ganzen Planeten zu einem engen Raum werden. Und in Carpenters bislang letzter Regiearbeit „The Ward“ (2010) scheint es ein Hospital zu sein, aber eigentlich ist der eigene Körper der Hauptdarstellerin ihr Gefängnis, in welchem sich die Handlung abspielt.
Arbeiter in Ausnahmesituationen
Die Protagonisten bei Carpenter sind immer wieder einfache Männer, in „The Fog“ und „Halloween“ auch mal Frauen, die nicht der Oberschicht angehören, sondern zumeist aus der Arbeiterklasse kommen. Diese müssen in besonderen Situationen über sich hinauswachsen. Die idealtypische Verkörperung dafür ist natürlich Kurt Russell, der in vielen Filmen Carpenters in tragenden Rollen auftaucht. Aber auch Tom Atkins oder Keith David kann man öfter als dieses Role Model sehen. Russell ist von „Elvis – The King“ (1979) bis „Flucht aus L.A.“ (1996) mit Carpenter unterwegs gewesen. Sein Snake Plissken aus den beiden „Escape“-Filmen ist geradezu ikonisch geworden. In „Big Trouble in Little China“ (1986) parodiert er sein Image, indem er hemmungslos übertreibt, was sehr viel Spaß macht, wenn man sich darauf einlassen mag. In „Das Ding aus einer anderen Welt“ bleibt er beim apokalyptischen Ende ohne Aussicht auf ein Überleben zurück. Wortkarg, aber mutig und zupackend, Autoritäten misstrauend, ein Einzelgänger, der sichtbar vom Westerngenre beeinflusst ist; speziell vor allem von John Wayne, dessen „Rio Bravo“ (1959) von Howard Hawks nicht nur „Assault“ sichtbar beeinflusst hat (und John Carpenter hat wiederholt bekundet, dass „Rio Bravo“ zu seinen Lieblingsfilmen gehört). Zu Russells Spiel in „Big Trouble …“ sagte Carpenter einmal „Jack Burton is John Wayne, and Kurt is playing it blow-hard John Wayne.“ Die Augenklappe, welche Snake Plissken in „Die Klapperschlange“ trägt, erinnert an Waynes oscargekrönte Rolle aus „Der Marshall“ (1969), und dass ihn jeder, der ihm begegnet, für tot hält, ist ein wörtliches Zitat aus „Big Jake“ (1971) mit Wayne in der Titelrolle. Roddy Piper in „Sie leben“ (1988) und Jason Statham in „Ghosts of Mars“ spielen diese proletarischen Helden bei Carpenter. Sie scheinen unpolitisch zu sein, aber gerade „Sie leben“, den ich jahrelang massiv unterschätzt habe, ist der ultimative Film zur Ökonomie der Reagan-Jahre (1980–1988) in den USA, in der die bis heute anhaltende Spaltung der amerikanischen Gesellschaft zementiert wurde.
Zu John Carpenters Musik in seinen eigenen Filmen muss nicht mehr viel gesagt werden. Er ist ein exzellenter Komponist, die berühmten Themen aus „Halloween“ (hier dessen „Main Theme“) und „Die Klapperschlange“ (hier dessen „Main Theme“) tragen einen Gutteil zur Atmosphäre dieser Meisterwerke bei, ebenso bei „The Fog – Nebel des Grauens“ (hier eine „Soundtrack Suite“). Auch in „Assault – Anschlag bei Nacht“ gibt die beklemmende Musik die nahezu hoffnungslose Atmosphäre vor. Und auch im Soundtrack von „Dark Star“ hört man schon Carpenters frühe musikalische Meisterschaft. Sein eigens dafür komponierter Countrysong „Benson, Arizona“ klingt authentisch und fast ein wenig melancholisch, aber so wie er eingesetzt wird, trieft er geradezu vor Ironie. Dadurch rundet er einen feinen, kleinen Film noch einmal in besonderer Weise ab. „Dark Star – Finsterer Stern“ ist klug, hintergründig, äußerst unterhaltsam und der Beginn einer großen Karriere für einen wahren Auteur. Am 16. Januar 1948 in Carthage im Bundesstaat New York geboren, feiert er am 16. Januar 2023 seinen 75. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!
Deutsche Synchro überraschend hochwertig
Normalerweise schreibe ich nicht über die Synchronfassung, aber im Falle von „Dark Star“ scheint es mir mehr als angemessen. Denn dabei ist tatsächlich eine Auswahl von Sprechern versammelt, die ihresgleichen sucht. Das dürfte auch schon 1979 der Fall gewesen sein, als der Film in Westdeutschland herauskam. Manfred Lehmann spricht Doolittle, Andreas Mannkopff Talby, Joachim Kerzel Pinback und Jürgen Thormann Commander Powell. Selbst die eher kleinen Rollen sind noch prominent besetzt. Bombe 20 hat die Stimme von Friedrich Georg Beckhaus und der Computer schließlich die von Evelyn Hamann. Die Aufzählung dieser Namen bedeutet für jemanden wie den Autoren dieses Textes, der von Synchronisation nur sehr bedingt etwas versteht, eine Menge. Und die Genannten machen hier einen erstklassigen Job. Eine solch wertige deutsche Fassung stellt für ein derart „kleines“ Werk eine Auszeichnung dar. Kein Wunder, dass die „Dark Star“ viele Jahre durch die bundesdeutschen Programmkinos flog, wo ich ihr mehr als einmal dabei zugesehen habe. Die feine Komik des Originals wird hier nicht unnötig vergröbert, sondern setzt den Film in eine adäquate deutsche Fassung um.
Leider gibt es trotz etlicher DVD- und Blu-ray-Auflagen bislang keine ordentliche Veröffentlichung für den deutschsprachigen Heimkinomarkt. Die Bildqualität vermag ebenso wie die Tonqualität in keiner Weise zu überzeugen. Der Blu-ray-Transfer scheint sogar noch schwieriger geworden zu sein als der für die DVDs. Matschige Farben und verrauschten Ton hat dieses kleine Meisterwerk nicht verdient und ich hoffe, dass es in absehbarer Zeit einmal eine bessere Fassung gibt, welche vielleicht einmal direkt vom Original abgetastet wird.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von John Carpenter haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet.
Veröffentlichung: 28. März 2016 als Blu-ray 3D, 30. Juni 2015, 19. Januar 2011 und 18. September 2009 als Blu-ray, 22. Juni 2009, 8. September 2006, 1. Januar 2007 und 11. Oktober 2004 als DVD, 26. September 2008 als Metal Edition DVD, 30. April 2008 als 30 Jahre Jubiläums Edition DVD
Länge: 82 Min. (Blu-ray), 79 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch (nicht jede Veröffentlichung mit englischer Fassung)
Untertitel: Deutsch (nicht bei jeder Veröffentlichung)
Originaltitel: Dark Star
USA 1974
Regie: John Carpenter
Drehbuch: John Carpenter, Dan O’Bannon
Besetzung: Brian Narelle, Cal Kuniholm, Dre Pahich, Dan O’Bannon
Zusatzmaterial (variiert je nach Veröffentlichung): Audiokommentar von Mark Steensland, Screensaver (DVD-ROM), Originaldrehbuch (DVD-ROM), Bloopers (8 Filmfehler mit beschreibender Texttafel und anschließender Szene), Trivia (6 Texttafeln), Slideshow, Original Trailer, Filmografien (John Carpenter, Dan O’Bannon), weitere Trailer
Label/Vertrieb: WME Home Entertainment (2016), Crest Movies (2015), Screenpower (2011), ’84 Entertainment (2010), Screen Power / Starlight Film (2009, 2007, 2006), Sunfilm / Marketingfilm (2008, Metal Edition), Laser Paradise (2008, 30 Jahre Jubiläums Edition), Atlantis Film / Al!ve (2004)
Copyright 2023 by Lars Johansen
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