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Red River – Was für ein Western!

Red River

Von Volker Schönenberger

Dieser Text wird nicht ganz frei von Spoilern sein.

Western // Der Western – welch uramerikanisches Filmgenre. Und wunderbares dazu, allen berechtigten Vorwürfen zum Trotz, die man ihm machen kann, etwa die Zurschaustellung überzogener Männlichkeit, die in zahllosen Fällen bestenfalls Marginalisierung zu nennende Darstellung der nordamerikanischen indigenen Völker und die Verharmlosung von Landraub und Völkermord an den Indianern (den Begriff verwenden wir im Westernkontext bewusst weiterhin). Aber es hat einfach so viel zu bieten – all das, was sich rund um die Erschließung des Westens in Worte und Bilder fassen lässt, etwa beeindruckende Landschaftsaufnahmen, Männerfreundschaften, die bisweilen die Grenze zur Liebe überschreiten, tödliche Rivalitäten, Ehre und Ehrlosigkeit, Männer im Kampf gegen eine unerbittliche Wildnis (oft ist nicht nur die feindselige Landschaft gemeint, sondern auch die Wildheit im Innern der Protagonisten). Und der Western erzählt viel über die Historie der Vereinigten Staaten, wenn auch oft arg beschönigend, romantisierend und nicht immer wahrhaftig.

Thomas Dunson lässt seine Fen ziehen

Viele Western sind „Larger than Life“, und ein Paradebeispiel dafür ist „Red River“, gedreht von September bis Dezember 1946 in Arizona, der seine Weltpremiere am 25. August 1948 in Texas, Oklahoma und Kansas feierte, bevor er einen Monat später flächendeckend in die US-Kinos gelangte. Das Kinopublikum der Bundesrepublik Deutschland kam erst ab 9. Februar 1951 in den Genuss des Films, und das unter dem Titel „Panik am roten Fluss“. Gemeint ist im Übrigen der etwa 2075 Kilometer lange Red River of the South, der seine Quellen im Nordwesten von Texas in den Great Plains hat.

Viehtrieb auf dem Chisholm-Trail

Eine Texttafel zu Beginn des Films informiert darüber, dass wir nun Zeugen des ersten Viehtriebs auf dem berühmten Chisholm Trail werden. Allerdings eine Fehlinformation, da sich die Haupthandlung von „Red River“ 1865 kurz nach Ende des Sezessionskriegs abspielt, der erste Viehtrieb auf besagter Route aber erst zwei Jahre später erfolgte (auch ein Beispiel für die mangelnde Wahrhaftigkeit). Ein Prolog führt uns anfangs ins Jahr 1851. Thomas Dunson (John Wayne) verlässt einen Planwagentreck, der Richtung Kalifornien fährt. Ihn zieht es ins fruchtbare Texas, wo er mit seinen zwei Rindern und seinem treuen Gefährten Groot (Walter Brennan) als Viehzüchter sein Glück machen will. Selbst seine Liebste Fen (Coleen Gray) lässt er bei dem Treck zurück – um sie später aus Kalifornien zu sich zu holen. Dazu wird es nicht kommen: Schon kurz darauf künden Rauchschwaden aus der Gegend, wo sich der Treck befindet, von einem Indianerangriff. Einziger Überlebender: der Knabe Matthew Garth (Mickey Kuhn), der entkam, weil er seinem Rind in die Büsche folgte. Dunson nimmt ihn auf, und nach beschwerlichem Weg erreicht das Trio die Weidegründe von Texas.

Matthew Garth ist zu einem tüchtigen Mann herangewachsen

15 Jahre später hat Thomas Dunson tatsächlich eine gewaltige Herde von Texas-Longhorn-Rindern herangezüchtet. Doch der Sezessionskrieg hat die Preise für Rindfleisch in Texas ins Bodenlose fallen lassen. Ein 1.000-Meilen-Viehtrieb nach Missouri soll Abhilfe schaffen, ein gewaltiges Unterfangen mit einer Herde von nahezu 10.000 Rindern. Auch Groot und Matthew Garth nehmen daran teil. Letztgenannter wird nun von Montgomery Clift verkörpert, für den „Red River“ das Kinodebüt markierte (der etwas früher in die US-Kinos gekommene „Die Gezeichneten“ war später gedreht worden).

Auf nach Missouri!

Die Strapazen des Viehtriebs fordern ihren Tribut, und nach und nach entwickelt sich Thomas Dunson zu einem Tyrannen. Er besteht auf dem Ziel Missouri auch noch, als sich mit Abilene ein leichter erreichbares Ziel auftut, das einen Bahnhof der Texas and Pacific Railway Company aufweist, mithin das perfekte Transportmittel, die Rinder weiter zu befördern.

Von „Red River“ zu „There Will Be Blood“

„Red River“ dürfte eines der großen Vorbilder für Paul Thomas Andersons Kapitalmus-Horror „There Will Be Blood“ (2007) gewesen sein. Ein Mann lässt sich durch Besitz und durch Macht verlocken, verfällt seiner Größe und wird zum Tyrannen, zum Unmenschen. So schrieb es der damalige „Die Nacht der lebenden Texte“-Autor Simon Kyprianou Ende 2014 in seiner Rezension von „Red River“. Da ist was dran, Thomas Dunson regiert seinen Viehtrieb nach Gutsherrenart. Nun gut, er ist der Boss, und so ein Unterfangen mag basisdemokratisch schwierig zu bewältigen sein. Aber er überschreitet doch einige Grenzen, auch für damalige Zeiten. Das sehen wir beispielsweise daran, dass kaum jemand die von Dunson geplante Auspeitschung Bunk Kenneallys (Ivan Parry) gutheißt – der hatte als Zuckerdieb an Groots Küchenwagen herumgelärmt und eine Stampede ausgelöst, der der Treiber Dan Latimer (Harry Carey Jr.) zum Opfer fiel (im Übrigen herzzerreißend, weil wir Latimer zuvor ein wenig kennengelernt hatten). Dunson hätte auch keinerlei Skrupel, Kenneally über den Haufen zu schießen. Dieser mangelnde Respekt vor dem Menschenleben mag Mitte des 19. Jahrhunderts noch weit verbreitet gewesen sein (Dunson zeigt ihn auch schon gleich bei Erreichen seines Ziels in Texas 1851), aber Dunson will ihn hier letztlich für den schnöden Mammon einsetzen.

Tom (l.) und Matt – der Vater und sein Ziehsohn …

Aber ich erwähnte die Stampede, eine in Panik dahinrasende Herde Rinder. Sie ist vor 75 Jahren gedreht worden, auch heute noch mitreißend anzuschauen und der erste große Höhepunkt von „Red River“ – vielleicht die beste Stampede, die je gedreht wurde (mir fallen aber zugegeben gerade keine weiteren ein). Brillant inszeniert mit echten Rindern, virtuos gefilmt von Kameramann Russell Harlan („Hatari“, „Wer die Nachtigall stört“) zum Teil mit von Panzerglas geschützten Kameras im Boden. Was für eine Sequenz! Nicht zuletzt aufgrund ihrer Anbahnung: Die Männer des Viehtriebs spüren die Unruhe der Rinder, die Gefahr, dass sie aufschrecken und die wilde Raserei beginnt. Eine unglaublich laute Stille senkt sich über die Nacht – bis erwähnter Kenneally Groots Zucker stibitzen will und die Töpfe zum Scheppern bringt.

… entfremden sich einander

„Red River“ hat viele starke Szenen,die ikonografische Westernelemente bilden, sei es der Überfall der kleinen Schar Indianer auf Dunson und Groot im Prolog, sei es der Indianerüberfall auf den Planwagentreck mit den Tänzerinnen und Glücksspielern, sei es das Erreichen von Abilene und der Viehtrieb der Rinder durch die Straßen des Orts. Er ist eben einer der Western überhaupt. Was nicht bedeutet, dass man ihn in Westernranglisten zwangsläufig weit vorn platzieren muss (was man gleichwohl dürfte), aber „Red River“ ist ein Western par excellence, weil er viel von dem hat, was ich zu Beginn dieses Textes beschrieben habe. Mehr geht nicht.

Die Liebe, die Liebe …

Oder doch: Kommen wir zur Liebe! Da ist einmal die augenfällige, in einem Western noch herkömmlich zu nennende Liebe zwischen Matthew Garth und der Tänzerin Tess Millay (Joanne Dru), eine der Reisenden in dem erwähnten von Indianern überfallenen Planwagentreck. Gleich in der ersten Szene, als Matt ihr noch mitten im Verteidigungsmodus gegen die die Wagenburg umreitenden Indianer deutlich seine Missbilligung zu verstehen gibt, wissen wir: Diese beiden sind füreinander bestimmt. So weit, so vorhersehbar. Bemerkenswerter ist da schon die Liebesbeziehung zwischen Matt und seinem Ziehvater Tom Dunson. Wir spüren zu Beginn der Haupthandlung den Stolz, den Dunson über den zu einem tüchtigen und schmucken jungen Mann herangereiften Matt verspürt. In diesen 15 Jahren hat sich zwischen beiden eine tiefe Beziehung gebildet. Beide lieben einander, das darf ich wohl behaupten. Hier räume ich ein, dass es mir nicht recht gefällt, mit welcher Inbrunst Dunson seinem Ziehsohn später verspricht, ihn zu erschießen: I’m gonna kill you. I’ll catch up with ya. I don’t know when, but I’ll catch up. Every time you turn around, expect to see me, ’cause one time you’ll turn around and I’ll be there. I’m gonna kill ya, Matt. Es kommt mir nicht recht glaubwürdig vor, und folgerichtig löst es sich am Ende auch mit einer zünftigen Keilerei unter Kerlen in Wohlgefallen auf. Bei der nicht zuletzt Tess ihre Hände im Spiel hat, die verständlicherweise nicht will, dass ihr Liebster Matt über den Haufen geschossen wird. Ihre Figur taucht mit dem Indianerüberfall erst recht spät im Film auf und wird mit ihrem Eingreifen im Showdown unvermittelt zu einem der wichtigsten Charaktere des Films. Bemerkenswert. Weshalb Tom Matt im Übrigen erschießen wollte, lasse ich an dieser Stelle außen vor, Spoilerwarnung hin oder her. Das Stichwort Putsch möge als Hinweis genügen.

Dunson fackelt nicht lange

Zurück zur Liebe, denn mit den Paaren Matt/Tess und Matt/Tom ist es nicht getan: Wir haben ja noch Cherry Valance (John Ireland), ein schmucker Bursche wie Matt, verdammt schnell und sicher mit dem Colt wie Matt (aber auch Tom), der sich dem Viehtrieb zu Beginn anschließt. Zum einen wohl, weil ihn Tom Dunson stärker beeindruckte als sein vorheriger Boss, zum anderen zweifellos aber auch, weil ihn Matt beeindruckte. Zwischen beiden liegt von Anfang an eine Spannung in der Luft, zumal Cherry recht freimütig bekennt, wie gern er herausfinden würde, wer von den beiden wohl aus einem Duell als Sieger – Überlebender! – hervorgehen würde. Diese Spannung zieht sich eine nennenswerte Weile durch den Film, weil zu befürchten ist, dass Cherry eine Gelegenheit sucht, ein solches Duell herbeizuführen. Aber peu à peu schleicht sich eine andere Spannung hinein, weil wir bemerken: Diese beiden fühlen sich sehr zueinander hingezogen. Gleich und gleich gesellt sich gern, wer kennt es nicht? Das gibt der Beziehung von Matt und Cherry einen homoerotischen Beigeschmack, der für einen Western des klassischen Hollywoods außergewöhnlich bis einzigartig ist. Ob Howard Hawks das beabsichtigt hatte? Einerseits schwer denkbar, wir schrieben die 1940er-Jahre, andererseits passt ein solches Zufallsprodukt nicht recht zum großen Regisseur Hawks, auch nicht in seinem ersten Western, den „Red River“ darstellt. Belassen wir es dabei, die Beziehung zwischen Matt und Cherry bereichert Hawks’ Regiearbeit ungemein.

Während eines Indianerangriffs auf einen Treck trifft Matt (2. v. r.) auf Tess

Da wir gerade bei ihm sind, sei erwähnt, dass Howard Hawks die kürzere Kinofassung gegenüber der längeren, sogenannten Pre-Release-Fassung bevorzugte, die Kinofassung somit am ehesten die Zuschreibung Director’s Cut verdient hat. Auffälligster Unterschied: Die Langfassung enthält Tagebuchseiten Groots, die für das Publikum mehr oder minder bedeutsame Informationen transportiert. In der Kinofassung sind diese Texte mittels Walter Brennans Stimme aus dem Off zu hören, die Tagebuchseiten wurden entfernt. In der Pre-Release-Fassung ist zudem der Showdown länger geraten. Zu den Unterschieden zwischen beiden Fassungen verweise ich einmal mehr auf den Schnittbericht.

Die beiden verlieben sich ineinander

Über „Red River“ ist im Lauf der Jahre viel geschrieben worden, nun habe ich auch noch meine fünf Cent beigetragen. Dennoch verweise ich auf weitere empfehlenswerte Lektüre, nämlich den Booklet-Text des Mediabooks von capelight pictures. Die freie Autorin Ines Walk gibt darin vielen Gedanken mehr Tiefe, die ich hier lediglich angerissen habe, und schreibt über weitere Aspekte des Films, etwa die herausragende Kameraarbeit des sechsfach oscarnominierten Russell Harlan. Äußerst lesenswerte Lektüre!

Angespannte Stimmung

Das Mediabook kommt mit drei Fassungen von „Red River“ daher: Es enthält nicht nur die beiden erwähnten Kinofassung und Pre-Release-Fassung, sondern auch die nachträglich kolorierte Fernsehfassung, in meinen Augen eher ein Gimmick, aber wohl unverzichtbar. Kein Gimmick, sondern wie der Booklettext ein überaus wertiger Bonus, ist das halbstündige Videofeature von Mike Siegel, von capelight pictures eigens für diese Edition in Auftrag gegeben. Bild- und Tonqualität speziell der Langfassung sind obendrein über jeden Zweifel erhaben (Kinofassung und TV-Fassung bauen demgegenüber etwas ab). Das Mediabook ist auch außen ansprechend aufgemacht, fühlt sich in der Hand gut an – Haptik spielt ja auch eine Rolle. „Red River“ gehört zweifelsohne zu den großen Meisterwerken der Geschichte des klassischen Westerns und dementsprechend in jede Westernsammlung, die sich gut sortiert nennen will. Nun auch in einer Referenz-Edition, die kaum zu überbieten ist.

Der Rancher zeigt sich beeindruckt von Tess

Alle als „Limited Collector’s Edition” von capelight pictures veröffentlichten Filme haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgelistet, Filme von Howard Hawks unter Regisseure, Filme mit Walter Brennan, Harry Carey, Harry Carey Jr., Montgomery Clift und John Wayne in der Rubrik Schauspieler, Filme mit Shelley Winters unter Schauspielerinnen (die Gute hat allerdings einen denkbar kleinen Part als Treckteilnehmerin ohne Credits).

Veröffentlichung: 28. April 2023 als 3-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (Blu-ray, Bonus-Blu-ray & DVD), 28. November 2014 als Blu-ray, 12. Oktober 2011 als DVD (Süddeutsche Zeitung Cinemathek)

Länge: 133 Min. (Blu-ray), 126 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a.
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a.
Originaltitel: Red River
Alter deutscher Verleihtitel: Panik am roten Fluss
USA 1948
Regie: Howard Hawks, Arthur Rosson
Drehbuch: Borden Chase, Charles Schnee
Besetzung: John Wayne, Montgomery Clift, Joanne Dru, Walter Brennan, Coleen Gray, Harry Carey, Harry Carey Jr., John Ireland, Noah Beery Jr., Chief Yowlachie, Paul Fix, Hank Worden, Mickey Kuhn, Ry Hyke, Hal Taliaferro, Lane Chandler, Tex Cooper, Shelley Winters, Ivan Parry
Zusatzmaterial 2023: Extended Cut (Pre-Release-Fassung) inklusive der 1968er- und der 1964er-Synchronfassung – Bonus-Blu-ray: US-Kinofassung (HD, OmU), kolorierte TV-Fassung (SD), „Hawks Goes Independent“ – Mike Siegel über „Red River“, US-Kinotrailer, DVD: Extended Cut (Pre-Release-Fassung) inklusive der 1968er- und der 1964er-Synchronfassung, nur Mediabook: 34-seitiges Booklet mit einem Text von Ines Walk und seltenen Bildern zum Film
Zusatzmaterial 2014/2011: Original Kinofassung (ohne deutschen Ton nur deutsche Untertitel)
Label 2023: capelight pictures
Vertrieb 2023: Al!ve AG
Label/Vertrieb 2014/2011: Twentieth Century Fox Home Entertainment

Copyright 2023 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & gruppierter Packshot: © 2023 capelight pictures

 
 

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Zum 100. Geburtstag von Jack Elam: Auch ein Sheriff braucht mal Hilfe – Unterstützt euren örtlichen Ordnungshüter!

Support Your Local Sheriff!

Von Volker Schönenberger

Westernkomödie // Er will doch nur nach Australien! Zumindest behauptet Jason McCullough (James Garner) das ständig, wenn er nach seinen Absichten gefragt wird oder wenn er meint, sein Reiseziel als Argument für irgendetwas heranziehen zu müssen. Um die für den Trip notwendigen Barmittel zu beschaffen, begibt er sich nach Calendar in Colorado, weil er gehört hat, dort sei Gold gefunden worden. In dem Örtchen herrschen – im Goldrausch nicht unüblich – Chaos und Anarchie, und die nicht gerade gesetzestreue Familie Danby unter dem Patriarchen Pa Danby (Walter Brennan) kontrolliert die Frachtrouten nach außerhalb und hat auch ansonsten viel zu sagen. Kaum eingetroffen, beobachtet McCullough, wie Joe Danby (Bruce Dern) im Saloon eiskalt einen Mann niederschießt. Geradezu nonchalant äußert er gegenüber dem Schützen, es sei Mord gewesen, und verlässt den Ort der Tat.

Vom Dorfdepp zum Hilfssheriff

Weil die ungeheure Teuerungsrate in Calendar den Plan der Geldbeschaffung in die Länge zu ziehen droht, nimmt McCullough den Job des Sheriffs an, den ihm der Bürgermeister Olly Perkins (Harry Morgan) und die Stadträte Henry Jackson (Henry Jones) und Fred Johnson (Walter Burke) andienen. Seine erste Amtshandlung: die Auflösung einer handfesten Massenkeilerei auf der schlammigen Hauptstraße von Calendar. Daran beteiligt ist auch des Bürgermeisters hitzköpfige Tochter Prudy Perkins (Joan Hackett) – bei ihr und ihrem Vater bekommt er als neuer Sheriff Kost und Logis. Kurzerhand rekrutiert McCullough zudem den Dorftrottel Jake (Jack Elam) als Hilfssheriff, und nötigt diesen, ihm bei der Verhaftung von Joe Danby zur Seite zu stehen. Das gelingt sogar ohne Blutvergießen, aber das neue Gefängnis des Orts stellt McCullough vor ein Problem: Es hat noch keine Gitter.

Vom Regisseur von „Die Gewaltigen“

Wie es dem Sheriff gelingt, den Delinquenten nicht nur in das gitterlose Gefängnis zu verfrachten, sondern ihn auch noch immer wieder an der Flucht zu hindern, gehört zu den vielen schreiend komischen Einfällen von „Support Your Local Sheriff!“, so der Originaltitel der Westernkomödie. Wohin die humorige Reise geht, wird gleich zu Beginn deutlich, wenn eine Beerdigung aus dem Ruder läuft, weil Prudy in der frisch ausgehobenen Grube Gold findet. Ganz wunderbar auch die Szene, in der sich McCullough aus verschiedenen ramponierten Sheriffsternen einen aussucht, der noch am akzeptabelsten aussieht, aber auch eine Delle von einer Revolverkugel aufweist: Auf seine Bemerkung, der Stern habe seinem Träger wohl das Leben gerettet, erwidert sein Gegenüber: Das hätte er wohl, wären die Kugeln in dem Moment nicht von allen Seiten gekommen. Der gesamte Film strotzt vor köstlichen Dialogen wie diesen. Wer ein Genre auf derart liebevolle Weise durch den Kakao ziehen kann, wie es in diesem Fall zu beobachten ist, muss es zum einen sehr gut kennen und zum anderen sehr schätzen. Beides lässt sich zweifellos für Burt Kennedy konstatieren, der zwar nicht zu den ganz großen Western-Regisseuren zählt, aber in seiner von 1961 bis 2000 währenden Karriere immer wieder annehmbare Genrebeiträge abgeliefert hat. Dabei drehte er auch mit großen Stars, etwa für „Nebraska“ (1965) mit Henry Fonda und Glenn Ford, „Die Rückkehr der glorreichen Sieben“ (1966) mit Yul Brynner, „Die Gewaltigen“ (1967) mit John Wayne und Kirk Douglas, „In einem Sattel mit dem Tod“ (1971) mit Ernest Borgnine, Christopher Lee, Robert Culp und Raquel Welch sowie „Dreckiges Gold“ (1973) mit Rod Taylor und erneut John Wayne.

Der Finger im Revolverlauf

„Auch ein Sheriff braucht mal Hilfe“ erweist einigen Genreklassikern seine Reverenz. Eine städtische Versammlung erinnert sicher nicht zufällig an eine ebensolche Zusammenkunft in Fred Zinnemanns „12 Uhr mittags“ (1952). Und Walter Brennan verkörpert Pa Danby als wunderbare Parodie seiner Rolle des Patriarchen „Old Man“ Clanton im Wyatt-Earp-Film „Faustrecht der Prärie“ (1946) von John Ford.

Nachfolger: „Latigo“

Zwei Jahre nach „Auch ein Sheriff braucht mal Hilfe“ entstand mit „Latigo“ (1971) eine ganz ähnliche Westernkomödie, was kein Zufall war, da sich unter Cast und Crew diverse Beteiligte des Vorgängers befanden, darunter Regisseur Kennedy und Hauptdarsteller Garner. An den mitreißenden Schwung des Vorgängers kommt der Nachfolger, wie so oft, nicht heran, hat sich aber immerhin das Attribut launig verdient.

Jack Elam!

In beiden Filmen als skurriler Sidekick mit von der Partie: Jack Elam (1920–2003), der am 13. November 2020 100 Jahre alt geworden wäre. Seine markanten Gesichtszüge prädestinierten ihn für kauzige Rollen als Sonderling, oft verkörperte er Schurken. Sein schiefer Blick unter den buschigen Augenbrauen resultiert aus einer Auseinandersetzung mit zwölf Jahren: Bei einem Streit im Pfadfinderlager (!) stach ihm ein anderer Junge einen Bleistift ins Auge. Autsch! Fortan hatte er keinerlei Kontrolle mehr darüber, was das blinde Auge anstellte: It does whatever the hell it wants. Auch wenn ihn das rollentechnisch limitierte, konnte er am Ende seiner 1944 gestarteten Schauspieler-Laufbahn Mitte der 1990er-Jahre auf eine stattliche Zahl an Auftritten auf der großen Leinwand und im Fernsehen zurückblicken.

Fangopackung deluxe

Unter Elams vielen Serien-Gastspielen: „Westlich von Santa Fe“, „Tausend Meilen Staub“ (Clint Eastwood!), „Have Gun – Will Travel“, „Lawman“, „Die Leute von der Shiloh Ranch“ und „Bonanza“. Im Kino spielte er an der Seite vieler Stars und unter großen Regisseuren, etwa mit Ernest Borgnine, Charles Bronson, Gary Cooper und Burt Lancaster in „Vera Cruz“ (1954) von Robert Aldrich, mit John Wayne in „Die Comancheros“ (1961) von Michael Curtiz, mit James Stewart unter anderem in „Rancho River“ (1966) von Andrew V. McLaglen und mit Kirk Douglas, Robert Mitchum und Richard Widmark in „Der Weg nach Westen“ (1967), ebenfalls von McLaglen. In „12 Uhr mittags“ absolvierte er 1952 eine kurze Einlage als Besoffener im Knast, für den er keine Abspann-Nennung erhielt. Einen seiner berühmtesten Auftritte stellt zweifelsohne sein kurzer Part als Revolverschwinger im Prolog von Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ dar, als er mit zwei Spießgesellen auf einen Zug wartet und sich die Zeit damit vertreibt, eine lästige Fliege zu beobachten und schließlich mit dem Lauf seiner Pistole zu fangen. Unmittelbar nach Eintreffen des Zuges rafft ihn eine Kugel aus dem Revolver von Charles Bronson dahin. Jack Elam starb am 20. Oktober 2003 im Alter von 82 Jahren in Oregon.

Jakes Schlussworte ans Publikum

Am Ende von „Support Your Local Sheriff!“ durchbricht Jake die vierte Wand und informiert uns, das Filmpublikum, darüber, was in der Folge aus dem Sheriff, Prudy Perkins und ihm selbst geworden ist. Ein Happy End, wie es im Buche steht – verzeiht mir diesen Spoiler, aber man kann es sich denken. Mehr Wohlfühlfilm als „Auch ein Sheriff braucht mal Hilfe“ kann ein Western kaum sein. Und das ist rein positiv gemeint.

Aus allen Rohren

Auf Blu-ray hat es „Auch ein Sheriff braucht mal Hilfe“ hierzulande noch nicht geschafft, in den USA offenbar ebenfalls nicht. Nur im Vereinigten Königreich wurde der Westernkomödie ein HD-Transfer zuteil. Da Black Hill Pictures immerhin von „Latigo“ 2018 eine deutsche Blu-ray veröffentlicht hat, besteht Hoffnung, dass sich dieses oder ein anderes Label auch des Vorgängers annimmt. Verdient hätte es „Auch ein Sheriff braucht mal Hilfe“ allemal. Ergänzung September 2021: Pidax Film hat die Gunst der Stunde genutzt und die Westernkomödie auf Blu-ray und DVD aufgelegt.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Burt Kennedy haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Walter Brennan, Bruce Dern, Jack Elam, James Garner und Harry Morgan haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Happy End

Veröffentlichung: 15. Oktober 2021 als Blu-ray und DVD, 13. Juni 2008 und 30. Oktober 2006 als DVD

Länge: 92 Min. (Blu-ray), 88 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch
Untertitel: Französisch, Niederländisch, Dänisch, Schwedisch, Norwegisch, Finnisch, Rumänisch
Originaltitel: Support Your Local Sheriff!
USA 1969
Regie: Burt Kennedy
Drehbuch: William Bowers
Besetzung: James Garner, Joan Hackett, Walter Brennan, Harry Morgan, Jack Elam, Bruce Dern, Henry Jones, Willis Bouchey, Gene Evans, Walter Burke, Chubby Johnson, Kathleen Freeman
Zusatzmaterial: keine Angabe
Label 2021: Pidax Film
Vertrieb 2021: Studio Hamburg Enterprises
Label/Vertrieb /2008/2006: MGM / Twentieth Century Fox Home Entertainment

Copyright 2020 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & unterer Packshot: © 2021 Pidax Film, DVD-Packshots: © Twentieth Century Fox Home Entertainment

 

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Howard Hawks (II): Rio Bravo – Erschöpfte Männer am Ende ihres Wegs

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Rio Bravo

Von Simon Kyprianou

Western // Was für ein brutaler Film, beginnend schon direkt zu Beginn mit dem Mord, der die Geschichte überhaupt auslöst: Ein Beistehender will den Verbrecher Joe Burdette (Claude Akins) davon abhalten Sheriff John T. Chance (John Wayne) umzubringen, hält ihn am Arm zurück, Burdette dreht sich um, zieht seine Pistole, Bang, tot. Regisseur Howard Hawks demonstriert: Sterben ist im Western nichts Besonderes, gehört eben zum Tagesgeschäft dazu. Diese Beiläufigkeit lässt den Moment des Sterbens viel grausamer, viel brutaler wirken als beispielsweise die Duelle in den Italo-Western, die ja oft zu Prozessionen hochstilisiert werden. Nicht so bei Hawks, in seinem Film wird einfach gestorben, der Tod nimmt den Menschen die Würde, kein klagender Soundtrack, nichts, was dem Tod eine Art von Erhabenheit verleihen könnte.

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Sheriff Chance muss …

Sowieso ist „Rio Bravo“ ein Film über Männer die dem Tod ins Auge blicken müssen. Heillos in Unterzahl verbarrikadieren sich Chance, sein Hilfssherriff Dude (Dean Martin) und der greise Stumpy (Walter Brennan) im Sheriffs-Büro, die Stadt voll mit Revolverschwingern, die nur darauf warten, die drei abzuknallen. Es sind die Männer des Ranchers Nathan Burdette (John Russell), dem Bruder des Inhaftierten. Zu den drei Gesetzeshütern gesellt sich der junge Colorado (Sänger Ricky Nelson). Stoisch und nüchtern beschreibt der Film den Weg hin zur unabwendbaren Konfrontation, virtuos verdichtet auf drei Tage und eine kleine Stadt, als wolle Hawks die Essenz des Genres in diesem Film darstellen. Auch in diesem Weg hin zur alternativlosen Gewalt liegt eine große Härte, die Hawks in seinem verspielten Film verbirgt.

„El Dorado“ und „Rio Lobo“ mit ähnlicher Story

Die Geschichte ist so simpel und dabei so gut, es ist kein Wunder, dass Hawks sie gleich dreimal verfilmt hat: im ebenfalls sehr guten „El Dorado“ 1967 und im weniger gelungenen „Rio Lobo“ 1970, beide ebenfalls mit John Wayne in der Hauptrolle. Über die Figuren hat Dominik Graf geschrieben: „Erschöpfte Männer am Ende des Wegs. Klassisch wie antike Statuen“. Und ja, die drei Männer sind in der Tat am Ende des Wegs, und sie wissen das auch selbst: Dude ist durch Liebe und Alkohol zum Wrack geworden und weiß genau, dass er nie wieder etwas taugen wird, dass sein Leben verschwendet ist. Stumpy ist ein alter Krüppel und Chance hat seine besten Jahre auch schon hinter sich gelassen. Viel erreicht hat er nicht, einzig seine Arbeit scheint ihm etwas zu bedeuten, als Sheriff ist er ein Profi. Insofern kann man Chance sicher als Blaupause für viele Michael-Mann-Figuren lesen.

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… mit dem jungen Colorado (l.) und Hilfssheriff Dude den Gefangenen verteidigen

Ebenfalls erschöpft und am Ende ihres Wegs ist Feathers (Angie Dickinson), die mit der Postkutsche in die Stadt kommt, und auch eine bewegte, verlustreiche Vergangenheit hinter sich hat. Erst wenn Chance und sie sich ineinander verlieben – es ist dabei gerade das Verletztsein, das die Verbindung zwischen ihnen herstellt –, scheint er den ihm drohenden Tod wirklich zu fürchten. Es ist wunderschön anzusehen, wie Hawks dieses widerwillige Verlieben dieser beiden vom Leben gebeutelten Figuren inszeniert, die die Hoffnung auf Liebe für sich eigentlich schon aufgegeben haben und für die es eine wirkliche Überwindung ist, sich doch noch einmal einem anderen Menschen zu öffnen.

Große Schauspielkunst von John Wayne und Dean Martin

Über John Waynes Spiel könnte man ewig schreiben, jede seiner Szenen lädt er auf, von ihm gehen eine unheimliche Kraft und eine Spannung aus, die sich auf den Film überträgt. Die wichtigen Dinge, die muss er nicht aussprechen, die kann man ihm ansehen: dass Chance ständig unter Spannung steht, mit sich ringt, dass er Angst hat. Wayne spielt ja auch meist Figuren, die ihre Gefühle, ihre inneren Zustände nicht artikulieren, auch Chance ist ein solcher Charakter. Dean Martin ist ebenfalls fantastisch, man braucht ihn nur anzusehen und weiß schon, dass es Dude wirklich beschissen geht.

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Alkoholiker Dude versucht derweil verzweifelt, endlich trocken zu werden

Rio Bravo ist wahrscheinlich einer der wirklich wichtigen Filme für viele Regisseure, Michael Mann, John Carpenter, Quentin Tarantino, Walter Hill, John Frankenheimer, Dominik Graf, die Liste ließe sich sicher fortführen. Eben „klassisch wie antike Statuen“, wie Dominik Graf sagt, und darum für die Ewigkeit.

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Die kesse Feathers lässt ihre Reize spielen

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Howard Hawks haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Angie Dickinson unter Schauspielerinnen, Filme mit Walter Brennan, Dean Martin, Gordon Mitchell, John Russell und John Wayne in der Rubrik Schauspieler.

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Die Stadtbewohner wollen Chance (l.) gegen die Gangster helfen

Veröffentlichung: 12. November 2015 als Blu-ray im Steelbook, 2. Dezember 2001 als Blu-ray, 2. September 2008 als Premium Edition 2-Disc Set DVD, 8. Juni 2007 als 5. Juni 2007 als 2-Disc Special Edition DVD in Holzbox, als 2-Disc Special Edition DVD, 30. August 2001 als DVD

Länge: 141 Min. (Blu-ray), 136 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a.
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a.
Originaltitel: Rio Bravo
USA 1959
Regie: Howard Hawks
Drehbuch: Jules Furthman, Leigh Brackett, nach einer Kurzgeschichte von B. H. McCampbell
Besetzung: John Wayne, Dean Martin, Ricky Nelson, Angie Dickinson, Walter Brennan, Ward Bond, John Russell, Claude Akins, Gordon Mitchell
Zusatzmaterial: keine Angabe
Vertrieb: Warner Home Video

Copyright 2016 by Simon Kyprianou

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Fotos: © 1959 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved, Courtesy Warner Home Video, Packshots: © Warner Home Video

 

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