Red River
Dieser Text wird nicht ganz frei von Spoilern sein.
Western // Der Western – welch uramerikanisches Filmgenre. Und wunderbares dazu, allen berechtigten Vorwürfen zum Trotz, die man ihm machen kann, etwa die Zurschaustellung überzogener Männlichkeit, die in zahllosen Fällen bestenfalls Marginalisierung zu nennende Darstellung der nordamerikanischen indigenen Völker und die Verharmlosung von Landraub und Völkermord an den Indianern (den Begriff verwenden wir im Westernkontext bewusst weiterhin). Aber es hat einfach so viel zu bieten – all das, was sich rund um die Erschließung des Westens in Worte und Bilder fassen lässt, etwa beeindruckende Landschaftsaufnahmen, Männerfreundschaften, die bisweilen die Grenze zur Liebe überschreiten, tödliche Rivalitäten, Ehre und Ehrlosigkeit, Männer im Kampf gegen eine unerbittliche Wildnis (oft ist nicht nur die feindselige Landschaft gemeint, sondern auch die Wildheit im Innern der Protagonisten). Und der Western erzählt viel über die Historie der Vereinigten Staaten, wenn auch oft arg beschönigend, romantisierend und nicht immer wahrhaftig.
Viele Western sind „Larger than Life“, und ein Paradebeispiel dafür ist „Red River“, gedreht von September bis Dezember 1946 in Arizona, der seine Weltpremiere am 25. August 1948 in Texas, Oklahoma und Kansas feierte, bevor er einen Monat später flächendeckend in die US-Kinos gelangte. Das Kinopublikum der Bundesrepublik Deutschland kam erst ab 9. Februar 1951 in den Genuss des Films, und das unter dem Titel „Panik am roten Fluss“. Gemeint ist im Übrigen der etwa 2075 Kilometer lange Red River of the South, der seine Quellen im Nordwesten von Texas in den Great Plains hat.
Viehtrieb auf dem Chisholm-Trail
Eine Texttafel zu Beginn des Films informiert darüber, dass wir nun Zeugen des ersten Viehtriebs auf dem berühmten Chisholm Trail werden. Allerdings eine Fehlinformation, da sich die Haupthandlung von „Red River“ 1865 kurz nach Ende des Sezessionskriegs abspielt, der erste Viehtrieb auf besagter Route aber erst zwei Jahre später erfolgte (auch ein Beispiel für die mangelnde Wahrhaftigkeit). Ein Prolog führt uns anfangs ins Jahr 1851. Thomas Dunson (John Wayne) verlässt einen Planwagentreck, der Richtung Kalifornien fährt. Ihn zieht es ins fruchtbare Texas, wo er mit seinen zwei Rindern und seinem treuen Gefährten Groot (Walter Brennan) als Viehzüchter sein Glück machen will. Selbst seine Liebste Fen (Coleen Gray) lässt er bei dem Treck zurück – um sie später aus Kalifornien zu sich zu holen. Dazu wird es nicht kommen: Schon kurz darauf künden Rauchschwaden aus der Gegend, wo sich der Treck befindet, von einem Indianerangriff. Einziger Überlebender: der Knabe Matthew Garth (Mickey Kuhn), der entkam, weil er seinem Rind in die Büsche folgte. Dunson nimmt ihn auf, und nach beschwerlichem Weg erreicht das Trio die Weidegründe von Texas.
15 Jahre später hat Thomas Dunson tatsächlich eine gewaltige Herde von Texas-Longhorn-Rindern herangezüchtet. Doch der Sezessionskrieg hat die Preise für Rindfleisch in Texas ins Bodenlose fallen lassen. Ein 1.000-Meilen-Viehtrieb nach Missouri soll Abhilfe schaffen, ein gewaltiges Unterfangen mit einer Herde von nahezu 10.000 Rindern. Auch Groot und Matthew Garth nehmen daran teil. Letztgenannter wird nun von Montgomery Clift verkörpert, für den „Red River“ das Kinodebüt markierte (der etwas früher in die US-Kinos gekommene „Die Gezeichneten“ war später gedreht worden).
Die Strapazen des Viehtriebs fordern ihren Tribut, und nach und nach entwickelt sich Thomas Dunson zu einem Tyrannen. Er besteht auf dem Ziel Missouri auch noch, als sich mit Abilene ein leichter erreichbares Ziel auftut, das einen Bahnhof der Texas and Pacific Railway Company aufweist, mithin das perfekte Transportmittel, die Rinder weiter zu befördern.
Von „Red River“ zu „There Will Be Blood“
„Red River“ dürfte eines der großen Vorbilder für Paul Thomas Andersons Kapitalmus-Horror „There Will Be Blood“ (2007) gewesen sein. Ein Mann lässt sich durch Besitz und durch Macht verlocken, verfällt seiner Größe und wird zum Tyrannen, zum Unmenschen. So schrieb es der damalige „Die Nacht der lebenden Texte“-Autor Simon Kyprianou Ende 2014 in seiner Rezension von „Red River“. Da ist was dran, Thomas Dunson regiert seinen Viehtrieb nach Gutsherrenart. Nun gut, er ist der Boss, und so ein Unterfangen mag basisdemokratisch schwierig zu bewältigen sein. Aber er überschreitet doch einige Grenzen, auch für damalige Zeiten. Das sehen wir beispielsweise daran, dass kaum jemand die von Dunson geplante Auspeitschung Bunk Kenneallys (Ivan Parry) gutheißt – der hatte als Zuckerdieb an Groots Küchenwagen herumgelärmt und eine Stampede ausgelöst, der der Treiber Dan Latimer (Harry Carey Jr.) zum Opfer fiel (im Übrigen herzzerreißend, weil wir Latimer zuvor ein wenig kennengelernt hatten). Dunson hätte auch keinerlei Skrupel, Kenneally über den Haufen zu schießen. Dieser mangelnde Respekt vor dem Menschenleben mag Mitte des 19. Jahrhunderts noch weit verbreitet gewesen sein (Dunson zeigt ihn auch schon gleich bei Erreichen seines Ziels in Texas 1851), aber Dunson will ihn hier letztlich für den schnöden Mammon einsetzen.
Aber ich erwähnte die Stampede, eine in Panik dahinrasende Herde Rinder. Sie ist vor 75 Jahren gedreht worden, auch heute noch mitreißend anzuschauen und der erste große Höhepunkt von „Red River“ – vielleicht die beste Stampede, die je gedreht wurde (mir fallen aber zugegeben gerade keine weiteren ein). Brillant inszeniert mit echten Rindern, virtuos gefilmt von Kameramann Russell Harlan („Hatari“, „Wer die Nachtigall stört“) zum Teil mit von Panzerglas geschützten Kameras im Boden. Was für eine Sequenz! Nicht zuletzt aufgrund ihrer Anbahnung: Die Männer des Viehtriebs spüren die Unruhe der Rinder, die Gefahr, dass sie aufschrecken und die wilde Raserei beginnt. Eine unglaublich laute Stille senkt sich über die Nacht – bis erwähnter Kenneally Groots Zucker stibitzen will und die Töpfe zum Scheppern bringt.
„Red River“ hat viele starke Szenen,die ikonografische Westernelemente bilden, sei es der Überfall der kleinen Schar Indianer auf Dunson und Groot im Prolog, sei es der Indianerüberfall auf den Planwagentreck mit den Tänzerinnen und Glücksspielern, sei es das Erreichen von Abilene und der Viehtrieb der Rinder durch die Straßen des Orts. Er ist eben einer der Western überhaupt. Was nicht bedeutet, dass man ihn in Westernranglisten zwangsläufig weit vorn platzieren muss (was man gleichwohl dürfte), aber „Red River“ ist ein Western par excellence, weil er viel von dem hat, was ich zu Beginn dieses Textes beschrieben habe. Mehr geht nicht.
Die Liebe, die Liebe …
Oder doch: Kommen wir zur Liebe! Da ist einmal die augenfällige, in einem Western noch herkömmlich zu nennende Liebe zwischen Matthew Garth und der Tänzerin Tess Millay (Joanne Dru), eine der Reisenden in dem erwähnten von Indianern überfallenen Planwagentreck. Gleich in der ersten Szene, als Matt ihr noch mitten im Verteidigungsmodus gegen die die Wagenburg umreitenden Indianer deutlich seine Missbilligung zu verstehen gibt, wissen wir: Diese beiden sind füreinander bestimmt. So weit, so vorhersehbar. Bemerkenswerter ist da schon die Liebesbeziehung zwischen Matt und seinem Ziehvater Tom Dunson. Wir spüren zu Beginn der Haupthandlung den Stolz, den Dunson über den zu einem tüchtigen und schmucken jungen Mann herangereiften Matt verspürt. In diesen 15 Jahren hat sich zwischen beiden eine tiefe Beziehung gebildet. Beide lieben einander, das darf ich wohl behaupten. Hier räume ich ein, dass es mir nicht recht gefällt, mit welcher Inbrunst Dunson seinem Ziehsohn später verspricht, ihn zu erschießen: I’m gonna kill you. I’ll catch up with ya. I don’t know when, but I’ll catch up. Every time you turn around, expect to see me, ’cause one time you’ll turn around and I’ll be there. I’m gonna kill ya, Matt. Es kommt mir nicht recht glaubwürdig vor, und folgerichtig löst es sich am Ende auch mit einer zünftigen Keilerei unter Kerlen in Wohlgefallen auf. Bei der nicht zuletzt Tess ihre Hände im Spiel hat, die verständlicherweise nicht will, dass ihr Liebster Matt über den Haufen geschossen wird. Ihre Figur taucht mit dem Indianerüberfall erst recht spät im Film auf und wird mit ihrem Eingreifen im Showdown unvermittelt zu einem der wichtigsten Charaktere des Films. Bemerkenswert. Weshalb Tom Matt im Übrigen erschießen wollte, lasse ich an dieser Stelle außen vor, Spoilerwarnung hin oder her. Das Stichwort Putsch möge als Hinweis genügen.
Zurück zur Liebe, denn mit den Paaren Matt/Tess und Matt/Tom ist es nicht getan: Wir haben ja noch Cherry Valance (John Ireland), ein schmucker Bursche wie Matt, verdammt schnell und sicher mit dem Colt wie Matt (aber auch Tom), der sich dem Viehtrieb zu Beginn anschließt. Zum einen wohl, weil ihn Tom Dunson stärker beeindruckte als sein vorheriger Boss, zum anderen zweifellos aber auch, weil ihn Matt beeindruckte. Zwischen beiden liegt von Anfang an eine Spannung in der Luft, zumal Cherry recht freimütig bekennt, wie gern er herausfinden würde, wer von den beiden wohl aus einem Duell als Sieger – Überlebender! – hervorgehen würde. Diese Spannung zieht sich eine nennenswerte Weile durch den Film, weil zu befürchten ist, dass Cherry eine Gelegenheit sucht, ein solches Duell herbeizuführen. Aber peu à peu schleicht sich eine andere Spannung hinein, weil wir bemerken: Diese beiden fühlen sich sehr zueinander hingezogen. Gleich und gleich gesellt sich gern, wer kennt es nicht? Das gibt der Beziehung von Matt und Cherry einen homoerotischen Beigeschmack, der für einen Western des klassischen Hollywoods außergewöhnlich bis einzigartig ist. Ob Howard Hawks das beabsichtigt hatte? Einerseits schwer denkbar, wir schrieben die 1940er-Jahre, andererseits passt ein solches Zufallsprodukt nicht recht zum großen Regisseur Hawks, auch nicht in seinem ersten Western, den „Red River“ darstellt. Belassen wir es dabei, die Beziehung zwischen Matt und Cherry bereichert Hawks’ Regiearbeit ungemein.
Da wir gerade bei ihm sind, sei erwähnt, dass Howard Hawks die kürzere Kinofassung gegenüber der längeren, sogenannten Pre-Release-Fassung bevorzugte, die Kinofassung somit am ehesten die Zuschreibung Director’s Cut verdient hat. Auffälligster Unterschied: Die Langfassung enthält Tagebuchseiten Groots, die für das Publikum mehr oder minder bedeutsame Informationen transportiert. In der Kinofassung sind diese Texte mittels Walter Brennans Stimme aus dem Off zu hören, die Tagebuchseiten wurden entfernt. In der Pre-Release-Fassung ist zudem der Showdown länger geraten. Zu den Unterschieden zwischen beiden Fassungen verweise ich einmal mehr auf den Schnittbericht.
Über „Red River“ ist im Lauf der Jahre viel geschrieben worden, nun habe ich auch noch meine fünf Cent beigetragen. Dennoch verweise ich auf weitere empfehlenswerte Lektüre, nämlich den Booklet-Text des Mediabooks von capelight pictures. Die freie Autorin Ines Walk gibt darin vielen Gedanken mehr Tiefe, die ich hier lediglich angerissen habe, und schreibt über weitere Aspekte des Films, etwa die herausragende Kameraarbeit des sechsfach oscarnominierten Russell Harlan. Äußerst lesenswerte Lektüre!
Das Mediabook kommt mit drei Fassungen von „Red River“ daher: Es enthält nicht nur die beiden erwähnten Kinofassung und Pre-Release-Fassung, sondern auch die nachträglich kolorierte Fernsehfassung, in meinen Augen eher ein Gimmick, aber wohl unverzichtbar. Kein Gimmick, sondern wie der Booklettext ein überaus wertiger Bonus, ist das halbstündige Videofeature von Mike Siegel, von capelight pictures eigens für diese Edition in Auftrag gegeben. Bild- und Tonqualität speziell der Langfassung sind obendrein über jeden Zweifel erhaben (Kinofassung und TV-Fassung bauen demgegenüber etwas ab). Das Mediabook ist auch außen ansprechend aufgemacht, fühlt sich in der Hand gut an – Haptik spielt ja auch eine Rolle. „Red River“ gehört zweifelsohne zu den großen Meisterwerken der Geschichte des klassischen Westerns und dementsprechend in jede Westernsammlung, die sich gut sortiert nennen will. Nun auch in einer Referenz-Edition, die kaum zu überbieten ist.
Alle als „Limited Collector’s Edition” von capelight pictures veröffentlichten Filme haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgelistet, Filme von Howard Hawks unter Regisseure, Filme mit Walter Brennan, Harry Carey, Harry Carey Jr., Montgomery Clift und John Wayne in der Rubrik Schauspieler, Filme mit Shelley Winters unter Schauspielerinnen (die Gute hat allerdings einen denkbar kleinen Part als Treckteilnehmerin ohne Credits).
Veröffentlichung: 28. April 2023 als 3-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (Blu-ray, Bonus-Blu-ray & DVD), 28. November 2014 als Blu-ray, 12. Oktober 2011 als DVD (Süddeutsche Zeitung Cinemathek)
Länge: 133 Min. (Blu-ray), 126 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a.
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a.
Originaltitel: Red River
Alter deutscher Verleihtitel: Panik am roten Fluss
USA 1948
Regie: Howard Hawks, Arthur Rosson
Drehbuch: Borden Chase, Charles Schnee
Besetzung: John Wayne, Montgomery Clift, Joanne Dru, Walter Brennan, Coleen Gray, Harry Carey, Harry Carey Jr., John Ireland, Noah Beery Jr., Chief Yowlachie, Paul Fix, Hank Worden, Mickey Kuhn, Ry Hyke, Hal Taliaferro, Lane Chandler, Tex Cooper, Shelley Winters, Ivan Parry
Zusatzmaterial 2023: Extended Cut (Pre-Release-Fassung) inklusive der 1968er- und der 1964er-Synchronfassung – Bonus-Blu-ray: US-Kinofassung (HD, OmU), kolorierte TV-Fassung (SD), „Hawks Goes Independent“ – Mike Siegel über „Red River“, US-Kinotrailer, DVD: Extended Cut (Pre-Release-Fassung) inklusive der 1968er- und der 1964er-Synchronfassung, nur Mediabook: 34-seitiges Booklet mit einem Text von Ines Walk und seltenen Bildern zum Film
Zusatzmaterial 2014/2011: Original Kinofassung (ohne deutschen Ton nur deutsche Untertitel)
Label 2023: capelight pictures
Vertrieb 2023: Al!ve AG
Label/Vertrieb 2014/2011: Twentieth Century Fox Home Entertainment
Copyright 2023 by Volker Schönenberger
Szenenfotos & gruppierter Packshot: © 2023 capelight pictures