Unforgiven
Von Tonio Klein
Der folgende Text enthält Spoiler.
Western // Nein, so ganz warm werde ich dem exzellenten Ruf zum Trotze nicht mit „Erbarmungslos“ (1992) – vielleicht weil ich ihn für gut, aber für nicht so brillant halte, wie er sei. Ein Anti-Western soll es sein, einer, in dem es fast nur ums Töten geht, aber der dem Töten jegliche Faszination genommen hat. Wie gar nicht einmal selten in Eastwood-Filmen, hat die Gewalttat, die die Handlung in Gang setzt, mit sexuellen Abwegen zu tun (so auch in „Der Mann, der niemals aufgibt“, 1977): Weil die Hure Delilah Fitzgerald (Anna Thomson) über das bescheidene Maß seines „besten Stücks“ lacht, zerschneidet der Cowboy Quick Mike (David Mucci) ihr das Gesicht. Sheriff Little Bill Dagget (Gene Hackman) betrachtet das als Eigentumsdelikt, begangen am Bordellchef, und verpflichtet den Täter zur Zahlung eines eher geringen Schadensersatzes. Das wollen die Prostituierten nicht auf sich sitzen lassen und setzen ein Kopfgeld auf den Täter und seine Spießgesellen aus.
Gescheiterte Existenzen allenthalben
Die Typen, die das in die Stadt lockt, sind alle schon ziemlich kaputt. Eastwood selbst spielt William „Bill“ Munny, den Ex-Killer, der den Killer in sich nicht los wird – und sein erster Auftritt zeigt im wahrsten Sinne des Wortes, dass er als Schweinezüchter gescheitert ist. Kann er wenigstens noch töten? Sein erstes Schießtraining auf seiner Farm bringt – anders als noch in „Der Texaner“ (1976) – erbärmliche Resultate hervor.
Sein Kumpel Ned Logan (Morgan Freeman) kommt vom Killen ebenfalls nicht los, wird aber im entscheidenden Moment nicht abdrücken können (und perverserweise für die Tat, die er nicht begangen hat, gelyncht). Scheint übrigens keine große Sache zu sein, wenn man sich bei der vorherigen Folterung einmal die Zuschauer im Hintergrund ansieht, die weder angewidert noch sensationslüstern, sondern schlicht gleichgültig wirken.
Der junge Aufschneider Schofield Kid (Jaimz Woolvett) prahlt mit seinen Killerkünsten; das wird sich als Lug und Trug erweisen. Während diese drei gemeinsam in die Stadt reiten, gönnt der Film einem anderen Aufschneider, English Bob (Richard Harris), einen eigenen Handlungsstrang, in welchem er auf den Sheriff trifft, zusammengeschlagen und gleich wieder aus der Stadt gejagt wird.
Wer oder was ist die Ente des Todes?
Man muss leider sagen, dass dieser Handlungsstrang insgesamt besser als der Teil ist, in dem Eastwood mitspielt, witziger auch. In den Szenen zwischen Richard Harris und Gene Hackman gelingt dem Film eine faszinierende Mélange aus verschiedenen Stilen und Zitaten. English Bob tritt erstmals mit großspuriger Überlegenheit in einem Zug auf, wie weiland Lee Van Cleef in „Für ein paar Dollar mehr“ (1965). Doch Bobs Attitüde ist Schaumschlägerei. Er hat sogar seinen Biografen W. W. Beauchamp (Saul Rubinek) dabei, der Bobs „Heldentaten“ mit kreativer Freiheit heroisch aufpeppt. Dabei wird deutlich, dass Legenden nicht immer der Wirklichkeit entsprechen, inklusiver der, wie der Westen „zivilisiert“ und groß gemacht worden sei. Vielleicht spielt Eastwood hier auf das berühmte „print the legend“-Zitat und das Auseinanderfallen von Dichtung und Wahrheit in John Fords „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ (1962) an.
Wenn Little Bill English Bob zusammengeschlagen hat und im Knast verhöhnt, bekommt der Film neben der Legendendemontage etwas vom sardonischen Humor, der schon Sergio Leones Werke auszeichnete. Obwohl Little Bill ein sadistisches Schwein ist, hat er die Lacher auf seiner Seite, wenn er höchst effektiv dem Biografen erzählt, wie sich angebliche Heldentaten wirklich zugetragen haben. Der Genuss, den Little Bill das bereitet, überträgt sich auf den Zuschauer, zumal Hackman das mit sichtlichem Vergnügen spielt.
Eine gemeine, vergnügliche Spitze in diesem Zusammenhang ist, dass Little Bill als Muffel alteuropäischer Bildung nicht weiß, was ein „Duke of Death“ sei und darauf beharrt, Bobs „Titel“ wie „Duck“ auszusprechen. „Duke“ war bekanntlich auch der ehrenvolle Spitzname John Waynes, zu dem Eastwood ein etwas gespaltenes Verhältnis hatte. Wayne stand viel stärker für ein ultrakonservatives Amerika als Eastwood (sieht man von manchen Eastwood-Aussagen jüngerer Jahre ab) und hatte immer bemängelt, Eastwoods schonungslosen Western fehle der Glaube an den guten alten Pioniergeist, der das Land groß gemacht habe. Gerade auf „Erbarmungslos“ trifft das in besonderem Maße zu – und erweist sich als Kompliment wider Willen.
Dekonstruktionen
Dass es sich weitgehend um einen Anti-Western und einen Anti-Gewaltfilm handelt, obwohl es doch um Gewalt geht, macht ihn beim ersten Sehen etwas zäh. Aber das geht weitgehend in Ordnung. Man reibt sich erst einmal die Augen, dass es so gar keine klassische Actionszene gibt (und wenn, dann nur kurz, nachdem Schofield einen Mann völlig unheroisch im wahrsten Sinne des Wortes mit heruntergelassenen Hosen erwischt und abgeknallt hat). Das ist aber im Grundsatz schon mehr als in Ordnung: So wie auf der Handlungsebene das Töten entmystifiziert und damit auch entheroisiert wird, unterläuft der Film auch in Stil und Tempo die Erwartungen der Zuschauer: Er geht alles etwas langsamer, hässlicher und bewusst ohne Genre-Unterhaltungs-Gewohnheiten wie eine anständige Ballerei an. Stattdessen ist er eben unanständig. Und zeigt das Töten als etwas Unanständiges. Ned bringt es nicht fertig, der Vertreter des Gesetzes lässt ihn aber zu Tode foltern. Schofield erschießt nur einen Mann auf der Toilette. Munny trifft so schlecht, dass er weiß, wie lange und qualvoll sein Opfer noch leiden wird. Zuvor haben indes die endlosen Dialoge über das Töten (wiewohl grundsätzlich notwendig, um sie später als falsch zu entlarven) Kürzungspotenzial und man fühlt sich in der Parallelhandlung um Little Bill, die Prostituierten und English Bob wohler.
Die Szene, nach der Schofield getötet hat, erweist sich als Meisterstück. Der Mann, fast noch ein Junge, muss zugeben, dass er das noch nie getan hat – weinend bricht er zusammen, nie wieder werde er töten. Dieser tragisch-perverse Initiationsritus erinnert ein bisschen an den jungen Anthony Perkins in William Wylers „Lockende Versuchung“ (1956), in dem er ebenfalls herausfinden musste, dass das Töten (im Sezessionskrieg) für ihn nicht das Richtige ist. Während damals Film-Vater Gary Cooper meinte: „Du hast getan, was du tun musstest“, kommentiert Eastwoods Munny die entsprechende Szene nur mit seinem unnachahmlichen Gesichtsausdruck, der genau das Gleiche sagt, und der sagt, dass Munny Schofield ganz genau versteht: Du musstest es selbst herausfinden, und das ist schmerzhaft und hässlich, wie Töten immer schmerzhaft und hässlich ist. Niemand kann das so vielsagend minimalistisch spielen wie Eastwood, der wirklich – obschon kein klassischer Method Actor – in diese Rolle hineingewachsen ist (auch altersmäßig; er hatte das Drehbuch lange liegen lassen).
Eastwood kann’s nicht lassen
Bedauerlich ist, dass Bill Munny am Ende eben doch wieder der Vollstrecker wird. Zwar sind in der Mitte die Szenen besonders berührend, in denen er fast totgeschlagen wurde und sich schon im Todesreich wähnt (in welchem auch die Engel in Gestalt der verletzten Hure Narben haben und Munny fantasiert, seine tote Frau lebe noch – in Wirklichkeit ist aber nicht sie noch fast bei ihm, sondern er schon fast bei ihr).
Aber am Ende ist das alles vergessen. Zu Beginn musste wieder einmal ein Eastwood-Charakter mit der Herausforderung klarkommen, zum Vollstrecker eines weiblichen Willens zu werden, wie wir es schon in „Der Mann, der niemals aufgibt“ und selbst in dem kruden „Rookie – Der Anfänger“ (1990) erlebt haben, wenn er den Bösen mit der Patrone dessen Geliebter erschießt. Für das Finale hingegen gilt das Motto, das auch schon über „Rambo III“ (1988) stand: „Jetzt kämpft er für einen Freund.“ Sobald Ned totgefoltert wurde, wird es persönlich, Munny ist wieder der Alte und zieht zum Showdown los.
Auch wenn Freundschaft ein nachvollziehbares Motiv ist: Das hatten wir beileibe nicht zum ersten Mal. Man mag zwar darüber rätseln, ob Munny eher blindlings in den Kampf zieht, eventuell sogar sterben will und nur Glück hat. Ein Wortwechsel mit dem Biografen nach dem Showdown deutet dies genauso an wie das letzte Filmbild. Aber Eastwood inszeniert hier dermaßen martialisch, inklusive bedrohlicher Ansprache an alle Bewohner der Stadt beim Abzug, dass es wie ein Fremdkörper in dem ansonsten ziemlich guten Western wirkt. Macht es einen Unterschied, ob jemand knapp zwei Stunden vom Töten nichts mehr wissen will und in den letzten zehn Minuten loslegt, oder ob es (wie bei vielen drittklassigen Actionfilmen) gerade umgekehrt ist? Doch, macht es schon, „Erbarmungslos“ ist – die obigen Ausführungen haben es hoffentlich dargelegt – deutlich besser als Rambo und Konsorten. Am Ende verfällt Eastwood jedoch, dem Ton des Filmes unangemessen, in sein markiges Gehabe aus vergangenen Zeiten. Dies mag zwar auch eine Antwort auf die Frage sein, ob Munny letztlich doch nicht aus seiner Killerhaut kann. Er kann nicht, wie es so viele andere Eastwood-Charaktere nicht können. Doch wo beispielsweise der ansonsten deutlich schwächere „Im Auftrag des Drachen“ (1975) dieselbe Frage mit einem sehr beunruhigenden Schweigen als geniale Schlusseinstellung zu beantworten trachtet, spielt Eastwood nun im Finale das Ikonische seiner Leinwandpersona nur halbherzig gebrochen aus. In diesen Film passt es nicht so ganz.
Anerkennung hat viele Gesichter
Um der Chronistenpflicht zu genügen, seien von den zahlreichen Preisen die vier Oscars erwähnt, die „Erbarmungslos“ 1993 bei neun Nominierungen abräumte: Eastwood wurde als Regisseur und – da er auch produzierte – für den besten Film geehrt, Gene Hackman als Nebendarsteller, Joel Cox für den Schnitt. Golden Globes hatte es zuvor für Regisseur Eastwood und Nebendarsteller Hackman gegeben.
Eine besondere Ehrung wurde dem Werk 2013 zuteil, als mit „The Unforgiven“ (Originaltitel „Yurusarezaru mono“) ein japanisches (!) Remake in die Kinos kam (bei uns 2014). Aus Eastwoods Ex-Revolverheld wird ein von Ken Watanabe („Godzilla“, 2014) verkörperter Ex-Samurai. Regisseur Sang-il Lee hält sich dabei recht eng an die Vorlage. Bemerkenswert.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von oder mit Clint Eastwood haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Morgan Freeman, Gene Hackman und Richard Harris unter Schauspieler.
Veröffentlichung: 28. Mai 2015 als Blu-ray im Steelbook, 12. September 2008 als 2-Disc Set Premium Edition, 21. Mai 2005 als DVD der SZ-Cinemathek, 21. November 2002 als 2-Disc Special Edition DVD, 25. September 1998 als DVD
Länge: 131 Min. (Blu-ray), 125 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a.
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a.
Originaltitel: Unforgiven
USA 1992
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: David Webb Peoples
Besetzung: Clint Eastwood, Gene Hackman, Morgan Freeman, Richard Harris, Jaimz Woolvett, Saul Rubinek, Frances Fisher, Anna Thomson, David Mucci, Rob Campbell, Anthony James, Tara Frederick, Beverley Elliott, Liisa Repo-Martell, Josie Smith, Shane Meier, Aline Levasseur, Cherrilene Cardinal
Zusatzmaterial (nicht in allen Editionen): Audiokommentar von Clint Eastwoods Biograf Richard Schickel, Dokumentation „All on Accounta Pullin’ a Trigger“, Dokumentation „Eastwood & Co. – Die Entstehung von ,Erbarmungslos‘, Dokumentation „Eastwood … Ein Star“, Dokumentation „Eastwood über Eastwood“, TV-Folge aus „Maverick – Duell bei Sonnenuntergang“, US-Kinotrailer
Label/Vertrieb: Warner Home Video
Copyright 2023 by Tonio Klein
Szenenfotos & gruppierte Packshots: © Warner Home Video