Archive
Science-Fiction // In der abgelegenen Forschungseinrichtung „The Garden“ arbeitet der Programmierer und Ingenieur George Almore (Theo James) im Jahr 2049 seit zweieinhalb Jahren an der Entwicklung von Robotern. In sechs Monaten endet sein Kontrakt für das Unternehmen Archive Systems Inc., das die Station in einem Berg in Japan errichtet hat. Nun droht ihm Simone (Rhona Mitra), die neue Vizepräsidentin für interne Entwicklungen, sein Projekt dem ihrem einzuverleiben. Zudem drängt sie ihn, endlich die fehleranfälligen Sicherheits-Installationen von „The Garden“ in Ordnung zu bringen.
Georges erste Prototypen „J1“ und „J2“ sind klobig ausgefallen, ihre künstliche Intelligenz ist nicht besonders leistungsfähig. Mit „J3“ steht er kurz davor, endlich einen wirklich humanoiden Androiden zu erschaffen. Obendrein verfolgt er einen Plan, der mit seiner Ehefrau Jules (Stacy Martin) zusammenhängt, die in seinen Erinnerungen und Träumen sehr präsent ist.
„Ex Machina“ und „Moon“ lassen grüßen
Können Roboter eine Seele entwickeln? Oder eingepflanzt bekommen? Wo liegt bei einer künstlichen Intelligenz die Grenze zu einem eigenen Bewusstsein? Das Science-Fiction-Genre ist in Literatur wie Film mit Beiträgen zu diesen Fragen gut gefüllt. Als cineastische Beiträge seien stellvertretend Ridley Scotts „Blade Runner“ (1982) und Alex Garlands „Ex Machina“ (2014) genannt, wobei sich „Archive“ deutlich näher an letztgenanntem Film orientiert. Dessen Tiefe erreicht „Archive“ nicht, bietet gleichwohl einen interessanten Ansatz und ist als Langfilm-Debüt vielversprechend geraten – Regisseur und Drehbuch-Autor Gavin Rothery hatte zuvor lediglich den Endzeit-Kurzfilm „The Last Man“ (2014) inszeniert. An Duncan Jones’ bemerkenswertem „Moon“ (2009) hatte er als Visual Effects Supervisor und Konzeptdesigner mitgewirkt, war obendrein als Stuntdouble für Hauptdarsteller Sam Rockwell eingesprungen. Eine gewisse Ähnlichkeit der Optik von „Archive“ und „Moon“ zumindest bei den Innenaufnahmen lässt sich nicht leugnen.
Mit Ausnahme einiger in Detroit gedrehten Straßenszenen und Hauptsächlich wurde „Archive“ in Ungarn gedreht – die Innenaufnahmen enstanden in einem eine Stunde von der Hauptstadt Budapest entfernten alten Lagerhaus. Den Wasserfall im Hintergrund des am Computer erschaffenen Forschungsgebäudes entdeckte Rothery in Norwegen. Der Filmemacher kontrastiert auf reizvolle Weise die Bilder im Inneren der Forschungsstation mit Aufnahmen der verschneiten Berg- und Waldlandschaft. Es dominieren kühle Farbtöne. Die zurückhaltende Erzählweise verlangt etwas Geduld ab. Ein paar Rückblenden beleuchten die Beziehung zwischen George und seiner Ehefrau und – recht vorhersehbar – ein tragisches Ereignis in der Vergangenheit. Dem auf den Unternehmensnamen anspielenden Filmtitel „Archive“ kommt zudem eine besondere Bedeutung zu, die ich hier aber nicht spoilern will, auch wenn sie nicht allzu lange ein Geheimnis bleibt. Zusätzliche Spannungsmomente bringt der Besuch zweier Sicherheitsleute (Toby Jones, Richard Glover), die Georges geheime Pläne zu durchkreuzen drohen, ein Nebenplot, der allerdings sekundär erscheint. Ähnlich wie Sam Rockwell in „Moon“ muss auch „Archive“-Hauptdarsteller Theo James den Großteil der schauspielerischen Last allein tragen. Dem von ihm verkörperten George mangelt es leider ein wenig an Ausstrahlung, das schmälert die emotionale Bindung etwas.
Lebensechte Sexpuppen mit künstlicher Intelligenz?
Ist es ein zufälliges Motiv in Filmen, dass es meist Männer sind, die sich eine künstliche weibliche Gefährtin erschaffen wollen oder sich in eine Androdin verlieben? Spike Jonzes „Her“ (2013) passt ebenfalls in diese Reihe, auch wenn sich die von Joaquin Phoenix verkörperte Hauptfigur darin lediglich in ein Betriebssystem mit weiblicher Stimme verliebt. Sogenannte „Real Dolls“ gibt es ja bereits, Liebes- oder Sexpuppen, die echten Frauen viel ähnlicher sehen als herkömmliche Sexshop-Produkte. So weit geht „Archive“ nicht, zumal J1 und J2 lediglich über junge weibliche Stimmen verfügen, aber über keine weibliche Gestalt. Gleichwohl: Wann wird man „Real Dolls“ mit Elektronik und künstlicher Intelligenz ausstatten und einsamen bis nerdigen und sozial verarmten Männern als Gefährtinnen anbieten? Die Nachfrage dürfte gegeben sein.
Eine kuriose, wenn auch nebensächliche Entwicklung nimmt die Beziehungslage zwischen George auf der einen und seinen drei J-Robotern auf der anderen Seite. Eigentlich würde ich gern noch etwas über das Ende schreiben, aber das wäre wiederum zu viel des Guten. Nur so viel: Es wertet „Archive“ einerseits spürbar auf, andererseits lässt es einige zuvor gezeigte Elemente der Handlung obsolet erscheinen. Etwas böswillig könnte man das Finale als Deus ex machina bezeichnen, aber das würde Rothery Unrecht tun, weil er das Finale wohl nicht erst am Ende des Drehbuchschreibens ersonnen hat. Oder etwa doch?
Vom Fantasy Filmfest ins Mediabook
„Archive“ feierte seine Deutschlandpremiere im September 2020 beim Fantasy Filmfest und schon kurz darauf hat capelight pictures den Film in den Handel gebracht. Das Booklet im Mediabook enthält ein ausführliches Interview mit Gavin Rothery, in dem der Regisseur und Drehbuch-Autor unter anderem über seine Einflüsse spricht und auch andeutet, welche emotionalen Befindlichkeiten er mit „Archive“ bearbeiten wollte. Auf die Frage nach dem Schriftsteller Philip K. Dick erwähnt er, man müsse ab und zu eine Kerze in einer Kirche für Philip K. Dick anzünden, er war ein großartiger Mann. Von Dick stammt unter anderem die Vorlage zu „Blade Runner“. Rothery äußert, dass er mit „Archive“ eine Wirkung erzielen wollte, die das Publikum nach Sichtung des Films so sehr zum Nachdenken und Diskutieren anregt, wie er das seinerzeit bei „Inception“ erlebt habe. Christopher Nolans 2010er-Regiearbeit thront bei mir ganz weit oben im Science-Fiction-Genre, dort platziere ich „Archive“ nicht. Sein Ziel hat Rothery aber meines Erachtens erreicht – und die Science-Fiction mit seinem Werk auf jeden Fall bereichert.
Alle in „Limited Collector’s Edition” von capelight pictures veröffentlichten Filme haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgelistet. Alle Filme mit Rhona Mitra sind unter Schauspielerinnen zu finden.
Veröffentlichung: 5. November 2020 als 2-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (Blu-ray & DVD), Blu-ray und DVD
Länge: 109 Min. (Blu-ray), 105 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Archive
GB/UNG/USA 2020
Regie: Gavin Rothery
Drehbuch: Gavin Rothery
Besetzung: Theo James, Stacy Martin, Rhona Mitra, Peter Ferdinando, Lia Williams, Toby Jones, Richard Glover, Hans Peterson, Hadisha Sovetova, Imre Csók
Zusatzmaterial: Interviews mit Regisseur Gavin Rothery (6 Min.), Theo James (6 Min.) und Stacy Martin (9 Min.), Kinotrailer, Trailershow, nur Mediabook: 28-seitiges Booklet mit einem Interview mit Gavin Rothery
Label/Vertrieb: capelight pictures / EuroVideo Medien GmbH
Copyright 2020 by Volker Schönenberger
Szenenfotos & 3er-Packshot: © 2020 capelight pictures / EuroVideo Medien GmbH